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HISTORISCHES & AKTUELLES:
NS-Vergangenheitsbewältigung
gesellschaftlich, wirtschaftlich, wissenschaftlich, politisch, juristisch
Fragestellung zum
Umgang mit
Nationalsozialismus und Nazis
bis heute
Zuletzt AKTUALISIERT am 01.04.2025 !
Verschweigen, Verleugnen, Verharmlosen von Nazi-Justiz-Verbrechen sowie des historischen Versagens der deutschen Nachkriegsjustiz bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Mosbach-Baden:
Festhalten an NS-Unrechtsurteilen vor 1945 beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 in der Verschränkung von Nazi-Medizinverbrechen mit Nazi-Justizverbrechen bei der Nazi-(Kinder)-Euthanasie und bei den Nazi-Zwangssterilisierungen:
"Die BUNDESREGIERUNG strebt an, die vielfältige Erinnerungskultur im Land und damit insbesondere die Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu stärken. Neben dem Gedenken an alle NS-Opfergruppen ist dabei die Aufklärung über die NS-Gewaltherrschaft und ihre historische Kontextualisierung von zentraler Bedeutung. So soll u. a. die Gedenkstättenkonzeption des Bundes novelliert, die Geschichtsvermittlung der und in der Einwanderungsgesellschaft vorangebracht, lokale Initiativen gefördert und das Förderprogramm „Jugend erinnert“ modernisiert und verstetigt werden. Auf diese Weise soll historisches Wissen über die NS-Gewaltherrschaft und über die Präzedenzlosigkeit der Shoah zeitgemäß, zielgruppenorientiert und gegenwartsbezogen vermittelt werden. Das Auswärtige Amt fördert die internationale Dimension des Förderprogramms „Jugend erinnert“, das in den Jahren 2023 bis 2025 mit dem Programm „JUGEND erinnert international 2023 – 25“ weiterentwickelt wird. Mit diesem
Förderprogramm soll ein europaweites Netzwerk für eine transnationale Erinnerungskultur geschaffen werden. Mit dem Programm soll nicht nur die Entwicklung einer nachhaltigen und partizipativen Erinnerungskultur unterstützt, sondern auch ein Beitrag zur Bekämpfung von Antisemitismus, Antiziganismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geleistet werden. Mit der Errichtung des geplanten „Dokumentationszentrums Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ sollen darüber hinaus die transnationalen Dimensionen der NS-Gewalt verdeutlicht werden." 27.04.2023. Drucksache 20/6627. 20. Wahlperiode.
https://dserver.bundestag.de/
Seiteninhalt:
- NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
- Online-Artikel und Bücher zur NS-Vergangenheitsbewältigung
- YouTube-Videos zur NS-Vergangenheitsbewältigung
- Podcasts zur NS-Vergangenheitsbewältigung
- Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zur problematischen NS-Vergangenheitsbewältigung
1. NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
Amtsgericht Mosbach | NS- und Rechtsextremismus-Verfahren bei der Mosbacher Justiz: |
Nach Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15.12.2022 - 6 S 1420/22 - unterliegt der Nationalsozialismus nicht der grundrechtlich geschützten Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG.
Das Amtsgericht Mosbach hat jedoch seit dem 03.06.2022 eine gemäß § 158 StPO ordnungsgemäße Eingangsbestätigung mit den Benennungen der Konkreten Eingabedaten, der Konkreten Sachverhaltsbenennungen mit einer kurzen Zusammenfassung der Angaben zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat, insbesondere zu beantragten NS- und Rechtsextremismus-Strafverfahren, bisher ausdrücklich und EXPLIZIT versagt und NICHT ausgestellt.
Auch für die beim Amtsgericht Mosbach beantragten Wiederaufnahmeverfahren, amtsseitigen Verfügungen und gerichtlichen Prüfungen in NS- und Rechtsextremismus-Angelegenheiten verweigert das Amtsgericht Mosbach ordnungsgemäße Eingangs- und Weiterbearbeitungsbestätigungen mit konkreten Sachverhaltsbenennungen.
Siehe dazu auch Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS- und Rechtsextremismusverfahren >>>
Das Amtsgericht Mosbach verweigert zudem bisher Stellungnahmen zu den historisch nachgewiesenen Kontinuitäten von NS-Funktionseliten in der BRD. Das AG MOS verweigert zudem bisher Stellungnahmen zur Kontinuität von NS-Richtern, NS-Staatsanwälten und NS-Juristen nach 1945 und in der BRD, die aber zuvor im Nationalsozialismus privat und beruflich sozialisiert wurden, u.a. auch in Mosbach, in Baden und Württemberg. Das AG MOS verweigert zudem bisher Stellungnahmen zu den NS-Justizverbrechen, sowohl zu den eigenen institutionellen NS-Verbrechen des Amtsgericht Mosbach als auch zu den NS-Massenmordverbrechen in der Mosbacher Region.
Das Amtsgericht Mosbach verweigert zudem bisher Stellungnahmen zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg (1966 bis 1978) Hans Filbinger, der historisch nachgewiesen vor 1945 als Nazi-Blutrichter und NS-Militär-Marinerichter Nazi-Justizmorde als Todesurteile mitbewirkt, veranlasst bzw. ausgesprochen hatte und dazu dann nach 1945 öffentlich zum Ausdruck brachte, dass "DAS", was damals Recht gewesen sei, heute nicht Unrecht sein könne.
Das Amtsgericht Mosbach verweigert bisher Stellungnahmen zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg (2005 bis 2010) und Juristen Günther Oettinger, der seinen Amtsvorgänger Hans Filbinger, während seiner eigenen Filbinger-Trauerrede im April 2007 öffentlich zum angeblichen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus zu verklären und zu stilisieren versucht hatte. Und dies sowohl in der eigenen juristischen NS-Aufarbeitung nach 1945 als auch in den Thematisierungen dieser NS-Sachverhalte innerhalb der eigenen NS-Öffentlichkeitsarbeit des AG MOS.
Vergangenheitsbewältigung in Deutschland Broschiert – 3. September 2007
1.1 Gerichtlich verfügte Beauftragung der forensischen Sachverständigen aus Kitzingen durch das Amtsgericht Mosbach bezüglich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anti-Nazi-Aktivitäten des Antragstellers
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute. Siehe dazu auch Kapitel 5 auf dieser Seite.
Siehe dazu:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS-Verfahren >>>
- Petition beim Landtag von Baden-Württemberg zur Aufarbeitung von NS-Unrecht >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2005 bis 2011 sowie seit 2022 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2004 bis 2010 sowie seit 2022 >>>
- Nazi-Jäger und ihre Aktivitäten >>>
- Sachverständige und Gutachter aus Kitzingen im Verhältnis zum Nationalsozialismus >>>
Hi Hitler! Der Nationalsozialismus in der Populärkultur. Hitler-Memes, Nazi-Filme und Führer-Parodien:
Vergangenheitsbewältigung mit Humor oder beunruhigende Geschichtsvergessenheit? Gebundene Ausgabe – 18. März 2021. (Zu) lockere Vergangenheitsbewältigung? Über den legeren Umgang mit dem Führer. Die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus als Grundlage für Hitler-Witze und lustige Memes? Darf man sich mit einem gewissen zeitlichen Abstand über alles lustig machen, einschließlich der dunkelsten Periode der deutschen Zeitgeschichte? Es scheint, als wären seit der Jahrtausendwende Scherze über Hitler salonfähig geworden. Woran das liegt und ob die Gesellschaft tatsächlich an einer Mischung aus kontrafaktischer Geschichtsschreibung und aus zeitlichem Abstand herrührender Verharmlosung leidet, hat Gavriel D. Rosenfeld näher untersucht. Nachkriegsrevisionismus und alternative Fakten zum Dritten Reich. Schutz vor Normalisierung: Wie einzigartig war der Holocaust? Vom grausamen Führer zur harmlosen Witzfigur: Zeitgenössische Hitler-Filme. Was wäre wenn? Kontrafaktisches Denken und sein Einfluss auf die Holocaust-Historiografie. Grammar-Nazis und Hitler-Katzen-Memes: der Führer in der Populärkultur. Vom wissenschaftlichen Forschungsobjekt zur Witzfigur: Der Wandel der Rezeption von Adolf Hitler. Wie kann ein Mann, der für Tod und Leid von Millionen Menschen verantwortlich ist, zum beliebten Scherzmotiv im Internet werden? Ist die Unterlegung von Hitler-Bildern mit Wortspielereien eine Form der Vergangenheitsbewältigung mit Humor oder droht dadurch eine Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen des Nazi-Regimes um sich zu greifen? Standen im 20. Jahrhundert wissenschaftliche Untersuchungen und moralische Verurteilung des Dritten Reichs im Vordergrund, scheint mittlerweile zunehmende Gleichgültigkeit zur Norm zu werden. Woran das liegen könnte und warum man dieser drohenden Geschichtsvergessenheit angesichts humoristischer Darstellungen in Filmen, Büchern und dem Netz entgegenwirken sollte, stellt der Autor in dieser kenntnisreichen Studie anschaulich dar.
2. Online-Artikel und Bücher zur NS-Vergangenheitsbewältigung
Juristische Aufarbeitung nach 1949
In der 1949 gegründeten Bundesrepublik fand eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zunächst nur sehr begrenzt statt. Die Gerichte reagierten auf die Versuche der Aufklärung von NS-Verbrechen mit zahllosen Verfahrenseinstellungen, Freisprüchen und einer milden Urteilspraxis. Daran konnte auch das Bemühen einzelner Strafermittler, Staatsanwaltschaften und Gerichte um eine konsequente Strafverfolgung nichts ändern. Das Erbe der Nürnberger Prozesse wurde zum Teil schroff abgelehnt.
Einen Wendepunkt leitete der Ulmer Einsatzgruppenprozess im Jahr 1958 ein, der auf ein größeres öffentliches Interesse stieß und noch im selben Jahr zur Einrichtung der "Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" führte. Damit wurde erstmals die Voraussetzung für eine systematische Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen.
Der 1961 in Israel geführte Prozess gegen Adolf Eichmann, der im Reichssicherheitshauptamt als zentrale Figur die Judendeportationen gesteuert hatte, erregte auch in Deutschland Aufsehen. Aber erst der Frankfurter Auschwitzprozess, maßgeblich vorangetrieben durch den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, konfrontierte zwischen 1963 und 1965 die Öffentlichkeit konkret mit dem nationalsozialistischen Judenmord. Dennoch bot der Prozess, der lediglich zur Verurteilung von 17 SS-Angehörigen führte, keine moralisch befriedigende Antwort auf Auschwitz.
Gleiches galt für den aufwendigsten deutschen NS-Strafprozess, der zwischen 1975 und 1981 in Düsseldorf zum Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek stattfand. Über 30 Jahre nach den Verbrechen war ein Tathergang im Einzelfall kaum noch rekonstruierbar. Der eigentliche Wert dieser großen NS-Strafprozesse lag somit nicht in der Verurteilung von Tätern, sondern sie zwangen die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu einer Auseinandersetzung mit ihrer verdrängten Vergangenheit.
https://museen.nuernberg.de/
Deutschland von oben - 1945
ZDFzeit
Geschichte
Dokumentation
informativ
UT6
ZDF
75 Jahre nach Kriegsende zeigt der Film eindringliche Luftaufnahmen von Deutschland 1945 und bringt diese mit Schicksalen von Menschen in Verbindung, die damals in den Trümmern lebten.
Abspielen
Details
Viele Aufnahmen wurden von den Alliierten in Farbe gedreht und eigens für die Dokumentation in 2K-Qualität digitalisiert und aufwendig restauriert. Es sind beklemmende, oft menschenleere Bilder. Sie zeigen das Ausmaß der Zerstörungen in Deutschlands Städten.
Weitere Filmaufnahmen von US-Kameramännern, aber auch private, bislang unveröffentlichte Bilder zeigen das Leben am Boden: Trümmerfrauen, Flüchtlinge, Bewohner der Ruinen, Menschen beim Wasserholen und Sortieren letzter Habseligkeiten, aber auch KZ-Überlebende, die gezeichnet sind von der Hölle der Lager. Den Bogen in die Gegenwart schlagen Luftbilder von heute, auf denen manche Spuren des Krieges noch immer zu erkennen sind.
https://www.zdf.de/
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80 Jahre Kriegsende: Schwälmer Leser teilen ihre Erinnerungen an Panzer und Schokolade
Stand:30.03.2025, 08:03 Uhr
Von: Matthias Haaß
Ende Zweiter Weltkrieg Schwalm
Kriegsende in der Schwalm: Die Amerikaner rückten ab 28. März in Richtung Schwalm vor. Wo genau dieses Foto entstanden ist, ist nicht bekannt. © privat
Wir haben Leserinnen und Leser aus der Schwalm gefragt, welche Erinnerungen sie an das Frühjahr 1945 haben. Die Erzählungen der Zeitzeugen lesen Sie hier.
Altkreis Ziegenhain – Vor 80 Jahren – Ende März, Anfang April 1945 – endeten in Hessen die Kampfhandlungen. Der Zweite Weltkrieg sollte zwar noch bis zum 8. Mai andauern, aber in der Region schwiegen bereits rund um Ostern für immer die Waffen.
Der letzte Lagebucheintrag
Im letzten Lagebucheintrag des Wehrmachtsführungsstabs zu Hessen heißt es am 2. April 1945: [...] In Kassel drang der Feind ein; von da Vorstöße gegen den nach Südosten verlaufenden Riegel, wobei der Gegner bis 2 km an Eisenach herankam.
n der oberen Fulda bildete der Gegner 2 Brückenköpfe. ... In Fulda scheint der Feind eingedrungen zu sein. Im Spessart, gleiche Lage. Von Bad Orb stieß der Feind auf Lohr vor [...] die zur Festung erklärte Stadt Kassel kapitulierte am 4. April gegenüber der US-Armee.
In Treysa und Ziegenhain kam es zu Gefechten
Auf ihrem Weg nach Kassel waren die amerikanischen Einheiten auch durch den Altkreis Ziegenhain gekommen. Lediglich in Treysa und Ziegenhain kam es am Karfreitag 1945 zu kürzeren Gefechten.
Die Übermacht der US-Armee war einfach zu groß, die deutschen Wehrmachteinheiten waren zerbrochen und erschöpft. Gegenwehr leisteten nur noch fanatische Anhänger des NS-Regimes.
Nach einem kürzlich erschienen Aufruf in der HNA melden sich Leserinnen und Leser und teilen ihre Erinnerungen. Sie sind die letzte Generation, die diese Zeit bewusst miterlebte und mit Kinderaugen auf einen entscheidenden Moment der deutschen Geschichte blickte.
Kriegsende: Quelle Heimat- und Geschichtsverein Wolfhagen: Amerikanissche Panzer am Teichberg.
Kriegsende in Nordhessen: Die Aufnahme aus dem Archiv des Heimat- und Geschichtsvereins Wolfhagen zeigt amerikanische Panzer. So ähnlich muss es Ende März 1945 auch im Altkreis Ziegenhain ausgesehen haben. © privat/dpa
Ziegenhainerin verbrachte Tage um Ostern im Keller
Eine Zeitzeugin ist Renate Müller aus Ziegenhain. Geboren im Jahr 1936, war sie bei Kriegsende noch ein Kind. Im Gespräch mit der Schwälmer Allgemeinen erinnert sie sich noch sehr lebhaft an die Tage rund um Ostern.
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Schon vor Ankunft der US-Panzer habe man im schützenden Keller gesessen, berichtet die 88-Jährige. Als sie den großen Stern auf den Panzern gesehen habe, habe sie zunächst gedacht, es seien Russen, „ein Panzer rollte hinter dem anderen“. Auch den Gefechtslärm in der damaligen Kreisstadt habe sie gehört.
Als sie später aus dem Keller gekommen sei, habe ein Nachbar erzählt, dass sich in Ziegenhain ein deutscher Panzer den Amerikanern entgegengestellt habe, so Renate Müller.
Kinder freuten sich über Obst und Süßigkeiten
Im weiteren Tagesverlauf habe sie dann den ersten Schwarzen Menschen gesehen – einen US-GI. „Mein erstes englisches Wort war Chewinggum und damals habe ich die erste Banane in meinem Leben gegessen.“
Als Kind habe man das ganze Geschehen anders gesehen als die Erwachsenen. „Wir haben uns eigentlich über die Sache gefreut.“ Später sei bei ihnen im Haus – das in der Nähe der amerikanischen Kommandantur lag – eine Sekretärin der US-Armee einquartiert worden.
Ein Glückstreffer für Kinder, wenn es um Schokolade ging. „Die saß natürlich an der Quelle“, so Müller lachend.
Panzerkolonnen haben Donnergrollen geglichen
Georg Prüssing war beim Einmarsch der Amerikaner neun Jahre alt. Damals lebte er in Loshausen. Auch er kann sich sehr gut an die endlosen Panzerkolonnen erinnern.
Es sei wie Donnergrollen gewesen, so 89-Jährige: „Wie bei einem Gewitter.“ Am Haus habe ein weißes Bettlaken gehangen, erzählt der heute in Treysa lebende Prüssing: „Die Hakenkreuzfahnen hatte mein Großvater im Garten vergraben.“
An eine Episode könne er sich noch bis heute erinnern. Ein geistig zurückgebliebener Mann habe den anrückenden Amerikanern den Hitlergruß gezeigt.
Gefischt wurde am Fluss mit Handgranaten
Daraufhin drehte sich ein Panzerturm auf die am Straßenrand stehende Gruppe Loshäuser. Der Panzerkommandant habe die Situation aber schnell richtig eingeschätzt und sei mit einem Winken vorbeigefahren.
Für einen Achtjährigen sei es damals eine schöne Zeit gewesen, so Prüssing. Keine Schule und viel Zeit fürs Angeln an der Schwalm. Dabei habe er auch eine unschöne Situation erleben müssen, als eine Gruppe von GIs mit Eierhandgranaten im Fluss fischte.
Durch die Explosion wurden die Fische getötet und schwammen an der Wasseroberfläche. „Wir waren entsetzt“, erinnert sich der 89-Jährige. Die erste Apfelsine in seinem Leben habe er im Tausch für Zwiebeln vom Koch der Amerikaner bekommen. Das Küchenzelt stand am Bahnhof Loshausen.
nh123 Morschen Wichte Kriegsende vor 70 Jahrenhier zu sehen ein US-Sherman-Panzer in Wichte - Foto: Gemeindearchiv Morscheneingereicht von Otto Wohlgemuth
Der heutige Schwalm-Eder-Kreis wurde zum Kampfgebiet. Ein Sherman-Panzer der US-Armee in Wichte. © privat
Amerikanische Soldaten brachten Süßigkeiten mit
Mit fünf Jahren erlebte die heute in Mengsberg lebende Helga Kordes den Einmarsch der US-Armee. Derzeit lebte sie noch in Lischeid.
Dass sie damals den ersten Schwarzen Menschen in ihrem Leben gesehen hat, ist ihr nachhaltig im Gedächtnis haften geblieben. Von den Soldaten habe sie Süßigkeiten bekommen, so Kordes: „Meine Eltern haben geschimpft, ich hab mich gefreut.“
An die US-Soldaten habe sie gute Erinnerungen, sagt die Mengsbergerin. Diese seien auch in ihrem Haus einquartiert gewesen. Ihre Oma habe für die GIs immer Eier backen müssen.
Lenderscheider entging nur knapp der Einberufung
Oswald Schmell aus Lenderscheid erlebte das Kriegsende als 16-Jähriger. Damals befand er sich in der Waldarbeiterlehre beim Forst in Frielendorf.
Den Einberufungsbefehl habe er schon in der Tasche gehabt und auch den Rückzug der geschlagenen Wehrmachtssoldaten durch Frielendorf gesehen.
Ein Luftwaffensoldat habe gesagt: „Wenn die durch sind, dann kommt der Ami.“ Und so war es dann auch. Er habe Panzer gesehen und Artillerie, so Schmell: „Die hat sich an der Kreuzung bei Verna/Siebertshausen eingegraben.“
Glück für Schmell, der Kriegsdienst blieb ihm dadurch erspart. Gerade in den letzten Kriegstagen wurden junge Soldaten sinnlos verheizt.
Kapitulation war nicht für alle möglich
Gerd Ochs aus Hattendorf berichtet der Redaktion vom tragischen Tod seines Großvaters in den letzten Kriegstagen. Wegen eines Sägeunfalles hatte er nicht mehr alle Finger und ist erst in der allerletzten Phase eingezogen worden.
Bei Kriegsende war er auf dem Rückmarsch aus Griechenland in Klagenfurt angekommen.
„Ein irrer Offizier wollte nichts von Kapitulation hören und befahl das Schießen bis zum bitteren Ende. In diesem Gefecht erlitt er einen Oberschenkeldurchschuss.
Den hätte er überlebt, aber es gab keinerlei Sanitätsversorgung mehr, und so verstarb er wegen des Blutverlustes. Todestag: 14. Mai“, schreibt Ochs in einer Mail an die Redaktion.
„Meine Oma erfuhr das alles erst Monate später, weil es auch keine Meldestrukturen mehr gab, bis dahin galt er als vermisst. Ein anderer Verwundeter brachte die Nachricht persönlich nach Hattendorf, als er wieder in die Heimat zurückkonnte: Er war aus Röllshausen.“
Landesgeschichtliches Informationssystem mit Einträgen zum Kriegsende: lagis-hessen.de
https://www.hna.de/
Eine auf Lügen aufgebaute Karriere
Gerhard Stöck wurde mit dem Speerwurf-Olympiasieg 1936 ein Sportidol der Nazi-Zeit. In der Nachkriegs-BRD macht er als Funktionär Karriere - weil er seine tiefen NS-Verstrickungen durch Beschönigungen und Täuschungen herunterspielte.
Gerhard Stöck nach seinem Olympiasieg 1936
© IMAGO / TT
29.03.2025 • 12:52 Uhr
Gerhard Stöck war ein Mann, der die Verhältnisse für sich zu nutzen wusste, sein größter Triumph als Sportler zeugte davon.
Es war der 6. August 1936, der vielseitig begabte Leichtathlet war bei Olympia in Berlin im Speerwurf am Start – und holte den Sieg, weil er die widrige Witterung an dem Tag am besten einzuschätzen wusste: Er warf besonders flach ab, so dass der scharfe Wind den Flug des Wurfobjekts weniger beeinträchtigte. 71,84 Meter im fünften Versuch bedeuteten einen klaren Sieg vor den finnischen Rivalen Yrjo Nikkanen und Kalervo Toivonen.
Gerhard Stöck wurde mit seinem Gold-Coup vor den Augen der NS-Führung um Adolf Hitler ein Vorzeigesportler des nationalsozialistischen Deutschlands - mit 1,89 Metern Körpergröße, blonden Haaren und blauen Augen entsprach er auch vollends dem damaligen Idealbild der arischen „Herrenrasse“. Auch in der Nachkriegs-BRD war Stöck eine bedeutsame Figur des Sports, war ein einflussreicher Funktionär und bei zwei Olympischen Spielen der deutsche Chef de Mission.
Der ehemalige Spitzenathlet starb heute vor 40 Jahren als geachteter Mann, dessen Vermächtnis als verdienstvoll und vorbildlich betrachtet wurde. Inzwischen hat sich das Bild allerdings stark gewandelt: Nach Stöcks Tod wurde klar, dass seine Verstrickungen mit dem Nazi-Regime tiefer waren als er zugegeben hatte – und dass seine Karriere danach auf Lügen und Täuschungen aufgebaut war.
Steile Karriere im NS-Regime
Stöck, geboren am 28. Juli 1911 im damaligen Kaiserswalde in Niederschlesien (heute: Lasowka in Polen), war zum Zeitpunkt seines Olympia-Triumphs ein junger Lehramtsanwärter und ein überzeugter Nationalsozialist.
Am 5. Mai 1933, kurz nach der Machtergreifung, trat Stöck in die SA ein, die gefürchtete paramilitärische Einheit, die als Kampf- und Propaganda-Organisation ein Wegbereiter des Aufstiegs der NSDAP war – und deren Macht durch gewalttätige Übergriffe auf Andersdenkende sicherte.
1936 nahm Stöck – der in Berlin auch Bronze im Kugelstoßen gewann – am Reichsparteitag teil und rief bei der Reichstagswahl alle Sportkameraden auf, ihre Stimme „dem Führer zu geben“. 1937 trat er in die NSDAP ein, bei der SA wurde er schrittweise bis in den Rang des Sturmbannführers befördert.
Beruflich diente Stöck dem Regime in der Reichsakademie für Leibesübungen und dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Seine Stellung war so hochrangig, dass er zeitweise Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten bei offiziellen Anlässen vertrat.
Der verlorene Weltkrieg und die neue politische Ordnung ab 1945 bedeuteten einen Bruch in der steilen Karriere des bei Kriegsende 33-Jährigen – jedoch keinen nachhaltigen.
Nach dem Krieg schönte Stöck seine Vita
Der nach Hamburg übergesiedelte Stöck bewarb sich in der Hansestadt um eine Anstellung am dortigen Institut für Leibesübungen. Der dazu nötige Prozess der Entnazifizierung stand jedoch im Weg: In erster Instanz entschied die britische Militärregierung, dass Stöcks NS-Karriere zu schnell und steil gewesen wäre, als dass er „nur“ als Mitläufer zu gelten hätte.
Stöck ging in Berufung und beharrte auf seiner Behauptung, er sei ein unpolitischer Mensch gewesen, der sich nur „zum Ruhme des Vaterlandes und zur Ehre des Sports eingesetzt“ hätte und „ein Gegner des nationalsozialistischen Zwanges“ gewesen sei (O-Töne aus den Antworten Stöcks im Fragebogen der britischen Besatzer).
Seinen frühen SA-Beitritt verschwieg Stöck, die NSDAP-Mitgliedschafft stellte er als erzwungen dar. Stöck fälschte sogar sein Geburtsdatum, was die Nachvollziehbarkeit seiner Verstrickungen erschwerte.
„Nicht wenige Nazis haben durch derartige Fälschungen versucht, Spuren zu verwischen“, vermerkten die Autoren Peter und Paul Busse 2011 in einer Aufarbeitung des Falls Stöck für den Verein „Freunde der Leichtathletik“. Paul Busse war in den siebziger und achtziger Jahren ein hochrangiger SPD-Politiker in Hamburg, sein Bruder Peter Journalist.
Im Nachhinein wollte er Regimegegner gewesen sein
Stöck trat 1946 selbst der SPD bei, was seine Anstrengungen in Bezug auf seine Reinwaschung erleichterte: Mit Hilfe zahlreicher „Persilscheine“ – schriftliche Leumundszeugnisse von teils selbst NS-belasteten Freunden – überzeugte er das zuständige Berufungskomitee schließlich von seiner Selbstdarstellung als reuiger, kleiner Sünder.
„Ich fühle mich nicht frei von Schuld“, gab Stöck zu, versicherte aber: „Ich habe niemandem geschadet, sondern war Idealist im Sport.“
Der Ausschuss glaubte ihm - und ging sogar so weit, Stöck zu bescheinigen, dass er „stets ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen ist“, der seine SA-Würden „gegen seinen Willen“ erhalten hätte.
Der Weg für Stöcks neue Karriere war frei: 1950 wurde Stöck Leiter des Sportamts Hamburg. 1956 und 1960 war er Delegationschef der deutschen Olympia-Mannschaft – berufen vom damaligen NOK-Chef Carl Ritter von Halt, selbst früher hochrangiger Würdenträger im NS-Sport.
Posthume Würdigung mündete in Eklat
Stöck führte das Hamburger Sportamt 25 Jahre lang, bis er 1975 feierlich verabschiedet wurde, er blieb als engagierter und leidenschaftlicher Funktionär in Erinnerung. Auch die Busse-Brüder, die ihn persönlich kannten, bescheinigten ihm, im persönlichen Umgang ein „hilfsbereiter und liebenswürdiger Mitmensch“ gewesen zu sein.
Nach seinem Tod am 29. März 1985 hielt die Stadt Hamburg sein Andenken aufrecht, indem sie den Gerhard-Stöck-Preis ins Leben rief, den sie an verdiente Sportler und Vereine vergab.
2006 endete die Tradition mit einem Eklat: Die als Preisträgerinnen ausgewählte Rugby-Frauenmannschaft des FC St. Pauli – ausgerechnet -, gaben die Auszeichnung wegen der NS-Belastung ihres Namensgebers zurück. Der Stöck-Preis wurde danach stillschweigend eingestellt.
https://www.sport1.de/
Erinnerungskultur
Mahnmal für NS-Opfer in Schleiden enthüllt – Landrat findet mahnende Worte
Von Stephan Everling
09.03.2025, 18:02 Uhr
Lesezeit 6 Minuten
Eine Gruppe von Menschen steht auf einem Platz vor einer eingehüllten Tafel, die von sechs Metallstelen umgeben ist.
Rund 200 Menschen nahmen an der Enthüllung des Mahnmals auf dem Platz vor dem Alten Rathaus in Schleiden teil.
Copyright: Stephan Everling
Mit dem Mahnmal soll in der Schleidener Innenstadt allen Opfern gedacht werden, nicht mehr nur speziellen Gruppen. Auf dem Platz wurde in der NS-Zeit ein Amerikaner ermordet.
Nun ist es da, das Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus im Stadtgebiet Schleiden, das sich nicht auf eine Gruppe beschränkt, sondern versucht, alle mitzunehmen, die unter der Terrorherrschaft im Dritten Reich gelitten haben. Und das an einer sehr markanten Stelle: vor dem Alten Rathaus der einstigen Kreisstadt, an der verkehrsreichen Ampelkreuzung auf der Bundesstraße in Richtung Hellenthal, direkt gegenüber dem Städtischen Gymnasium, wie Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings betonte.
Jetzt wurde das Mahnmal feierlich enthüllt. Dabei war der Termin bewusst gewählt, war es doch der 80. Jahrestag des Abzugs der alliierten Truppen aus Schleiden und damit der Befreiung der Opfer des NS-Terrors. Rund 200 Besucher sorgten für einen würdigen Rahmen der Veranstaltung.
Lob von Historiker und Experten der NS-Zeit für Schleidener Mahnmal
Ein Lob kam aus berufenem Mund. „Der Stadtrat hat alles richtig gemacht“, sagte der Journalist Franz-Albert Heinen in seiner Rede, kurz bevor die Tafel in der Mitte des aus sechs Eisenstelen gebildetem Kreis enthüllt wurde. Ein bisschen war das auch ein Eigenlob, denn eigentlich hatten die Stadtverordneten sich vor allem nach dem gerichtet, was der langjährige Redakteur dieser Redaktion und unermüdliche Erforscher der NS-Zeit in der Eifel gemeinsam mit dem Arbeitskreis „Erinnerungskultur“ entwickelt hatte.
Der Journalist steht an einem Rednerpult. Er trägt ein dunkles Hemd und ein helles Sakko, im Hintergrund ist ein Blumengesteck zu sehen.
In die Details der Gestaltung führte der Journalist Franz-Albert Heinen ein.
Copyright: Stephan Everling
Auf welche breite gesellschaftliche Akzeptanz das Mahnmal in Schleiden trifft, zeigte auch die rege Beteiligung an der Enthüllung. Daran nahmen neben Pfennings auch die Ex-Bürgermeister Alois Sommer und Udo Meister, die Polizei, die Feuerwehr, Vertreter der beiden christlichen Kirchen, mehrere Mitglieder des Schleidener Rates einträchtig mit den „Omas gegen rechts“, Schülern des Schleidener Gymnasiums und den Initiativen für das Gedenken an die Opfer der NS-Zeit aus anderen Orten und noch viele mehr teil.
Günter Rosenke hatte wichtigen Anteil an Gedenken in Schleiden
Mit dabei waren auch Landrat Markus Ramers, der die Eröffnungsrede hielt, und dessen Vorgänger Günter Rosenke. Dass Rosenke einen gewichtigen Anteil an der Entstehung des Mahnmals hatte, kam dabei nicht zu kurz. „Als ich ihn 2018 angesprochen habe, ob es nicht Zeit sei, den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen im Kreis ein Denkmal zu setzen, entgegnete er, erst einmal solle das Thema für alle mit einer Ausstellung präsent gemacht werden“, erinnerte sich Heinen.
Eine Gruppe Jugendliche zieht ein Tuch von einer Gedenktafel.
Die Schrifttafel enthüllten Schüler des städtischen Johannes-Sturmius-Gymnasiums, das gegenüber dem Mahnmal liegt.
Copyright: Stephan Everling
Die Wanderausstellung, die daraufhin entstanden sei, sei in Vogelsang zum ersten Mal vorgestellt und anschließend in allen Rathäusern des Kreises gezeigt worden. Anschließend sei in Schleiden der sechsköpfige Arbeitskreis Gedenken gegründet worden. Schon bei der ersten Anfrage sei die Bürgerstiftung Schleiden eingestiegen und zum Partner und Träger des Projektes geworden.
Der Anspruch, allen Opfergruppen gerecht zu werden, dokumentiere den Wandel in der Erinnerungskultur, nicht einzelnen Gruppen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und damit wieder andere auszugrenzen, sondern die Untaten der Nationalsozialisten, ihre Unmenschlichkeit und Mordlust im Ganzen ins Visier zu nehmen.
Sinti und Roma sowie Homosexuelle nicht explizit erwähnt
Sechs Gruppen von Menschen aus den Stadtgebiet, deren Schicksal dokumentiert ist, hat der Arbeitskreis Erinnerungskultur definiert: die jüdischen Opfer des Holocausts, die Menschen, die zur Zwangsarbeit in die Eifel verschleppt wurden und die Kriegsgefangenen. Dazu kommen die Menschen, die unter dem Begriff der „Rassenhygiene“ ermordet oder verstümmelt wurden, die politisch Verfolgten und die Opfer der Gestapo, des „zentralen Terrorinstruments des nationalsozialistischen Regimes“, wie es die ausgezeichnet recherchierte Begleitbroschüre zum dem beschreibt.
Dass Sinti und Roma sowie homosexuelle Opfer nicht explizit im Text auf der Erinnerungstafel erwähnt worden seien, habe einen einfachen Grund, so Heinen: „Es gibt keine Beispiele aus dem Stadtgebiet.“ Allerdings könnten diese aufgrund der offenen Formulierung in die Gruppen Eingang finden. Auch gebe es eine Dokumentation, die über einen QR-Code am Mahnmal zugänglich und jederzeit aktualisierbar sei, betonte er. „Heute bin ich noch nicht so schlau wie morgen“, verweist er auf die sich ständig weiterentwickelnden Ergebnisse der intensiven Aufarbeitung der Ereignisse während der NS-Diktatur.
Landrat mahnt, bei Menschenfeindlichkeit nicht wegzusehen
Wie wohlfeil ein Gedenken zu haben ist, wird bei dem Projekt auch deutlich. Rund 15.000 Euro habe das Mahnmal insgesamt gekostet, so Stadtkämmerer Marcel Wolter. 10.000 Euro übernahm davon die Bürgerstiftung Schleiden, weitere Zuwendungen habe es von der Kreissparkasse Schleiden und der VR-Bank Nordeifel gegeben.
„So ein Denkmal gehört in das Herz der Stadt Schleiden“, betonte Pfennings. Das Thema, die schwärzeste Stunde der deutschen Geschichte, sei wieder aktuell. „Es ist Teil der Geschichte und darf nie wieder Gegenwart werden“, forderte er.
Das Mahnmal erinnere daran, wie die Menschenwürde mit Füßen getreten worden sei, betonte Landrat Markus Ramers in seiner Rede. Es klinge banal, doch das Höchste sei, zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen sei, zitierte er die amerikanische Publizistin Hannah Arendt.
„Es geht um nichts Abstraktes“, sagte Ramers angesichts der Millionen von Opfern und verlas den Liedtext des Sängers Reinhard Mey über „Die Kinder von Isieux“, eine Gruppe von 44 jüdischen Waisenkindern, die von der Gestapo 1944 in einem französischen Kinderheim mit ihren sieben Betreuern verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Doch es gebe auch die Geschichten der Opfer aus dem Schleidener Tal.
„Allen diesen Menschen widmet die Stadt ein Mahnmal und gibt ihnen ein Stück Würde zurück“, so Ramers. Sie seien Menschen gewesen, keine Nummern oder Zahlen. Einige der Täter seien im Stadtgebiet ausgebildet worden. Und viele hätten in der Zeit weggesehen. „Menschenfeindlichkeit wird nicht nur durch die Täter möglich, sondern auch durch die, die es geschehen lassen“, mahnte er.
Auf dem Schleidener Platz töteten Nazis einen Amerikaner
Das Mahnmal für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Stadt Schleiden besteht aus sechs senkrechten, 2,60 Meter hohen Eisenstelen, für jede Opfergruppe eine, die im Kreis angeordnet sind. Im oberen Teil sind sie abgeknickt, sodass in der Stele eine Kerbe, ähnlich einer offenen Wunde, entsteht. Wie ein Schirm, so die Initiatoren, würden sie sich schützend über den Opfern zusammenstellen. Gleichzeitig aber erinnern sie auch an die im oberen Teil überhängenden Pfähle, an denen der Stacheldraht für die Umzäunungen der Konzentrations- und Gefangenenlager befestigt wurde.
Entworfen und gestaltet wurde es von dem Monschauer Metallbildhauer Peter Henn. Mit seinem Konzept gewann er gegen drei Konkurrenten den Gestaltungswettbewerb, den der Arbeitskreis ausgeschrieben hatte.
Der Schmied mit Schirmmütze steht vor der Gedenktafel, um ihn herum sind die Metallstelen zu sehen. Er trägt eine graue Hose und eine dunkle Jacke.
Der Monschauer Schmied Peter Henn hat das Mahnmal geschaffen.
Copyright: Stephan Everling
Der Platz vor dem Alten Rathaus ist nicht nur zentral, sondern auch geschichtsträchtig. Denn wenige Meter von dem Mahnmal entfernt, wie Franz-Albert Heinen in seiner Rede erinnerte, wurde der amerikanische Pilot Quincy Brown ermordet, als er nach seinem Absturz zum Arzt gebracht wurde.
Der damalige Hellenthaler Bürgermeister Wilhelm Fischer und der SD-Führer Rudolf Seidel hatten ihn unter Beifall und Beteiligung einer Menschenmenge angegriffen und misshandelt. Schließlich schoss Seidel auf den Mann und forderte im Weggehen einen der Umstehenden auf, den Mann mit einem zweiten Schuss zu töten. Bis heute hat an dieser Stelle keine Tafel an diesen Mord erinnert.
https://www.rundschau-online.de/
Deutsche als Opfer?
Der schwere Vorwurf, die Union falle bei der NS-Erinnerung „in die 50er-Jahre“ zurück
Autorenprofilbild von Jan Alexander Casper
Redakteur Innenpolitik
Stand: 21.02.2025 Lesedauer: 7 Minuten
Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, spricht während der Debatte «Der Antisemitismus und wir» auf dem Deutschen Katholikentag. Zu dem fünftägigen Christentreffen werden 20.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland erwartet. Bis Sonntag sind rund 500 Veranstaltungen geplant. Der Katholikentag steht unter dem biblischen Leitwort «Zukunft hat der Mensch des Friedens».
Jens-Christian Wagner, Direktor der NS-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Quelle: picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt
Ein KZ-Gedenkstättenleiter bemängelt, dass das NS-Regime im Unionswahlprogramm keine Erwähnung finde – Vertriebene und ihre Nachfahren dafür umfänglich. Unionspolitiker widersprechen: Das Schicksal der Vertriebenen und ihren Nachfahren sei „für die deutsche Identität nach wie vor Bedeutung“.
Der Vorwurf könnte kaum härter sein: Die Union falle erinnerungspolitisch in die „in die 50er-Jahre“ zurück, „als sich die Deutschen als die eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus fühlten“, das warf der Historiker Jens-Christian Wagner der CDU und CSU aufgrund ihres Wahlprogramms vor über 100.000 Demonstranten in Berlin vor. Die Kritik verbreitete er auch im Netz, etwa über das Portal „Volksverpetzer“, und auch die Organisation „Campact“, die die Demonstration organisierte, griff den erinnerungspolitischen Anwurf gegen die Union auf.
Der Vorwurf auf der NGO-Website: Das Unionsprogramm komme ohne jede Nennung der NS-Zeit und der Schoah aus – „und es wird noch absurder: Die CDU möchte die ‚Erinnerung an Flucht und Vertreibung stärken‘“.
Beides stimmt objektiv. Das Sentiment des „Campact“-Textes aber ist ein Echo auf Wagners Rede vor dem großen Publikum: „Die NS-Verbrechen werden in diesem Wahlprogramm mit immerhin fast zwei Seiten, den der Abschnitt zur Erinnerungskultur umfasst, noch nicht einmal namentlich erwähnt“, stattdessen sei bloß „nivellierend von den, Zitat, ‚beiden totalitären Regimen in Deutschland‘ die Rede“ – und dann kämen „90 Prozent Inhalt zu einem ganz anderen Thema, nämlich zum Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten und zum Thema Spätaussiedler.“ Das Publikum quittierte den Satz mit Buh-Rufen.
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Wagner ist Direktor der NS-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen, wo er sich gegen Geschichtsrevisionismus der rechtsextremen Landes-AfD einsetzt. Und nun sagt er: Das Unions-Wahlprogramm „hört sich kaum noch anders an als das“ der AfD, denn dort stünden auch Begriffe wie „Leitkultur, Identität, Nation, Bräuche, Traditionen“, und man raune vom „deutschen Kulturerbe im östlichen Europa.“
Die Vorwürfe werfen Fragen auf nach dem Gewicht und Raum, den Parteien – konkret die Union – bestimmten erinnerungspolitischen Vokabeln und Themen zuweisen. In Deutschland gibt es eine lange Tradition des Nachdenkens über die „richtige“ Geschichtskultur. Auf Nachfrage problematisiert Wagner etwa das Nebeneinandersetzen von NS-Diktatur und SED-Diktatur als Zurückfallen hinter die sogenannte Faulenbach-Formel. Die geht auf ein Bundestagsdokument zur deutschen Erinnerungskultur und den Historiker Bernd Faulenbach zurück. Sie besagt: Die-NS-Verbrechen dürften nicht per Verweis auf Stalinismus und die deutsche SED-Diktatur relativiert; letztere nicht per Verweis auf den Nationalsozialismus bagatellisiert werden.
Nur: Geschieht das im Unionsprogramm? Und was ist mit der tatsächlichen Praxis einer Partei in Regierungsverantwortung? Karin Prien, CDU-Bildungsministerin Schleswig-Holsteins, Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU und mitverantwortlich für die erinnerungspolitischen Passagen im Unionsprogramm, widersprecht Wagner jedenfalls vehement.
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„Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir das Erbe der NS-Diktatur sehr ernst nehmen“; allein in Priens Amtszeit in Schleswig-Holstein sei gelungen, die Besucherzahlen der NS-Gedenkstätten durch bessere Förderung zu vervielfältigen – von 13.000 auf 64.000 jährliche Besucher, so Prien.
Und, so Prien, so sehr sie Wagners Arbeit in Thüringen schätze, sagte sie WELT, würde sie sich dennoch wünschen, dass dieser „vor seinen Äußerungen das gesamte Programm“ zur Kenntnis genommen hätte. Unter anderem fordert es an anderer Stelle: „Alle Schülerinnen und Schüler sollen Gedenkstätten besuchen. Das ist wichtig für ihr historisches Bewusstsein.“
Prien sagt auch: „Wer erfolgreich gegen Rechtsextremismus, andere Formen des Extremismus und gegen Antisemitismus heute kämpfen will, der braucht eben mehr als nur die Pflege des historischen Erinnerns“; deshalb räume das Programm auch dem gegenwärtig grassierenden israelbezogenen Antisemitismus, etwa in der Kulturszene, an Schulen oder unter Zugewanderten, viel Platz ein.
„Handlungsbedarf“ im Feld der Vertriebenen-Politik
Ähnlich argumentiert auch der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries, Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten in der Unions-Fraktion. De Vries zeichnet mitverantwortlich für den Programmteil zu den Vertrieben.
Wo Wagner von einem „Raunen“ bezüglich „deutschen Kulturerbes im östlichen Europa“ spricht, sagt de Vries: „Deutschland ist der einzige EU-Mitgliedsstaat, der muttersprachliche Minderheiten in 27 Ländern Europas und Zentralasien besitzt.“ Die Unterstützung dieser Minderheiten beim Erhalt von deren „Sprache, Traditionen und Kultur“ sei Ziel der Union – und umso wichtiger nach der kurzen Regierungszeit von Rot-Grün-Gelb.
„Der Handlungsbedarf“ im Feld der Vertriebenen-Politik sei nach dem „Desaster der Ampelkoalition umso größer geworden.“ Der Hintergrund: Die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth habe nicht nur aus dem Namen des kleinen „Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa einfach die deutsche Identität gestrichen“ – nun heißt es: „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa.“ Sehr handfest hat Roth auch im Haushaltsentwurf für 2025 den Fördertitel zum Erhalt von Kulturgut in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten in Osteuropa gekürzt – nämlich auf null Euro.
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Eine Sprecherin von Kulturstaatsministerin Roth sagte dazu: Man habe sich im vergangenen Jahr auf die Förderung kultureller Maßnahmen im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes fokussiert. „Aufgrund dieser Prioritätensetzung“ sei es „nicht möglich“ gewesen, „frische Haushaltsmittel zur ‚Sicherung und Erhaltung deutschen Kulturgutes der historischen Siedlungsgebiete im östlichen Europa‘ zu veranschlagen.“
Die Kürzung ist ein einmaliger Vorgang, kritisiert de Vries, der gleichzeitig – wie auch Prien – die historische Bedeutung der Integration der Vertriebenen und deren Nachfahren durch die Union betont. „Die Union steht in der Tradition der berühmten Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945: Die Völker Europas wurden zunächst Opfer eines von Deutschland ausgehenden Krieges, ‚bevor wir selbst zu Opfern unseres eigenen Krieges wurden‘“, so de Vries.
Daraus erwachse Verantwortung sowohl für die Erinnerung an die NS-Verbrechen als auch an das „Unrecht zu erinnern, welches den Heimatvertriebenen noch lange nach Kriegsende widerfahren ist“.
„Ich fühle mich ein Stück weit verunglimpft“
Auch Prien betont: Das Schicksal der Vertriebenen und ihren Nachfahren sei „für die deutsche Identität nach wie vor Bedeutung. Und das darf man auch sagen, ohne Geschichtsrelativierung zu betreiben oder gleich die Unterstellung zu riskieren, die Kriegsschuldfrage in irgendeiner Weise neu zu stellen.“
Für sie stehen Wagners Aussagen in Tradition einer gewissen Schizophrenie im Umgang mit der CDU: Einerseits solle sie nach rechts integrieren – tut sie es, etwa mit Verweis auf Traditionspflege, sei es aber auch wieder nicht recht. Dazu komme derzeit ein Bestreben, die CDU, ihre Anhänger und Mitglieder in „die rechtsextreme Ecke“ zu stellen.
„Ich fühle mich dadurch auch selbst, das will ich nicht verhehlen, ein Stück weit verunglimpft“, so Prien.
Jens-Christian Wagner derweil bleibt bei seiner Kritik. Er „bedaure“, dass Prien sich verunglimpft fühle. An seiner Haltung aber könne er aber nichts Schizophrenes erkennen. Nie habe er von der CDU als Mitte-Partei gefordert, „nach rechts oder gar nach rechts außen integrierend zu wirken.“
Die programmatische „Leerstelle“ bei der NS-Thematik mit Verweis auf „Selbstverständlichkeit“ zu erklären, so Wagner, halte er für wenig überzeugend. „Ist etwa die Forderung, sich mit dem SED-Unrecht sowie Flucht und Vertreibung auseinanderzusetzen, keine Selbstverständlichkeit?“, fragt er. Er bleibt dabei: Es gebe im Unionsprogramm eine „erinnerungskulturelle Unwucht, die so gar nicht zu der aufgeklärten Erinnerungskultur“ etwa der Grütters-Zeit oder der CDU-Gedenkstättenarbeit in den Ländern der vergangenen 30 Jahren passe „und stark an Narrative der 1950er-Jahre erinnert.“
Und Wagner hält auch daran fest, dass Worte wie „Traditionen“, „Bräuche“, „Nation“ und „Identität“ in geschichtspolitischen Passagen „einer aufgeklärten, kritischen Geschichtskultur widersprechen oder zumindest insbesondere in ihrem Kontext als problematisch zu bezeichnen sind.“
Vielleicht sind es auch die unterschiedlichen Perspektiven, wegen derer die Positionen so unversöhnlich scheinen. Hier Unionspolitiker, für die die fortgesetzte Aufarbeitung der deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs selbstverständlich sind; dort Gedenkstättenleiter, die regelmäßig mit Anfeindung und revisionistischen Ansichten zu tun haben, die eben auch mit Begriffen wie „Brauch“, „Nation“, „Identität“ operieren.
„Ein gewisses Unbehagen an dem Unions-Wahlprogramm aus erinnerungspolitischer Sicht kann ich nachvollziehen“, sagt jedenfalls Axel Drecoll, der Direktor der Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten. Für „viele Politiker – gerade für jene, die nicht mit häufigen, zumeist rechtsextrem motivierten Angriffen auf unsere Erinnerungskultur zu tun haben – mag es selbstverständlich sein, dass wir uns mit dem Erbe der nationalsozialistischen Verbrechen auseinandersetzen.“
In den Gedenkstätten erlebte man aber, sei es durch Besucheraussagen oder Vandalismus, „seit einigen Jahren eine Zunahme der Verharmlosung der NS-Verbrechen oder gar das Infragestellen des verbrecherischen Charakters des NS-Regimes.“
Drecoll appelliere deshalb an die Union: „Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung, die das Setzen und Erläutern von konkreten Begriffen wie ‚nationalsozialistische Verfolgung‘ oder ‚Holocaust‘ in den Wahlprogrammen hat. Es ist keineswegs mehr selbstverständlich, die Erinnerung an diese Vergangenheit wachhalten zu wollen.“ Was im Wahlprogramm fehle, sollte in einem Koalitionsvertrag „eindringlich hervorgehoben und ausgeführt werden“, so Drecoll.
https://www.welt.de/
80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Gemeinde Wackersberg sucht Zeitzeugen
Stand:18.02.2025, 09:34 Uhr
Die Gedenktafel der Fischbacher Veteranen erinnert neben den Gefallenen und Vermissten auch an die heimgekehrten Soldaten des Zweiten Weltkrieges. © Hias Krinner
Die Gemeinde Wackersberg plant eine Gedenkschrift zum Kriegsende vor 80 Jahren. Sie soll die persönlichen Schicksale in den Fokus rücken.
Wackersberg – Kriege sind höchst traumatische Erfahrungen für die Menschen: nicht nur für die Soldaten an der Front, für die Gefallenen und Vermissten. Auch das Leben daheim ihrer Angehörigen aus allen Generationen – Eltern, Geschwister und Kinder – mit ihren Ängsten und Nöten gerät währenddessen völlig aus den Fugen.
80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Gemeinde Wackersberg sucht Zeitzeugen
Wie andere Kommunen und Städte auch, möchte die Gemeinde Wackersberg jetzt eine Gedenkschrift verfassen, um an das Kriegsende vor 80 Jahren und an die vielen persönlichen Schicksale zu erinnern, die damit verbunden sind.
Dazu fand vor Kurzem ein erstes Treffen im Rathaussaal statt, zu dem Bürgermeister Jan Göhzold und Gemeindearchivarin Sabine Rauchenberger eingeladen hatten. Mit dabei: Rauchenbergers Unterstützerteam Klaus und Christa Hanfstengl und Marlies Eizenberger, die Ortshistoriker Hias Krinner und Wolfgang Breitwieser sowie Anton Krinner und Klaus Seidl als Vorstände der Veteranenvereine von Oberfischbach und Wackersberg sowie weitere zehn interessierte Bürger.
Sie alle hatten bereits Alben und Schuhkartons mit Fotos und Sterbebildern, Feldpost und andere Erinnerungsstücken ihrer Vorfahren mitgebracht, woraus jetzt zum Teil auch schon vorgelesen wurde.
Wackersberger Archivarin will „Gedächtnis“ neu ordnen
Sabine Rauchenberger vom Fischbacher Thalerhof ist von Beruf Buchhalterin. Die Mutter von drei Kindern mit einem Faible für Geschichte ist seit fünf Jahren mit vier Wochenstunden als Archivarin bei der Gemeinde angestellt. Mit ihren Unterstützern arbeitet die 39-Jährige seither daran, das materielle „Gedächtnis“ der Gemeinde neu zu ordnen und zu optimieren.
Sie zeigte sich „sehr zufrieden und positiv überrascht über die interessierte und engagierte kleine Runde“, die da beim ersten Treffen zusammengekommen ist. „Es müssen aber noch viel mehr Zeitzeugen mitmachen“, betonte sie, damit das sehr ambitionierte Ziel einer Gedenkschrift, sie wird von der Gemeinde finanziert, auch tatsächlich zustande kommen kann.
Wer Erinnerungsstücke aus seinem privaten Familienarchiv zu bieten hat und noch mitmachen möchte, der kann sich an Sabine Rauchenberger wenden per E-Mail (archiv@wackersberg.de) oder unter ihrer Privatnummer 08041/7958769 melden.
Rauchenbergers Konzept für die Gedenkschrift geht in die Richtung, die spannenden Einzelschicksale der Gefallenen, Verwundeten, Verschollenen und Heimkehrer nach Möglichkeit jeweils immer den Geschehnissen gegenüberzustellen, die sich während dieser Zeit daheim in den Familien zugetragen haben.
In Zeiten wachsender Spannungen, Kriege und Angriffe von innen und außen auf friedliebende Demokratien möchten die Gemeinde und die Mitarbeiter des Projekts mit ihrer Arbeit auch ins Gedächtnis rufen, wieviel Unglück und persönliches Leid ein Krieg über die Menschen und ihre Familien bringen kann. Und sie möchten, dass die persönlichen Schicksale, die Trauer und Verlustängste aus den Kriegsjahren 1939 bis 1945 und die Notzeiten danach nicht in Vergessenheit geraten.
Kriegstote und Vermisste aus Wackersberg
Laut der Ortschronik von 2008 hatte Wackersberg 55 Kriegstote und 20 Vermisste zu beklagen, in Oberfischbach und Unterfischbach waren es 26 Tote und 16 Vermisste. Mit Nikolaus Riesch aus Wackersberg und Simon Kinshofer aus Fischbach sind die beiden letzten überlebenden Kriegsteilnehmer erst im vergangenen Jahr hochbetagt verstorben.
Angesichts der Fülle des Materials sei die Erstellung der Gedenkschrift bis zum 8. Mai, dem 80. Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs, allerdings „nicht zu schaffen“, machte Archivarin Rauchenberger bereits deutlich. Rainer Bannier
https://www.dasgelbeblatt.de/
Das Olympia-Bronze, das einen NS-Verbrecher auffliegen ließ
Sport1
Martin Hoffmann
16.02.2025
Das Olympia-Bronze, das einen NS-Verbrecher auffliegen ließ-Credit: IMAGO / United Archives International
Ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen - der Ausgang einer Olympia-Regatta im Gold von Neapel einen hochrangigen Nazi-Verbrecher in Deutschland hinter Gitter bringen.
Als Schmetterlingseffekt kennt die Wissenschaft das Phänomen, dass verhältnismäßig kleine Ereignisse in komplexen Systemen unvorhergesehene Folgen großen Ausmaßes haben können. Die weitreichenden Konsequenzen einer Segelkonkurrenz aus dem Jahr 1960 sind ein gutes Beispiel dafür.
Ein Olympia-Bronze mit Folgen
Im damaligen Sommer fanden die Segelwettbewerbe der Sommerspiele in Rom bei Neapel statt, auf dem Programm stand unter anderem die Disziplin Flying Dutchman - die 1992 ihren olympischen Status verlor.
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Die Zwei-Mann-Regattajolle war die Spezialität des deutschen Duos Ingo von Bredow und Rolf Mulka, 1956 auf dem Starnberger See die ersten Weltmeister auf ihrem Paradeboot (und 1957 vor Rimini ein weiteres Mal).
Bei Olympia reichte es nicht ganz zur erhofften Karriere-Krönung: Die Norweger Björn Bergvall und Peder Lunde jr. holten Gold vor Hans Fogh und Ole Gunnar Petersen, von Bredow und Mulka blieb Bronze.
Von Bredow und Mulka bekamen für ihren Medaillenerfolg das Silberne Lorbeerblatt von Bundespräsident Heinrich Lübke - und beeinflussten damit auch unbewusst ein zentrales Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte: den Prozess gegen die Verantwortlichen der Mordmaschinerie im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Rolf Mulkas Vater war rechte Hand des Auschwitz-Kommandanten
In dem Lagerkomplex auf dem Gebiet des von Hitler-Deutschland besetzen Polen tötete das Nazi-Regime bekanntermaßen rund 1,1 Millionen Menschen, die meisten von ihnen Juden. Rund 900.000 wurden direkt nach ihrer Ankunft in Gaskammern vergiftet.
In den fünfziger Jahren begann in der BRD nach langem Ringen um rechtliche und politische Bewertungen die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Auschwitz - und die Bestrafung der nach dem Krieg im zivilen Leben untergetauchten Täter.
Ein Zeitungsbericht über den Olympia-Erfolg von Bredows und Mulkas brachte den Frankfurter Staatsanwalt Joachim Kügler auf die Spur eines zentralen Auschwitz-Funktionärs: Robert Mulka, Rolfs Vater - und Adjutant des Lagerkommandanten Rudolf Höß.
Mit-Organisator des Holocaust
Der in Hamburg geborene Robert Mulka, im zivilen Leben Exportkaufmann, Veteran im 1. Weltkrieg und überzeugter Anti-Demokrat, war im Dritten Reich zunächst Teil der Reichswehr, dann der Waffen-SS, wo er in den Rang des Hauptsturmführers aufstieg.
Nachdem er krankheitsbedingt von der Front abgezogen wurde, bekam er eine organisatorische Rolle im Auschwitz-Komplex - und bekleidete sie zwischen 1942 und 1943 mit ähnlich banal-bösem Pflichtbewusstsein wie sein Vorgesetzter Höß, 1947 in Polen zum Tode verurteilt.
Mulka war zuständig für Beschaffung und Transport des Giftgases Zyklon B, das in den Gaskammern eingesetzt wurde - und den Transport der Gefangenen an den Ort ihrer Ermordung.
Wenige Monate nach Olympia verhaftet
Am Ende des Zweiten Weltkrieges war Mulka nicht mehr in Auschwitz – eine Denunziation wegen angeblicher Lästerei über Reichspropagandaminister Joseph Goebbels kostete ihn seinen Posten.
Wegen seiner SS-Mitgliedschaft wurde Mulka nach Kriegsende in Hamburg von den britischen Besatzern verhaftet und interniert, 1948 aber entlassen und galt schließlich als entlastet. Er nahm seinen bürgerlichen Beruf als Exportkaufmann wieder auf.
Der sportliche Erfolg des Sohns machte die Auschwitz-Ermittler zwölf Jahre später auf Aufenthaltsort und Lebensumstände der rechten Hand von Rudolf Höß aufmerksam.
Im November 1960 wurde Robert Mulka verhaftet und war ab 1963 Hauptangeklagter im ersten Auschwitzprozess. Der eindrucksvolle, im vergangenen Jahr veröffentlichte Film „Die Ermittlung“, angelehnt an das Theaterstück von Peter Weiss und aktuell in der ARD-Mediathek zu sehen, erinnert an den wegweisenden Fall.
Lügen und Uneinsichtigkeit vor Gericht
Robert Mulka leugnete vor Gericht seine Schuld, behauptete, nichts von Vergasungen gewusst zu haben, erstattete sogar noch Anzeige gegen Staatsanwalt Kügler wegen Beleidigung, weil der ihn „Angehöriger eines uniformierten Mordkommandos“ nannte.
Dem uneinsichtigen Mulka konnte allerdings durch Aktenauswertungen und Zeugenaussagen nachgewiesen werden, dass er mindestens vier Einsatzbefehle für Mordaktionen gab und bei mehreren „Selektionen“ an der berüchtigten Rampe zugegen war - bei denen ankommende Häftlinge aufgeteilt wurden: noch ins Lager für Arbeitsdienste oder andere Zwecke oder in den meisten Fällen sofort in die Gaskammern.
Robert Mulka wurde 1965 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Jahr später wurde der damals 70-Jährige wegen Haftunfähigkeit entlassen, starb 1969 in Hamburg.
Der 1927 geborene Sohn Rolf Mulka starb im Jahr 2012, seine Enkelin Friederike Belcher nahm im selben Jahr in der 470er-Klasse bei Olympia in London teil.
https://de.nachrichten.yahoo.com/sport/
Neuburg-Schrobenhausen
Kriegsende vor 80 Jahren: Zeitzeugen gesucht
Gibt es noch Zeitzeugen in der Region, die die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs miterlebt haben? Wir schreiben ihre Erinnerungen auf.
03.02.25, 16:47 Uhr
Der Bombenabwurf im April 1943 zertrümmerte das Neuburger Kolpinghaus. Die NR sucht Zeitzeugen.
Der Bombenabwurf im April 1943 zertrümmerte das Neuburger Kolpinghaus. Die NR sucht Zeitzeugen.
Foto: Archiv Rucker
Anfang Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich, hatte er binnen sechs Jahren weltweit rund 60 Millionen Menschenleben gefordert. Die Redaktion der Neuburger Rundschau plant zum Kriegsende vor 80 Jahren eine besondere Aktion: Sie sucht Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen teilen wollen.
Wie war der Einmarsch der Amerikaner in Neuburg und die umliegenden Gemeinden? Was ist in den Wochen vor und nach dem Kriegsende alles passiert? Wie war es, als die Männer nach der Kriegsgefangenschaft wieder zu Hause ankamen? Welche Entbehrungen gab es? Wie funktionierte das Zusammenleben mit den Heimatvertriebenen, die nach dem Kriegsende plötzlich in den Dörfern standen? Was waren damals die Sorgen und Ängste? Was waren die Wegmarken hin zu Frieden und Neubeginn?
Es gibt viele Fragen, die sich die jüngeren Generationen stellen, um mehr über diese dramatischen Monate zu erfahren. Und hoffentlich kommen noch mehr Antworten. Wer seine Erinnerungen für die Nachwelt festhalten will, kann den Redaktionen eine E-Mail oder auch einen Brief schicken. Wer will, erhält auch Besuch von der Redaktion: Mitarbeiter der Neuburger Rundschau kommen vorbei und halten persönliche Eindrücke und Erinnerungen fest. Vielleicht hat der eine oder andere Zeitzeuge auch noch Bilder aus der Zeit. Vielleicht hat auch noch jemand das Tagebuch oder Aufzeichnungen von Verwandten aufbewahrt? Alle Erinnerungen werden festgehalten und sollen nach Möglichkeit veröffentlicht werden.
Aufzeichnungen von Zeitzeugen tragen dazu bei, Opfern eine Stimme zu geben. Sie bieten subjektive Eindrücke und können mahnen, wenn die Erinnerungen an den Krieg verblassen. Neuburg war während des Krieges von Bombenangriffen weitgehend verschont geblieben, doch im April 1943 zertrümmerte eine Bombe das Kolpinghaus. 14 Menschen starben. Kurz vor Kriegsende sprengten Wehrmachtssoldaten die Donaubrücke, um den Vormarsch der Alliierten zu verhindern.
Wer seine Erinnerungen teilen will: Per E-Mail können Berichte und Bilder an redaktion@neuburger-rundschau.de geschickt werden. Briefe gehen per Post an Neuburger Rundschau, Färberstraße C89, 86633 Neuburg. Wer sich einen persönlichen Besuch wünscht (etwa 30 Minuten), der kann sich in den Redaktionen telefonisch unter den Nummern 08431/6776 52 melden. (AZ)
https://www.augsburger-allgemeine.de/
Schweizer Geschäfte mit dem nationalsozialistischen Deutschland
Die Bank der Nazis
Analyse | Genf · In der Schweiz kommen 80 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur in Deutschland noch immer dunkle Geheimnisse ans Tageslicht. Lange vertuschte die Credit Suisse Verbindungen. Nun gibt es neue Enthüllungen.
26.01.2025 , 19:02 Uhr 5 Minuten Lesezeit
Inzwischen existiert die Credit Suisse nicht mehr als eigenständige Bank. Sie wurde ab 2023 vom Rivalen UBS vollständig übernommen.
Foto: dpa/Michael Buholzer
Von Jan Dirk Herbermann
Die Schweizer Wirtschaft und ihre Geschäfte mit dem nationalsozialistischen Deutschland: Fast 80 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur kommen noch immer düstere Fakten ans Tageslicht. Der Haushaltsausschuss des US-Senats veröffentlichte unlängst einen Zwischenbericht über die untergegangene Großbank Credit Suisse und ihre Vorgängerinnen. Darin werden „umfangreiche neue Beweise für bisher unbekannte oder nur teilweise bekannte Kontoinhaber mit Verbindungen zu den Nazis“ enthüllt. „Die Bank hatte es versäumt, diese Konten bei früheren Untersuchungen offenzulegen“, kritisierte der Senatsausschuss die Vertuschungen der Bank bis in die jüngste Zeit.
Das Logo der UBS (Symbolbild).
UBS übernimmt angeschlagene Credit Suisse
Märkte sind beunruhigt
UBS übernimmt angeschlagene Credit Suisse
Die „dunkelsten“ Kapitel der Credit-Suisse-Geschichte müssten gründlich ausgeleuchtet werden, betonte der republikanische Senator Chuck Grassley mit Blick auf Zehntausende Beweisstücke. Grassley hatte dafür gesorgt, dass der Senatsausschuss sich schließlich für den Fall Credit Suisse als zuständig erklärt.
Info
Die Kriegsjahre in der Schweiz
Die Credit Suisse wurde 2023 von der UBS übernommen.
Foto: AFP/FABRICE COFFRINI
Sympathien In der Schweiz gibt es durchaus Sympathien für die Nazis. Als 1933 Hitler die Macht übertragen wird, kommt es im Nachbarland zum sogenannten Frontenfrühling: Rechtsextreme Organisationen haben einen starken Zulauf. Der schweizer Bundesrat stimmt einer Vereinbarung mit Deutschland zu, nach der die Pässe von deutschen Juden mit einem „J-Stempel“ zu kennzeichnen seien.
Versprechen Hitler verspricht am 23. Februar 1937, die Eidgenossenschaft nicht anzugreifen. Für seinen Feldzug gegen Frankreich hat Hitler die Schweiz offenbar nicht gebraucht. Andere Regierungen erhalten ähnliche Zusagen wie die Schweiz – und trotzdem marschieren die Deutschen dort ein.
Kriegsjahre Die Schweiz macht 1942, als die Not der Flüchtlinge zunimmt, ihre Grenzen dicht. Verfolgte Juden, die Schutz suchen, werden an die deutschen Verfolger ausgeliefert. Viele von ihnen haben vor ihrer Deportation und Ermordung noch auf Schweizer Konten Geld eingezahlt. Das bleibt den Banken erhalten. Wer als Nachkomme nach dem Krieg an das Geld will, wird abgewiesen.
Der Genfer Soziologe Jean Ziegler findet es nicht überraschend, dass nun weitere Machenschaften des Instituts bekannt werden. „Es war nur eine Frage der Zeit“, sagt der Bankenkritiker, den die Schweizer Finanzbranche seit Jahrzehnten als lästigen Rechercheur fürchtet. „Die Credit Suisse und ihre Vorgängerbanken waren tief verstrickt in schmutzige Deals mit den Nazis, beide Seiten haben profitiert“, erläutert Ziegler. Dass sich die Credit Suisse und andere Schweizer Banken an vielen jüdischen Opfern des NS-Terrors bereicherten, steht schon lange fest: Die Geldhäuser behielten jahrzehntelang Vermögen auf „nachrichtenlosen Konten“ ihrer Kunden ein, die von NS-Schergen ermordet worden waren. Opferverbände und US-Politiker zwangen 1998 die Credit Suisse sowie die UBS dazu, eine Summe von 1,25 Milliarden US-Dollar als Entschädigung zu zahlen. Schweizer Finanzinstitute kauften im Zweiten Weltkrieg auch Gold auf, das deutsche Einheiten in den besetzten Gebieten geraubt hatten. Die neuen Enthüllungen werfen einmal mehr ein schiefes Licht auf den Finanzplatz Schweiz.
Inzwischen existiert die Credit Suisse nicht mehr als eigenständige Bank. Sie wurde ab 2023 vom Rivalen UBS vollständig übernommen. Die Untersuchungen der Credit-Suisse-Nazi-Verbindungen in Zürich, anderen europäischen Städten und Südamerika dauern an, ein Abschlussbericht soll 2026 erscheinen. Mit den gefährlichen Altlasten muss sich die UBS herumschlagen. Bankenkritiker Ziegler betont, dass möglicherweise auch andere Schweizer Geldhäuser ihre Beziehungen zu Institutionen, Unternehmen und Einzelpersonen des Dritten Reiches noch nicht aufgedeckt haben: „In diesem Gewerbe der Gier lässt sich nichts ausschließen“, unterstreicht Ziegler.
Haben die Vorgängerbanken der UBS, etwa die Schweizerische Bankgesellschaft, ebenfalls Konten von Personen oder Institutionen geführt, die mit dem NS-Regime verbunden waren? Die UBS, eine der größten Vermögensverwalterinnen der Welt, beantwortete die Frage nicht. Stattdessen konzentrierte sie ihre Ausführungen auf die übernommene Credit Suisse und beteuerte: Die UBS setze sich dafür ein, „einen Beitrag zu einer umfassenderen Aufklärung von NS-bezogenen Altkonten zu leisten, die zuvor bei den Vorgängerbanken der Credit Suisse geführt wurden.“
Beaufsichtigt werden die Credit-Suisse-Abgleichungen durch den Juristen Neil Barofsky. Der US-Amerikaner spürte in den Archiven bereits eine umfangreiche Datei mit „hoher Relevanzrate“ für Nazi-Verbindungen auf. Das Barofsky-Team identifizierte darin 3600 physische Dokumente sowie 40.000 Mikrofilme, die weiter überprüft werden sollen. Dabei wurden bislang Credit-Suisse-Konten für „mehrere Hundert mutmaßliche Nazi-Mittelsmänner gefunden“. Unter den Konteninhabern befinden sich laut Zwischenbericht ein hochrangiger Hitler-Gefolgsmann, der bei den Kriegsverbrecher-Prozessen in Nürnberg verurteilt wurde. Ein deutscher Fabrikant, der Zwangsarbeiter aus Konzentrationslagern einsetzte, und ein Nazi-Profiteur, der eine Bank zur „Arisierung“ jüdischer Vermögenswerte leitete. Allerdings nennt Barofsky keine Namen.
Selbst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wollte die Credit Suisse die Geschäfte nicht aufgeben – so schreibt es der Ausschuss des US-Senats: „Barofsky hat auch eine signifikante Verbindung zwischen der Credit Suisse und vielen Personen aufgedeckt, die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Flucht aus Europa über sogenannte Rattenlinien halfen.“ Über diese Pfade entkamen NS-Kriegsverbrecher der Justiz. Viele von ihnen setzten sich nach Südamerika ab.
Wer stieß die Untersuchung an? 2020 warnte das Simon Wiesenthal Center (SWC) die Credit Suisse, dass die Bank möglicherweise Konten mit Verbindungen zu Nazis unterhalte und nicht offengelegt habe. Daraufhin erklärte sich die Credit Suisse bereit, Nachforschungen anzustellen. Ab Juni 2021 überwachte Neil Barofsky die Kontrollen. Doch im Dezember 2022 kündigten die Bosse der Credit Suisse den Vertrag mit Barofsky, nachdem sie ihn gedrängt hatten, seine Untersuchungen einzuschränken. Seinen Bericht wollte die Credit Suisse so lange wie möglich unter Verschluss halten. Auf Druck von US-Senatoren musste die Credit Suisse den Ombudsmann wieder einstellen. Schließlich zog der Haushaltsauschuss des US-Senats die Untersuchung an sich und veröffentlichte nun die Zwischenergebnisse.
(hbd ki-)
https://rp-online.de/politik/
Befreiung von Auschwitz 1945
"Die SS hatte sie grausamst zugrunde gerichtet"
Interview
Von
Marc von Lüpke
Aktualisiert am 26.01.2025 - 13:37 Uhr
Lesedauer: 10 Min.
Konzentrationslager Auschwitz: Am 27. Januar 1945 erreichte die Rote Armee diesen Tatort des Holocaust. (Quelle: akg-images/dpa)
Vor 80 Jahren befreite die Rote Armee Auschwitz, heute erstarkt die radikale Rechte. Wie Auschwitz zum Zentrum des Völkermords wurde und welche Lehren wir daraus in der Gegenwart ziehen sollten, erklärt Historikerin Susanne Willems.
Das Grauen erwartete die Soldaten der Roten Armee, als sie am 27. Januar 1945 Auschwitz erreichten. Mehr als eine Million Menschen hatte die SS an diesem Ort ermordet, nur wenige Überlebende konnte die Rote Armee an diesem Tag befreien. Seither gilt Auschwitz als Inbegriff des mörderischen nationalsozialistischen Rassenwahns.
Der Nationalsozialismus war am Ende des Zweiten Weltkriegs besiegt, aber Rassismus und Fremdenhass existieren weiter, warnt Susanne Willems, Historikerin und Autorin des Buches "Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers". Im Gespräch erklärt Willems, wie Auschwitz möglich wurde und was uns die Geschichte dieses Konzentrations- und Vernichtungslagers lehrt.
Frau Willems, 80 Jahre nach der Befreiung werden die letzten Überlebenden bald nicht mehr unter uns sein, um vom Grauen in Auschwitz zu berichten und die Nachwelt zu mahnen. Was dann?
Susanne Willems: Die letzten Zeugen wird es bald nicht mehr geben, ja. Aber die Überlebenden haben Zeugnis abgelegt, in Büchern, Videos und Gesprächen. Zudem existiert dieser historische Schauplatz des Völkermordes weiterhin. Seit 1947 gibt es das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau, der polnische Staat wird auch in Zukunft alles dafür tun, um diesen Ort zu erhalten. Das Museum macht den Menschen ebenso wie das dortige internationale Bildungszentrum zahlreiche Angebote, um sich mit der Geschichte dieses Orts auseinanderzusetzen – und den drängenden Fragen zu widmen, die sich um unser Menschsein drehen.
Was ist für Sie die drängendste dieser Fragen?
Der frühere Bundespräsident Johannes Rau hat einmal sinngemäß gesagt, dass man nichts über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen gehört haben muss, um trotzdem zu wissen, dass man Menschen nicht misshandelt oder gar totschlägt. Historische Bildungsarbeit muss bereits an diesem Punkt ansetzen.
Rau sagte auch, dass die schiere Kenntnis über den Nationalsozialismus keine Menschenfeindlichkeit oder rechtsextreme Gewalt verhindert.
Auch damit lag Rau richtig. Es ist entscheidend, die Entwicklungslinien zu verfolgen, die aus der zivilen Normalität ins monströse Verbrechen hineinführen. Das ist eine der Aufgaben, die ich mir als Historikerin gestellt habe. Wann wandelt sich eine das Menschenleben ermöglichende und bewahrende Politik in eine, die Menschenleben zerstört? Auschwitz ist ein geeigneter Ort, dieser Frage nachzugehen. Nicht nur ich tue das, sondern auch viele andere Menschen. Gerade erst war ich im Rahmen meiner Lehrtätigkeit mit einer kleinen Gruppe junger künftiger Berliner Polizeikommissare in der Gedenkstätte Auschwitz.
Zur Person
Susanne Willems, Jahrgang 1959, ist promovierte Historikerin, Publizistin und Lehrbeauftragte für Zeitgeschichte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Gerade sind ihre Bücher "Auschwitz: Terror – Sklavenarbeit – Völkermord" neu und "Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers" wieder erschienen. 2005 zeichnete die Republik Polen Willems für ihre Verständigungsarbeit zwischen Deutschen und Polen mit dem Kavalierskreuz des Verdienstordens aus.
Welche Erfahrung machen Sie, wenn Sie etwa mit angehenden Kommissaren nach Auschwitz reisen?
In dem Augenblick, in dem sich Menschen durch den historischen Ort Auschwitz bewegen, können sie der Auseinandersetzung damit nicht mehr ausweichen. Als Besucher müssen sie ein Verhältnis zur Geschichte entwickeln, ja, sie wollen das auch. Das Wissen darüber, was Menschen in Auschwitz angetan worden ist, fordert uns am Ende auf, unser eigenes Verhalten und Handeln in der Gegenwart zu hinterfragen. Es ist dringender denn je.
Weil gegenwärtig die radikale Rechte weltweit erstarkt, Fremdenfeindlichkeit und gewaltsame Konflikte zunehmen?
Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Gründe für Diskriminierung und Verfolgung, für Gewalt und Krieg sind zeitlos. Nehmen wir dieses Konzept der White Supremacy ("Weiße Vorherrschaft", Anmerkung der Redaktion) in den Vereinigten Staaten, das bei so vielen Anhängern von Donald Trump beliebt ist. Das ist Nazi-Ideologie in Reinkultur. Wir müssen verstehen, wann Gesellschaften aktiv werden müssen, um so etwas wie Auschwitz und andere Verbrechen zu verhindern.
- Tagesanbruch: Auschwitz kann sich wiederholen
Wann ist dieser Punkt?
Um die Geschichte von Auschwitz zu verstehen, fängt man am besten bei Rudolf Höß an, dem ersten und langjährigen Kommandanten von Auschwitz. Er war schlichtweg ein Rechtsextremist, der sich in den Freikorps nach Ende des Ersten Weltkriegs radikalisiert hatte. 1924 wurde Höß wegen Beteiligung an einem Mord zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt, kam aber wegen einer Amnestie nach insgesamt fünf Jahren Haft wieder frei. Dann schloss er sich den Artamanen an, einer radikalen völkischen Organisation.
Susanne Willems: Die Historikerin erforscht die Geschichte des Holocaust seit Jahrzehnten.
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Susanne Willems: Die Historikerin erforscht die Geschichte des Holocaust seit Jahrzehnten. (Quelle: Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH)
SS-Chef Heinrich Himmler war ebenfalls ein Artamane.
So ist es. Höß hat dann auch ab 1933 Karriere in der SS gemacht, war erst im Konzentrationslager Dachau stationiert, dann wurde er später Adjutant des Kommandanten in Sachsenhausen. Im Mai 1940 dann wurde er selbst Kommandant – und zwar im Konzentrationslager Auschwitz. Was können wir daraus lernen? Rudolf Höß war ein gewöhnlicher Rechtsextremist, der nicht rechtzeitig von der Gesellschaft gestoppt worden ist. Höß erhielt später die Macht über das Leben Zigtausender Menschen – und unter seiner Verantwortung wurden die meisten dieser Leben ausgelöscht. Wehret den Anfängen, das ist die Lehre aus seiner Karriere.
Ende April 1940 befahl Heinrich Himmler den Bau des Konzentrationslagers Auschwitz, es wurde schließlich der größte und tödlichste Komplex des deutschen Systems der Konzentrations- und Vernichtungslager. Wie kam es dazu?
Die Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz gibt eine genauere Vorstellung von den jeweiligen Entscheidungen, die deutsche Verwaltungen auf dem Weg zu diesem Inferno getroffen haben. Nach dem Überfall auf Polen hatte sich das Deutsche Reich, die Gegend, in der Auschwitz liegt, einverleibt. Dort, im größten Kohle- und Industrierevier Polens, wurde der Regierungsbezirk Kattowitz gebildet, in dem dann deutsche Juristen und Verwaltungsbeamte das Sagen hatten. Und diese Leute erklärten, dass sie für die vielen politischen Gefangenen, all die willkürlich festgenommenen Polen nicht zuständig seien.
Stattdessen sollten diese Menschen im neu entstehenden Konzentrationslager Auschwitz eingesperrt werden.
Ja. Die deutsche Polizei nahm Polen zu Hunderten und Tausenden fest, die Gefängnisse waren überfüllt. In Auschwitz übernahm die SS von der Wehrmacht eine frühere Kaserne der polnischen Armee und errichtete ein Konzentrationslager. Eigentlich wollte Höß die Arbeitskraft der Häftlinge für ein landwirtschaftliches Versuchsgut ausnutzen. Doch dann trat ein anderer Akteur auf, der sich für die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge interessierte.
"Auschwitz: Terror - Sklavenarbeit - Völkermord" von Susanne Willems
22,00
Es handelte sich um die deutsche Wirtschaft.
Im Osten der Stadt Auschwitz errichtete die I.G. Farben, damals das größte Chemieunternehmen der Welt, ein Werk zur Herstellung von Buna, synthetischem Kautschuk. Heinrich Himmler reiste am 1. März 1941 nach Auschwitz und sagte der I.G. Farben für ihre Baustelle 10.000 KZ-Arbeiter zu, Leiharbeiter für wenige Reichsmark pro Tag, die die I.G. Farben an die SS zahlte. Die SS also war das erste deutsche Leiharbeitsunternehmen in diesem Sklavenmarkt. Im Konzentrationslager Auschwitz, dem Stammlager, sollten statt 10.000 bald 30.000 Gefangene eingesperrt werden. Und auf Betreiben der I.G. Farben wurden der Ausbau und die Erweiterung des Stammlagers, Auschwitz I, ein kriegswirtschaftlich wichtiges Bauvorhaben der chemischen Erzeugung. Höß, enttäuscht, dass für sein landwirtschaftliches Versuchsgut kaum Arbeitskräfte übrig bleiben würden, erhielt folglich noch am selben Tag Himmlers Zusage, dass ein zweites Lager in Auschwitz entstehen sollte.
Es erhielt die Bezeichnung Auschwitz II, besser bekannt als Birkenau.
Ja. Dieses zweite Lager in Birkenau sollte sowjetische Kriegsgefangene aufnehmen, die die Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zu Millionen machte. Aber es kam anders als geplant: mehr als eine Million sowjetische Kriegsgefangene hatte die Wehrmacht im Winter 1941/42 verrecken lassen, sie konnte folglich der SS in Auschwitz-Birkenau Kriegsgefangene nicht mehr in der erwarteten Zahl ausliefern. Daraufhin begannen die Massendeportationen europäischer Juden nach Auschwitz, zunächst noch nicht nach Birkenau, das noch im Bau war, sondern ins Stammlager. Aus der Slowakei zunächst nur Frauen, aus Frankreich auch Männer, und angefordert hatte die SS ausdrücklich Arbeitskräfte.
Plan des Lagers in Birkenau, gezeichnet in der Zentralbauleitung Auschwitz am 6.10.1942 vom Gefangenen Rudolf Kauer. Gerötet sind die Objekte des am 15.9.1942 von Rüstungsminister Speer der SS bewilligten „zusätzlichen Bauvolumens Reichsminister Prof. Speer“, darunter vier Krematorien mit angeschlossenen Gaskammern, eine Zentrale Sauna, ein zweites Wachgebäude mit Turm, die Holzbaracken des dritten und Ergänzungen des zweiten Lagerabschnitts, das Lager für das Raubgut und die neue Kommandantur mit Unterkünften für die SS. Das Bauprogramm diente dem „Sonderprogramm Prof. Speer“, so nannte es die SS, die im Handel mit Speer gegen Bezugsrechte für Baumaterialien und den Einsatz von Maschinen und Facharbeitern dem Rüstungsministerium ab Oktober 1942 zu Zehntausenden Arbeitssklaven für die Kriegsindustrie zu stellen hatte.
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Plan des Lagers in Birkenau, gezeichnet in der Zentralbauleitung Auschwitz am 6.10.1942 vom Gefangenen Rudolf Kauer. Gerötet sind die Objekte des am 15.9.1942 von Rüstungsminister Speer der SS bewilligten "zusätzlichen Bauvolumens Reichsminister Prof. Speer", darunter vier Krematorien mit angeschlossenen Gaskammern, eine zentrale Sauna, ein zweites Wachgebäude mit Turm, die Holzbaracken des dritten und Ergänzungen des zweiten Lagerabschnitts, das Lager für das Raubgut und die neue Kommandantur mit Unterkünften für die SS. Das Bauprogramm diente dem "Sonderprogramm Prof. Speer", so nannte es die SS. Im Handel mit Speer hatte sie gegen Bezugsrechte für Baumaterialien und den Einsatz von Maschinen und Facharbeitern dem Rüstungsministerium ab Oktober 1942 Zehntausende Arbeitssklaven für die Kriegsindustrie zu stellen. (Quelle: Vojenský historický archiv Praha / Gabriele Senft)
Auschwitz nimmt innerhalb des nationalsozialistischen Lagersystems eine besondere Stelle ein, weil es Konzentrations- und Vernichtungslager zugleich war. Bitte erklären Sie, wie es dazu kam.
Die SS betrieb im besetzten Polen mehrere Vernichtungslager: Chełmno, Treblinka, Sobibor und Bełżec, in denen sie ab Ende 1941 die in Zwangsarbeiterlagern und Ghettos verelendeten Juden umbrachte. Auch Auschwitz war bereits zu der Zeit ein solcher Ort der Vernichtung von Juden aus der Region. Aber Auschwitz war von Anfang an immer ein Ort des Massenmords. Zu jeder Zeit mordete die SS. Die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen, selektiert in Lagern der Wehrmacht, wurden deshalb dorthin gebracht. Sie waren Politische Kommissare der Roten Armee oder Soldaten, die sonst als gefährlich angesehen wurden. Sie wurden zu Hunderten in Auschwitz erschossen, ebenso auch Tausende Polen, die die Gestapo aus Kattowitz ins Konzentrationslager brachte.
Es war die systematische Vernichtung dieser Menschen.
Ja. Die im Lager registrierten Gefangenen allerdings wollte die SS zur Arbeit einsetzen. Wer arbeitsfähig war, hatte zunächst einen gewissen Wert für die SS, bis sich dieser durch Zwangsarbeit, Hunger und Krankheiten erschöpft hatte. Dann ermordete die SS die Menschen. Die meisten der Gefangenen allerdings brachte die SS nach Tagen, Wochen, allenfalls Monaten ums Leben, noch bevor sie zur Arbeit hätten eingesetzt werden können. Deportierte Kinder, Alte und Kranke, Menschen also, die als nicht arbeitsfähig galten, tötete die SS in Auschwitz-Birkenau sofort in den Gaskammern.
Die Leute galten den Nationalsozialisten als "unnütze Esser".
So ist es. Wir dürfen auch nicht vergessen, gegen wen die Nazis ihren Rassenwahn zuerst gerichtet hatten. Nicht Polen, Russen oder Juden ermordete das Regime zuerst als "unnütze Esser", sondern es waren Deutsche, die dem ersten Massenmord-Programm zum Opfer fielen, den Euthanasieverbrechen, als Ärzte Zehntausende Menschen töteten: Psychisch Kranke, Menschen mit Behinderungen, ein Drittel aller Bewohner psychiatrischer Einrichtungen, allesamt und jeden Alters galten sie als "unnütz". Und das Konzentrationslager Auschwitz existierte gerade ein Jahr, als die SS Hunderte Gefangene, die nicht mehr genesen würden, auf demselben Weg loswerden wollte: Ende Juli 1941 füllte sie einen Eisenbahnzug am Stammlager, der 575 Gefangene aus Auschwitz zur Euthanasie-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein in Sachsen abtransportierte, wo die Menschen alle mit Kohlenmonoxid erstickt wurden.
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Später kam das berüchtigte Gift Zyklon B zum Einsatz, um das Morden in den Augen der SS effektiver durchzuführen.
Ja, einen Monat später experimentierte die SS dann in Auschwitz mit Zyklon B, sie trieb 250 polnische Häftlinge aus dem Krankenbau in die zuvor abgedichteten Arrestzellen des Blocks 11 im Stammlager …
… der als "Todesblock" gefürchtet wurde.
Richtig. Die nicht Gehfähigen mussten mitgefangene Pfleger hintragen und in den Zellen im Keller ablegen, stapeln. Die SS jagte noch einen Transport von 600 sowjetischen Kriegsgefangenen hinterher und setzte dann das ganze Untergeschoss mit Zyklon B unter Gas. So begann Anfang September 1941 der Einsatz von Zyklon B in Auschwitz, das dann innerhalb des Krematoriums im Stammlager und später in den Gaskammern in Birkenau eingesetzt wurde, um Menschen zu Hunderten und Tausenden minutenschnell umzubringen. Warum erzähle ich das? Wegen der falschen Vorstellung, dass das heute begehbare Stammlager mit seinen steinernen Gebäuden einen anderen Charakter als das kaum übersehbare Birkenau mit seinen weitläufig aufgestellten Baracken gehabt habe. Überall wurde zu allen Zeiten gestorben und gemordet, Auschwitz, das Stammlager auch, war zeitweise ein Schlachthaus. Von den 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Oktober und November 1941 dort eingeliefert wurden, lebten am Ende des Winters keine tausend. Die SS hatte sie grausamst zugrunde gerichtet.
In Auschwitz entstand dann noch ein drittes Lager, Auschwitz III, Monowitz. Warum?
Auschwitz III war eines von vielen verschiedenen Zwangslagern auf dem Baugelände der Buna-Werke im Osten der Stadt, Zwangsarbeiter in billigsten Quartieren, kurze Wege, lange Arbeitszeiten, totale Kontrolle, alles, um den Bau der Fabrik zu erleichtern. Ein Lager errichtete die I.G. Farben 1942 als Konzentrationslager. Denn die Verelendung und das Massensterben der Gefangenen in Auschwitz und Birkenau löste Epidemien aus. Im Sommer 1942 war deshalb das gesamte Lager gesperrt, es rückte gar kein Buna-Kommando mehr zur I.G.-Baustelle aus. Im dritten Auschwitzer Lager Monowitz waren die Sklavenarbeiter direkt an der Baustelle untergebracht. Ohnehin zahlte die I.G. Farben, wie die vielen anderen Unternehmen auch, die nach und nach mit der SS ins Geschäft kamen, nur für arbeitsfähige KZ-Häftlinge.
Wer nicht arbeiten konnte, wurde ermordet.
Ja. Genau wie bei den Krankenmorden des Euthanasieprogramms beherrschte auch hier eine brutale Ökonomisierung den Blick auf den Menschen. Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz spiegelt diese nationalsozialistische Sichtweise auf die Welt in einem Mikrokosmos aller Leben zerstörenden Kräfte. Ab Herbst 1942 wurde Auschwitz der Zielort von Massendeportationen der Juden aus allen europäischen Ländern unter deutscher Herrschaft. Der Mitte September 1942 vom Rüstungsminister im Handel gegen Arbeitssklaven für die oberschlesische Industrie bewilligte Ausbau von Birkenau mit vier Krematorien und angeschlossenen Gaskammern machte dann die massenweise und spurlose Ermordung der Menschen möglich, die als nicht arbeitsfähig angesehen wurden. Es war ein System, in dem die ständige Vernichtung von Menschen vorgesehen war, um zugleich die Arbeitskraft weniger, vielleicht jedes vierten oder fünften Deportierten bis zum Tod auszuschöpfen. Daraus müssen wir Lehren ziehen.
"Auschwitz: Die Geschichte des Vernichtungslagers" von Susanne Willems
38,00
Welche genau?
Wenn niemand der Ökonomisierung des Menschen Grenzen setzt, dann wird sie zum Selbstläufer, sie gewinnt an Dynamik, die zu einem schrecklichen Ende führen kann. Erst recht, wenn rassistische Ideologien diese Ökonomisierung rahmen. Die I.G. Farben, aber auch zahlreiche andere Unternehmen, bezahlten die SS für die ausgeliehenen Sklavenarbeiter. Wenn diese nicht mehr arbeiten konnten, schickte die I.G. Farben sie an die SS zurück – und damit in den sicheren Tod. Wehret den Anfängen – nämlich überhaupt Erwägungen von Nützlichkeit im Blick auf den Menschen zuzulassen. Denn das Ende ist uns durch Auschwitz bekannt.
Nochmal gefragt: Wenn Sie mit künftigen Polizeikommissaren nach Auschwitz reisen, wie reagieren diese Besucher auf diesen Ort?
Nachdenklich. In der Hauptausstellung im Stammlager befinden sich viele Fotografien von Gefangenen, alles erkennungsdienstliche Fotos. Solche sind Polizeibeamten ja sehr vertraut, aus ihrer beruflichen Praxis. Und das begegnet einem nun in Auschwitz, dem Ort, an dem ein derart monströses Verbrechen an unschuldigen Menschen stattgefunden hat. Vertraut oder doch ganz anders? Denn die Gefangenen blicken uns an. Auch eine andere Geschichte macht Polizeibeamte betroffen. In Birkenau hatte die SS etwa 23.000 Sinti und Roma – Männer, Frauen und Kinder – in ein Familienlager gesperrt. Nur wenige haben überlebt. Manche dieser Männer wurden noch in ihrer Wehrmachtsuniform nach Auschwitz deportiert. Das berührt die Menschen. Gewissheit zerbricht – keine deutsche Uniform schützt ihren Träger, sobald Rassisten an der Macht sind.
Haben Sie eine persönliche Überzeugung aus Ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Auschwitz gewonnen?
Eine? Ja, die, bedrohten Menschen zugewandt zu bleiben. Weil Solidarität über alle Grenzen hinweg so wichtig ist. In Auschwitz haben Menschen anderen Menschen Furchtbares angetan. Nur unsere Solidarität kann andere, gefährdete, geächtete Menschen schützen – und hilft uns, Mensch zu sein.
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Frau Willems, vielen Dank für das Gespräch.
https://www.t-online.de/
Der Nazi in meiner Familie
Maria und Katharina entdecken die dunkle NS-Vergangenheit ihrer Vorfahren. Beide brechen das Schweigen der Familie und suchen Antworten, um die Geschichte aufzuarbeiten.
Videolänge:27 min Datum:26.01.2025 :UT
Verfügbarkeit:
Video verfügbar bis 26.01.2029
https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad-leben/der-nazi-in-meiner-familie-100.html
Der Nazi in meiner Familie
Play Sendung auf Website von ZDF schauen
KategorieGesellschaft/SozialesProduktionsinfosLebensstile / -entwürfeProduktionslandDProduktionsjahr2025
Beschreibung
Katharina erfährt von der Nazi-Vergangenheit ihres Grossvaters durch ein Fotoalbum. Viele Familien in Deutschland haben eine NS-Geschichte und Nazis und grausame Mörder in ihren Reihen. Nur wenige sprechen darüber. Maria entdeckt durch Zufall, dass ihr Ur-Grossvater ein Massenmörder war, bekannt als Henker von Neuengamme. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hilft den Nachkommen, Spuren nachzugehen, in Archiven zu recherchieren, Entdeckungen einzuordnen. Die Sendung ist ab Freitag, 24. Januar 2025, 8.00 Uhr, in der ZDFmediathek abrufbar.
https://search.ch/
"Der kleine Jude bettelt": Katharina und "der Nazi in meiner Familie"
Von Nico Zeißler
25.01.2025
Moers - Für die Geschichte der eigenen Familie kann niemand etwas. Dass man sie nicht einfach als Vergangenheit abstempeln muss, zeigt eine junge Frau, die zur Nazi-Historie ihres Opas geforscht hat und traurige Dinge erfuhr.
Katharina (35) hält ein Foto ihres 1979 verstorbenen Opas in der Hand. Er trägt Mütze und Uniform mit Reichsadler und Hakenkreuzen.
Katharina (35) hält ein Foto ihres 1979 verstorbenen Opas in der Hand. Er trägt Mütze und Uniform mit Reichsadler und Hakenkreuzen. © ZDF/Jana Mai
Als Katharina (35) geboren wird, sind ihre Eltern gerade fertig mit dem Studium und kurz davor, ins Berufsleben einzusteigen. "Ich habe sehr viel Zeit bei und mit meiner Großmutter verbracht", erzählt die aus dem Raum Moers (NRW) stammende Theaterschaffende in der ZDF-Doku "Der Nazi in meiner Familie".
Ihre Oma habe immer wieder gesagt, nichts von Deportationen und davon mitbekommen zu haben, "was die Nazis gemacht haben oder dass Menschen jüdischen Glaubens plötzlich nicht mehr da waren".
Katharina macht sauer, "dass Leute behaupten, sie haben nichts mitbekommen, weil ich glaube, dass es nicht so schwer war, etwas mitzubekommen. Man kennt ja auch die Schilder 'Kauft nicht bei Juden'. Das zu verleugnen, macht mich sauer."
In ihrer Jugend leidet die heute 35-Jährige an Depressionen, äußert als 14-Jährige Suizidgedanken. "Mein Vater hat darauf sehr stark reagiert", erinnert sich Katharina. "Das Ausmaß war mir unverständlich und kam überraschend in dem Moment." Es kam aus gutem Grund.
Auf eigene Faust ging Katharina in die Recherche zu ihrer Familiengeschichte. © ZDF/Jana Mai
Katharina über ihren Opa: "Mir ist sehr stark bewusst geworden, was für ein Nazi er war"
"Der kleine Jude bettelt" hat ihr Großvater unter ein Foto geschrieben, dass Menschen mit erhobenen Armen zeigt, hinter denen bewaffnete Soldaten stehen. © ZDF/Jana Mai
Ihr Opa, der lange Zeit in Italien stationiert war, hatte sich 1979 in einer Ferienhütte das Leben genommen. "Das war der Grund, warum mein Vater so extrem reagiert hat auf meine Aussage." Der Suizid sei ihr erstes Puzzlestück auf der Suche nach der Geschichte ihrer Familie gewesen.
Nachdem 2019 auch ihre Oma stirbt, werden Bilder bei der Wohnungsauflösung gefunden. "Als ich mir das Fotoalbum meines Großvaters das erste Mal angeguckt habe, ist mir sehr stark bewusst geworden, was für ein Nazi und wie stark er Teil des nationalsozialistischen Systems war."
Sie sieht: "Er trägt eine Mütze und Uniform mit Reichsadler und Hakenkreuz. Und dann ist da ein Erschießungskommando. Leute mit erhobenen Armen und dahinter Menschen mit Waffen." Darunter steht der Satz: "Der kleine Jude bettelt."
Auf einer anderen Seite sind badende Frauen zu sehen. In Großbuchstaben steht "JÜDINNEN" dort. Und: "Kommentar überflüssig." Es mache sie wütend und traurig, dass einer ihrer Vorfahren derartiges Gedankengut in sich trug.
Die komplette Doku "37 Grad Leben - Der Nazi in meiner Familie" wird am Sonntag (26. Januar) um 9.03 Uhr im ZDF ausgestrahlt und ist ab sofort in der ZDFmediathek abrufbar.
https://www.tag24.de/
Der Tag
Friedman beklagt "braunes Loch" in deutscher Erinnerungskultur
22.01.2025, 08:42 Uhr
Vor dem 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz hat der Publizist Michel Friedman die Erinnerungskultur in Deutschland bemängelt. Diese sei ein schwarzes Loch, sagte Friedman dem "Tagesspiegel". "Darin gibt es helle Punkte von den Millionen, die sich um Erinnerung bemühen, Stolpersteine verlegen. Aber es gibt auch die Millionen, die die Erinnerungskultur umdrehen in ein furchtbar braunes Loch: Da werden Täter zu Opfern gemacht, da wird nur von den Bombenangriffen der Alliierten erzählt."
zdj157_CMYK.jpg Vertreibung der Juden aus Auschwitz, März/April 1941,
Panorama
19.01.25
"Hüter der Erinnerung"
Szymon Kluger - der letzte Jude in Auschwitz
Friedman kritisierte: "Allein die Tatsache, dass nur 0,5 Prozent aller, die in KZs Schuld auf sich geladen haben, vor ein Gericht gekommen sind. Allein die Tatsache, wie die alten Nazis reingeschleust wurden in Verwaltung, BND, Politik, Polizei, in Elitefunktionen. Das ist die deutsche Erinnerungskultur." Wenn er heute höre "Wehret den Anfängen", könne er nur antworten: "Welche Anfänge? Wir sind längst mittendrin. Weil wir kaum etwas aus der Geschichte gelernt haben. Das ist sehr schmerzlich." Sowjetische Soldaten hatten das Vernichtungslager Auschwitz am 27. Januar 1945 befreit. Der Tag ist seit 1996 nationaler Holocaust-Gedenktag.
Allein in Warschau lebt zwischenzeitlich ein Drittel der Bevölkerung auf drei Prozent des Stadtgebiets, zeitweise bis zu 460.000 Menschen.
85 Bilder
Politik
20.01.25
Zigtausende Deutsche wirkten mit
Der Mord an den europäischen Juden
Quelle: ntv.de
https://www.n-tv.de/
Pressemitteilung 20.01.2025
Knapp 75.000 Anfragen jährlich zur NS-Zeit
Bundesarchiv zeigt anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz Dokumente und Bilder online
Zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zeigt das Bundesarchiv ausgewählte Bilder und Dokumente aus seinem Bestand in einem Online-Schwerpunkt auf seiner Webseite. Dazu gehören Lageskizzen, Pläne für die massenhafte Ermordung, Personalkarten von Tätern, Anordnungen von Bahntransporten, das Besuchsprogramm des Reichsführers-SS Heinrich Himmler und ein handgeschriebener Lebenslauf des SS-Lagerarztes Josef Mengele. Am 27. Januar 1945 war das von den Nationalsozialisten errichtete Lager von der Roten Armee befreit worden. Die Nazis hatten dort schätzungsweise 1,1 Millionen Menschen ermordet.
Das Interesse an Dokumenten aus der NS-Zeit im Bundesarchiv ist weiter hoch. Knapp 75.000 Anfragen dazu gingen im Jahr 2023 ein. Die überwiegende Zahl waren personenbezogene Anträge, die zum Beispiel bei der Aufklärung der Familiengeschichte helfen. Die Zahlen bewegen sich seit einigen Jahren auf diesem ähnlich hohen Niveau. Daran zeigt sich auch die weiterhin intensive wissenschaftliche Erforschung des sogenannten „Dritten Reichs“, des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Gleichzeitig intensiviert das Bundesarchiv weiter die Digitalisierung zentraler Bestände aus der NS-Zeit. Dazu zählen unter anderem Unterlagen der Reichskanzlei, des Reichssicherheitshauptamtes und der Wehrmacht.
Schriftliche Unterlagen zum Nationalsozialismus befinden sich vor allem an den Standorten in Berlin-Lichterfelde, Berlin-Tegel und Freiburg. Neben dem staatlichen Archivgut von zentralen zivilen und militärischen Stellen des sogenannten Dritten Reichs werden die Unterlagen der Wehrmacht, der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände aufbewahrt. Dazu zählen vor allem die Zentrale Mitgliederkartei der NSDAP mit rund 12,7 Mio. Karteikarten, Parteikorrespondenz (ca. 1,3 Mio. Akten), Personalunterlagen von Angehörigen der Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS), Personenakten zum Beispiel des Rasse- und Siedlungshauptamtes-SS, der Reichskulturkammer und der Reichsärztekammer. Auch die Bundesarchiv-Bestände in Ludwigsburg (Unterlagen der „Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“) und Bayreuth (Lastenausgleichsarchiv) beziehen sich teilweise auf die NS-Zeit, ebenso Teilbestände des Stasi-Unterlagen-Archivs (NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit).
Zum Themenschwerpunkt
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https://www.bundesarchiv.de/
Bericht von US-Senatsausschuss
- Ehemalige Credit Suisse soll Nazi-Konten verschwiegen haben
Sonntag, 05.01.2025, 01:16 Uhr
- Die ehemalige Schweizer Grossbank Credit Suisse (CS) soll bei Untersuchungen in den 90ern Konten verschwiegen haben, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs Nationalsozialisten gehört hatten.
- Zu diesem Ergebnis kommt ein Ausschuss des US-Senats nach einer Untersuchung. Diese ist noch nicht abgeschlossen.
- Schweizer Banken hatten 1998 in den USA einen Vergleich um die nachrichtenlosen Vermögen abgeschlossen und 1.25 Milliarden Dollar an Holocaust-Überlebende bezahlt.
Zehntausende Dokumente seien im Rahmen der Untersuchung entdeckt worden, die neue Beweise dafür lieferten, dass mehr Kontoinhaber einen Nazi-Bezug gehabt hätten als bisher bekannt, so der US-Senat. Die CS habe die Existenz dieser Konten bei früheren Untersuchungen, die insbesondere in den 1990er-Jahren durchgeführt worden seien, nicht offengelegt.
Die UBS, die die CS 2023 übernommen hat, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass sie dazu beitrage, alle alten Konten mit Nazi-Bezug zu erfassen.
Barofsky: CS teilte nicht immer alle Informationen
Die Enthüllungen folgen auf die Entdeckungen des ehemaligen Staatsanwalts Neil Barofsky, der 2021 zum Ombudsmann der Credit Suisse ernannt wurde. Barofsky war 2022 von der CS entlassen worden, nachdem die Bank «Druck (...) ausgeübt hatte, damit er seine Ermittlungen einschränkt», argumentiert der Senatsausschuss. Allerdings wurde Barofsky 2023 wieder eingestellt, nachdem die Credit Suisse von der Konkurrentin UBS übernommen worden war.
Barofskys Team entdeckte Aufzeichnungen, die zur Identifizierung weiterer Kunden mit Nazi-Verbindungen führten. Die Credit Suisse habe die Informationen, über die sie verfügte, nicht immer geteilt, schrieb Barofsky in einem Brief, der Mitte Dezember an den US-Senatsausschuss geschickt und wenige Wochen später veröffentlicht wurde. «Mein Team hat eng mit der Credit Suisse zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass alle relevanten Teile ihrer Archive, die noch vorhanden sind, in die Untersuchung einbezogen werden», schrieb Barofsky weiter.
04:19
Archiv: PUK präsentiert Bericht zum CS-Debakel
Aus 10 vor 10 vom 20.12.2024
SRF 4 News, 05.01.2025, 00:00 Uhr ; agenturen/schj/busr;
https://www.srf.ch/
Wirtschaft
64.000 Datensätze untersucht
Zahlreiche Nazi-Konten bei Schweizer Bank aufgedeckt
06.01.2025, 15:00 Uhr
Mit einem Abschlussbericht zum genauen Ausmaß der Konten in Verbindung mit Nationalsozialisten wird erst 2026 gerechnet.
(Foto: picture alliance/KEYSTONE)
Bei der Schweizer Bank Credit Suisse waren Nachforschungen nach möglichen Nazi-Altkonten zunächst nicht erwünscht. Dann griff der US-Senat ein. Ein Ausschuss enthüllt nun Konten von Mittelsmännern, Kriegsprofiteuren und Fluchthelfern der Nationalsozialisten.
Die Schweizer Bank Credit Suisse hat US-Nachforschungen zufolge lange Zeit Hinweise auf zahlreiche Nazi-Konten unterschlagen. Im Zuge einer Untersuchung des Haushaltsausschusses des US-Senats seien Zehntausende Dokumente zugänglich geworden, welche umfangreiche Beweise für Konten in Verbindung mit Nationalsozialisten lieferten, hieß es in einer Mitteilung des Ausschusses.
Die Erkenntnisse stammen von Neil Barofsky, der als unabhängiger Ombudsmann 2021 von Credit Suisse selbst beauftragt worden war, Hinweisen auf mögliche, bisher nicht aufgedeckte Nazi-Kunden bei der Bank nachzugehen. Barofsky wurde allerdings im Dezember 2022 von Credit Suisse entlassen, nachdem er seine Recherchen nicht entsprechend den Forderungen der Bank hatte einschränken wollen, wie es in seinem Bericht hieß.
Nazischatzkarte.JPG
02:40 min
Panorama
06.01.23
75 Jahre geheim, jetzt öffentlich
Alte Nazi-Schatzkarte lockt Goldgräber nach Ommeren
Davon erfuhr der Haushaltsausschuss des US-Senats. Damit kam ein gewichtiges Gremium ins Spiel, denn dem Ausschuss obliegt die Rechtssprechung über das Büro des Sondergesandten für Holocaust-Angelegenheiten, eine Abteilung des US-Außenministeriums. In dieser Funktion leiteten der Ausschussvorsitzende Sheldon Whitehouse und Senator Chuck Grassley eine Untersuchung ein, welche die Herausgabe von Barofskys Erkenntnissen erzwang.
Die Intervention des US-Ausschusses habe daraufhin die weitere Untersuchung von mindestens 64.000 potenziell relevanten Datensätzen bei der Credit Suisse ermöglicht. Die Daten waren bei früheren Nachforschungen in den 1990er Jahren demnach nicht offengelegt worden. Barofsky wurde zudem von der seit Juni 2023 zur Schweizer Großbank UBS gehörenden Credit Suisse wieder eingesetzt, um seine Ermittlungen fortzusetzen.
Verschleierung von Kriegsbeute
Die nun erstmals ausgewerteten Datensätze gaben Hinweise auf zahlreiche Konten von Mittelsmännern, die die Nationalsozialisten etwa bei der Plünderung jüdischer Vermögenswerte, Schmuggel oder der Verschleierung von Kriegsbeute unterstützten. Auch wurden demnach Verbindungen aufgedeckt zwischen Credit Suisse und Personen, die Nazis nach dem Krieg Fluchthilfe leisteten. Zudem gebe es Konten, die in Verbindung mit jüdischer Ausbeutung standen, und Depots, auf denen sich Geld jüdischer Bürger befand, die genötigt worden waren, ihr Vermögen bei einer bestimmten Bank zu hinterlegen.
Man werde eine gründliche und umfassende Prüfung der Daten sicherstellen, teilte die UBS mit. Barofsky erhalte "jede notwendige Unterstützung, um seine Arbeit zu erleichtern und um durch die durchgeführte Überprüfung mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu bringen", hieß es im Statement der Bank.
Angesichts der Menge an auszuwertenden Daten - allein 300.000 Regalmeter Papierdokumente und dazu digitale Unterlagen - rechnet der US-Ausschuss 2026 mit Barofskys Abschlussbericht.
Quelle: ntv.de, gut/dpa
https://www.n-tv.de/
Drittes Reich
Schweizer Bank hielt Hinweise auf Nazi-Konten unter Verschluss
Von Sven-Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Stand: 14:30 UhrLesedauer: 5 Minuten
Zentrale der Credit Suisse in Zürich im Jahr 1969
Quelle: picture alliance/ullstein bild/Blick
Neue Recherchen zu mehr als 60.000 Datensätze ergaben, dass die Schweizer Großbank Credit Suisse viele Konten von Nazis und ihren Opfern verschleiert hat. Jetzt hat der US-Senat Zugang zu dem Material erzwungen. Die Ergebnisse sind erstaunlich.
Archivrecherchen sind immer aufwendig, oft vielversprechend, manchmal ertragreich – und selten beinahe sensationell. Möglicherweise ist ein solcher Volltreffer jetzt dem New Yorker Wirtschaftsanwalt Neil Barofsky gelungen. Er untersuchte von Juni 2021 bis Dezember 2022 und erneut seit Dezember 2023 als „unabhängige Ombudsperson“ der Credit Suisse (CS) deren historische Unterlagen aus der Zeit seit 1933. Hintergrund waren Vorwürfe, die Züricher Großbank halte Informationen über Guthaben aus der Nazi-Zeit zurück.
Am 17. Dezember 2024 richtete Barofsky ein zwölfseitiges Schreiben an den Haushaltsausschuss des US-Senates. Demnach war sein Team im CS-Archiv auf etwa 3600 Kartons mit Papieren (umgerechnet 400 laufende Regalmeter) sowie rund 40.000 Mikrofilme gestoßen, die bislang nicht hinreichend untersucht wurden.
Erste Seite des Briefes von Neil Barofsky
Quelle: US Congress / Public Domain
Daraufhin veranlasste Barofsky als Stichprobe eine Suche nach 99 Namen von Personen mit bekannter NS-Vergangenheit und mutmaßlichen Beziehungen zu Schweizer Banken. Zu 13 von ihnen wurden insgesamt 23 relevante Dokumente gefunden: „Dies ist eine signifikant hohe Relevanzrate, die nach unserer Einschätzung und jener der Bank ein vollständiges Scannen und Indexieren der in diesen Kisten enthaltenen Akten rechtfertigt“, schrieb Barofsky.
Das CS-Archiv umfasst rund 300 Regalkilometer Akten – zum Vergleich: Das deutsche Bundesarchiv in Koblenz und Berlin verfügt an allen seinen Standorten zusammen über etwa 540 laufende Regalkilometer. Zunächst ging es also um gut 1,3 Promille des CS-Bestandes.
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Allerdings um besonders brisante Unterlagen. Denn sie stammen aus einer besonderen Stelle der Credit Suisse, die offiziell „Inf-Abteilung“ hieß. Ihre Aufgabe war, bankinterne sowie öffentlich zugängliche Erkenntnisse einschließlich Zeitungsartikeln über Kunden der Bank sowie über andere Personen und Organisationen zu sammeln. Dabei ging es auch um Informationen aus der Zeit 1933 bis 1945. Offensichtlich wollten die damaligen Banker wissen, mit wem genau sie Geschäfte machten.
Der Haushaltsausschuss des US-Senates setzte auf Barofskys Mitteilung hin die Untersuchung einiger dieser Unterlagen durch – ähnlich wie Ende der 1990er-Jahre, als amerikanische Dienststellen mit dem Druckmittel, Schweizer Banken das Geschäft in den USA zu erschweren (oder ganz zu verbieten) eine zweite Aufklärungskampagne nach der ersten bald nach Kriegsende 1945 durchsetzten.
Seinerzeit war zunächst von 55.000 sogenannten nachrichtenlosen Konten die Rede, für die Schweizer Banken 1946 pauschal 250 Millionen Franken bezahlten. In den 1990er-Jahren kursierten dann Schätzungen über 2,6 Milliarden Franken Altvermögen. Eine eigens berufene Kommission unter Leitung des ehemaligen Zentralbank-Chefs Paul Volcker untersuchte zwischen 1996 und 1999 insgesamt 53.886 verwaiste, also „nachrichtenlose“ Konten bei Schweizer Banken; bei 1221 davon im Buchwert von 22 Millionen Franken wurde ein Zusammenhang mit NS-Verfolgungen erkannt. 2005 folgte die Identifizierung von weiteren 2700 Kontoinhabern, die mutmaßlich Opfer des NS-Rassenwahns geworden waren. Die Schweizer Banken erstatteten 338,5 Millionen US-Dollar.
Der damalige Anwalt Ed Fagan auf einer Pressekonferenz in Wien 2001
Quelle: picture-alliance/dpa/dpaweb/David_Veis
Die Aufklärung wurde jedoch erschwert durch das Agieren einiger Anwälte, die in der Regel auf Erfolgsbasis arbeiteten und deshalb astronomische Forderungen stellten. Der bekannteste von ihnen war Ed Fagan aus New York, der beispielsweise namens der Mandantin Gizella Weisshaus, deren Eltern und sechs Geschwister im KZ Auschwitz ermordet worden waren, mehrere Schweizer Banken im Namen aller Holocaust-Opfer auf 20 Milliarden Dollar verklagte. Jedoch überwarf er sich mit ihr wie mit anderen Mandanten; die Anwaltslizenz wurde ihm 2008/09 entzogen und er hatte laut Gerichtsunterlagen mehrere Millionen Dollar Schulden aus veruntreuten Mandantengeldern.
Angesichts der von Fagan verlangten Riesensummen verlor die Öffentlichkeit das Interesse an den realen, oft „nur“ einige tausend Franken großen Guthaben auf nachrichtenlosen Konten. An der Not der in Deutschland Verfolgten bereicherten sich seit 1933 skrupellose Banker und Rechtsanwälte; Leidtragende waren vor allem jene jüdischen Deutschen, die im Vertrauen auf die Verschwiegenheit und Zuverlässigkeit Schweizer Banken auf deren Konten Geld deponieren wollten.
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Harte Devisenvorschriften drängten sie in die Illegalität; professionelle Schmuggler verlangten hohe „Gebühren“. Schweizer Juweliere kauften Schmuck an, den ihnen verzweifelte Flüchtlinge weit unter Wert anboten, und drückten die Preise sogar noch weiter. Unter falschem Namen oder nur unter Nummern geführte Konten wurden oft zugunsten der jeweiligen Bank aufgelöst, nachdem sich ihre Inhaber längere Zeit nicht mehr gemeldet hatten – oft, weil sie dem Holocaust zum Opfer gefallen waren.
Noch einfacher erklärt sich das „Verschwinden“ von Konten, die von Anfang an unter den Namen von Schweizer oder Liechtensteiner Strohleuten liefen. Ihre eigentlichen Eigentümer setzten auf maximale Diskretion – doch der beinahe perfekte Schutz vor den Schnüffeleien der Nazis hinderte nach dem Krieg ihre Erben daran, das angelegte Geld zurückzufordern.
Der überraschende Fund im CS-Archiv eröffnet neue Möglichkeiten. Das erste jetzt bekannt gewordene Ergebnis der erneuten Untersuchung von mindestens 64.000 potenziell relevanten Datensätzen ergab Hinweise auf Mittelsmänner, die das Dritte Reich bei der Plünderung jüdischer Vermögen unterstützt hatten. Indirekt schließen lassen die Erkenntnisse auf Konten und Depots jüdischer (meist) Deutscher oder Österreicher, die ihr Vermögen bei Schweizer Banken hinterlegt hatten.
Eine Werbung verkündet 2023 die Übernahme der Credit Suisse durch den Konkurrenten UBS
Quelle: picture alliance/KEYSTONE/MICHAEL BUHOLZER
Die UBS, ehemals Konkurrent, aber seit 2023 Mutter-Konzern der CS, teilte daraufhin mit, Barofsky erhalte „jede notwendige Unterstützung, um seine Arbeit zu erleichtern und um durch die durchgeführte Überprüfung mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu bringen“.
Relevant erscheint etwa die Biografie des Schweizers Alfred Kurzmeyer (1880-1968). Er war seit 1921 alleinzeichnungsberechtigter Prokurist des Berliner Bankhauses Mendelssohn & Co und dort zuständig für das Auslandsgeschäft. Die jüdische Privatbank wurde 1938 aufgelöst, Kurzmeyer wechselte als Direktor mit Generalvollmacht zur Deutschen Bank und organisierte die Finanzbeziehungen in die Schweiz, seit 1943 mit Sitz in Zürich. Zu seiner Tätigkeit gehörten Geschäfte vor allem für die SS, speziell das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, dem die KZs unterstanden. So weit, so bekannt.
Die jetzt erstmals ausgewerteten Unterlagen zeigen, dass die CS in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren offenbar bewusst Informationen zurückhielt. In einer internen Stellungnahme der Bank hieß es, der Bericht der Wirtschaftsprüfer der Volcker-Kommission sei "ziemlich geschönt" und es sei "am besten, ihn so zu lassen, wie er ist". Dabei blieb es etwas mehr als zwei Jahrzehnte.
Jetzt dürfte sich das ändern. Zumal nicht nur der gesamte Bestand der „Inf-Abteilung“ durchgesehen werden soll, sondern auch die insgesamt 300 Regalkilometer Altbestände – damit nicht noch ein relevanter Teil der Akten übersehen bleibt. Das wird mindestens bis 2026 dauern.
https://www.welt.de/
Wadenbeisser
»Damit werden die Opfer verhöhnt«
Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 8 / Inland
VVN-BdA NRW reicht Dienstaufsichtsbeschwerde gegen AfD-Kommunalpolitiker ein. Ein Gespräch mit Ortwin Bickhove-Swiderski
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Christoph Reichwein/dpa
AfD-Politiker Stefan Hrdy spricht mit einem Polizisten (Marl, 24.2.2024)
Ortwin Bickhove-Swiderski ist Pressesprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
(VVN-BdA) in NRW
Sie haben eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den AfD-Politiker Stefan Hrdy gestellt. Was ist der Hintergrund?
Nach eigenen Angaben und öffentlichen Erklärungen ist der AfD-Kommunalpolitiker Stefan Hrdy, der in Rommerskirchen im Gemeinderat sitzt, ein ehemaliger Angehöriger der GSG 9. Ein Polizist bei der Bundespolizei führt sogenannte hoheitsrechtliche Tätigkeiten aus und ist somit ein Beamter. Ein deutscher Beamter hat jederzeit politisch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen und Gesetze zu beachten. Von ihm wird sowohl inner- als auch außerdienstlich ein einwandfreier Lebenswandel gefordert und erwartet. Dafür bekommt er eine auskömmliche Pension. Beim AfD-Bundesparteitag am 29. und 30. Juni 2024 in Essen hat Hrdy aber mindestens zwei Gegendemonstrantinnen unvermittelt direkt ins Gesicht gespuckt. Einen weiteren Demonstranten hat er – nach seinen Angaben aus Notwehr – in die Wade gebissen. Videos davon kursieren im Netz. Die AfD hatte Hrdy intern dann als »Politiker mit Biss« bezeichnet. Damit werden die Opfer verhöhnt. Wir als VVN-BdA Nordrhein-Westfalen haben bei seiner ehemaligen Dienststelle eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Somit wird der Vorgang jetzt beamtenrechtlich geprüft.
Was möchten Sie mit der Dienstaufsichtsbeschwerde erreichen? Der Mann ist doch bereits pensioniert.
Hrdy ist zwar bereits in Pension, doch das Beamtenrecht und Disziplinarrecht gilt auch für Ruhestandsbeamte. Wir haben beantragt, seine bisherigen Pensionsansprüche drastisch zu kürzen oder ihm die Pension komplett zu streichen. Außerdem haben wir gefordert, ihm verliehene Orden, Auszeichnungen oder Belobigungen aus der aktiven Dienstzeit rückwirkend abzuerkennen.
Radio MSH
Ist Hrdy für die Beiß- und Spuckattacke auf Antifaschisten nicht rechtlich belangt worden?
Nach unseren Informationen haben die beiden angespuckten Gegendemonstrantinnen eine Anzeige gegen ihn gestellt. Der von Hrdy gebissene Gegendemonstrant ist immer noch eingeschüchtert. Es war seine erste Demonstrationsteilnahme, und dann passiert gleich so etwas. Da der Film im Netz zu sehen ist, überlegen wir als VVN-BdA NRW eine Strafanzeige wegen Körperverletzung zu stellen. Juristisch sind wir der Meinung, hier liegt ein Offizialdelikt vor. Diese Straftat müsste von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgt werden. Wir werden mit der geschädigten Person vertraulich weitere juristische Maßnahmen besprechen.
Was wissen Sie über eine Waffensammlung in seinem Haus?
In Rommerskirchen ist ein Polizist auf die Waffensammlung von Hrdy aufmerksam geworden. Seine Frau und er sollen über 200 Schusswaffen in ihrem Zuhause gelagert haben. Der Polizist hat sich auf eine Entscheidung des bayrischen Oberverwaltungsgerichts berufen, das vereinfacht besagt, »wer AfD-Mitglied ist, ist unzuverlässig«. Und unzuverlässigen Personen müssten die Waffen entzogen werden. Hrdy will juristisch dagegen vorgehen. Er hat angegeben, er wollte über Schusswaffen einen Katalog für Sammler erstellen – vermutlich eine reine Schutzbehauptung. Nach unseren Informationen ist Hrdy auch gegen den Polizisten juristisch vorgegangen.
Für den 11. Januar rufen Antifaschisten und Gewerkschaften wieder zum Protest und zivilen Ungehorsam gegen den Bundesparteitag in Riesa auf. Worauf bereiten Sie sich vor?
Als demokratische Kräfte sollten wir alles in Bewegung setzen, um am 11. Januar in Riesa vor Ort zu sein und gegen die AfD zu demonstrieren. Das AfD-Verbotsverfahren muss weiter diskutiert werden. In Schulen, Betrieben und Verwaltungen müssen wir alle aktiv gegen die AfD tätig werden. Hoffen wir, dass es zu keinen körperlichen Verletzungen kommen wird. Noch können wir den Schneeball zertreten, die Lawine hält keiner mehr auf.
https://www.jungewelt.de/
Sparkasse Werra-Meißner lässt eigene Nazi-Geschichte erforschen
Stand: 24.11.2024, 06:00 Uhr
Das zweite Haus von links am Schlossplatz, dort, wo heute ein griechisches Restaurant beheimatet ist, gehörte Familie Katzenstein. Durch die Nazis verlor sie ihr Heim, ihr Vermögen und musste flüchten.
Das zweite Haus von links am Schlossplatz, dort, wo heute ein griechisches Restaurant beheimatet ist, gehörte Familie Katzenstein. Durch die Nazis verlor sie ihr Heim, ihr Vermögen und musste flüchten. © Stadtarchiv Eschwege
Es gab eine klaffende Lücke in der 180-jährigen Geschichte der Sparkasse. Deswegen haben sie einen Historiker beauftragt, die Rolle der Sparkasse im Dritten Reich aufzuarbeiten.
Eschwege – Historiker Dr. Dieter Vaupel musste seine Recherche bei null beginnen. Denn die Zeit zwischen 1933 und 1945 schien in der Geschichtsschreibung der Sparkasse nicht zu existieren. „Sie wurde offenbar ausgeblendet“, sagt Vorstandsvorsitzender Marc Semmel, dem das zusammen mit Vorstandskollegen Dietmar Janz nach dem 175-jährigen Jubiläum vor fünf Jahren aufgefallen war. Sie kamen bei einer Sparkassenveranstaltung in Hessisch Lichtenau mit Dr. Vaupel in Kontakt. Er hatte Lust, die Aufarbeitung zu übernehmen. Und die begann im Keller der Hauptstelle in Eschwege.
Hier, wo einst die von jüdischen Eschwegern geführte Textilfabrik L.S. Brinkmann stand, befindet sich auch das Archiv, eher eine Sammlung, der Sparkasse Werra-Meißner. „40 Aktenordner aus den Jahren 33 bis 45, in denen ich Hinweise vermutet habe, habe ich dann ausgewertet“, berichtet Vaupel. Damit begann die Detektivarbeit. In erster Linie war er auf der Suche nach Namen. „Sie waren der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Vaupel. Über die Spruchkammerakten der Entnazifizierungsverfahren in Wiesbaden, das Stadtarchiv in Eschwege oder die Finanzakten des Finanzamts, die in Marburg lagern, hat er ein Bild zusammngesetzt.
Dieses Bild zeigt für ihn: „Die Sparkasse war ein Rädchen im Getriebe der Arisierung.“ Anhand der jüdischen Familien Katzenstein, Werner und Löwenthal sei es deutlich geworden. Josef Katzenstein beispielsweise war Kunde der Sparkasse Eschwege und nach Angaben Vaupels „gut situiert“. 1945 verfügte er über ein Vermögen von rund 75 000 Reichsmark. „Anhand seiner Konten bei der Sparkasse kann man verfolgen, wie er im Laufe der Jahre systematisch seines Vermögens beraubt wurde“, sagt Vaupel. Er musste sein Haus verkaufen, das Geld wurde auf einem Sperrkonto gelagert. Für seine Flucht in die USA zahlte er die damals verfügte Reichsfluchtsteuer. In Brooklyn kam die Familie mittellos an. Ihr restliches Vermögen war dem Deutschen Reich zugeschlagen worden. Vaupels Erkenntnis: Nicht nur die Sparkasse war Teil der Ausplünderung der jüdischen Familie, auch Finanzamt, Bürgermeister, Ortspolizeibehörde, Stadtkasse, Kriminalpolizei, Oberlandesgericht und Reichsbanknebenstelle hatten dazu beigetragen.
Stolpersteine werden Donnerstag verlegt
Die Recherchen des Historikers Dr. Dieter Vaupel führten dazu, dass am nächsten Donnerstag, 28. November 2024, 13 Stolpersteine für die Familien Katzenstein, Löwenthal und Werner verlegt werden. Dazu kommt der Gründer der Stolperstein-Initiative Gunter Demnig nach Eschwege . Ab 10 Uhr werden fünf Steine vor dem ehemaligen Haus der Katzensteins am Schlossplatz 6 verlegt. Anschließend wird der Familien Werner und Löwenthal vor der Sparkasse an der Friedrich-Wilhelm-Straße gedacht. „Normalerweise werden Stolpersteine vor den Wohnhäusern verlegt, Demnig hat hier aber eine Ausnahme gemacht“, berichtet Dr. Vaupel. Schüler der drei Eschweger Mittelstufenschulen verlesen die Schicksale der Geehrten. ts
Julius Löwenthal, Inhaber des größten Eschweger Betriebs der damaligen Zeit, L.S. Brinkmann. © Festschrift Brinkmann
Auch den Familien von Moritz Werner und Julius Löwenthal, Eigentümer der Firma L.S. Brinkmann, erging es ähnlich. Sie galten vor dem Dritten Reich als reichste Eschweger und verfügten als Eschweges größter Arbeitgeber in den 1930er-Jahren (rund 500 Mitarbeiter) über ein Millionenvermögen, das nach und nach durch die Nazis geplündert wurde, wie Vaupel schreibt. Die Textilfirma wurde 1938 arisiert und an den Westfalen Robert Rhode verkauft, der den Betrieb weiterführte. Das umfangreiche Eigentum der Werners und Löwenthals fiel nach der Flucht (England und USA) dem Deutschen Reich zu. Die Hausbank von LS Brinkmann war in diesem Fall die Deutsche Bank Kassel in Kassel, die Sparkasse Eschwege errichtete 1977 aber den Neubau ihrer Geschäftsstelle auf diesem Grundstück. Moritz Werner konnte sein Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg von Rhode zurückkaufen. 1974 wurde die Firma „aufgrund der allgemein schwierigen Lage auf dem Textilmarkt“ aufgelöst.
Moritz Werner, Inhaber des größten Eschweger Betriebs der damaligen Zeit, L.S. Brinkmann.
Moritz Werner, Inhaber des größten Eschweger Betriebs der damaligen Zeit, L.S. Brinkmann. © Festschrift 100 Jahre Brinkmann
Nach Angaben des Historikers Dr. Dieter Vaupel, gebe es bislang wenige Sparkassen, die sich ihrer Geschichte im Dritten Reich stellen würden. Die Sparkasse Werra-Meißner nehme hier eine Vorreiterrolle ein. „Das könnte ein Leuchtturm-Projekt werden.“ (TOBIAS STÜCK)
https://www.hna.de/
Die vergessenen Toten auf dem Jüdischen Friedhof in Rotenburg
Stand: 17.11.2024, 10:00 Uhr
Von: Tom Gath
Pawel Muratow starb in deutscher Gefangenschaft nach einem halben Jahr Zwangsarbeit in Rotenburg. Er wurde 21 Jahre alt. © Privat
41 sowjetische Kriegsgefangene sollen die Nazis auf Rotenburgs Jüdischem Friedhof verscharrt haben, dachte man über Jahrzehnte. Dann fand der Heimatforscher Heinz Promann heraus: Es waren deutlich mehr. Die Namen von 24 weiteren Opfern des NS sind nun auf zwei neuen Gedenksteinen verewigt.
Rotenburg – Einen Spaten hat Heinz Promann nicht dabei, als er auf dem Jüdischen Friedhof Imkersfeld steht und sein Motto der Heimatforschung verkündet: „Grabe, wo Du stehst!“ Begonnen zu graben hat der Historiker bereits 2016. Nicht in der Erde, sondern in Online-Archiven und vergessenen Kisten im Rotenburger Rathaus. Nun präsentiert er gemeinsam mit der Stadtverwaltung das unerwartete Ergebnis: Statt der bisher angenommenen 41 liegen mindestens 24 weitere sowjetische Kriegsgefangene auf dem historischen Friedhof. Der Scheeßeler Steinmetz Burghard Uhle hat deshalb 24 Namen auf zwei zusätzlichen Gedenksteinen verewigt, die Friedhofsgärtnerei Grewe das Sammelgrab neu bepflanzt und den Weg saniert.
Seinen Anfang nahm die Entdeckung vor acht Jahren mit einem Schulprojekt, damals war Promann noch Geschichtslehrer an den BBS Rotenburg. Er fand im Stadtarchiv Friedhofskarten und Totenbücher und wunderte sich über einen Plan, auf dem eine dritte Grabreihe eingezeichnet ist. Als Historiker wollte er die Fakten überprüfen und entdeckte schnell die ersten Namen, die er auf dem bisherigen Gedenkstein nicht finden konnte. „Ich bin jemand, der nicht locker lässt“, sagt der heutige Pensionär und ehrenamtliche Archivar der Gemeinde Scheeßel. In digitalen Datenbanken der zivilgesellschaftlichen Organisation „Arolsen Archives“ und des russischen Verteidigungsministeriums setzte er seine Suche fort.
Heinz Promann (2.v.r.) entdeckte 24 vergessene Namen von toten Kriegsgefangenen. Friedhofsverwaltung, Gärtnerei und Steinmetze gestalteten den Gedenkort auf dem Jüdischen Friedhof daraufhin neu.
Heinz Promann (2.v.r.) entdeckte 24 vergessene Namen von toten Kriegsgefangenen. Friedhofsverwaltung, Gärtnerei und Steinmetze gestalteten den Gedenkort auf dem Jüdischen Friedhof daraufhin neu. © Gath
Die russischen Behörden haben nach dem Ende der Sowjetunion die lange in Sibirien lagernden Dokumente systematisch archiviert und inzwischen auch digitalisiert. Darunter befinden sich auch zahlreiche Personalkarten, die die deutschen Behörden für die Gefangenen angelegt hatten, mit Porträtfotos, die laut Promann von einem Fotografen aus Bremervörde angefertigt worden sein sollen. So stieß Promann unter anderem auf Pawel Muratow mit der Häftlingsnummer 37884.
Pawel Muratow stirbt mit 21 Jahren
1920 in Südsibirien geboren, gerät der blonde Bauernjunge und spätere Soldat bereits 14 Tage nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in Kriegsgefangenschaft. Im Juli 1941 kommt er zunächst ins Lager Wietzendorf in der Lüneburger Heide, später nach Sandbostel. Am Heiligabend desselben Jahres wird Muratow in das Rotenburger Lager „Waldschlösschen“ zum Arbeitskommando 7039 verlegt.
Viele Häftlinge werden zum Ausbau des Kalandshofes und des Ausweichkrankenhauses Rotenburg Unterstedt gezwungen, ein großer Teil stirbt an Krankheiten oder Unterernährung. Einige werden auch zur Arbeit auf privaten Bauernhöfen in der Region verdonnert, wo sie die in der Landwirtschaft fehlenden deutschen Männer ersetzen müssen.
Ein halbes Jahr später wird Muratow in das Kriegsgefangenenlazarett an der Lindenstraße eingeliefert, wo katastrophale Zustände herrschen. Noch am Tag seiner Einlieferung stirbt der 21-Jährige und wird auf dem Jüdischen Friedhof in Grab 22 beigesetzt. Das Innenministerium hat zuvor verfügt, dass Leichen von Kriegsgefangenen heimlich und möglichst abgelegen verscharrt werden sollen. Der kleine Jüdische Friedhof am Stadtrand von Rotenburg war zu diesem Zeitpunkt bereits von den Nazis entweiht und verwüstet worden.
Neue Gedenksteine ehren vergessene Opfer
Insgesamt sind auf den Friedhöfen der Stadt etwa 500 Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge begraben, schätzt Promann. Auf dem bisherigen Gedenkstein, der 1949 aufgestellt wurde, ist Pawel Muratows Name bereits eingemeißelt. Mindestens 24 weitere waren in den Nachkriegswirren, als noch viele Dokumente verstreut waren, jedoch nicht bekannt.
Das Schriftbild orientiert sich am bereits vorhandenen Gedenkstein. © Gath
Nachdem die von Promann recherchierten Personen von der Stadtverwaltung und dem niedersächsischen Innenministerium bestätigt worden waren, stellte das Land 21 .000 Euro für die Nachrüstung zur Verfügung. Steinmetz Burghard Uhle erhielt den Zuschlag und meißelte zusammen mit anderen Steinmetzen aus der Region mehr als 800 Buchstaben in zwei Granitsteine aus dem Fichtelgebirge. „Die Schriftgestaltung sollte zu dem bereits vorhandenen Stein passen“, sagt Uhle. Eingerahmt werden die Steine von neu gepflanztem, klein bleibendem Kirschlorbeer und Prachtspieren, die beide flach wurzeln, um eventuell noch vorhandene Gebeine nicht zu zerstören.
Lokale Spurensuche kann Licht ins Dunkel bringen
Denn wo genau die sterblichen Überreste der mindestens 65 toten Sowjetsoldaten liegen, weiß niemand so genau, erklärt Stephan Lohmann vom Rotenburger Bauamt. Die Pläne seien nicht eindeutig, und Exhumierungen von Kriegsgefangenen gebe es heute kaum noch. Die letzte Umbettung aus Rotenburg, an die sich der für die Friedhöfe zuständige Abteilungsleiter erinnern könne, sei Anfang der 2000er Jahre gewesen. Damals wollten Angehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien ihren Vorfahren in einem heimatlichen Grab bestatten.
Eine Kontaktaufnahme zu den Angehörigen der 24 seit Jahrzehnten vergessenen Toten hält der Heimatforscher Heinz Promann derzeit für unwahrscheinlich. Zwar habe der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gute Kontakte zu einem Partnerbüro in Moskau und auch einige informelle russische Organisationen kümmerten sich um das Gedenken an die sowjetischen Opfer des deutschen Vernichtungsfeldzuges. Zu früheren Gedenkveranstaltungen sei sogar ein Vertreter des russischen Konsulats aus Hamburg in die Gedenkstätte Sandbostel gekommen. „Doch seit dem Krieg in der Ukraine ist das alles zum Erliegen gekommen“, sagt Promann.
Grundsätzlich sei es auch heute noch möglich, Nachfahren ausfindig zu machen. Promann betont bei solchen Projekten die Bedeutung der lokalen Spurensuche: „Hier vor Ort habe ich Möglichkeiten, Dinge herauszufinden, die andere nicht haben.“ In fast jeder Gemeinde gebe es noch dunkle Flecken zu erhellen, und im Rotenburger Stadtarchiv sowie im örtlichen Friedhofsamt habe er seine wichtigsten Quellen entdeckt. Deshalb sollten die Menschen graben, wo sie stehen, um auch 80 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft der Opfer angemessen zu gedenken.
https://www.kreiszeitung.de/
NSDAP, SS und Militärrichter
Alice Weidel will nichts von der NS-Karriere ihres Großvaters gewusst haben
Alice Weidels Großvater Hans war Mitglied von NSDAP und SS, arbeitete während des Krieges als Militärrichter. Die AfD-Chefin sagt, das sei nie Thema in ihrer Familie gewesen. Sie habe keinen Kontakt zu ihrem Opa gehabt.
02.11.2024, 08.38 Uhr
AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel
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AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel Foto: Bernd Elmenthaler / IMAGO
Der Jurist Hans Weidel (1903–1985) stieg im NS-Staat schnell auf. Er hatte als Nationalsozialist im Kreis und der Stadt Leobschütz, dem heutigen Głubczyce, wichtige Ämter und Funktionen inne. Während des Zweiten Weltkriegs war er Militärrichter bei der Kommandantur Warschau. Das geht aus Recherchen der »Welt am Sonntag« hervor, die Dokumente des Bundesarchivs und des polnischen Staatsarchivs ausgewertet hat.
Hans Weidel war der Großvater der heutigen Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel. Sie will von der Karriere ihres Großvaters zu NS-Zeiten nichts gewusst haben, wie sie ihren Sprecher der »Welt« ausrichten ließ, nachdem sie mit den Ergebnissen der Recherche konfrontiert worden war. »Aufgrund familiärer Dissonanzen gab es weder Kontakt zum Großvater, der bereits im Jahr 1985 starb, noch war er Gesprächsthema in der Familie.« Den Vorwurf, die AfD würde die NS-Zeit weitgehend ausblenden und verharmlosen, wies Weidel, die beim Tod ihres Opas sechs Jahre alt war, demnach zurück.
Der NSDAP war Hans Weidel 1932 beigetreten, kandidierte im März 1933 als Stadtverordneter und wurde laut der Recherchen »Fraktionsführer der NSDAP«. Mitglied der SS war Weidel ausweislich von Dokumenten ab Januar 1933. Zugleich stieg er zum Kreisgruppenführer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes auf. Dieser verstand sich als »Hüter und Wahrer von völkischen Lebensgesetzen« und propagierte den »Kampf gegen das Judentum im Recht«. Insgesamt gehörte Weidel zehn verschiedenen NS-Organisationen an.
- Wenige Tage nach Hitlers Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde Hans Weidel eingezogen, wenige Monate später zum Offizier befördert. Ab Juli 1941 war er Heeresrichter bei der Kommandantur Warschau. In dem »Eignungsbericht über Feldkriegsgerichtsrat Dr. Weidel« lobten ihn seine Vorgesetzten. 1944 wurde er zum Oberstabsrichter ernannt. Laut »Welt« durchlief der Personalvorschlag das Führerhauptquartier. Unter dem Auszug vom 12. Oktober des Jahres steht: »Der Führer | gez. Adolf Hitler | Oberkommando des Heeres«.
Hitler war oberster Gerichtsherr der Militärjustiz. Die ihm unterstehenden Gerichte verhängten nach Forschungsergebnissen der Historikerin Claudia Bade »etwa 50.000 Todesurteile, von denen mehr als 20.000 vollstreckt wurden«. Diese Urteilsbilanz übertreffe »die der zivilen NS-Gerichtsbarkeit bei Weitem«.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dreimal Ermittlungsverfahren gegen Weidel wegen seiner Rolle während der NS-Diktatur eingeleitet. Das erste wurde 1948 wegen unvollständiger Dokumente zur NS-Karriere eingestellt, berichtet die »Welt«. Zudem führten im Dezember 1977 das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen und im März 1979 die Hamburger Kriminalpolizei ergebnislos Ermittlungsverfahren gegen Weidel.
Was hat die eigene Verwandtschaft in der Nazizeit getan? Bei einem digitalen SPIEGEL-Event Ende 2022 konnten Abonnenten den Historiker Oliver von Wrochem fragen, wie man das herausfindet. Hier geht es zum Im April dieses Jahres war bekannt geworden, dass der Großvater des damaligen AfD-Spitzenkandidaten für das Europaparlament, Maximilian Krah, der NSDAP angehörte . Nach ZDF-Recherchen hat er sich »aktiv im Sinne der Bewegung betätigt«. Zudem war Krahs Großvater freiwillig als Arzt der Hitlerjugend tätig. Auch Maximilian Krah wollte damals nichts davon gewusst haben.
mgo
https://www.spiegel.de/
Hakenkreuz zu erkennen?
Erbe aus dunkler Vergangenheit soll getilgt werden
aus Neukölln
01.11.2024, 14:00 Uhr
Das Hakenkreuz am Eingangsportal des Rathauses wurde mit weiteren Ornamenten verdeckt, ist aber bei genauem Hinschauen noch erkennbar. |
- Foto: BA Lichtenberg
Das Rathaus Lichtenberg in der Möllendorffstraße 6 wurde 1898 als neogotisches Backsteingebäude fertiggestellt. Im Jahr 1937 entstand über dem Eingangsbereich ein schmiedeeisernes Gitter mit einem eingearbeiteten Hakenkreuz. Es ist nach 1945 durch weitere Ornamente zwar unkenntlich gemacht worden, die SPD-Fraktion fordert jetzt aber, diese „Erbe aus dunkler Vergangenheit“ komplett zu tilgen.
„Für Menschen, die über das Hakenkreuz informiert sind, ist es noch erkennbar“, heißt es in dem entsprechenden Antrag, den die Fraktion in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht hat. Deshalb werde das Bezirksamt ersucht, Lichtenberg als „Ort der Vielfalt“ dieser Bezeichnung durch die komplette Entfernung des Hakenkreuzes Rechnung zu tragen. Das Gitter am Portal soll so umgestaltet werden, dass keine Spuren mehr darauf hinweisen. Zudem sei am oder im Rathaus eine Informationstafel anzubringen, auf der auf die historische Entstehung dieser NS-Symbolik hingewiesen wird.
Der Antrag der SPD-Fraktion wurde in die zuständigen Fachausschüsse überwiesen. Diskussionsbedarf besteht, denn das Rathaus steht unter Denkmalschutz, mögliche Veränderungen sind nicht ohne Weiteres umzusetzen.
Das Rathaus Lichtenberg mit seiner mehr als 125-jährigen Geschichte habe wie so viele öffentliche Gebäude eine bewegte Vergangenheit, so Bürgermeister Martin Schaefer (CDU) zum Thema. „Es liegt in unserer Verantwortung, angemessen und sensibel mit allen Kapiteln davon umzugehen.“ Kenne man die Geschichte des Hauses, lasse sich trotz baulicher Veränderungen im schmiedeeisernen Gitter das Hakenkreuz noch immer erkennen, bestätigt Schaefer. Auf jeden Fall werde die Bezirksverordnetenversammlung den Antrag diskutieren und im demokratischen Prozess einen Beschluss dazu fassen.
Unter Denkmalschutz gestellt wurde das Rathaus Lichtenberg am 21. September 1977. Das Hakenkreuz hätte also zuvor entfernt werden können. Auf die Frage, warum dies nicht geschehen ist, sagte der Bürgermeister: „Leider ist es uns nach fast 50 Jahren nicht möglich zu beantworten, warum die damaligen Entscheidungsträger in der DDR an dieser Stelle nicht aktiv geworden sind.“
https://www.berliner-woche.de/
Sachsen-Anhalt
„Irrweg der Moderne“: AfD nach Bauhaus-Vorstoß in der Kritik
Die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt bezeichnet das Bauhaus als „Irrweg der Moderne“ und hält an ihrer Forderung nach einer kritischen Auseinandersetzung fest. Die Geschichte um das Bauhaus sei insgesamt zu wenig kritisch aufgearbeitet, sagte Fraktionsvize Tillschneider der Deutschen Presse-Agentur. Unter anderem Kulturstaatsministerin Roth äußerte sich empört.
24.10.2024
Am Bauhausgebäude in Dessau, das Architekt Walter Gropius 1925 erbaut wurde, ist der Schriftzug "Bauhaus" zu lesen.
Bauhausgebäude in Dessau (Archivbild). (imago / IPON )
Das Bauhaus mit den Standorten Berlin, Dessau und Weimar gilt als wichtige Schule für Kunst, Design und Architektur im 20. Jahrhundert. Im Landtag von Sachsen-Anhalt fordert die AfD eine „kritische Auseinandersetzung“ mit dem Bauhaus, ein entsprechender Antrag soll am Freitag beraten werden. In Sachsen-Anhalt wird die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.
Roth: Alarmierend und inakzeptabel
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur, Roth, sagte der „Süddeutschen Zeitung“, „dass jetzt die AfD mit erschreckend ähnlichen Argumenten und Formulierungen wie einst die NSDAP versucht, gegen das Erbe des Bauhaus heute vorzugehen, ist in höchstem Maße alarmierend und absolut inakzeptabel“.
Die Grünen-Politikerin sieht in dem Vorfall ein weiteres Beispiel dafür, wie die AfD versuche, die kulturelle Debatte zu bestimmen: „Die Stiftung Bauhaus Dessau leistet hervorragende Arbeit – und das Vorgehen der AfD zeigt, wie wichtig ihre Arbeit ist. Leider ist diese Art und Weise des Umgangs mit unserer Geschichte und ein solches Vorgehen gegen die Freiheit von Kulturinstitutionen in unserem Land kein Einzelfall, sondern Programm bei der AfD.“
AfD weist Bezug zu NS-Zeit zurück
Das Bauhaus war 1919 in Weimar gegründet worden. Aufgrund der politischen Verhältnisse zog die Einrichtung 1925 nach Dessau um. Hier erlebte die Kunst- und Architekturschule für wenige Jahre ihre Blütezeit. 1932 wechselte das Bauhaus von Dessau nach Berlin. Dort wurde es 1933 von den Nazis geschlossen.
AfD-Fraktionsvize Tillschneider weist Bezüge zwischen dem aktuellen Antrag und der Zeit des Nationalsozialismus zurück. Diese Kritik sei der Versuch, einer echten Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. „Das ist billig“, meinte Tillschneider. Es gehe der AfD nicht darum, Gelder zu kürzen, man wolle die Stiftung erhalten. Die „Ideologie um das Bauhaus herum“ aber wolle man kritisch beleuchten.
UNESCO-Weltkulturerbe
Im Antrag der AfD heißt es, eine „einseitige Glorifizierung des Bauhaus-Erbes“ zum Jubiläum solle verhindert werden. „Die internationale Verbreitung des Bauhaus-Stils führte zu einer Art globalem „Einheitsbrei“, so die These der AfD. Es ist die Rede von „historischen Bausünden“ und einer Standardisierung von Architektur und Design, die der kulturellen Vielfalt abträglich sei.
Die Stiftung Bauhaus Dessau teilte mit, man thematisiere die Aufbrüche, aber auch die Verwerfungen, die mit den Materialinnovationen zu Beginn der 1920er Jahre verbunden gewesen seien. Zum Jubiläum werde es eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung geben, so Direktorin Steiner.
Die Bauhaus-Gebäude in Dessau ziehen laut Steiner jährlich weit mehr als 100.000 Menschen aus aller Welt an. Als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes werde diesen Bauten ein hoher Wert zugesprochen, verbunden mit der Verantwortung und Verpflichtung, sie zu erhalten. Im nächsten Jahr wird ein Jubiläum zu 100 Jahre Bauhaus gefeiert.
Deutschlandfunk-Interview:
Vorbild NSDAP? Wie die AfD das weltberühmte Bauhaus diffamiert
Diese Nachricht wurde am 24.10.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.
https://www.deutschlandfunk.de/
Nazi-Vergangenheit
Habeck spricht über Schuld seiner Großväter
Veröffentlicht am 20.06.2024Lesedauer: 2 Minuten
Robert Habeck
Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
Quelle: dpa/Michael Kappeler
Auch in Robert Habecks Familie gibt es ein dunkles Nazi-Kapitel. Unter anderem war sein Ur-Großvater SS-Brigadeführer mit persönlichen Kontakten in den inneren Kreis des Hitler-Regimes. Die Auseinandersetzung damit nehme ihn „bis heute in die politische Pflicht“, sagt Habeck.
Der Ur-Opa ein verurteilter Kriegsverbrecher, der Großvater einst Obersturmführer der SA: Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat dem Magazin „Bunte“ ein dunkles Kapitel seiner Familiengeschichte bestätigt. Demnach handelte es sich bei dem Urgroßvater des Wirtschaftsministers um Walter Granzow (1887-1952), der zum inneren Führungszirkel des Hitler-Regimes gehört haben soll. Dessen Sohn, Habecks Großvater Kurt Granzow (1912-1952), war Obersturmführer der SA.
Der NSDAP-Politiker und SS-Brigadeführer Granzow verwaltete vor der Machtübernahme das Gut Severin in Mecklenburg-Vorpommern und richtete dort unter anderem 1931 die Hochzeit des späteren Propagandaministers Joseph Goebbels mit Magda Quandt aus. Quandt war zuvor mit dem Industriellen Günther Quandt verheiratet, einem Schwippschwager von Granzow.
Adolf Hitler soll Granzow, der im NS-Regime unter anderem als Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Schwerin und Reichstagsabgeordneter fungierte, demnach 1931 vorgestellt worden sein. Nach dem Krieg wurde Granzow für seine Rolle in der SS zu einer Geldstrafe verurteilt.
„Ich habe mich schon als Jugendlicher intensiv mit der Geschichte meiner Familie auseinandergesetzt“, sagte Habeck der Zeitschrift. Häufig habe er mit seiner Großmutter und seiner Mutter über das Thema geredet. Beide Granzows verstarben 1952, weit vor Habecks Geburt 1969.
„Es war eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der Schuld meines Urgroßvaters und meines Großvaters. Diese persönliche Auseinandersetzung hat mein politisches Denken, Handeln und Reden mitgeprägt und nimmt mich bis heute in die politische Pflicht“, wird Habeck weiter zitiert.
Im November 2023 hatte eine Videoansprache Habecks für großes Aufsehen gesorgt. Als Reaktion auf die Diskussion über die Lage in Nahost infolge des Hamas-Überfalls auf Israel vom 7. Oktober 2023 sagte er in der viel beachteten Rede unter anderem: „Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung: Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte.“
https://www.welt.de/
Der Schrecken von Auschwitz: Diese Serie erinnert an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte
03/11/2023
Iris Berben hat einen bemerkenswerten Auftritt in der deutschen Disney-Serie “Deutsches Haus”.
“Nichts gehört, nichts gesehen, nichts gewusst”: Die deutsche Disney-Serie “Deutsches Haus” rekapituliert die Gräuel der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Zu sehen sind in der Produktion deutsche Schauspielstars wie Iris Berben, Heiner Lauterbach und Anke Engelke.
Der Krieg und die Gräuel der Nationalsozialisten sind 1963 längst verdrängt, der Blick ist nach vorne gerichtet. Und die jüngere Generation, die während des Krieges noch im Kindesalter war, besticht in der deutschen Disney-Serie “Deutsches Haus” (ab 15. November bei Disney+) hauptsächlich mit Nichtwissen. So auch Eva Bruhns (Katharina Stark). Die junge Frohnatur packt in der titelgebenden Gaststätte ihrer Eltern Edith (Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner) mit an, ehe die Dolmetscherin unversehens mit einer neuen Aufgabe betraut wird: Sie soll bei dem Auschwitz-Prozess aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzen.
Je länger der Prozess dauert, desto erschütternder offenbaren sich der jungen Übersetzerin die Wahrheit und die Taten der Angeklagten um Robert Mulka (Martin Horn) und Wilhelm Boger (Heiner Lauterbach). Durch ihren Job stellt Eva nicht nur die zarte Liebesbeziehung mit Versandmagnat Jürgen Schoormann (Thomas Prenn) aufs Spiel. Ihre Nachforschungen bringen auch ihre eigene Familie ins Wanken.
Das fünfteilige Disney-Original “Deutsches Haus” debütiert am 15. November bei Disney+. Zur Besetzung der Serie gehören auch Iris Berben, Max von der Groeben, Sabin Tambrea und Aaron Altaras.
https://vnexplorer.net/
Paukenschlag vor der Wahl: FW-Verband distanziert sich von Aiwanger – und erwägt sogar Partei-Loslösung
Stand: 07.10.2023, 20:38 Uhr
Von: Felix Herz
Ein Ortsverband der Freien Wähler in Bayern haut auf den Tisch – und übt scharfe Kritik an Hubert Aiwanger. Sogar eine Loslösung steht im Raum.
Aschaffenburg – Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister in Bayern und Chef der Freien Wähler, sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Von seinem umstrittenen Demo-Auftritt im Sommer bis zur Flugblatt-Affäre – Aiwanger, der bei den anstehenden Landtagswahlen als Spitzenkandidat der Freien Wähler um Stimmen wirbt, hat nun auch mit Kritik aus den eigenen Reihen zu kämpfen.
Ortsverband mit Paukenschlag: Loslösung von den Freien Wählern?
In einer Mitteilung kritisiert der Ortsverband der Freien Wähler Schöllkrippen im Landkreis Aschaffenburg ihren Parteichef mit scharfen Worten. Laut BR schreiben die Mitglieder von teils unangemessenen, teils populistischen Äußerungen. Dies könne man nicht nachvollziehen, schon gar nicht könne man sich damit identifizieren, so der etwa 20 Mitglieder starke Ortsverband.
Der Chef der Freien Wähler und aktueller Wirtschaftsminister in Bayern, Hubert Aiwanger, steht in der Kritik – auch in den eigenen Reihen. Das machte ein Ortsverband nun mehr als deutlich. (Symbolbild)
Der Chef der Freien Wähler und aktueller Wirtschaftsminister in Bayern, Hubert Aiwanger, steht in der Kritik – auch in den eigenen Reihen. Das machte ein Ortsverband nun mehr als deutlich. (Symbolbild) © Lindenthaler / IMAGO
Doch damit nicht genug: Der Mitteilung zufolge erwägen die Mitglieder sogar, ihren Ortsverband umzubenennen und sich gänzlich von der Partei loszulösen. Man wolle sich dazu bis November beraten. Denn, so heißt es in der Mitteilung, man verstehe sich als demokratisch, pluralistisch und weltoffen – und grenze sich ab von Extremismus und populistischem politischen Auftreten.
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Wirbel kurz vor der Landtagswahl – keine weiteren Äußerungen
Die Mitteilung des Ortsverbandes hatte der Vorsitzende Andreas Hausotter laut BR im Bürgerblatt der Verwaltungsgemeinschaft Schöllkrippen veröffentlicht. Mit Blick auf die bevorstehende Wahl am Sonntag, 8. Oktober, wolle man sich aber aktuell nicht näher zu dem Thema äußern. (fhz)
https://www.merkur.de/
Kreistag lehnt Hilfen ab
Roth zitiert Beteiligte im Fall Stalag 326 zum Gespräch
01.10.2023, 17:30 Uhr
Roth spricht von einem herben Rückschlag für die Erinnerungskultur.
(Foto: picture alliance / photothek)
CDU, AfD und ein lokales Wählerbündnis versagen einer Gedenkstätte in NRW finanzielle Mittel. Diese kündigt daraufhin die Schließung an. Nun schaltet sich Kulturstaatsministerin Roth ein, warnt vor einem Präzedenzfall und bestellt alle Beteiligten zum Gespräch ein.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat sich in die Debatte über die Gedenkstätte Stalag 326 in Nordrhein-Westfalen eingeschaltet. "Es wäre ein herber Rückschlag für die Erinnerungskultur in unserem Land und ein gefährlicher Präzedenzfall, wenn die Gütersloher CDU mit Unterstützung der AfD die Finanzierung einer wichtigen Gedenkstätte stoppt und damit deren Schließung riskiert", sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. Der Kreistag in Gütersloh hatte zuletzt gegen eine geplante Kostenbeteiligung gestimmt.
Die Gedenkstätte in Schloss Holte-Stukenbrock bei Bielefeld erinnert seit 1996 an deutsche Kriegsverbrechen im Nationalsozialismus. Zwischen 1941 und 1945 befand sich dort ein Kriegsgefangenenlager, wo mehr als 300.000 Menschen vor allem aus der Sowjetunion festgehalten, durch Zwangsarbeit ausgebeutet und ausgehungert wurden. Viele von ihnen starben.
Knackpunkt 200.000 Euro
Nach einer Anregung des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck im Jahr 2015 wurde dem Vorstand des Fördervereins zufolge unter Vorsitz von Nordrhein-Westfalens Landtagspräsident André Kuper und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe ein neues Konzept für die Gedenkstätte ausgearbeitet.
Wie Roth mitteilte, stellte der Bund 25 Millionen Euro für die dortige Erinnerungsarbeit zur Verfügung, im "Vertrauen darauf, dass auch die anderen Beteiligten ihren Beitrag dazu leisten". Sie kündigte an, dass sie die Verantwortlichen auf der Landesebene und der kommunalen Ebene zu einem klärenden Gespräch bitten werde.
Am Dienstag hatte der Kreis Gütersloh mitgeteilt, dass die CDU in der laufenden Kreistagssitzung ihren Vorschlag zurückgezogen habe, den Stalag-Förderverein mit jährlich 200.000 Euro zu unterstützen. Eine Beteiligung an den Betriebskosten sei mit 36 zu 33 Stimmen abgelehnt worden.
Der Vorstand des Fördervereins der Gedenkstätte erklärte dazu, dass neben der CDU-Fraktion die AfD und die Gütersloher Freien und Unabhängigen Wähler dagegen gestimmt hätten. Durch seine Stellungnahme vom Wochenende wurde der Vorgang einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Förderverein hatte mitgeteilt, dass die Gedenkstätte bis auf Weiteres geschlossen werde. Die Entscheidung des Kreistags habe "uns zutiefst getroffen und schockiert", erklärte der Vorstand.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP
https://www.n-tv.de/
Gedenkstätte Stalag 326 bis auf weiteres geschlossen
Stand: 30.09.2023, 12:29 Uhr
Die Gedenkstätte Stalag 326 in Stukenbrock bleibt bis auf weiteres geschlossen. Das hat der Förderverein bekannt gegeben. Der Gütersloher Kreistag hatte dagegen gestimmt, sich an den Betriebskosten zu beteiligen.
Der private Förderverein der Gedenkstätte Stalag 326 hat sich dazu entschlossen, diese bis auf weiteres zu schließen. Auf dem Gelände des ehemaligen riesigen NS-Lagers in Schloss Holte-Stukenbrock hatte die Gedenkstätte unter anderem an die mehr als 300.000 sowjetischen Kriegsgefangenen dort erinnert.
Geplant war eigentlich, die kleine bestehende Gedenkstätte auszubauen zu einem Ort mit nationaler Bedeutung - dies ging auf eine Idee des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zurück. Der Bundestag hatte für den Ausbau des 60 Millionen Euro teuren Projekts bereits 25 Millionen Euro zugesagt. Das Land sollte den Rest zuschießen.
Kreis Gütersloh stimmt mit den Stimmen der AfD gegen Zuschuss
Die jährlichen Betriebskosten von rund 4 Millionen Euro sollten sich einige Kreise in Ostwestfalen und die Städte Bielefeld und Schloß Holte-Stukenbrock teilen. Anfang der Woche hatte die CDU-Fraktion im Gütersloher Kreistag aber einen Zuschuss von 400.000 Euro verweigert und sich damit gegen den eigenen Landrat gestellt. Dagegen haben die CDU, die FWG/UWG und die AfD im Kreistag gestimmt und dadurch eine Mehrheit erreicht - trotz prominenter Befürworter aus der CDU, wie zum Beispiel dem Landtagspräsidenten André Kuper. Die CDU im Kreis hatte schon länger Bedenken geäußert - das Volumen hätte ungeahnte Dimensionen angenommen.
Förderverein: Schwarzer Tag für die Erinnerungskultur
Der Förderverein sprach von einem schwarzen Tag für die Erinnerungskultur und die demokratische Bildungsarbeit in NRW und speziell in OWL.
Nach der Abstimmung im Kreistag liegen die Pläne für die Gedenkstätte vorerst auf Eis. Denn der Löwenanteil von Bund und Land war daran geknüpft, dass sich der Kreis mit 400.000 Euro jährlich an den Betriebskosten beteiligt.
Hoffnung auf andere Geldgeber
Dass das Projekt damit möglicherweise beendet ist, sei "erbärmlich", hieß es nach der Sitzung von der SPD. Die Grünen im Gütersloher Kreistag wollen die Hoffnung allerdings noch nicht aufgeben: Bis Jahresende sei noch Zeit, andere Geldgeber für den Betrieb der Gedenkstätte zu finden.
Gedenkstätte soll ausgebaut werden
Das Stalag in Schloß Holte-Stukenbrock entstand im Zweiten Weltkrieg. Hier waren bis 1945 rund 300.000 Menschen untergebracht, vor allem sowjetische Soldaten, aber auch Kriegsgefangene aus Polen, Serbien, Frankreich und Italien. Sie mussten Zwangsarbeit leisten. Bis zu 60.000 Menschen starben. Viele Gebäude des einstigen Kriegsgefangenenlagers Stalag 326 stehen noch.
https://www1.wdr.de/
Selenskyj erinnert an Massaker an Juden in Babyn Jar 1941
In Babyn Jar sind 1941 30'000 Menschen erschossen worden. Zum 82. Jahrestag des Massakers gedenkt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Opfern.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gedenkt den Opfern des Babyn-Jar-Massakers. - keystone
Zum 82. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar unter deutscher Besatzung 1941 hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die Opfer erinnert. «In nur wenigen Tagen wurden im September 1941 mehr als 30'000 Menschen getötet», sagte Selenskyj am Freitag in seiner abendlichen Videoansprache.
«Es ist sehr wichtig, die Erinnerung an diese Opfer wach zu halten und daran, dass das Böse, das durch den Holocaust begangen wurde, besiegt und bestraft wurde».
Die Ukraine halte dieses Gedenken in Ehren, sagte Selenskyj in Kiew. «Für uns, für die Ukraine, für die gesamte zivilisierte Welt ist »Nie wieder!« kein leeres Wort.»
Was passierte in Babyn Jar?
In der Schlucht Babyn Jar am nordwestlichen Stadtrand von Kiew erschossen deutsche Einsatzkräfte am 29. und 30. September 1941 mehr als 33'000 jüdische Männer, Frauen und Kinder.
Insgesamt seien dort in der Zeit der deutschen Besatzung etwa 100'000 Menschen ermordet worden, neben Juden auch Ukrainer, Roma und Angehörige anderer Volksgruppen, sagte Selenskyj.
https://www.nau.ch/
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet sektenartige rechtsextreme Gruppierung "Artgemeinschaft"
PRESSEMITTEILUNG 27.09.2023
Seit den frühen Morgenstunden laufen Durchsuchungsmaßnahmen in zwölf Bundesländern
Stadtplatz des Bundesministerium des Innern und für HeimatQuelle: Henning Schacht
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat heute die rechtsextremistische, rassistische und antisemitische Vereinigung "Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." ("Artgemeinschaft") einschließlich aller Teilorganisationen verboten. Zu diesen Teilorganisationen gehören sogenannte "Gefährtschaften", "Gilden", "Freundeskreise" und das "Familienwerk e.V.".
Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen seit den frühen Morgenstunden die 26 Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern sowie Räumlichkeiten des Vereins in zwölf Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen).
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Mit der 'Artgemeinschaft' verbieten wir eine sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung. Das ist ein weiterer harter Schlag gegen den Rechtsextremismus und gegen die geistigen Brandstifter, die bis heute NS-Ideologien verbreiten. Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen.
Die 'Artgemeinschaft' ist mit vielen rechtsextremen und neurechten Gruppierungen vernetzt. Diese Vereinigung verbindet verschiedene Strömungen der extremen Rechten und gefährdet damit die freiheitlich demokratische Grundordnung in besonderem Maße.
Der Rechtsextremismus hat viele Gesichter. Die 'Artgemeinschaft' betrieb die aktive Vermittlung einer in weiten Teilen an den Nationalsozialismus angelehnten Ideologie. Vor allem durch die manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder und den Vertrieb entsprechender Literatur agierte die 'Artgemeinschaft' anders, aber nicht weniger gefährlich als die neonazistischen 'Hammerskins', die wir in der letzten Woche verboten haben.“
Das Vereinsverbot wurde seit mehr als einem Jahr vorbereitet und Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt. Maßgeblich waren insbesondere Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Landesämter für Verfassungsschutz. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern haben auch bei diesem Vereinsverbot intensiv zusammengewirkt.
Die "Artgemeinschaft" ist eine neonazistische, rassistische, fremden- und demokratiefeindliche Vereinigung mit rund 150 Mitgliedern. Sie richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere aufgrund antisemitischer Inhalte auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Die "Artgemeinschaft" verbreitete unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ihr gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel war die Erhaltung und Förderung der eigenen "Art", welche mit dem nationalsozialistischen Terminus der "Rasse" gleichzusetzen ist. Neben der Ideologie der Rassenlehre weisen Symbolik, Narrative und Aktivitäten des Vereins zudem weitere Parallelen zum Nationalsozialismus auf. So gab der Verein seinen Mitgliedern Anweisungen zu einer richtigen "Gattenwahl" innerhalb der nord- und mitteleuropäischen "Menschenart", um das der rassistischen Ideologie des Vereins entsprechend "richtige" Erbgut weiterzugeben. Menschen anderer Herkunft wurden dagegen herabgewürdigt.
Zweck der nun verbotenen Vereinigung war es, ihre rechtsextremistische Weltanschauung auszuleben und zu verfestigen. Dies erfolgte insbesondere durch die Weitergabe ihrer Ideologie an Kinder und Jugendliche mittels einschlägiger, zum Teil aus der NS-Zeit stammender und nur minimal abgewandelter Literatur. Durch das Betreiben eines vereinseigenen "Buchdienstes", einer Webseite und von Präsenzen in sozialen Medien wurden auch Nicht-Mitglieder mit rechtsextremistischem Gedankengut ideologisiert, radikalisiert und auch geworben.
Die "Artgemeinschaft" bildete auch die ideologische Grundlage weiterer rechtsextremer Organisationen wie der "Sturm-/Wolfsbrigade 44" und der "Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.", die bereits vom Bundesinnenministerium verboten wurden und deren ehemalige Mitglieder daraufhin zum Teil in der "Artgemeinschaft" aktiv geworden sind.
Das heutige Vereinsverbot untersagt jede Fortführung der Vereinsaktivität durch die bisherigen Mitglieder und jede Aktivität Dritter zugunsten des verbotenen Vereins. Verstöße hiergegen sind Straftaten nach § 20 Vereinsgesetz (bis zur Bestandskraft des Verbots) bzw. nach § 85 Strafgesetzbuch (ab Bestandskraft des Verbots).
https://www.bmi.bund.de/
Flugblatt-Affäre
: In eigener Sache
27.09.2023, 15:57 Uhr Lesezeit: 5 min
Freie-Wähler-Chef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nahm am 7. September an der Sondersitzung des bayerischen Landtags zur Flugblatt-Affäre teil. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images)
FW-Chef Hubert Aiwanger wirft der "Süddeutschen Zeitung" in einer Reihe von Interviews eine gezielte Kampagne gegen ihn vor und stellt falsche Mutmaßungen an. Die SZ fasst deshalb noch einmal die wesentlichen Fakten der Berichterstattung zusammen.
Von Katja Auer und Sebastian Beck
Am 25. August berichtete die Süddeutsche Zeitung über den Verdacht, Hubert Aiwanger habe als Schüler ein rechtsextremistisches Flugblatt verfasst und sei für seine rechtsextreme Gesinnung bekannt gewesen. Grundlage der Berichterstattung war die Aussage einer Vielzahl von Personen, darunter mehrere ehemalige Mitschüler. Aiwanger bestritt diese Vorwürfe zunächst pauschal und präsentierte sodann seinen Bruder Helmut als Verfasser des Flugblatts. Danach meldeten sich bei der SZ und anderen Medien weitere Personen, die ebenfalls mitteilten, dass der heutige Chef der Freien Wähler und bayerische Wirtschaftsminister während seiner Gymnasialzeit mit rechtsextremem Gedankengut aufgefallen sei.
In einer Reihe von Interviews hat Aiwanger zuletzt wiederholt zum Teil unwahre Behauptungen über die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung aufgestellt. Einer der mehrmals wiederholten Vorwürfe lautet, die SZ habe offenbar sehr lange eine Kampagne gegen ihn geplant, um ihn "abzuschießen". Höchstwahrscheinlich sei dies zusammen mit "politischen Mitwissern und Mitwirkenden" erfolgt. Die SZ habe schon seit 2008 von dem Flugblatt gewusst und mit der Veröffentlichung der Vorwürfe bis zum Beginn der Briefwahl gewartet. Das ist falsch.
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Von der Existenz des Flugblatts hat die SZ vielmehr erstmals am 2. August 2023 erfahren, als sich ein ehemaliger Lehrer über zwei vermittelnde Personen an die Bayernredaktion wandte. Daraufhin nahm die Redaktion Kontakt zu ihm auf. Wegen der Schwere der Vorwürfe und der möglichen Folgen einer Veröffentlichung startete die Redaktion eine umfangreiche Recherche. Unter anderem befragte sie in den folgenden Wochen ehemalige Mitschüler und Lehrer von Hubert Aiwanger am Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg. Mehrere Personen, die mit dem Fall im Schuljahr 1987/88 dienstlich befasst waren, teilten der SZ mit, dass bei Hubert Aiwanger ein oder mehrere antisemitische Flugblätter in der Tasche gefunden worden seien. Er habe als Verfasser des Flugblatts überführt gegolten und sei vom Disziplinarausschuss deswegen zu einer Strafe verurteilt worden.
Die Berichterstattung stützt sich keineswegs nur auf einen einzelnen Informanten, sondern auf die Aussagen einer Reihe von Informanten, mit denen die SZ ausführlich gesprochen hat und die ihr namentlich bekannt sind. Der SZ liegen eidesstattliche Versicherungen von Informanten vor. In der Berichterstattung wurden auch Aussagen von Personen aus der gemeinsamen Schulzeit angeführt, die Aiwanger entlasten. Weil etliche Personen, mit denen die SZ gesprochen hat, Konsequenzen befürchteten - entweder dienstrechtlicher oder gesellschaftlicher Art -, wurden ihre Namen nicht veröffentlicht. Dieser Schutz von Informanten ist für die Freiheit der Presse unerlässlich und aus Artikel 5 des Grundgesetzes abgeleitet.
Außer der Süddeutschen Zeitung haben auch andere Medien, darunter der Spiegel, zum Flugblatt recherchiert. Dass andere Medien von einer Veröffentlichung der Vorwürfe bewusst abgesehen hätten, weil sie hierfür nicht genügend Anhaltspunkte sahen, liegt fern; die SZ hatte ihre Recherche nur früher abgeschlossen. Das bestätigte auch Anna Clauß, Bayern-Korrespondentin und Leiterin des Ressorts "Meinung und Debatte" beim Spiegel im Deutschlandfunk: "Kurz gesagt, wir waren einfach mit der Recherche noch nicht so weit. Die SZ war schneller, die SZ hatte die entsprechenden Belege."
Einer der Informanten glaubte sich zu erinnern, dass bereits 2008 ein Journalist der SZ wegen Aiwanger bei ihm angerufen habe. Die Bayernredaktion ging dem Hinweis schon aus eigenem Interesse nach. Ein ehemaliger Kollege, der dafür infrage kam, konnte sich aber an kein Telefonat mit dem Informanten erinnern. Weder gab es 2008 eine Berichterstattung noch war die SZ - wie Aiwanger fälschlicherweise mutmaßt - seit damals über das Flugblatt informiert. Der Termin der Veröffentlichung in der SZ am 26. August hat mit dem Beginn der Briefwahl in Bayern nichts zu tun. Der erste Informant beschloss nach Aiwangers umstrittenem Auftritt in Erding am 10. Juni, sich mit dem Flugblatt an die Öffentlichkeit zu wenden. Die SZ veröffentlichte die Recherche zu dem Zeitpunkt, als die Erkenntnisse zu den Vorwürfen so weit recherchiert waren, dass sie publiziert werden konnten. Die Relevanz und das öffentliche Interesse waren angesichts der Position von Hubert Aiwanger und der Schwere der Vorwürfe ebenfalls gegeben.
Die "Süddeutsche Zeitung" konfrontierte Aiwanger dreimal schriftlich mit Fragen
In seinen Interviews wirft Aiwanger der SZ vor, sie habe gegen die Regeln der journalistischen Verdachtsberichterstattung und Sorgfaltspflicht verstoßen. So sei er, was angeblich "nicht erlaubt" sei, immer wieder mit neuen Vorwürfen konfrontiert worden, die ihm "jeweils schleierhaft" vorgekommen seien. Er habe gleich gesagt, dass er nicht der Urheber des Flugblatts gewesen sei. Das habe die SZ aber nicht interessiert. Auch durch ein anderes Verhalten, so Aiwanger, hätte er eine Veröffentlichung der SZ nicht ernsthaft verhindern können. Das ist falsch.
Die Süddeutsche Zeitung konfrontierte Aiwanger im Zuge der Recherchen vor der Veröffentlichung dreimal schriftlich mit Fragen. Vor der Veröffentlichung machte sie ihm überdies Angebote zu persönlichen Gesprächen über den Sachverhalt. Im Rahmen der Sorgfaltspflicht konfrontierte die SZ Aiwanger auch in den Tagen nach der ersten Veröffentlichung mehrmals mit neuen Vorwürfen, was nicht nur erlaubt, sondern auch geboten und erforderlich ist, und ersuchte ihn um Stellungnahmen, die er schließlich pauschal ablehnte.
Auf die erste Anfrage am 17. August reagierte Aiwanger nur allgemein. Er ließ von einem Sprecher pauschal alles zurückweisen und mit juristischen Konsequenzen drohen. In einer zweiten Mail am 20. August fragte die SZ nach Details: Ob und weswegen sich Aiwanger vor dem Disziplinarausschuss verantworten musste, ob er das Flugblatt verfasst und ausgelegt habe, ob es in seinem Schulranzen gefunden wurde. Insgesamt acht Fragen, auf die er detailliert hätte antworten können. Stattdessen ließ er einen Sprecher schreiben, "dass Hubert Aiwanger so etwas nicht produziert hat, die Behauptungen zu seiner Schulzeit vor über 35 Jahren zurückweist und gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung juristische Schritte inklusive Schadenersatzforderungen ankündigt".
Einen Tag vor der Veröffentlichung, am 24. August, schickte die SZ eine dritte Anfrage an Aiwanger. Darin wurde er mit den Aussagen von Mitschülern konfrontiert, dass er Hitler-Reden einstudiert und damit geprahlt haben soll, Hitlers "Mein Kampf" gelesen zu haben. Außerdem wiederholte die SZ das Angebot zu einem persönlichen oder telefonischen Gespräch. Darauf gab es keine Antwort. Vom Bruder als Verfasser war keine Rede. Dieser meldete sich am Tag nach der Veröffentlichung als angeblicher Verfasser in der Passauer Neuen Presse zu Wort. An diesem Tag räumte Hubert Aiwanger ein, dass das Flugblatt seinerzeit in seiner Tasche gefunden und er deswegen bestraft worden ist. Ob er es auch verteilt habe, daran könne er sich nicht erinnern.
Hätte Aiwanger bereits vor der Veröffentlichung mit der SZ über die Vorwürfe gegen ihn gesprochen, hätte dies selbstverständlich Auswirkungen auf die Berichterstattung gehabt. Seine Erklärungen und Antworten wären in die Berichterstattung eingeflossen.
Aiwanger behauptet, dass "das Vertrauen in den Schutzraum Schule durch das offenbar gesetzwidrige Verhalten des Lehrers schwer erschüttert" worden sei. Viele Eltern befürchteten jetzt, dass etwaige Fehltritte auch ihrer Kinder aus Schulzeiten eventuell Jahre später in den Medien landen könnten. Auch dieser an die SZ gerichtete Vorwurf ist fehlgeleitet. Die Süddeutsche Zeitung hat vor ihrer Veröffentlichung des Flugblatts den Schutz der Persönlichkeitsrechte Aiwangers gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit abgewogen. Die SZ stützt sich auf ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach bei Personen, die eine hervorgehobene öffentliche Position einnehmen, auch bis weit in die Vergangenheit hinein ein berechtigtes öffentliches Interesse an ihrem persönlichen oder politischen Werdegang anzuerkennen sei. Das ist bei Hubert Aiwanger der Fall.
Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns in seiner Jugend eine rechtsextreme Gesinnung vertreten haben sollte, darf das auch öffentlich gemacht und diskutiert werden. Aiwanger hatte von der SZ wiederholt die Möglichkeit erhalten, sich zu den Vorwürfen zu äußern und sie zu entkräften. Er hat sie ungenutzt gelassen.
https://www.sueddeutsche.de/
Nordrhein-Westfalen
Studie: Rechtsextreme Einstellungen nehmen deutlich zu
Stand: 21.09.2023 13:38 Uhr
Rechtsextreme Positionen haben in Deutschland seit 2021 stark zugenommen. Das besagt eine Studie von Forschern der Uni Bielefeld. Was die Ergebnisse bedeuten.In der deutschen Bevölkerung steigt die Zahl jener, die rechtsextreme Einstellungen befürworten. Zu diesem Ergebnis kommt die so genannte Mitte-Studie, die heute veröffentlicht wurde. Darin werden alle zwei Jahre im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft abgefragt.
Player: videoStudie zur politischen Haltung in der Mitte der Gesellschaft
Rechtsextremismus | Michael Reichel/picture alliance/dpa
Studie zur politischen Haltung in der Mitte der Gesellschaft
Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?Die mehr als 400 Seiten starke Untersuchung, die von Forscherinnen und Forschern der Universität Bielefeld koordiniert wird, enthält viele verschiedene Ergebnissen. Hier die wichtigsten im Überblick:
Aktuell hat demnach jeder zwölfte Erwachsene ein rechtsextremes Weltbild. Das sind 8 Prozent der Befragten, und damit ist dieser Wert im Vergleich zu den Vorjahren - 2 bis 3 Prozent - erheblich angestiegen.
Mittlerweile befürworten mehr als 6 Prozent eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland (2014-2021: 2 bis 4 Prozent).
Während sich aktuell 15,5 Prozent der Bevölkerung selbst rechts der Mitte sehen, waren es zuvor zurückliegenden Befragung lediglich knapp 10 Prozent.
Mehr als verdoppelt hat sich der Anteil derjenigen, die politische Gewalt billigen. Laut Studie liegt er aktuell bei 13,2 Prozent. Vor zwei Jahren vertraten 5,3 Prozent der Befragten diese Auffassung.
In der Studie heißt es zusammenfassend: Rechtsextreme Einstellungen seien stark angestiegen und weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt.
Ein Teil der Mitte distanziert sich von der Demokratie, ein Teil radikalisiert sich.
Mitte-Studie 2022/23Gibt es gesonderte Zahlen für NRW?Nein, nach Bundesländern wurde bei der Studie nicht unterschieden. Sie basiert auf einer repräsentativen Telefonumfrage mit 2.027 Menschen im Zeitraum vom 2. Januar bis 28. Februar dieses Jahres.Was gilt als rechtsextremes Weltbild?Es gibt unterschiedliche Definitionen von Rechtsextremismus - in der Wissenschaft, in der Umgangssprache und beim Verfassungsschutz. Die Autorinnen und Autoren der Mitte-Studie definieren als zentrales Merkmal des Rechtsextremismus "eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Gewalt beziehungsweise die Billigung von Gewalt zur Durchsetzung der Ideologie".Allerdings ist man nach Angaben der Autoren nicht automatisch "rechts", wenn man einzelnen Aussagen während der Befragung zustimmt. Maßgeblich seien die Zusammenhänge "und einem daraus resultierenden Muster der Antworten".Welche Fragen wurden gestellt?Bei der Telefonumfrage wurde den Befragten verschiedene Aussagen zur Beurteilung vorgelegt. Um die Einstellung zum Antisemitismus zu erfahren, wurde zum Beispiel gefragt: "Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß." Oder zur Fremdenfeindlichkeit: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen."Die Befragten hatten fünf Möglichkeiten, solche Aussagen zu kommentieren. Die Skala reichte dabei von "... lehne völlig ab" über "teils/teils" bis zu "... stimme voll und ganz zu".Wie kommen rechtsextreme Einstellungen zustande?"Menschen, die solche Tendenzen haben, entscheiden nicht nach abstrakten Kategorien: 'Ich will rechts sein'", sagte Philosophie-Professor Martin Booms von der Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn am Donnerstag im WDR.Menschen entscheiden sich nach seiner Einschätzung vielmehr nach ihren konkreten Wahrnehmungen: "Was sie fühlen, in welchem Zustand sich die Gesellschaft befindet, nach ihren Bedürfnissen, auch nach ihren konkreten Ängsten. Selbst wenn das nur gefühlte Ängste sind."Moralische Appelle helfen deshalb aus Booms' Sicht nicht. "Ich muss mir anschauen, was treibt denn Leute in so eine Richtung: 'Das alte Gesellschaftsmodell funktioniert nicht mehr, dann machen wir es eben mit einem neuen, einem totalitären."Es gehe jetzt um eine schonungslose Selbstanalyse der gesellschaftlichen Mitte: "Wir haben so gelebt, als würde alles so weiterlaufen." Das gehe jetzt nicht mehr angesichts von geopolitischen Veränderungen und ökologischer Krise. "Wir müssen die Angst davor verlieren, uns zu bewegen und auch bereit zu sein zu Veränderungen in der Gesellschaft." Nur so könne den Angeboten der Rechtspopulisten etwas entgegengesetzt werden.
Player: audioPhilosophie-Professor Martin Booms zur Mitte-Studie 2022/23Rechtsextremismus | Michael Reichel/picture alliance/dpa
Philosophie-Professor Martin Booms zur Mitte-Studie 2022/23
00:0006:04
Unsere Quellen:
Interview mit Professor Martin Booms im WDR 5 Morgenecho
dpa
AFP
epd
Westdeutscher Rundfunk
Quelle: WDR
https://www.tagesschau.de/
Gründer von Heckler & Koch waren in Nazi-Zeiten Mitläufer
AKTUALISIERT AM 19.09.2023-16:52
Die Firmengründer der Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K) sind in Nazi-Zeiten einer Studie zufolge Mitläufer gewesen. Drei Historiker der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) stellten in Oberndorf die Studie «Waffeningenieure im Zwielicht» vor, die im kommenden Jahr veröffentlicht werden soll. «Edmund Heckler war ein Opportunist, der sich mit seinem Fachwissen in den Dienst der Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft stellte», heißt es darin. Ein aktiver Nazi sei er aber nicht gewesen.
Vor knapp drei Jahren hatte ein Zeitungsartikel mit schweren Vorwürfen für Aufsehen gesorgt. Daraufhin erteilte das Unternehmen einen Auftrag an die renommierte Forschungseinrichtung, die schon zahlreiche andere Firmen auf ihre Nazi-Vergangenheit durchleuchtet hatte. Zu Beginn der Studienvorstellung betonte H&K-Chef Jens Bodo Koch, sein Unternehmen stehe für Transparenz und Offenheit. Die Vorwürfe hätten schwer gewogen, man habe aber schnell reagiert.
Die deutsche Industrie war tief in die Nazi-Verbrechen verstrickt. Zahlreiche Firmen haben ihre durch den Einsatz von Zwangsarbeitern belastete Vergangenheit von Historikern längst aufarbeiten lassen, ob Daimler, BASF oder Bayer. Heckler & Koch ist hierbei ein Sonderfall, da die Firmengründung erst 1949, also in Zeiten der Bundesrepublik, erfolgte. Mit der Frage, was ihre Gründer davor getan hatten, beschäftigte sich die Firma jahrzehntelang nicht. Eine bildlastige Firmenchronik, die zum 50-jährigen Bestehen 1999 erschien, ging darauf nicht kritisch ein.
Anfänge bei den Mauser-Werken und bei Hasag
In der Studie geht es um die drei Gründer Edmund Heckler, Theodor Koch und Alexius Seidel: Alle drei hatten bei den Mauser-Werken gearbeitet, die gewissermaßen ein Vorläufer von Heckler & Koch waren. Heckler war in den 30ern allerdings zum Munitionshersteller Hasag gewechselt, wo ein glühender Nazi auf dem Chefposten saß und immer mehr NSDAP-Parteigenossen und SS-Mitglieder um sich scharte.
Zu dieser Nazi-Schar gehörte der Schwabe zunächst nicht: Unter den 38 Prokuristen der Hasag war Heckler der Studie zufolge einer der letzten, der in die NSDAP eintrat - das tat er Ende 1939. Kurz danach wurde er Leiter eines Kartuschenwerks im sächsischen Taucha.
Heckler laut Studie an Verbrechen in Polen nicht beteiligt
Nach Beginn des deutschen Angriffskriegs am 1. September 1939 war eine etwa 100-köpfige Kommission der Hasag noch im selben Monat nach Polen gereist, um polnische Munitionswerke zu inspizieren und dann zu übernehmen. Eines der Werke wurde zur «Hölle von Kamienna», wie es der Historiker Rainer Karlsch formulierte. Etwa 20.000 Menschen kamen dort bis 1944 ums Leben. Es drängt sich die Frage auf, ob Heckler bei den in Polen begangenen Verbrechen seines damaligen Arbeitgebers, der Hasag, involviert war.
Nein, sagen die Historiker. «An den Verbrechen der Hasag in den polnischen Werken ist er nicht beteiligt», so Karlsch. Heckler sei 1939 nur für zwei Wochen in Polen gewesen - «und dann nie wieder». Verbrechen der Hasag hat es aber auch in Taucha gegeben - also in der Stadt, wo der Ingenieur Heckler tätig war. Bei diesen Verbrechen ging es Zeugenaussagen zufolge um ein Panzerfaustwerk, was erst im Herbst 1944 aus dem Boden gestampft wurde - dort wurden KZ-Häftlinge besonders schlimm behandelt.
In dem direkt daneben gelegenen Kartuschenwerk waren die Zustände vermutlich weniger schlimm. Das schlussfolgern die Wissenschaftler aus der Tatsache, dass Überlebende ihr Leid im Panzerfaustwerk geschildert haben - solche Berichte über die Kartuschenfabrik gibt es nicht. Makaber ist ein Brief, der von einem führenden Hasag-Mitarbeiter kurz nach Kriegsende an den Bürgermeister von Taucha geschrieben wurde. Darin lehnt der Manager es ab, dass seine Firma sich um 50 noch in Taucha befindliche ehemalige KZ-Häftlinge kümmert - diese Menschen befanden sich in einem erbärmlichen Zustand und wurden nicht versorgt.
Heckler wiederum überbrachte besagten Brief, der die kalte Absage enthielt. Historiker Karlsch betont, dass Heckler nicht Verfasser des Briefes gewesen sei. «Wie er sich persönlich zu dem Elend verhält, das wissen wir nicht.»
Friedensaktivist warnt vor Verharmlosung
H&K-Gründer Theodor Koch war ein Fördermitglied der SS, er unterstützte die nationalsozialistische Organisation finanziell. Er sei aber «kein engagierter Nationalsozialist» gewesen, sagte Studienautorin Stefanie van de Kerkhof. Möglicherweise stand die SS-Fördermitgliedschaft auch in einem Zusammenhang mit einem Streit Kochs mit einem NSDAP-Ortsgruppenleiter, der kurz vor der Fördermitgliedschaft aktenkundig wurde - also gewissermaßen als Beschwichtigung diente. Auch den dritten Gründer, Alexius Seidel, sehen die Wissenschaftler nicht als aktiven Nazi.
Der langjährige Firmenkritiker und Friedensaktivist Jürgen Grässlin bewertete es positiv, dass die Studie neue Erkenntnisse zu Tage gebracht habe. Er warnte aber davor, die Rolle von Heckler und Koch als kleine Zahnräder in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zu verharmlosen. «Ohne die bestens funktionierenden Zahnräder in der Rüstungsindustrie hätte der Massenmord der Nationalsozialisten mit den Rüstungsgütern nicht ausgeübt werden können.» Grässlin untermauerte seine Forderung nach einer Umbenennung der Firma.
Quelle: dpa
https://www.faz.net/
STUDIE
Gründer von Heckler & Koch waren in Nazizeiten Mitläufer
19.09.2023 | Quelle: dpa
Eingang der Firmenzentrale des Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf (Baden-Württemberg).
Bild: dpa
Die Firmengründer der Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K) sind in Nazi-Zeiten einer Studie zufolge Mitläufer gewesen. Drei Historiker der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) stellten in Oberndorf die Studie „Waffeningenieure im Zwielicht” vor, die im kommenden Jahr veröffentlicht werden soll.
„Edmund Heckler war ein Opportunist, der sich mit seinem Fachwissen in den Dienst der Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft stellte”, heißt es darin. Ein aktiver Nazi sei er aber nicht gewesen.
Vor knapp drei Jahren hatte ein Zeitungsartikel mit schweren Vorwürfen für Aufsehen gesorgt. Daraufhin erteilte das Unternehmen einen Auftrag an die renommierte Forschungseinrichtung, die schon zahlreiche andere Firmen auf ihre Nazi-Vergangenheit durchleuchtet hatte. Zu Beginn der Studienvorstellung betonte H&K-Chef Jens Bodo Koch, sein Unternehmen stehe für Transparenz und Offenheit. Die Vorwürfe hätten schwer gewogen, man habe aber schnell reagiert.
Deutsche Industrie tief in Nazi-Verbrechen verstrickt
Die deutsche Industrie war tief in die Nazi-Verbrechen verstrickt. Zahlreiche Firmen haben ihre durch den Einsatz von Zwangsarbeitern belastete Vergangenheit von Historikern längst aufarbeiten lassen, ob Daimler, BASF oder Bayer. Heckler & Koch ist hierbei ein Sonderfall, da die Firmengründung erst 1949, also in Zeiten der Bundesrepublik, erfolgte. Mit der Frage, was ihre Gründer davor getan hatten, beschäftigte sich die Firma jahrzehntelang nicht. Eine bildlastige Firmenchronik, die zum 50-jährigen Bestehen 1999 erschien, ging darauf nicht kritisch ein.
In der Studie geht es um die drei Gründer Edmund Heckler, Theodor Koch und Alexius Seidel: Alle drei hatten bei den Mauser-Werken gearbeitet, die gewissermaßen ein Vorläufer von Heckler & Koch waren. Heckler war in den 30ern allerdings zum Munitionshersteller Hasag gewechselt, wo ein glühender Nazi auf dem Chefposten saß und immer mehr NSDAP-Parteigenossen und SS-Mitglieder um sich scharte.
Zu dieser Nazi-Schar gehörte der Schwabe zunächst nicht: Unter den 38 Prokuristen der Hasag war Heckler der Studie zufolge einer der letzten, der in die NSDAP eintrat - das tat er Ende 1939. Kurz danach wurde er Leiter eines Kartuschenwerks im sächsischen Taucha.
Nach Beginn des deutschen Angriffskriegs am 1. September 1939 war eine etwa 100-köpfige Kommission der Hasag noch im selben Monat nach Polen gereist, um polnische Munitionswerke zu inspizieren und dann zu übernehmen. Eines der Werke wurde zur „Hölle von Kamienna”, wie es der Historiker Rainer Karlsch formulierte. Etwa 20.000 Menschen kamen dort bis 1944 ums Leben. Es drängt sich die Frage auf, ob Heckler bei den in Polen begangenen Verbrechen seines damaligen Arbeitgebers, der Hasag, involviert war.
Nein, sagen die Historiker. „An den Verbrechen der Hasag in den polnischen Werken ist er nicht beteiligt”, so Karlsch. Heckler sei 1939 nur für zwei Wochen in Polen gewesen - „und dann nie wieder”. Verbrechen der Hasag hat es aber auch in Taucha gegeben - also in der Stadt, wo der Ingenieur Heckler tätig war. Bei diesen Verbrechen ging es Zeugenaussagen zufolge um ein Panzerfaustwerk, was erst im Herbst 1944 aus dem Boden gestampft wurde - dort wurden KZ-Häftlinge besonders schlimm behandelt.
In dem direkt daneben gelegenen Kartuschenwerk waren die Zustände vermutlich weniger schlimm. Das schlussfolgern die Wissenschaftler aus der Tatsache, dass Überlebende ihr Leid im Panzerfaustwerk geschildert haben - solche Berichte über die Kartuschenfabrik gibt es nicht. Makaber ist ein Brief, der von einem führenden Hasag-Mitarbeiter kurz nach Kriegsende an den Bürgermeister von Taucha geschrieben wurde. Darin lehnt der Manager es ab, dass seine Firma sich um 50 noch in Taucha befindliche ehemalige KZ-Häftlinge kümmert - diese Menschen befanden sich in einem erbärmlichen Zustand und wurden nicht versorgt.
Heckler wiederum überbrachte besagten Brief, der die kalte Absage enthielt. Historiker Karlsch betont, dass Heckler nicht Verfasser des Briefes gewesen sei. „Wie er sich persönlich zu dem Elend verhält, das wissen wir nicht.”
Koch war Fördermitglied der SS
H&K-Gründer Theodor Koch war ein Fördermitglied der SS, er unterstützte die nationalsozialistische Organisation finanziell. Er sei aber „kein engagierter Nationalsozialist” gewesen, sagte Studienautorin Stefanie van de Kerkhof. Möglicherweise stand die SS-Fördermitgliedschaft auch in einem Zusammenhang mit einem Streit Kochs mit einem NSDAP-Ortsgruppenleiter, der kurz vor der Fördermitgliedschaft aktenkundig wurde - also gewissermaßen als Beschwichtigung diente. Auch den dritten Gründer, Alexius Seidel, sehen die Wissenschaftler nicht als aktiven Nazi.
Der langjährige Firmenkritiker und Friedensaktivist Jürgen Grässlin bewertete es positiv, dass die Studie neue Erkenntnisse zu Tage gebracht habe. Er warnte aber davor, die Rolle von Heckler und Koch als kleine Zahnräder in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zu verharmlosen. „Ohne die bestens funktionierenden Zahnräder in der Rüstungsindustrie hätte der Massenmord der Nationalsozialisten mit den Rüstungsgütern nicht ausgeübt werden können.” Grässlin untermauerte seine Forderung nach einer Umbenennung der Firma.
dpa
https://www.wiwo.de/
„Einzigartiger Fall“ im Vatikan: Papst Pius XII. wusste offenbar früher von Holocaust-Plänen der Nazis
Stand:18.09.2023, 13:00 Uhr
Von: Mark Stoffers
Offenbar wusste der Vatikan unter der Ägide von Papst Pius XII. doch mehr über die Versuche der Nazis, die Juden im Holocaust auszulöschen. Dies geht aus einem Brief hervor.
Rom – Neue Enthüllungen aus dem Vatikan zum Wissensstand von Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs: Offenbar kannte der damalige Pontifex bereits 1942 Einzelheiten über den Versuch der Nazis, die Juden im Holocaust zu vernichten. Dies geht aus einem Brief hervor, der in den vatikanischen Archiven aufgetaucht ist. Der Inhalt steht im Widerspruch zur offiziellen Position des Heiligen Stuhls zu jener Zeit, wonach die ihm vorliegenden Informationen vage und ungeprüft waren.
Papst Pius XII. im Zweiten Weltkrieg: Brief aus Deutschland informierte den Vatikan früher als bisher bekannt
Der vergilbte, mit Schreibmaschine geschriebene Brief, der am Sonntag (17. September) in der italienischen Zeitung Corriere della Sera abgedruckt wurde, ist von großer Bedeutung. Schließlich hat den Brief ein interner Archivar des Vatikans entdeckt und mit der Ermutigung von Beamten des Heiligen Stuhls veröffentlicht.
Der Brief, der auf den 14. Dezember 1942 datiert ist, wurde von Pater Lother Koenig, einem Jesuiten, der im antinazistischen Widerstand in Deutschland tätig war, geschrieben. Der Adressat war der persönliche Sekretär des Papstes im Vatikan, der deutsche Pater Robert Leiber.
Die Päpste: Franziskus und seine Vorgänger des 20. Jahrhunderts
Franziskus (geboren 1936 in Buenos Aires) ist seit dem 13. März 2013 der 266. Bischof von Rom und damit Papst, Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und Souverän des Vatikanstaats. Jorge Mario Bergoglio wählte Franziskus als seinen päpstlichen Namen zu Ehren des Heiligen Franz von Assisi. Als Argentinier ist er der erste gebürtige Nichteuropäer im Papstamt seit dem im 8. Jahrhundert amtierenden Gregor III. Zudem ist er der erste Papst, der dem Orden der Jesuiten angehört. Franziskus ist bekannt für seine Demut, seine Betonung der Barmherzigkeit Gottes, seine internationale Sichtbarkeit als Papst, seine Sorge um die Armen und sein Engagement für den interreligiösen Dialog.
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Brief an den Vatikan von „enormer Bedeutung“: Papst Pius XII. wusste offenbar von „SS-Öfen“
Der Archivar des Vatikans, Giovanni Coco, erklärte gegenüber dem Corriere, der Brief sei von „enormer Bedeutung, ein einzigartiger Fall“, da er zeige, dass der Vatikan Informationen darüber hatte, dass Arbeitslager in Wirklichkeit Todesfabriken waren. In dem Brief berichtet Koenig Leiber, dass Quellen bestätigt hätten, dass im Lager Belzec bei Rava-Ruska, das damals zum deutsch besetzten Polen gehörte und heute in der Westukraine liegt, täglich etwa 6000 Polen und Juden in „SS-Öfen“ getötet wurden.
„Die Neuheit und Bedeutung dieses Dokuments ergibt sich aus einer Tatsache: Wir haben jetzt die Gewissheit, dass die katholische Kirche in Deutschland Pius XII. genaue und detaillierte Nachrichten über die Verbrechen an den Juden geschickt hat“, sagte Coco zur Corriere della Sera.
Neue Enthüllungen im Vatikan: Papst Pius XII. hatte weitere Quellen zu den Holocaust-Plänen der Nazis
In dem Artikel „Pius XII. wusste Bescheid“, kommt die zentrale Frage auf, ob der Brief genau dieses zeige? „Ja, und nicht nur von damals“, antwortet Coco dem Corriere. Der Brief nahm darüber hinaus auch Bezug auf zwei andere Konzentrationslager der Nazis – Auschwitz und Dachau – und deutete außerdem darauf hin, dass es weitere Briefe zwischen Koenig und Leiber gab, die entweder verloren gegangen sind oder noch nicht gefunden wurden.
https://www.merkur.de/
Wegen Aiwanger-Bild auf der Wiesn: OB Reiter rüffelt grüne IT-Referentin
Wegen eines Post der sich gegen Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger richtete, gibt es jetzt Streit im Rathaus.
18.09.2023 - 18:32 Uhr | Christina Hertel
Nach dem Post von IT-Referentin Laura Dornheim hat Münchens OB Dieter Reiter klare Worte gefunden. © Sven Hoppe/dpa
München - "Brauche einen 'Nazis raus' Button fürs Dirndl." Diesen Spruch mit einem Selfie von sich selbst und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Hintergrund postete Laura Dornheim am Samstag nach dem Anstich auf Instagram.
Der Post in Laura Dornheims Instagram-Story. © Instagram-Screenshot: lsdornheim
Wäre Dornheim eine Privatperson – vielleicht wäre dieses Bild in den Tiefen des Internets versickert. Doch Dornheim ist nicht nur Grünen-Politikerin, sondern als IT-Referentin eine Beamtin der Stadt. Außerdem ist das Oktoberfest politikfreie Zone. Sogar die Festordnung verbietet Werbeaktivitäten, "zu denen auch politische Positionierungen zählen".
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Münchens OB Reiter: "Wiesn sollte politikfreie Zone bleiben"
Dornheim handelte sich deshalb noch am Wochenende einen Rüffel von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ein – und auch am Montag ist der Ärger noch nicht verflogen. "Auch für Referent*innen gilt, dass die Wiesn eine politikfreie Zone ist", teilte der OB mit. Dornheim ließ sich nicht beirren, sie ließ ihren Post online. "Ich wäre froh, wenn alle gewählten Politikerinnen und Politiker sich bei 'Nazis raus' einig sind", zitierte die "Süddeutsche Zeitung" Dornheim.
IT-Referentin Laura Dornheim tanzte als Erste oben in der Ratsboxe. © Daniel von Loeper
Reiter hat das nicht besänftigt: "Ich brauche definitiv keine Ratschläge zum Thema Demokratie oder zum Umgang mit Nazis. Außerdem bleibt es dabei, dass die Wiesn eine politikfreie Zone bleiben sollte", sagte er am Montag. Dornheim beschwichtigt: "Die Wiesn ist kein Ort für den Wahlkampf, das finde ich absolut richtig. Eine klare Abgrenzung zu Rechtsextremismus ist auch kein parteipolitisches Statement, sondern zum Glück immer noch demokratischer Konsens."
Söder mit Wahlkampf beim Oktoberfest-Anstich
So ganz ohne Wahlkampf kam die Wiesn an anderer Stelle nicht aus. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) machte Werbung dafür, dass die geringe Mehrwertsteuer in der Gastro erhalten bleiben muss.
https://www.abendzeitung-muenchen.de/
Vatikan-Archiv: Brief soll belegen, dass Pius XII. von Judenvernichtung in deutschen Lagern wusste
Ein in den Archiven des Vatikan entdeckter Brief soll belegen, dass Papst Pius XII. Kenntnis von der massenhaften Judenvernichtung während der Zeit der Nationalsozialisten hatte.
16.09.2023
Undatiertes Foto von Papst Pius XII. (dpa / picture alliance / Files)
Wie die italienische Zeitung „Corriere della Sera“ berichtet, handelt es sich um ein Schreiben von einem deutschen Jesuiten an den Privatsekretär des Papstes im Dezember 1942. Darin berichte der Geistliche von den deutschen Vernichtungslagern Auschwitz und Belzec, in denen täglich tausende Menschen sterben würden. Der Umgang des Vatikan mit dem Holocaust ist Thema zahlreicher Forschungen. Kritiker werfen Pius XII. vor, von den Gräueltaten der Nazis gewusst und geschwiegen zu haben. Andere weisen darauf hin, dass die Katholische Kirche Tausenden Juden unter anderem durch Verstecke in Klöstern das Leben gerettet habe. Die Archive des Vatikan aus der besagten Zeit sind erst seit wenigen Jahren für unabhängige Forscher zugänglich.
Diese Nachricht wurde am 16.09.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.
https://www.deutschlandfunk.de/
KZ-Gedenkstätten weisen AfD aus: Zentralrat besorgt
15.09.2023
Mehrere KZ-Gedenkstätten lehnen jegliche Zusammenarbeit mit AfD-Politikern ab. Das berichtet die "Welt" unter Berufung auf eine Abfrage bei den Gedenkstätten Dachau, Mittelbau-Dora, Buchenwald, Bergen-Belsen und Neuengamme.
KZ-Gedenkstätte Dachau / © Jörg Koch ( KNA )
"Wir nehmen keine Anmeldungen der AfD an, ob nun der Partei oder der Fraktion im Landtag", sagt Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen der Zeitung. Für Angehörige von NS-Opfern und Überlebende sei es "nicht vorstellbar, gemeinsam mit AfD-Vertretern auf dem Friedhof zu stehen, wo die KZ-Opfer begraben sind"
KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen / © Holger Hollemann ( dpa )
Der Leiter der Hamburger Gedenkstätte Neuengamme, Oliver von Wrochem, betonte, dass AfD-Politiker in der Gedenkstätte nicht erwünscht seien. Auch in der Gedenkstätte Buchenwald ist es laut deren Sprecher Rikola-Gunnar Lüttgenau Vertretern der Partei nicht möglich, an Veranstaltungen teilzunehmen.
Vom Hausrecht Gebrauch machen
Die Sprecherin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Verena Bierl, erklärte gegenüber "Welt" man behalte sich vor, vom Hausrecht Gebrauch zu machen "und Personen, Parteien oder Organisationen, die durch antidemokratische, rassistische, antisemitische oder andere, dem Stiftungszweck widersprechende Äußerungen in Erscheinung getreten sind oder treten, den Zutritt zur Gedenkstätte zu verwehren oder sie von der Teilnahme an einer Veranstaltung auszuschließen".
Wachtturm an der Gedenkstätte Dachau / © Avantgarde Design (shutterstock)
Wachtturm an der Gedenkstätte Dachau / © Avantgarde Design ( shutterstock )
Vor der Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters von Nordhausen (Thüringen) am 24. September warnte am Donnerstag auch die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora vor einer Wahl des AfD-Kandidaten Jörg Prophet. Die Gedenkstättenleiterin Anett Dremel und der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, betonten, Prophet verbreite eine geschichtsrevisionistische Ideologie. Prophet hatte im ersten Wahlgang gut 42 Prozent der Stimmen und damit das mit Abstand beste Ergebnis erzielt.
Zentralrat der Juden besorgt
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland zeigte sich besorgt über die AfD. Wenn es um die Erinnerung an die Schoah gehe, zeigte sich in der Gesellschaft Tendenzen, die nach "Schlussstrichen" riefen, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der "Welt". "Die AfD ist daran in meinen Augen maßgeblich beteiligt, indem sie diese Stimmung bewusst anheizt, provoziert und durch Geschichtsklitterung versucht, die Gesellschaft zu spalten." Laut Schuster darf es "in diesen Fragen keine Gleichgültigkeit geben".
Zentralrat der Juden
Der Zentralrat der Juden ist die Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Unter seinem Dach sind 23 Landesverbände mit 108 Gemeinden und ihren rund 101.000 Mitgliedern organisiert. Der Rat wurde 1950 in Frankfurt am Main gegründet. Damals lebten noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust waren es bis zu 600.000.
https://www.domradio.de/
Aiwanger wirft „Süddeutscher Zeitung“ eine „politische Kampagne“ gegen seine Partei vor
15.09.2023, Stand: 16:02 Uhr | Lesedauer: 2 Minuten
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler
Quelle: Sven Hoppe/dpa-Pool/dpa
Hubert Aiwanger hat schwere Vorwürfe gegen die „Süddeutsche Zeitung“ erhoben, die als erstes über ein antisemitisches Flugblatt berichtet hatte, das in Aiwangers Ranzen gefunden wurde. „Die wollten die Freien Wähler rausdrängen und die Grünen ins Spiel bringen“, sagt Aiwanger.
Der wegen eines antisemitischen Flugblattes in die Kritik geratene bayerische Vizeregierungschef Hubert Aiwanger hat neue Vorwürfe gegen die Medien erhoben. Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) habe eine sehr lange vorbereitete politische Kampagne gegen seine Partei geplant, sagte Aiwanger der „Augsburger Allgemeinen“.
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CAUSA AIWANGER
„Dass die Leute dem zujubeln, das bedrückt mich schon“
„Die wollten die Freien Wähler rausdrängen und die Grünen ins Spiel bringen, um Fairness ging es da nicht“, sagte der Freie-Wähler-Chef. „Ich glaube, dass die ‚Süddeutsche‘ schon deutlich länger an der Geschichte dran ist als jetzt behauptet“, fügte der bayerische Wirtschaftsminister hinzu.
„Es gibt ja die bezeugte Aussage, dass ein Mitarbeiter aus der CSU-Landesleitung 2008 öffentlich gesagt hat, wir suchen Unterlagen vom Aiwanger aus der Schule, um den fertig zu machen.“ Und es gebe die Aussage, dass die ‚SZ‘ wohl damals schon bei Aiwangers früherem Lehrer, der laut Medien für die SPD kandidiert haben soll, angefragt hat, fügte er hinzu. „Das ist also nach meiner Einschätzung schon länger in der Schublade der ‚SZ‘ und wurde zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt platziert.“
„Jetzt erstmal die Wahl abwarten, aber Landwirtschaft ist uns schon sehr wichtig“
„Auch die SPD scheint ja schon länger informiert gewesen zu sein und gibt jetzt komischerweise keine Auskünfte dazu, obwohl sie noch vor wenigen Tagen bis hinauf zum Kanzler Scholz von mir volle Transparenz gefordert haben“, sagte Aiwanger weiter.
Seine Partei sieht er bei den Umfragewerten durch die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen gestärkt. „Die aktuelle Debatte wird noch mal zwei, drei Prozent gebracht haben, weil die Menschen sagen: Wir sehen das als Kampagne“, erklärte er. Bei einem entsprechenden Wahlergebnis will er ein viertes Ministeramt für die Freien Wähler fordern und der CSU das Landwirtschaftsministerium streitig machen. „Jetzt erstmal die Wahl abwarten, aber Landwirtschaft ist uns schon sehr wichtig. Da haben wir starke Wurzeln“, sagte er.
Durch einen SZ-Bericht war bekannt geworden, dass Aiwanger als Oberstufenschüler ein antisemitisches Flugblatt bei sich geführt hatte. Dieses soll von seinem Bruder verfasst worden sein. Zunächst hatte die Zeitung nahegelegt, das Flugblatt sei von Aiwanger verfasst worden.
Der damalige Sachverhalt und Aiwangers Umgang damit sorgten bundesweit für scharfe Kritik. So erklärte Aiwanger zu den Vorwürfen unter anderem, Fehler aus der Jugendzeit dürften einem Menschen nicht „für alle Ewigkeit angelastet werden“.
https://www.welt.de/
Verfassungswidrige NS-Parole
:Björn Höcke muss vor Gericht
13. 9. 2023, 15:22 Uhr
Das Landgericht Halle eröffnet ein Verfahren gegen den AfD-Politiker. Er hatte 2021 in einer Wahlkampfrede eine verbotene SA-Losung verwendet.
Björn Höcke hält eine Rede auf dem Marktplatz von Oranienburg und hebt dabei die Hand
Für Geschichtsrevisionismus bekannt: Rechtsextremist Björn Höcke (AfD)Foto: Britta Pedersen/dpa
BERLIN taz | Der Kopf des völkisch-nationalistischen Flügels der AfD, Björn Höcke, muss sich wegen der verbotenen SA-Losung „Alles für Deutschland“ einem Strafverfahren stellen. Am Mittwoch gab das Landgericht Halle bekannt, dass sie die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle von Mitte Mai zugelassen hat. Dem Rechtsextremisten aus Reihen der AfD droht nun eine Verurteilung vorm Amtsgericht Merseburg. Angeklagt wird Höcke wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach Paragraf 86a. Darauf steht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Höcke wird von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, dass „er gewusst habe, dass es sich bei dieser Formel um eine verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der NSDAP handelt“, wie es in einer Mitteilung des Gerichts heißt. Die SA gravierte den Spruch unter anderem auf Messer ein. Höcke verwendete die Losung am Ende einer Wahlkampfrede im Mai 2021 im sachsen-anhaltinischen Merseburg.
Eine Berufung auf Nichtwissen dürfte für Höcke dabei schwierig sein: Zum einen ist er Geschichtslehrer, äußert sich häufig revisionistisch und kokettiert immer wieder mit NS-Rhetorik. Zum anderen gab es bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den sächsischen AfD-Politiker und Ex-Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme, der die Losung 2017 auf einem AfD-Plakat verbreitet hatte. Das Verfahren gegen Oehme wurde eingestellt, weil dieser abstritt, gewusst zu haben, dass es sich um eine verbotene SA-Losung handele. Über diesen Fall wurde in den Medien breit berichtet.
Anders als von der Staatsanwaltschaft beantragt, wird das Hauptverfahren gegen Höcke allerdings nicht am Landgericht Halle stattfinden, sondern vor dem Amtsgericht Merseburg. Der Bekanntheitsgrad des Angeklagten allein sei nicht geeignet, dem Fall eine besondere Bedeutung zu verleihen, heißt es vom Gericht zur Begründung. Die Staatsanwaltschaft kann gegen den Beschluss Beschwerde einlegen.
Davon machte die Staatsanwaltschaft Halle noch am Mittwoch Gebrauch: Am Nachmittag teilte das Gericht auf taz-Anfrage mit, dass die Ermittlungsbehörde sofortige Beschwerde eingelegt hat. Nun muss das Oberlandesgericht Naumburg entscheiden, ob die Hauptverhandlung vorm Amtsgericht oder doch vorm Landgericht stattfinden soll. Insofern sei nicht absehbar, wann die Hauptverhandlung beginnen wird, hieß es vom Gericht. Zum Prozess erscheinen müsste Höcke sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landesgericht.
Genauso strafbar wie Hitlergruß
Abseits von Zuständigkeiten scheint der Fall juristisch nicht allzu kompliziert: Strafrechtler hatten sich bereits gewundert, warum es so lange dauerte, bis es zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft Halle kam. „Der strafrechtlich relevante Sachverhalt ist weder komplex noch ist die Rechtslage schwierig“, sagte etwa der Strafrechter Mohamad El-Ghazi der taz. Die Verbreitung und öffentliche Verwendung dieser Losung sei genauso strafbar wie der Hitlergruß oder die Verbreitung anderer bekannte Naziparolen. Höcke widerspricht nach Angaben der Staatsanwaltschaft der strafrechtlichen Relevanz seiner Äußerung.
Es ist nicht die einzige Anklage, die Höcke droht: Anfang September wurde Höckes Immunität erneut aufgehoben, weil die Staatsanwaltschaft Mühlhausen wegen Volksverhetzung gegen ihn ermittelt. Anlass dafür sollen rassistische Telegram-Beiträge sein. Höcke gibt sich unbeeindruckt. Kürzlich brüstete er sich gar damit, dass seine Immunität bereits sieben Mal aufgehoben worden sei. Er sprach vom „Verdacht auf Falschmeinung“ und einer „Justizkeule gegen Dissidenten“.
Die AfD tritt auch in Sachen Geschichtspolitik immer offener rechtsextrem auf: Letzten Sonntag äußerte sich die Bundesvorsitzende Alice Weidel revisionistisch, in dem sie den Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 als „Tag der Niederlage des eigenen Landes“ bezeichnete, den sie nicht mit „einer ehemaligen Besatzungmacht“ feiern wolle. Ihre Aussage bezog sich auf einen auch in der AfD umstrittenen Besuch ihres Co-Chefs Tino Chrupalla in der russischen Botschaft. Für Kritik innerhalb der AfD sorgte allerdings nicht Chrupallas Anbiederung an Russland, dem Aggressor im Ukraine-Krieg, sondern der Anlass seines Besuchs.
„Klassischer Geschichtsrevisionismus“
Der Historiker und Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, nannte das in der Welt „klassischen Geschichtsrevisionismus, wie wir ihn seit den 1950er Jahren aus der extremen Rechten kennen“. Ein solches Geschichtsbild zeuge von keinerlei Bereitschaft, sich gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland abzugrenzen.
Auch dem EU-Abgeordneten und AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah warf er „pure Verharmlosung des Nationalsozialismus vor“, der schon fast in Richtung der Leugnung von NS-Verbrechen gehe. Krah hat vor einigen Tagen ein TikTok-Video veröffentlicht, in dem er stumpf behauptete: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“.
Auch NS-Parole „Alles für Deutschland“ bleibt in der AfD ein Dauerbrenner: Erst vor zwei Tagen hat die Polizei im bayerischen Passau AfD-Wahlplakate mit der Aufschrift „Alles für Deutschland“ abgehängt, die Ermittlungen laufen auch hier.
https://taz.de/
Update „Niederlage des eigenen Landes“ :AfD-Chefin Weidel empört mit Aussage zur Kapitulation Nazi-Deutschlands
Im ARD-Sommerinterview hat AfD-Chefin Weidel die Befreiung Nazi-Deutschlands als „Niederlage“ bezeichnet. Historiker Jens-Christian Wagner wirft ihr Geschichtsrevisionismus vor.
11.09.2023, 18:13 Uhr | Update: 11.09.2023, 22:26 Uhr
AfD-Vorsitzende Alice Weidel hat mit einer Aussage zur Kapitulation des NS-Regimes für Empörung gesorgt. Im ARD-Sommerinterview äußerte sich die Rechtsaußen-Politikerin am Sonntag dazu, warum sie im Mai nicht am Empfang der russischen Botschaft zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland teilgenommen hat – anders als ihr Co-Chef Tino Chrupalla. Dabei bewertete sie die Befreiung von den Nationalsozialisten durch die Alliierten als „Niederlage des eigenen Landes“.
„Dem Tino Chrupalla ist sehr gelegen gewesen, an diesem Empfang teilzunehmen. Ich habe natürlich für mich entschieden – das ist eine persönliche Entscheidung gewesen –, aus politischen Gründen daran nicht teilzunehmen“, sagte Weidel. „Also hier die Niederlage des eigenen Landes zu feiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht, das ist etwas, wo ich für mich persönlich entschieden habe – auch mit der Fluchtgeschichte meines Vaters –, daran nicht teilzunehmen.“
„Klassischer Geschichtsrevisionismus“
Zahlreiche Userinnen und User griffen die Aussage Weidels in den sozialen Medien auf und kritisierten die AfD-Politikerin dafür, den 8. Mai als Niederlage für Deutschland bezeichnet zu haben. Scharfe Kritik übt auch Historiker Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er wirft ihr im Interview mit der „Welt“ Geschichtsrevisionismus und Schuldumkehr vor.
„Das ist klassischer Geschichtsrevisionismus, wie wir ihn seit den 1950er-Jahren aus der extremen Rechten kennen“, sagte Wagner der „Welt“. Und: „Mit einem solchen Geschichtsbild zeigt man keinerlei Bereitschaft, sich gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland abzugrenzen und deutlich zu machen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus war. Weidel deutet ihn um in einen Tag der Niederlage.“
Neben Weidel hat sich kürzlich auch der AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl, Maximilian Krah, zur Vergangenheit der Deutschen geäußert. In einem TikTok-Video erklärte er, dass die Deutschen keine Verbrecher gewesen wären. Für Historiker Wagner ist dies „dumpfer Nationalismus, pure Verharmlosung des Nationalsozialismus“. Es gehe „sogar in die Richtung der Verleugnung von NS-Verbrechen“, erklärte er. Die AfD habe zuletzt immer mehr die Fassade fallen lassen. Und AfD-Politiker Krah postuliere eine drastische Absage an alles, „was wir in Deutschland an liberaler Erinnerungskultur haben“.
Kritik von Paus und Haßelmann
Kritische Worte für Weidels Aussage im Interview fanden aus der Bundespolitik zunächst zwei Grünen-Politikerinnen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) schrieb etwa auf X, vormals Twitter, dass Weidel die Befreiung von Nazi-Deutschland durch die Alliierten als Niederlage Deutschlands darstelle. „Dazu fällt mir ein Brecht-Zitat ein: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Und weiter: „Oder kurz gesagt : #NiewiederFaschismus.“
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Ihre Parteikollegin Britta Haßelmann verwies, ebenfalls bei X, auf Zitate des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und des Schriftstellers Heinrich Böll: „,Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung’, sagte Richard von Weizsäcker 1985 und Heinrich Böll schrieb in seinem ,Brief an meine Söhne’ – ,Ihr werdet die Deutschen immer wieder daran erkennen können, ob sie den 8. Mai als Tag der Niederlage oder der Befreiung bezeichnen’“, schrieb die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag
Kritik kam auch von der Linken-Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl – verbunden mit Unverständnis für die Berichterstattung der „Tagesschau“. „Bin immer noch sehr irritiert, dass in der @tagesschau Frau Weidel zu Wort kam, mit der Geschichtsklitterung, die Befreiung Deutschlands von den Nazis sei eine Niederlage gewesen. Das Ganze blieb völlig unkommentiert. Das trägt zur rechten Diskurs-Verschiebung bei“, schrieb sie bei X. (Tsp)
https://www.tagesspiegel.de/
Flugblatt-Affäre im Newsticker„Dass die Leute dem zujubeln, das bedrückt mich schon"
FOCUS online/Wochit 58 Prozent finden Söder-Entscheidung zu Aiwanger richtig
Aktualisiert am Samstag, 09.09.2023, 10:28
In einem Positionspapier stellen sich zwei frühere CSU-Chefs klar gegen Aiwanger. Die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde ist „bedrückt“, dass ihm dennoch zugejubelt wird. Die Entwicklungen im Newsticker.
Vorsitzende von israelitischen Kultusgemeinde „bedrückt, dass Leute Aiwanger zujubeln“
10.20 Uhr: Anna-Deborah Zisler ist die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Straubing und Niederbayern. Der Fall Aiwanger beschäftigt sie sehr. Bei Volksfesten wird der Chef der Freien Wähler ungeachtet der Flugblatt-Affäre weiterhin gefeiert. „Dass die Leute dem zujubeln, wie jetzt beim Gillamoos, das bedrückt mich schon“, sagt Zisler der „Welt“. Verurteilen will sie Aiwanger allerdings nicht.
„In der Zeit war es für ihn vielleicht cool. Vielleicht hat er sich profilieren wollen“, blickt Zisler auf Aiwangers Schulzeit zurück. Den Satz „Ob der Aiwanger Antisemit ist…“, bringt sie allerdings nicht zu Ende. „Bis ich nicht mehr kann, möchte ich vermitteln, wie jüdisches Leben ist“, sieht Zisser ihre Mission nicht abgeschlossen. „Nach 1945 ist ein Schleier über Deutschland gelegen. Wenn das aufgearbeitet gewesen wäre, wäre das vielleicht nicht passiert mit Aiwanger.
„Das mit Aiwanger muss abgeschlossen werden“, sagt Zisler. „Er hätte sagen müssen, ich bin kein Antisemit. Und für das ,Früher‘ hätte er sich entschuldigen müssen. Das ist das, was wir jüdischen Menschen immer möchten. Dass das Hier und Jetzt uns zeigt, dass sich dieses Kapitel nie wiederholen kann. Das erwarten wir von dieser Regierung.“
Ex-CSU-Chefs verfassen Positionspapier gegen Aiwanger: „Unbegreifliche Fehlleistung"
Samstag, 9. September, 07.45 Uhr: Die CSU-Politiker Theo Waigel und Erwin Huber haben ein Positionspapier gegen Hubert Aiwanger verfasst. Dieses liegt der „Süddeutschen Zeitung“ vor. In dem Protestschreiben des ehemaligen Bundesfinanzministers und des früheren CSU-Chefs wird das Verhalten von Aiwanger scharf kritisiert.
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Ihr Vorwurf: Die ersten Anfragen im Rahmen der Flugblatt-Affäre habe Aiwanger nicht klar beantwortet, auch eine Entschuldigung hätten Huber und Waigel vermisst. Aiwangers Reaktion habe jedoch "Zweifel an der ernsthaften Bewältigung einer Jugendsünde“ hervorgerufen. Dass Aiwanger in einem „Welt“-Interview von einer Kampagne gegen ihn sprach, „stellt eine unbegreifliche Fehlleistung dar“.
Im Papier, das den Titel „Demokratiepolitik tut not“ trägt, warnen Waigel und Huber vor einer „gefährlichen Stimmungsdemokratie“, die zur „Entstehung radikaler und populistischer Parteien“ beitrage. Auch an Aiwangers Haltung in den vergangenen 15 Jahren übt das Duo Kritik. Dieser habe „kaum ein Thema ausgelassen, um populistische Stimmungen zu entfachen". Als Beispiele nennen sie polemische Äußerungen über den Euro, die Corona-Politik. Bei seiner Rede in Erding" im Juni habe er „das Vokabular von Gauland und der AfD“ benutzt und die „Demokratie verhöhnt“.
Hubert Aiwanger spricht auf der Pressekonferenz im Foyer des Prinz-Carl-Palais nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts.
Matthias Balk/dpa Hubert Aiwanger spricht auf der Pressekonferenz im Foyer des Prinz-Carl-Palais nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts.
Ehemalige Mitschüler über Aiwanger: „Begeisterung für Hitler“
Freitag, 8. September, 7.20 Uhr: Das ARD-Magazin „Kontraste“ hat neue Stimmen von ehemaligen Mitschülern zu Hubert Aiwanger gesammelt. So erinnert sich Mario Bauer: „Ab und zu, wenn die Klasse schon drin war und er herein kam, hat er einen Hitlergruß gezeigt. Judenfeindliche Witze über Auschwitz sind definitiv gefallen.“
Auch Doris Thanner, die mit dem heutigen Minister im gleichen Abiturjahrgang war, sagt, er habe „eine ganz stramm konservative Haltung“ gehabt. Diese sei „eindeutig verbunden gewesen mit einer Begeisterung für Hitler und Inhalte, die eindeutig nationalsozialistisch waren“. Aiwanger sei jemand gewesen, der „mit braunem Gedankengut“ sympathisiert.
Ein dritter Mitschüler Aiwangers berichtet über einen pikanten Vorfall in der Schule. Stephan Winnerl war damals Schülersprecher und erinnert sich an Schmierereien auf der Toilette. „Es waren acht oder zehn Hakenkreuze über eine Wand verteilt“, so Winnerl.
Schnell fiel der Verdacht auf Aiwanger, der an der Schule einen einschlägigen Ruf gehabt haben soll. „Der Direktor hat mir gemeldet, dass es Hubert Aiwanger war.“ Der habe die Schmierereien als Strafe beseitigen müssen. Ein Sprecher des Politikers wollte sich zu den Zeugenaussagen gegenüber dem TV-Magazin nicht äußern.
Aiwanger will sich mit Präsident des Zentralrats der Juden treffen
20.58 Uhr: Der wegen eines antisemitischen Flugblatts in die Kritik geratene bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wollen sich zu einem Gespräch treffen. Er könne „bestätigen, dass sich die beiden Büros in der Terminfindung befinden“, sagte ein Zentralratssprecher am Mittwoch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Einzelheiten nannte er aber nicht.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, spricht in Berlin.
Christophe Gateau/dpa/Archivbild Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, spricht in Berlin.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hielt trotz der Kritik an seinem Wirtschaftsminister fest. Am Donnerstag befasst sich der bayerische Landtag in einer Sondersitzung mit der Flugblattaffäre. Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt.
Schuster nannte es „in der Gesamtbetrachtung nachvollziehbar“, dass Söder seinen Vize nicht entlassen habe. Der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen bleibe aber irritierend. „Immer wieder betonte er eine politische Kampagne gegen ihn als Person und konnte sich erst spät zu einer Entschuldigung durchringen“, sagte der Zentralratspräsident. Er vermisse bei Aiwanger „eine wirkliche innere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und seinem Verhalten zur Schulzeit“.
Holocaust-Überlebender Grube: Nehme Aiwanger Entschuldigung nicht ab
14.38 Uhr: Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube hat Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen seines Umgangs mit der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt kritisiert. Aiwanger habe in seiner in der Erklärung von der vergangenen Woche nur auf unübersehbare Beweise reagiert und sich für die Verletzung von Gefühlen entschuldigt. „Ich nehme ihm diese Entschuldigung überhaupt nicht ab.“ Aiwanger sei nicht mehr glaubwürdig - „und nach meiner Auffassung für das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten politisch und moralisch überhaupt nicht mehr geeignet“, schrieb Grube in einem Gastkommentar für die „Jüdische Allgemeine“ (Donnerstag). Er ist Präsident der Lagergemeinschaft Dachau.
Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube auf der Befreiungsfeier in Dachau. (Archivbild)
ullstein bild via Getty Images Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube auf der Befreiungsfeier in Dachau. (Archivbild)
„Auf dem Flugblatt kommt eine Verhöhnung aller Schoah-Opfer - darunter natürlich Juden, aber auch Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, andere humanistisch eingestellte Menschen, Kriegsgegner, Zeugen Jehovas, sowjetische Kriegsgefangene, Bürger anderer Länder und Kranke - zum Ausdruck, die zutiefst schockiert“, so Grube.
Seine Verwandtschaft mütterlicherseits sei von den Nazis ermordet worden, schrieb Grube. „Ich selbst habe das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt. Auch deshalb berührt mich die entstandene Debatte sehr.“
Söder nimmt an Landtags-Sondersitzung zu Aiwanger teil
11.30 Uhr: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird an der Sondersitzung des Landtags zu den Vorwürfen gegen Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger teilnehmen. Das sagte ein Sprecher der Staatskanzlei der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag.
Der sogenannte Zwischenausschuss tagt am Donnerstag auf Antrag von Grünen, SPD und FDP. Dieses Gremium kann nach der letzten Plenarsitzung vor einer Landtagswahl dringliche Angelegenheiten behandeln. Nur ein Teil der Landtagsabgeordneten ist dort Mitglied - aktuell sind es genau 51.
Gedenkstätte Dachau will keinen Besuch von Aiwanger
10.54 Uhr: Die KZ-Gedenkstätte Dachau möchte in der Debatte um Antisemitismusvorwürfe gegen den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nicht zur Bühne werden. „Von öffentlichkeitswirksamen politischen Besuchen im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl möchte die KZ-Gedenkstätte Dachau absehen“, sagte eine Sprecherin der „tageszeitung“ (taz, Dienstag).
Sie reagierte damit auf den Vorschlag des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, dass Aiwanger das frühere Konzentrationslager in der Nähe von München besuchen sollte. Die aktuelle Debatte zeige aber, so die Sprecherin, „wie wichtig eine lebendige Erinnerungskultur und der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus nach wie vor ist“.
Kritik an Kleins Vorschlag kommt auch von Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Statt sich damit auseinandersetzen, warum Aiwanger „mit Schuldumkehr, der Beschimpfung seiner Kritiker und einer Jetzt-erst-recht-Haltung durchkommt und in Bierzelten dafür gefeiert wird, sollen die Gedenkstätten und jüdischen Gemeinden die erinnerungskulturellen Scherben zusammenkehren, die Aiwanger und Söder hinterlassen haben“, sagte Wagner der taz. „In Gedenkstätten wird kein Ablasshandel betrieben.“
Der Antisemitismusbeauftragte Niedersachsens, Gerhard Wegner, warnte in der Aiwanger-Causa auch vor den gesellschaftlichen Folgen. „Ich fürchte, dass dies ein Tor öffnet zum Neuerwachen eines untergründigen antisemitischen Geredes, nicht nur in Bayern“, sagte Wegner der Zeitung.
Flugblatt-Affäre: Ex-Ministerpräsident Seehofer verteidigt Söders Festhalten an Aiwanger
Dienstag, 05. September, 07.15 Uhr: Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat das Festhalten seines Nachfolgers Markus Söder (beide CSU) an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz Flugblatt-Affäre verteidigt. „Bei der Gesamtlage war das eine richtige Entscheidung von Söder“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „In einem Rechtsstaat muss für einen Vorwurf auch ein Beweis erbracht werden. Das war aber nicht der Fall.“
Hubert Aiwanger streitet ab, das antisemitische Flugblatt, das einst in seinem Schulranzen gefunden wurde, selbst geschrieben zu haben. Stattdessen erklärte Aiwangers Bruder Helmut, er sei es gewesen.
Umfrage: 58 Prozent finden Söder-Entscheidung zu Aiwanger richtig
18.30 Uhr: 58 Prozent der Deutschen finden einer Umfrage zufolge die Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), seinen Vize Hubert Aiwanger trotz der Flugblatt-Affäre im Amt zu belassen, richtig. 34 Prozent sind der Meinung, Söder hätte Aiwanger entlassen sollen, wie eine Forsa-Umfrage für den „Stern“ ergab. 8 Prozent machten demnach keine Angaben. Die Daten wurden vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa für die RTL-Gruppe Deutschland am Montag erhoben, wie es in einer Mitteilung hieß.
Besonders groß ist die Zustimmung der Umfrage nach bei den Wählern der CSU (92 Prozent), der AfD (86 Prozent), der CDU (77 Prozent) und der FDP (72 Prozent). Dagegen hätten die Anhänger von SPD (65 Prozent) und Grünen (71 Prozent) mehrheitlich eine Entlassung des Freie-Wähler-Politikers für richtig gehalten.
Forsa fragte zudem die Bayern nach ihrer Meinung. Hier fielen die Ergebnisse noch eindeutiger aus als im Bund: 72 Prozent finden Söders Entscheidung richtig. Nur 23 Prozent befürworten eine Entlassung Aiwangers aus der Staatsregierung. 5 Prozent äußern keine Meinung.
Klingbeil: Söder hat „den Buckel gemacht vor dem Aiwanger“
12.55 Uhr: SPD-Chef Lars Klingbeil hat dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder vorgeworfen, in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt vor seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger eingeknickt zu sein. „Der hat den Buckel gemacht vor dem Aiwanger“, sagte Klingbeil auf dem Volksfest Gillamoos im niederbayerischen Abensberg.
Ministerpräsident Söder hatte am Sonntag entschieden, trotz der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit an seinem Stellvertreter von den Freien Wählern festzuhalten. Klingbeil kritisierte den Umgang des CSU-Chefs mit der Affäre scharf. „Wenn er hier in Bayern ein ernsthaftes Problem hat, dann schwimmt er, dann laviert er, dann duckt er sich weg", sagte der SPD-Vorsitzende. “Der guckt nur auf sich selbst, aber nicht auf dieses Bundesland."
12.05 Uhr: „Wir unterziehen uns diesem Spießrutenlauf, weil wir unser Land lieben, weil wir unsere Heimat lieben. Dafür treten wir ein. Gott beschütze sie.“ Damit beendet Aiwanger seine Rede.
Aiwanger sieht Demokratie „in höchster Gefahr“
11.50 Uhr: Aiwanger warnt vor einer politischen Spaltung des Landes. „Dieses Land wird derzeit politisch tief gespalten bis hin zu einer Situation der Regierungsunfähigkeit“. Als Beispiel nannte er Umfragen in ostdeutschen Bundesländern, in denen „Randparteien“ mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinten. „Dann ist die Demokratie in höchster Gefahr“, sagte Aiwanger.
Seine Partei wolle deshalb „ein Angebot der vernünftigen Politik“ an Wähler der Mitte machen, sagte Aiwanger. Sie habe dabei die Pflicht, „Fehlentwicklungen ganz deutlich zu benennen“.
Aiwanger hatte bei der Kundgebung unter anderem gesagt, dass eine schweigende, große Mehrheit die Demokratie wieder zurückholen müssen. Vertreter anderer Parteien hatten Aiwanger dafür scharf kritisiert und ihm Populismus vorgeworfen.
11.35 Uhr: Zum Thema Flugblatt-Affäre hat Aiwanger weiter nichts gesagt. Stattdessen betont er, dass ein „Facharbeiter “mehr Netto vom Brutto" haben muss, der Industriestrompreis gedeckelt werden muss und die Mehrwertsteuer in der Gastronomie nicht wieder erhöht werden darf, damit eine Familie sich ein gemeinsames Essen noch leisten kann.
11.05 Uhr: Nun betritt Hubert Aiwanger die Bühne. Es brandet lautstarker Applaus auf. Er bedankt sich für „diesen wunderbaren Vertrauensbeweis“ und spricht darüber, was man in der heutigen Zeit alles nicht mehr sagen und machen darf. Als Beispiele für Themen, die in der Gesellschaft kein Verständnis mehr finden, nennt er Geschlechtsumwandlungen, das Heizungsgesetz oder die Freigabe von Cannabis. Zudem würden so andere Probleme auf der Strecke bleiben.
Aiwanger zufolge führen die schlechten Rahmenbedingungen und die Bürokratie als Grund dafür, dass viele gut ausgebildete Menschen Deutschland den Rücken kehren. Das Land werde deindustrialisiert, der alte Teil der Bevölkerung alleingelassen.
https://www.focus.de/
Junger Aiwanger „begeistert für Hitler“? Mit-Abiturientin spricht in der ARD - unter Klarnamen
Stand:09.09.2023, 05:24 Uhr
Von: Florian Naumann
Aiwanger bleibt - Söder entscheidet gegen Entlassung in Flugblatt-Affäre
Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger nimmt kein Ende: In der ARD äußert sich eine einstige Mitschülerin. Profitiert Aiwanger vom Wirbel sogar?
München - Die Landtags-Sondersitzung zur Flugblattaffäre hat Hubert Aiwanger am Donnerstag (7. September) überstanden - wenn auch wortlos und unter harscher Kritik nicht nur der Opposition, sondern auch der CSU-Fraktion.
Doch eine Kernverteidigungslinie der Freien Wähler (FW) gerät schon wenig später wieder unter Druck: In einem am Donnerstagabend ausgestrahlten Beitrag der ARD-Sendung „Kontraste“ hat eine weitere frühere Mitschülerin Vorwürfe gegen Aiwanger erhoben. Offen ist gleichwohl, ob die Debatte über die Gesinnung des damaligen Schülers Aiwanger vor der Bayern-Wahl dem Freie-Wähler-Chef nicht sogar hilft.
Aiwanger erneut unter Druck: Mit-Abiturientin attestiert „Hitler-Begeisterung“ zu Schulzeiten
Einziger gesicherter Tatbestand sei, dass Aiwanger als Schüler ein Flugblatt in der Schultasche gehabt habe, hatte FW-Fraktionschef Florian Streibl im Landtags-Zwischenausschuss erklärt. Das bleibt im rechtlichen Sinne richtig. Doch die neuen Äußerungen könnten wieder erhebliche Zweifel daran schüren, dass sich Aiwangers jugendliche Verfehlungen auf den Bereich von unpassender Witze beschränkten. Aiwanger selbst hat sich bislang nur in allgemeiner Form entschuldigt.
Das TV-Magazin präsentierte unter anderem eine Mit-Abiturientin Aiwangers als neue Zeugin. Der junge Hubert Aiwanger habe damals „eindeutig sympathisiert mit braunem Gedankengut“, sagte Doris Thanner den Journalisten. Es gehe um „eine ganz stramm konservative Haltung, die sich eindeutig verbunden hat mit einer Begeisterung für Hitler und für Inhalte, die damals eindeutig nationalsozialistisch waren.“
Aiwanger-Vorwürfe in der ARD: „Hakenkreuze über so eine Wand verteilt“
Das Magazin sprach auch mit Stephan Winnerl, einem ehemaligen Schülersprecher an Aiwangers Gymnasium im niederbayerischen Mallersdorf. Er hatte schon in der Süddeutschen Zeitung (SZ) Vorwürfe vorgebracht, untermauerte diese aber nun noch einmal vor laufender Kamera.
Hubert Aiwanger am Donnerstag in der Landtags-Sondersitzung in München. © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON
Winnerl zufolge war der amtierende bayerische Vize-Ministerpräsident nach damaligen Angaben der Schulleitung auch in Hakenkreuz-Schmierereien auf einer Schultoilette verwickelt. „Das waren vielleicht acht oder zehn Hakenkreuze über so eine Wand verteilt, relativ groß“, erinnerte er sich: „Der Direktor hat mir dann zurückgemeldet, dass es tatsächlich Hubert Aiwanger war und dass er sich gefreut hat, dass das schnell aufgeklärt werden konnte.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf der Pressekonferenz zur Aiwanger-Affäre. (Archivfoto)Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf der Pressekonferenz zur Aiwanger-Affäre. (Archivfoto)
Klatsche für Söder: Neue Umfrage sieht CSU auf Tiefststand – Freie Wähler im AufwindLESEN
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, r.) neben einem Wahlplakat der Freien Wähler, das Hubert Aiwanger zeigt. (Fotomontage)Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, r.) neben einem Wahlplakat der Freien Wähler, das Hubert Aiwanger zeigt. (Fotomontage)
Als Strafe habe Aiwanger die Schmierereien beseitigen müssen. Ob es weitere Sanktionen gab, sei ihm nicht bekannt, erklärte Winnerl. Durchaus erwähnenswert dabei allerdings: In der SZ hatte der frühere Schülersprecher spekuliert, dieser Vorfall könne auch der Grund gewesen sein, warum Aiwanger in Sachen des Flugblattes als Verdächtiger in den Fokus geriet. Die ARD-Sendung setzte zudem - bereits bekannte - Äußerungen des früheren Mitschülers Mario Bauer ins Bild.
Hubert Aiwanger in der Flugblatt-Affäre: Profitieren die Freien Wähler bei der Bayern-Wahl?
„Kontraste“ erreichte auch Aiwanger Bruder Helmut. Es sei „alles gesagt, eigentlich“, erklärte dieser. Mit dem vorläufigen Ausgang des Wirbels zeigte er sich aber zufrieden: „Naja, das war mir von Haus aus, also von Anfang an klar, weil: Am Ende siegt die Wahrheit.“ Zu der gibt es nun neue Indizien - aber keine finale Sicherheit. Gleichwohl könnte die Kritik vor allem an Hubert Aiwangers Aufklärungswillen und der Ruf nach deutlicher Distanzierung neues Futter bekommen.
Bayerns Vize-Regierungschef selbst äußerte sich in der ARD-Sendung nicht zu den Vorwürfen. Womöglich müssen fortgesetzte Zweifel aber auch gar nicht zum Schaden des Parteichefs und seiner Freien Wählern sein. Sie würde nicht ausschließen, dass „die ganze Geschichte womöglich Hubert Aiwanger und den Freien Wähler, womöglich, mehr nützen könnte als schaden“, sagte die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch schon Ende August dem BR. Aiwanger hatte eine „Medienkampagne“ gegen seine Person beklagt - was die Opposition im Landtag am Donnerstag erneut scharf als gefährliches Verhalten rügte.
Tatsächlich deuten aktuelle Umfragen zur Bayern-Wahl darauf hin, dass Aiwangers auf spärliche Information basierende Krisenstrategie jedenfalls nicht schadet: In mehreren Erhebungen haben die Freien Wähler zugelegt. Besonders bemerkenswert erschien dabei eine Umfrage des Instituts GMS für Sat.1 und Antenne Bayern. Ihr zufolge schenkte eine Mehrheit der Befragten der Darstellung der SZ Glauben - zugleich gab es aber eine deutliche Mehrheit für einen Verbleib Aiwangers im Amt. Markus Söders CSU verlor unterdessen in Umfragen an Boden. (fn)
https://www.merkur.de/
Eine Zäsur für die politische Kultur
07.09.2023 ∙ Kontraste ∙ Das Erste
Kontraste (Quelle: rbb)
Ein antisemitisches Flugblatt, Witze über Juden, Hitlergrüße – all das hatte in Bayern ein politisches Beben ausgelöst. Im Zentrum der Vorwürfe stand Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Söders Vize - mitten im Bayern-Wahlkampf. Trotz Erinnerungslücken, scheibchenweisem Eingestehen, der Selbstinszenierung als Opfer einer Medienkampagne und einer halbgaren Entschuldigung: Söder beließ ihn im Amt. Aus machtpolitischen Überlegungen scheint das klug gewesen zu sein, doch für die politische Kultur in diesem Land bedeutet die Causa Aiwanger eine Zäsur.
Beitrag von Chris Humbs, Markus Pohl und Maria Wölfle
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Bild: dpa
Video verfügbar:
bis 07.09.2024 ∙ 23:59 Uhr
https://www.ardmediathek.de/
Widersprüche im Flugblatt-Skandal
Als Franz H. den Aiwanger-Bruder im Waffenladen warnt, wird es plötzlich bizarr
Peter Kneffel/dpa/Archivbild Hubert Aiwanger (Freie Wähler) verlässt nach einer Pressekonferenz das Podium.
FOCUS-online-Reporter Ulf Lüdeke
Donnerstag, 07.09.2023, 11:46
Je mehr sie sagen, desto weniger erklären sie - so wirken die Antworten der Gebrüder Hubert und Helmut Aiwanger auf Fragen zum Skandal um ein antisemitisches Flugblatt. Stellungnahmen auch gegenüber FOCUS online sind merkwürdig und widersprüchlich. Bei zentralen Fragen dominiert kollektiver Gedächtnisschwund.
Knapp zwei Wochen, nachdem der Flugblatt-Skandal in den bayerischen Landtagswahlkampf wie eine Bombe platzte, ist es wieder etwas ruhiger um Hubert Aiwanger geworden.
Zuerst sprang dem 51-jährigen Vize-Ministerpräsidenten und Chef der Freien Wähler Bruder Helmut (52) bei. Das antisemitische Flugblatt, das Lehrer 1988 im Ranzen des damals 16-jährigen Hubert gefunden hatten, habe er geschrieben, nicht Hubert. Am Sonntag erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), dass er seinen umstrittenen Wirtschaftsminister trotz ungeklärter Fragen im Amt belassen will. Und 58 Prozent der Deutschen halten laut einer Umfrage Söders Entscheidung für richtig, Aiwanger im Amt zu lassen. In Bayern sind es sogar 72 Prozent. Am Montag tauchte zudem ein Zeuge bei „Bild“ auf, der die Version der Aiwangers stützt.
Doch während sich die Aufregung um den Flugblatt-Skandal zu legen scheint, bleiben diverse Zweifel an den Aussagen der Aiwanger-Brüder bestehen. Manche nehmen sogar zu.
Markus Söder steht im unteren Hofgarten an der Staatskanzlei mit Hubert Aiwanger.
Stefan Puchner/dpa/Archivbild Markus Söder steht im unteren Hofgarten an der Staatskanzlei mit Hubert Aiwanger.
Zweifel an Aiwanger-Aussagen
Bizarr ist die Geschichte von Franz H.*, der Helmut Aiwanger Anfang August in dessen Waffenladen in Rottenburg a.d. Laaber einen Besuch abgestattet hat. H. wollte die Aiwanger-Brüder vor Recherchen gegen Hubert Aiwanger warnen. Dies geschah rund eine Woche vor der offiziellen Anfrage der Süddeutschen Zeitung, bei der Hubert Aiwanger erstmals mit den Flugblatt-Vorwürfen von Medien konfrontiert wurde.
H. zählt zu einem größeren Personenkreis, den ein Ex-Deutschlehrer des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg, der Schule der Aiwanger-Brüder, angeblich bedrängt, wie FOCUS online von Betroffenen erfuhr. Mindestens seit dem Frühjahr soll der Ex-Lehrer gezielt Schüler aufsuchen, selbst wenn sie wesentlich jünger als die Aiwanger-Brüder sind. Demnach bombardiere er gar potenzielle Zeugen mit Anrufen, um Beweise dafür zu finden, dass Hubert Aiwanger das antisemitische Schmierblatt verfasst hat. Bislang hatte der Ex-Lehrer damit jedoch offenbar noch keinen Erfolg. Er soll 1988 an dem Disziplinarverfahren gegen Hubert Aiwanger beteiligt gewesen sein und diese Informationen auch an Medien weitergeben haben.
Bei H. und Familienangehörigen soll sich der Ex-Lehrer Ende Juli kurz vor dem Start der heißen Landtagswahlkampfes gleich ein gutes Dutzend Mal gemeldet haben. „Deswegen habe ich anschließend Helmut Aiwanger einen Besuch abgestattet“, sagte H., der die Aiwanger-Brüder aus Schulzeiten kennt, zu FOCUS online.
FOCUS-online-Reportage - 35 Jahre „kein Thema“: In seinem Waffenladen fängt Aiwanger-Bruder Helmut an zu reden
Bizarre Reaktion von Helmut Aiwanger auf Warnung von Informanten
Die Reaktion von Helmut Aiwanger allerdings habe ihn „total irritiert“, fährt H. fort. „Ich habe Helmut, den ich vom Sehen her von früher kenne, meine Adresse auf den Tresen in seinem Waffenladen gelegt und gesagt: 'Die kannst' dem Hubert geben und ihm sagen, er kann mich jederzeit anrufen, wenn er was wissen will.' Doch statt irgendeine Reaktion auf die Information zu zeigen, fing Helmut sofort an, abzulenken und irgendwas über Wirtschaft zu faseln, was absolut in keinem Zusammenhang mit dem von mir Gesagten stand.“
Er sei zu dem Zeitpunkt allein mit Helmut Aiwanger im Geschäft gewesen und etwas später gegangen, „weil Helmut einfach nicht mehr aufgehört hat, von diesem Wirtschaftskram zu reden“, so H. weiter.
Helmut Aiwanger mit anderen Mitgliedern der BJV Kreisgruppe Rottenburg 2017 auf einem Foto der Landshuter Zeitung
BJV Kreisgruppe Rottenburg/Landshuter Zeitung 2017 Helmut Aiwanger mit anderen Mitgliedern der BJV Kreisgruppe Rottenburg 2017 auf einem Foto der Landshuter Zeitung
Erst erinnert sich Helmut nicht an Schlüsselmoment, dann plötzlich doch
Als FOCUS online Helmut Aiwanger am vergangenen Donnerstag in dem Waffenladen antraf und ihn zum Verlauf der Flugblatt-Affäre befragen konnte, verhielt er sich ähnlich. Vor allem bei Fragen zum genauen Ablauf, wann und wie Hubert ihm erstmals bedeutet habe, dass er sich nun zur Autorenschaft des Flugblattes bekennen müsse, wich Helmut Aiwanger mehrmals aus. Er sagte, dass er mit seinem Bruder, der damals wegen Ärger mit Lehrern und Eltern für ihn den Kopf hingehalten habe, nicht mehr über das Flugblatt geredet habe. Die Sache sei „erledigt“ gewesen, nachdem Hubert 1988 das Straf-Referat gehalten habe, zu dem er von der Schule wegen des Flugblattes verdonnert worden war.
Am Ende des Gesprächs überraschte Helmut Aiwanger dann aber doch. Zuerst mit der Bemerkung, sich nicht genau an diesen Schlüsselmoment erinnern zu können. An jenen Augenblick also, als Hubert ihn aufforderte, öffentlich zu erklären, dass er, Helmut, nun zugeben müsse, dass er Autor des Flugblattes sei, weil sonst seine politische Karriere gefährdet sei. Und dies nach angeblich 35 Jahren, wie er FOCUS online sagte, die er mit seinem Bruder nicht mehr über den Fall gesprochen habe.
Nur wenige Augenblicke später verblüffte der Büchsenmacher und Waffenhändler Aiwanger dann erneut. Diesmal allerdings mit der Aussage, dass Hubert ihn nach dem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25. August, in dem erstmals von dem Flugblatt-Skandal in Zusammenhang mit Hubert Aiwanger berichtet wurde, darum gebeten habe, sich zur Autorenschaft des Flugblatts zu bekennen. Ein Hin und Her, das merkwürdig erscheint, da es sich um ein einschneidendes Ereignis handelt, das zu dem Zeitpunkt des Gesprächs mit dem Reporter maximal sieben Tage zurückliegt. Was die Frage aufwirft, ob es nicht doch anders war als geschildert - und der Ältere für den Jüngeren den Kopf hinhalten sollte.
Darf Aiwanger bleiben oder nicht? - Söder gibt Pressekonferenz
dpa Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einer Pressekonferenz.
Auch Hubert Aiwanger weicht Beantwortung wichtiger Fragen aus
Diesem Eindruck tritt auch Hubert Aiwanger selbst durch die auffallend ausweichende Beantwortung der 25 Fragen, die Söder ihm zum Flugblatt-Skandal gestellt hatte, nicht entgegen. Und dies trotz der Erklärung, dass der „Vorfall“ für ihn ein „einschneidendes Erlebnis“ gewesen sei und „wichtige gedankliche Prozesse angestoßen“ habe.
So wichtig, dass Aiwanger sich heute nicht daran zu erinnern vermag, ob er damals vor der Schulleitung offen die Verantwortung für das Flugblatt übernommen und das Straf-Referat gehalten habe. Oder wie das oder die Flugblätter überhaupt in seinen Ranzen gekommen waren. Er beruft sich dabei auf eine Mutmaßung seines Bruders, der “glaubt, dass ich die Flugblätter eingesammelt habe, um zu deeskalieren".
FOCUS-online-Reportage
Aiwanger-Mitschüler berichtet - „Dann sagte mein Ex-Lehrer: 'Es ist an der Zeit, die braune Socke Aiwanger zu stürzen'“
Aiwangers Vize-Schuldirektor kann sich angeblich auch an nichts mehr erinnern
Unterlagen über die Disziplinarmaßnahmen sind nach Angaben des aktuellen Schuldirektors Claus Giegl und des bayerischen Kultusministeriums nicht mehr vorhanden, ergaben FOCUS-online-Anfragen. Der damalige Direktor Rudolf Enghofer ist inzwischen verstorben. Sein Stellvertreter war damals Friedrich Heglmeier, der 1996 die Leitung des Burkhart-Gymnasiums übernahm, später in Weiden in der Oberpfalz am Kepler-Gymnasium Rektor wurde und erst 2009 in den Ruhestand ging. Auf Anfrage von FOCUS online teilte dessen Frau am Telefon mit, dass ihr Mann gerade nicht da sei und auch später nichts zu dem Fall werde sagen könne, „da er sich an nichts erinnern kann“.
Ex-CSU-Chef Huber: „Methoden wie die von Trump“
Eine neue Umfrage belegt derweil, dass die Flugblatt-Affäre Hubert Aiwanger nicht geschadet, sondern sogar genützt hat. Aktuell liegen die Freien Wähler in Bayern mit 15 Prozent – einem neuen Rekordwert – auf Platz zwei vor den Grünen und der AfD mit jeweils 14 Prozent, gefolgt von der SPD mit neun und der FDP mit vier Prozent.
Lassen sich die Behauptungen des Ex-Lehrers, dass Hubert Aiwanger der Verfasser ist, nicht beweisen, dürfte sich an dieser Tendenz bis zur Landtagswahl am 8. Oktober möglicherweise nicht mehr viel ändern. CSU-Urgestein und Ex-Parteichef Erwin Huber jedenfalls ließ keinen Zweifel daran, was er von den Erklärungen Hubert Aiwangers hält.
Huber verglich Aiwangers Methoden in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk jetzt mit jenen von Ex-US-Präsident Donald Trump. Aiwanger nehme gar nicht zur Kenntnis, dass es Vorwürfe gebe, leugne sie einfach, drohe mit Klage und „macht sich zum Opfer“. Das habe schon Ähnlichkeiten mit dem „Trumpismus“, so Huber. „Ich hoffe, dass das nicht Schule macht in der deutschen Politik“.
* Der richtige und vollständige Name ist der Redaktion bekannt
https://www.focus.de/
„Hat schon Ähnlichkeiten mit Trumpismus“ – Ex-CSU-Chef Huber kritisiert Aiwanger
06.09.2023 -Stand: 09:28 Uhr | Lesedauer: 3 Minuten
„Die furchtbare Soap-Opera von Aiwanger setzt sich fort – Er hat nichts verstanden“
Auch nach der Entscheidung für einen Verbleib des bayerischen Vize-Ministerpräsidenten im Amt erntet Aiwanger weiter Kritik. Das Verhalten Aiwangers bleibe „irritierend“, sagte etwa der Präsident des Zentralrats der Juden. Auch der Publizist Michel Friedman äußert sich bei WELT kritisch.
Das Verhalten Aiwangers hat für Ex-CSU-Chef Erwin Huber Parallelen zu den Methoden Donald Trump: Man leugne Vorwürfe, drohe mit Klagen, mache sich zum Opfer. Auch die Kritik anderer reißt nicht ab. Die KZ-Gedenkstätte Dachau möchte derweil keinen Aiwanger-Besuch während des Wahlkampfs.
Nach Ansicht von Ex-CSU-Chef Erwin Huber ähnelt das Verhalten von Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger im Zuge der Flugblatt-Affäre den Methoden des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. „Man kann Aiwanger natürlich nicht mit Trump gleichstellen. So groß ist der Aiwanger ja nicht. Aber die Methoden ähneln sich“, sagte der 77-Jährige am Dienstag im Deutschlandfunk. „Man nimmt gar nicht zur Kenntnis, dass es Vorwürfe gibt. Man leugnet das einfach. Man droht mit Klage. Zweitens: Man macht sich zum Opfer. Das hat schon Ähnlichkeiten mit dem Trumpismus. Ich hoffe, dass das nicht Schule macht in der deutschen Politik.“
Aiwangers Antworten auf die 25 Fragen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seien kein Beispiel für Transparenz, sagte Huber. „Die Aussage, ich kann mich nicht erinnern, die spricht ja für sich. Das heißt also, Hubert Aiwanger hat eigentlich gar keinen Aufklärungswillen.“
Dennoch sei Söders Entscheidung, seinen Vize im Amt zu lassen, richtig gewesen, betonte Huber. „Vier Wochen vor der Landtagswahl eine Regierungskrise heraufzubeschwören, das ist natürlich sinnlos. Das heißt, Markus Söder hat aus Verantwortungsethik gehandelt. Er denkt an die Folgen des Handelns.“ Bayerns Wirtschaftslage und Energieversorgung seien die wichtigsten Probleme im Freistaat. Da „noch eine politische Krise drüber zu stülpen, wäre der falsche Weg“, sagte Huber. „Er hatte leider da keine andere Wahl.“ Von Aiwanger erwarte er nun „mehr Offenheit, mehr Klarheit und auch eine echte Entschuldigung“.
KZ-Gedenkstätte Dachau will keinen Aiwanger-Besuch
Zuvor hatte sich auch die KZ-Gedenkstätte Dachau kritisch geäußert. Man wolle keinen Besuch von Hubert Aiwanger vor der bayerischen Landtagswahl. Vor dem Wahltag am 8. Oktober möchte man von „öffentlichkeitswirksamen politischen Besuchen absehen“, sagte eine Sprecherin mit Blick auf die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten der Berliner „taz“.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte angeregt, Aiwanger solle der KZ-Gedenkstätte Dachau als „Zeichen der Solidarität“ einen Besuch abstatten.
Auch der Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, Björn Mensing, lehnt einen Besuch des Politikers ab. „Solange sich Herr Aiwanger nicht konkret zu Verfehlungen in der Jugendzeit, die die NS-Opfer verhöhnten, bekennt und diese glaubhaft und ohne Einschränkungen bedauert und bereut, sehe ich nicht, was ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau für einen Sinn haben sollte“, sagte Mensing. Stattdessen wäre ein Besuch „eine erneute Irritation für viele NS-Verfolgte und ihre Familien“.
Dass Ministerpräsident Söder seinen Vize Aiwanger im Amt belasse, sei für ihn „nicht mit dessen Bekenntnissen zur Gedenkkultur und zur Antisemitismusprävention vereinbar“.
Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts in der Kritik, das in seiner Schulzeit in seiner Tasche gefunden wurde. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe erklärte Aiwangers Bruder Helmut, er habe das Flugblatt geschrieben. Weitere Vorwürfe wie das Zeigen des Hitlergrußes in der Schulzeit weist Aiwanger zurück. Söder hatte am Sonntag verkündet, Aiwanger nicht aus dem Amt zu entlassen, weil das angesichts der Beweislage nicht verhältnismäßig sei.
Aiwanger kündigt Teilnahme an Sondersitzung an
Die Vorwürfe beschäftigen auch den Landtag, der sich am Donnerstag zu einer Sondersitzung treffen wird. Aiwanger kündigte am Dienstag an, „nach jetziger Einschätzung“ dabei sein zu werden. Ob er dabei auch Stellung zu den Vorwürfen nehme, sei „noch zu klären“. Zuvor hatte auch Ministerpräsident Söder über einen Sprecher der Staatskanzlei verlauten lassen, er werde an der von Grünen, SPD und FDP beantragten Sondersitzung teilnehmen. Ob er sich dabei zu der Affäre äußern wird, ließ Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann am Dienstag bei der Pressekonferenz offen.
Der sogenannte Zwischenausschuss tagt am Donnerstag auf Antrag von Grünen, SPD und FDP. Dieses Gremium kann nach der letzten Plenarsitzung vor einer Landtagswahl dringliche Angelegenheiten behandeln. Nur ein Teil der Landtagsabgeordneten ist dort Mitglied – aktuell sind es genau 51.
epd/sos/s
https://www.welt.de/
"Opfer-Täter-Umkehr"
:Aiwanger weicht Kritik des Zentralrats aus
Datum:
05.09.2023 15:45 Uhr
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, wirft Hubert Aiwanger die "Opfer-Täter-Umkehr" in der Hetzblatt-Affäre vor. Reue und Demut fehle ihm. Aiwanger bleibt stumm.
Bayern, Abensberg: Hubert Aiwanger (vorn), Bundesvorsitzender der Freien Wähler
Seine Antwort ist "keine Antwort": Hubert Aiwanger will sich nicht zur Kritik von Josef Schuster äußern.
Quelle: dpa
Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat eine öffentliche Stellungnahme zu neuer Kritik des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, abgelehnt.
Schuster hatte - wie zuvor schon im ZDF heute journal - in den ARD-"Tagesthemen" unter anderem beklagt, dass er "Reue und Demut" bei Aiwanger "nicht feststellen" könne. Und er kritisierte, dass das Mittel der "Opfer-Täter-Umkehr", das der Freie-Wähler-Chef gewählt habe, "überhaupt nicht geht".
Auf Schusters Kritik wollte Aiwanger, der an der Pressekonferenz nach der normalen Kabinettssitzung teilnahm, nicht eingehen: Er könne "dazu jetzt keine Antwort geben".
25 Fragen: Das sind Aiwangers Antworten
Entschuldigung, aber kein Rücktritt: Aiwanger versuchte Befreiungsschlag (Video)
Aiwanger erklärt sich: "Bin Demokrat und Menschenfreund" (Video)
Auch auf Nachfrage, ob er nach Schusters Kritik eventuell Konsequenzen ziehen, bestimmte Dinge nicht mehr tun wolle, also etwa den Kampagnen-Vorwurf nicht mehr erheben wolle, sagte er lediglich, er wolle "in diesem Rahmen hier keine Antwort darauf geben".
Trotz der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt belässt Söder Wirtschaftsminister Aiwanger im Amt.
Und auch auf die Frage, warum er auf den Fragenkatalog von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu den Vorwürfen nur wenig ausführlich geantwortet habe, sagte Aiwanger, er wolle "hier keine weiteren Antworten zu diesen Fragen" geben.
Flugblatt-Affäre laut Aiwanger eine "Schmutzkampagne"
Aiwanger, der wegen Vorwürfen rund um ein antisemitisches Hetzblatt aus Schulzeiten massiv in die Kritik geraten war, und seine Freien Wähler beklagen seither beständig eine "Schmutzkampagne". Aiwanger sagte in dem Zusammenhang in einem Interview: "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht."
Quelle: dpa
https://www.zdf.de/
Ex-CSU-Chef Huber: Aiwangers Methoden ähneln dem Trumpismus
Zuletzt aktualisiert: 05.09.2023 | 14:24 UhrAutor: Redaktion
München (dpa) - Nach Ansicht von Ex-CSU-Chef Erwin Huber ähnelt das Verhalten von Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger im Zuge der Flugblatt-Affäre den Methoden des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. «Man kann Aiwanger natürlich nicht mit Trump gleichstellen. So groß ist der Aiwanger ja nicht. Aber die Methoden ähneln sich», sagt der 77-Jährige im Deutschlandfunk. «Man nimmt gar nicht zur Kenntnis, dass es Vorwürfe gibt. Man leugnet das einfach. Man droht mit Klage. Zweitens: Man macht sich zum Opfer. Das hat schon Ähnlichkeiten mit dem Trumpismus. Ich hoffe, dass das nicht Schule macht in der deutschen Politik.»
Aiwangers Antworten auf die 25 Fragen von Ministerpräsident Markus Söder seien kein Beispiel für Transparenz, sagt Huber. «Die Aussage, ich kann mich nicht erinnern, die spricht ja für sich. Das heißt also, Hubert Aiwanger hat eigentlich gar keinen Aufklärungswillen.»
Dennoch sei Söders Entscheidung, seinen Vize im Amt zu lassen, richtig gewesen, betont Huber. «Vier Wochen vor der Landtagswahl eine Regierungskrise heraufzubeschwören, das ist natürlich sinnlos. Das heißt, Markus Söder hat aus Verantwortungsethik gehandelt. Er denkt an die Folgen des Handelns.» Bayerns Wirtschaftslage und Energieversorgung seien die wichtigsten Probleme im Freistaat. Da «noch eine politische Krise drüber zu stülpen, wäre der falsche Weg», sagte Huber. «Er hatte leider da keine andere Wahl.» Von Aiwanger erwarte er nun «mehr Offenheit, mehr Klarheit und auch eine echte Entschuldigung».
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Aufklärung Fehlanzeige: Aiwanger verweigert Journalisten fast alle Antworten zur Flugblatt-Affäre
Auf einer Pressekonferenz nach einer Kabinettssitzung stellte sich Hubert Aiwanger den Fragen der Journalisten. Viele Antworten blieb er schuldig.
05.09.2023, 15:35 Uhr
Auf einer Pressekonferenz nach einer Kabinettssitzung wollte sich Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger am Dienstag erstmals seit der Flugblatt-Affäre einer großen Fragerunde von Journalistinnen und Journalisten stellen.
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Tatsächlich verweigerte der Politiker aber fast alle Antworten auf Fragen, die zu diesem Thema gestellt wurden.
Flugblatt-Affäre: Welche Fragen wurden gestellt?
1.
Teilnahme an Sondersitzung zur Flugblatt-Affäre
Kurz nach der Eröffnung der Fragerunde wurde Aiwanger von einem Pressevertreter gefragt, ob er beabsichtige, an der für Donnerstag geplanten Sondersitzung zur Flugblattaffäre teilzunehmen.
Aiwangers Antwort: „Ich werde nach jetziger Einschätzung am Donnerstag an dieser Sitzung teilnehmen.“
Pressekonferenz in München
Zusammen mit dem Staatskanzleiminister Florian Herrmann lud Aiwanger am Dienstag um 12 Uhr im Münchner Prinz-Carl-Palais zu einer Pressekonferenz. Im Anschluss an eine Kabinettssitzung informierte Aiwanger zunächst über die aktuelle Wirtschaftslage in Bayern.
Da der Chef der Freien Wähler bisher keine Fragen zu der kontrovers diskutierten Flugblatt-Affäre zuließ, konnten Pressevertreter hier erstmals Fragen zu diesem Thema stellen.
2.
Fehlende „Reue und Demut“
Von einem Journalisten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wurde Aiwanger gefragt, wie er auf die Kritik des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, reagiere. Schuster hatte am Montagabend in den ARD-„Tagesthemen“ unter anderem beklagt, dass er „Reue und Demut“ bei Aiwanger „nicht feststellen“ könne. Und er kritisierte, dass das Mittel der „Opfer-Täter-Umkehr“, das der Freie-Wähler-Chef gewählt habe, „überhaupt nicht geht“.
Aiwangers Antwort: Auf Schusters Kritik wollte Aiwanger, der an der Pressekonferenz nach der normalen Kabinettssitzung teilnahm, nicht eingehen: Er könne „dazu jetzt keine Antwort geben“.
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Auch auf Nachfrage, ob er nach Schusters Kritik eventuell Konsequenzen ziehen, bestimmte Dinge nicht mehr tun wolle (wie etwa den Vorwurf einer Schmutzkampagne erheben), sagte Aiwanger lediglich, er wolle „in diesem Rahmen hier keine Antwort darauf geben“.
3.
Rechtliche Schritte gegen Lehrer
Der Freie-Wähler-Chef wurde darüber hinaus von einer Journalistin gefragt, ob er bereits rechtliche Schritte gegen den Lehrer eingeleitet habe, der den Flugblatt-Skandal ins Rollen brachte.
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Aiwangers Antwort: Der Politiker wollte diese Frage nicht beantworten.
Die Flugblatt-Affäre
Ende August hatte die „Süddeutsche Zeitung“ nahegelegt, dass Hubert Aiwanger als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst habe. Aiwanger bestreitet das. Die Verantwortung für das Pamphlet hat mittlerweile sein Bruder Helmut übernommen.
Hubert Aiwanger zufolge wurden in seiner Schultasche „ein oder wenige Exemplare“ des Blattes gefunden – warum, ist bislang unklar. Später beschuldigten ehemalige Mitschüler Aiwanger, etwa Hitlergrüße gezeigt und Judenwitze gemacht zu haben.
Aiwanger erklärte, er sei niemals ein Judenfeind gewesen. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze kann ich aus meiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.“
Zugleich monierte Aiwanger, es gebe eine Kampagne gegen ihn und seine Partei. Söder hält bislang an seinem Vize fest.
4.
25 Fragen von Markus Söder
Weiterhin wurde Aiwanger auf der Pressekonferenz gefragt, warum er auf den Fragenkatalog von Ministerpräsident Markus Söder zu den Vorwürfen nur wenig ausführlich geantwortet habe.
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Aiwangers Antwort: Der Chef der Freien Wähler wollte „hier keine weiteren Antworten zu diesen Fragen“ geben. (Tsp, dpa)
https://www.tagesspiegel.de/
HUBERT AIWANGER
: Tätige Reue
EIN KOMMENTAR VON REINHARD MÜLLER-AKTUALISIERT AM 05.09.2023-20:08
Hubert Aiwanger am 4. September auf dem Gillamoos
Hitlerjunge Ratzinger? Waffen-SS-Mann Grass? Polizistenprügler Fischer? Entscheidend ist doch, was aus einem Menschen wurde.
Das Erstaunlichste am Fall Aiwanger ist nicht, dass irgendwelche Grenzen verschoben werden – sondern das Gegenteil davon. Es ändert sich einfach nichts. Die Vergangenheit regiert.
Wer die Äußerungen führender Politiker bis zum Bundeskanzler verfolgt, kann den Eindruck bekommen, das berüchtigte Pamphlet sei eine aktuelle Pressemitteilung Aiwangers oder ein Programm der Freien Wähler. Die Bundesregierung nimmt Stellung zu Schülerbefragungen über Vorgänge vor 35 Jahren, der Ministerpräsident stellt dazu detaillierte Fragen, die noch mehr Verlegenheit ausstrahlen als Aiwangers Antworten.
Dabei ist doch entscheidend: Ist ein Politiker heute ein Antidemokrat, ein Rassist, ein Antisemit? Natürlich spielt der Umgang mit der Vergangenheit eine Rolle, das Krisenmanagement. Ungeschick kann ein Rücktrittsgrund sein oder ein Grund, ein politisches Amt zu verlieren. Dazu ist überhaupt kein Grund nötig. Auch die Rede vom sogenannten (medialen) Druck, der irgendwann vermeintlich zu groß wird, vernebelt, dass es am Ende um die nüchterne Abwägung von Interessen geht: Was schadet wem mehr?
Man muss den Vorwurf begründen können
Wird aber der in Deutschland schwerstmögliche Vorwurf erhoben, so muss man ihn auch begründen können. Abgesehen von der Autorenschaft des Flugblatts, das offenbar vor 35 Jahren an der Schule Aiwangers kursierte, müsste geklärt werden, wenn man diesen Vorwurf erhebt, ob in dem Dokument Judenhass des Autors zum Ausdruck kommt – oder ob eine andere Deutung möglich ist, etwa der Wille zur gezielten Provokation mit dem widerlichsten Mittel.
Und selbst wenn Aiwanger als Autor oder Verteiler zu identifizieren wäre und er als Minderjähriger rechtsextreme Einstellungen gehabt hätte, müsste die entscheidende Frage doch lauten: Ist das heute noch der Fall? Oder darf wirklich jemand, der in den Achtzigern ein solches Flugblatt mitverantwortete, auch Jahrzehnte später keine politische Verantwortung tragen? Das wäre eine härtere Konsequenz als gegenüber den zahlreichen Politikern und Wirtschaftsführern, die dem Nationalsozialismus und später der Bundesrepublik treu gedient hatten und damals, als Aiwanger zur Schule ging, gerade erst in Pension gingen. Von jenen vielen, die jedenfalls mittelbar tatsächlich Verantwortung für Terror und Massenmord trugen, hat man kaum je eine Entschuldigung gehört. Wohl aber, wenn man so will, tätige Reue – durch Mitwirkung am Aufbau des demokratischen Rechtsstaats.
Menschen verändern sich
Die in der Tat fragwürdige Passage von Aiwangers Erdinger Rede, man müsse den Menschen die Demokratie zurückgeben, hat jedenfalls mit Antisemitismus nichts zu tun. Auch sonst sind keinerlei Vorwürfe gegen den Politiker Aiwanger bekannt geworden, die etwa dessen Verfassungsfeindlichkeit begründen würden. Es sei denn, man setzte jedwede konservative Position, jede populistische Note, ja womöglich jede Ampel-kritische Haltung damit gleich. Das tun die Vorsitzenden der Ampelparteien, indem sie den Eindruck erwecken, der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns müsse aktuelle Nazi-Vorwürfe ausräumen. Und das in einem Fall, in dem der Schutzraum Schule seine Akten längst geschlossen hat.
Wie kann man unter diesen Umständen überzeugend darlegen, man sei kein Nazi? Reicht eine wohlklingende Erklärung, oder ist nicht eine lange unbescholtene Zeit in der Politik auch ein Beleg dafür?
Die Vergangenheit ist wichtig, aber Menschen verändern sich. Wir beurteilen auch nicht mehr aufgrund früherer Funktionen oder Taten – weder den Hitlerjungen Ratzinger noch den Waffen-SS-Mann Grass noch den Polen-Verächter Stauffenberg. Ja, jene Zeit hatte ihre Zwänge. Aber wir reden auch nicht vom Polizisten-Prügler Joschka Fischer und vom FDJ-Freund Olaf Scholz. Hier geht es immerhin um Verhalten im und gegen den demokratischen Rechtsstaat und um die Nähe zu menschenfeindlichen Regimen. Zudem im durchaus reiferen Alter.
Es scheint gut anzukommen
Der Unterschied ist wohl: Bei diesen wird eine natürliche, wohlbegründete Entwicklung gesehen, das Auf und Ab von Menschen, die mal über die Stränge schlugen, aber letztlich immer dem Guten dienen wollten. Zudem waren sie immer medial bestens vernetzt und gut beraten.
Aiwanger wirkt dagegen kaum beraten, nicht strategisch und nicht besonders sensibel. Das kann man ihm vorwerfen; das scheint aber auch anzukommen. Söders Entscheidung hat nichts zutage gefördert oder gesellschaftlich verschoben, was nicht ohnehin vorhanden ist und gärt. Auch eine Entlassung Aiwangers hätte einiges nach oben gespült.
Der Fall taugt nicht als Beispiel der Aufkündigung eines vermeintlichen gesellschaftlichen Konsenses. Die Debatte, die auch eine läuternde Wirkung haben dürfte, ist ein Zeichen lebendiger Demokratie.
Reinhard Müller
Verantwortlicher Redakteur für „Zeitgeschehen“ und F.A.Z. Einspruch, zuständig für „Staat und Recht“.
Quelle: F.A.Z.
https://www.faz.net/
FLUGBLATT-AFFÄRE
"Eine Schande Bayerns": Politiker reagieren auf Söders Rückendeckung für Aiwanger
Hubert Aiwanger bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn
Während Söder seinen Wirtschaftsminister Aiwanger vom Haken lässt, macht der Freie-Wähler-Chef macht in einem Bierzelt in Grasbrunn Wahlkampf
© Tobias Schwarz / AFP
03.09.2023, 13:21
4 Min.
Markus Söder hat ein Machtwort gesprochen: Trotz des Skandals um ein antisemitisches Flugblatt hält Bayerns Ministerpräsident an seinem Vize Hubert Aiwanger fest. Dass der Chef der Freien Wähler glimpflich davonkommt, löst in der Opposition teils Entsetzen aus.
Nach einem tagelangen Hin und Her sorgte Markus Söder nun für Klarheit: Der bayrische Ministerpräsident hält an seinem Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fest – trotz der Affäre um ein antisemitisches Pamphlet aus dessen Schulzeit.
Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder bei einer für Sonntagvormittag kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in München. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt. Dessen Krisenmanagement sei zwar "nicht glücklich" gewesen. Aiwangers Entschuldigung sei aber "nicht zu spät" gekommen. Damit sei die Angelegenheit aus seiner Sicht vom Tisch, stellte der CSU-Chef klar.
Dass Söder die Affäre rund einen Monat vor der Landtagswahl in Bayern vom Tisch haben wollte, kam nicht überraschend. In der Opposition sorgt Söders Entscheidung freilich für heftige Kritik. Die Reaktionen im Überblick.
Reichstagsgebäude in Berlin
© serienlicht / Imago Images
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Bayerns SPD-Chef spricht von "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern"
Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn hat den Verbleib des Vize-Ministerpräsidenten als "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt" bezeichnet. "Dass die CSU unter Markus Söder einen aktiven Rechtspopulisten und früher auch rechtsradikal tätigen Aktivisten als Stellvertreter in der Regierung akzeptiert, ist ein negativer Höhepunkt in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland", schrieb der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl auf X (vormals Twitter).
Die Bedingungen von Markus Söder seien klar gewesen: "Es muss ein Einzelfall sein. Die letzten Tage zeigen jedoch keinen Einzel-, sondern einen Regelfall." Die Entschuldigungen von Herrn Aiwanger seien zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig gewesen. Die Angriffe und Vorwürfe gegen Medien seien unvereinbar mit der Pressefreiheit und mit der bayerischen Verfassung. "So jemand ist kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns." Den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern sei nun klar, dass die CSU unter Markus Söder nicht nur rechts blinke, sondern auch nach rechts winke, sagte von Brunn. "Die BayernSPD war, ist und bleibt das Bollwerk gegen Rechts im Freistaat Bayern."
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat die Entscheidung als Schaden für das Ansehen Deutschlands bezeichnet. "Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der Umgang mit Antisemitismus dürfe keine taktische Frage sein, sagte Faeser und fügte hinzu: "Herr Aiwanger hat sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können." Stattdessen erkläre er sich "auf unsägliche Weise" selbst zum Opfer. Dabei denke er "keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden. So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen." Faeser weiter: "Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes."
Grüne und FDP wettern gegen Söders Entscheidung
Ganz ähnlich sehen das die Grünen. Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze ging Söder scharf an. Schließlich sei es die Aufgabe des Ministerpräsidenten, Schaden vom Land abzuwenden. "Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Ansehen Bayerns", twitterte sie. Ihr Ko-Vorsitzender Ludwig Hartmann formulierte es knapper: "Taktik geht bei Markus Söder vor Haltung", schrieb er bei X:
Vizekanzler Robert Habeck hat Söders Entscheidung ebenfalls scharf kritisiert. "Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Da ist eine Grenze überschritten." Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders "leider keine gute", erklärte Habeck. "Es geht hier nicht um Jugendsünden seines Koalitionspartners, sondern am Ende um den Grundkonsens dieser Republik, den jede Regierung in Bund und Ländern voll und ganz schützen muss."
Auch Bayerns FDP-Chef Martin Hagen ist alles andere als zufrieden mit Söders Rückendeckung für Aiwanger. Dem Ministerpräsidenten "fehlt offenbar die Kraft für eine klare Entscheidung", schrieb er. Er sei gespannt, was Aiwanger mit einem solchen "Freifahrtsschein" anfange. Dessen Antworten auf den von Söder zuvor gestellten Fragenkatalog überzeugten ihn zudem nicht. "Statt Aufrichtigkeit und Reue erleben wir Erinnerungslücken und trotzige Medienschelte", so Hagen weiter. Die bayerische Staatsregierung hatte die 25 Fragen samt Antworten nach der Pressekonferenz veröffentlicht.
CSU steht hinter Söder
Zustimmung erhält Söder derweil aus den eigenen Reihen. "Die Entscheidung des Ministerpräsidenten ist richtig – eine Entlassung wäre unverhältnismäßig gewesen. Ich hätte mir eine deutlich bessere Krisenkommunikation von Hubert Aiwanger gewünscht", ließ CSU-Politikerin und Landtagspräsidentin Ilse Aigner mitteilen. "Zeitnahe, klare, ehrliche Aussagen – auch zu einer noch so dünnen Verdachtsberichterstattung – und eine schnellere Distanzierung von diesem ekelhaften Pamphlet hätten nicht zu dieser unsäglichen Hängepartie geführt, die Bayern insgesamt geschadet hat."
Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Bayern
FLUGBLATT-AFFÄRE
Aiwangers Woche voller Wendungen und Windungen
Weiter sagte Aigner: "Seine Aussagen zur Demokratie im Vorfeld der Flugblatt-Affäre waren auch nicht gerade hilfreich für eine Einordnung der Geschehnisse von vor 36 Jahren." Aiwanger hatte im Juni auf einer Kundgebung in Erding gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die "Demokratie zurückholen" müsse
Aiwanger selbst sieht sich als Opfer einer politischen Hexenjagd
Aiwanger selbst bezeichnete die Vorwürfe im Zuge der Flugblatt-Affäre fast zeitgleich als gescheiterte politische Kampagne gegen ihn. Es gebe keinen Grund, ihn zu entlassen, schrieb er auf X. "Wir müssen jetzt "wieder zur Tagesarbeit für unser Land zurückkehren", so Aiwanger weiter:
"Das war ein schmutziges Machwerk", hatte Aiwanger kurz zuvor bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn (Landkreis München) gesagt. "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden." Doch die Partei sei durch die Vorwürfe "gestärkt worden", sagte Aiwanger. "Wir haben ein sauberes Gewissen." Seine Gegner seien mit ihrer "Schmutzkampagne gescheitert".
Die Landtagsfraktion der Freien Wähler begrüßte Söders Rückendeckung wenig überraschend. "Wir sind froh, dass die Bayernkoalition für unser Land stabil und in Einmütigkeit weiterarbeiten wird", sagte Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl laut einer Mitteilung. "Wir sind der Auffassung, dass Hubert Aiwanger für das unverantwortliche und vollkommen inakzeptable Handeln eines Familienmitglieds vor mehr als drei Jahrzehnten keinerlei politische Verantwortung trägt."
Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. CSU und Freie Wähler hatten bisher stets erklärt, ihre Koalition nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Das bekräftigte Söder am Sonntag erneut.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde aktualisiert.
yks DPA
https://www.stern.de/
Causa Aiwanger
Söder hält an Vize fest
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat für Sonntagvormittag, den 03. September 2023, eine kurzfristige Pressekonferenz angesetzt, "aus aktuellem Anlass", wie die Münchner Staatskanzlei mitteilte. Dabei nahm Söder in Bezug auf die Flugblatt-Affäre um den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger Stellung. Söder gab am Sonntag bekannt, er sei in der "Gesamtabwägung“ zu dem Schluss gekommen, dass eine Entlassung seines Stellvertreters Aiwanger aus seiner Sicht "nicht verhältnismäßig“ wäre.
Pressestatement von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) am 03.09.23
Nach einem Sonderkoalitionsausschuss am letzten Dienstag bekräftigte Söder zunächst seine Unterstützung für Aiwanger. Jedoch wurde Aiwanger ein Katalog mit 25 Fragen überreicht, die er schriftlich beantworten sollte. Söder kündigte an, dass er nach Erhalt dieser Antworten eine abschließende Bewertung vornehmen werde.
Trotz der Kontroverse lehnte Aiwanger einen Rücktritt als Vize-Ministerpräsident Bayerns bisher ab und bezeichnete die Vorwürfe als Teil einer Kampagne gegen seine Partei. Er plant, die Koalition mit der CSU nach der Landtagswahl im Oktober fortzusetzen, da er bei seinen Wähler:innen große Unterstützung erfährt. Die Pressekonferenz von Söder wurde daher mit großer Spannung erwartet, da sie Aufschluss darüber gab, wie die bayerische Regierung mit dieser Affäre weiter umgehen wird und ob es zu einer Entlassung von Aiwanger durch Söder kommt.
Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke mit einer Einordnung zur Aiwanger-Entscheidung am 03.09.23
SÖDER BELÄSST AIWANGER IM AMT
Markus Söder hat sich trotz der Kontroverse um das antisemitisches Flugblatt dafür entschieden, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, wie er in dem Pressestatement bekannt gab. Söder erklärte, dass er nach einer gründlichen Überlegung zu diesem Schluss gekommen sei. Aiwanger habe den Fragenkatalog beantwortet und in einem ausführlichen Gespräch am Vorabend versichert, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe. Er habe sich auch entschuldigt und Reue gezeigt. "Daher in der Gesamtabwägung, dass kein Beweis vorliegt, dass die Sache 35 Jahre her ist und dass seitdem nichts Vergleichbares vorgefallen ist, wäre eine Entlassung aus dem Amt aus meiner Sicht nicht verhältnismäßig", sagte Söder. Er sprach von einer Entscheidung "mit Augenmaß". Damit stehe auch fest: "Wir werden in Bayern die bürgerliche Koalition fortsetzen können." Allerdings kritisierte er Aiwangers Krisenmanagement als unzureichend und betonte, dass dieser schneller und gründlicher aufklären hätte müssen. Söder erklärte, dass Bayern in dieser Woche Schaden genommen habe. Aiwanger müsse das verlorene Vertrauen zurückgewinnen, unter anderem durch Gespräche mit jüdischen Gemeinden.
Die Fragen und Antworten des Katalogs wurden unmittelbar im Anschluss an die Pressekonferenz veröffentlicht. Söder lobte zwar, dass Aiwanger alle Fragen beantwortet habe, kritisierte aber einige der Antworten als unbefriedigend. Er halte ihm zugute, dass sich Aiwanger erneut von dem Flugblatt distanziert habe. In seinen Antworten äußert sich Aiwanger zurückhaltend zu den meisten kritischen Fragen. In zehn der 25 Antworten verweist er auf fehlende Erinnerung oder fehlende Kenntnis. Den Vorfall bezeichnet er als „einschneidendes Ereignis“, das „wichtige gedankliche Prozesse angestoßen“ habe, ohne dabei ins Detail zu gehen. Sie können den Fragenkatalog der Bayerischen Staatsregierung inklusive der Antworten von Aiwanger hier als PDF-Datei herunterladen:
Download: Fragen an Staatsminister Aiwanger
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Kurz nach Söders Pressestatement äußerte sich Aiwanger selbst bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn erneut zu den Vorgängen. "Das war ein schmutziges Machwerk", sagte er. "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden." Doch die Partei sei durch die Vorwürfe "gestärkt worden", fügte er hinzu. Seine Gegner seien mit ihrer "Schmutzkampagne gescheitert".
https://www.phoenix.de/
Kommentar zu Aiwanger
Eine Kampagne gegen die Öffentlichkeit
Hubert Aiwanger behauptet, es laufe eine „Schmutzkampagne“ gegen ihn. Tobias Krone widerspricht: Es gebe ein berechtigtes öffentliches Interesse an ihm und er hätte die Vorwürfe leicht selbst ausräumen können. So aber betreibe er seine eigene Kampagne.
Krone, Tobias | 02.09.2023, 13:20 Uhr
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VORWÜRFE VON MITSCHÜLER
: Aiwanger will sich nicht an Hitlergruß erinnern
VON ANNA-LENA RIPPERGER-AKTUALISIERT AM 30.08.2023-19:56
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) am Dienstag in Steinbrünning
Zu Vorwürfen, er habe als Schüler mehrmals den Hitlergruß gezeigt, sagt der Freie-Wähler-Chef, das sei ihm „nicht im Entferntesten erinnerlich“. Er sei seit dem Erwachsenenalter „kein Antisemit, kein Extremist“.
In der Flugblatt-Affäre um den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat sich die Schlagzahl der Forderungen und Vorwürfe bis Mittwoch noch einmal erhöht. Am Dienstag berichtete die ARD-Sendung „Report München“, Aiwanger solle während seiner Schulzeit mit Imitationen Adolf Hitlers aufgefallen sein. Das Magazin berief sich dabei auf einen Mitschüler Aiwangers, der sich in der Sendung auch namentlich zu erkennen gab. Aiwanger habe in seiner Schulzeit am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg öfter Hitler-Reden imitiert und im Klassenzimmer ab und an „einen Hitlergruß gezeigt“, so der damalige Mitschüler.
Ein anderer Mitschüler berichtete dem Magazin, er erinnere sich daran, wie Aiwanger auf der Fahrt zu einer KZ-Gedenkstätte einen Judenwitz gemacht habe. Dieser Mitschüler hat laut dem Bayerischen Rundfunk, der „Report München“ produziert, eine eidesstattliche Erklärung dazu abgegeben, will aber namentlich nicht genannt werden.
Aiwanger: Habe mit Söder „intensivst gesprochen“
Aiwanger reagierte am Mittwoch auf die neuen Vorwürfe. Der „Bild“-Zeitung sagte er: „Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll.“ Vor Journalisten in Donauwörth sagte der Freie-Wähler-Chef, er sei „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund“. Was „in Jugendzeiten hier diskutiert wird, wundert mich etwas“, fügte Aiwanger hinzu. „Aber es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann.“ Über einige Berichte müsse er jedoch „teilweise den Kopf schütteln“. Auf seinem X-Profil (ehemals Twitter) hatte Aiwanger zuvor zum ersten Mal seit dem Wochenende wieder einen Post abgesetzt: „#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger“.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kritisierte die von Aiwanger in Donauwörth gemachten Aussagen. Der Freie-Wähler-Vorsitzende lasse auch „Tage nach dem Bekanntwerden des antisemitischen Flugblattes aus seiner Schulzeit Einsicht und die Bereitschaft zur ehrlichen Auseinandersetzung vermissen“, sagte Schuster der „Bild“-Zeitung. Es hätte eine schnelle Reaktion in diesem Sinne gebraucht. Nun gehe es nicht mehr darum, ob sich jemand in 35 Jahren glaubhaft wandeln könne, sondern „um den Umgang mit den Vorwürfen, der fast schon trotzig wirkt“. Wenn Aiwanger in seiner Jugend zum Umfeld eines Milieus gehört habe, „in dem diese Art von Rhetorik und Gesinnung üblich war“, sollte ihm heute „ein Wille zur Aufklärung besonders wichtig sein“, äußerte Schuster.
In einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ vom Samstag wurde Aiwanger vorgeworfen, während seiner Schulzeit in den Achtzigerjahren ein antisemitisches Flugblatt verfasst und verteilt zu haben. Er bestritt am Tag des Erscheinens in einer schriftlichen Stellungnahme, der Verfasser des Flugblatts zu sein, teilte aber mit, es seien damals „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. In der Folge meldete sich sein Bruder Helmut zu Wort und bezeichnete sich als den Verfasser des Flugblatts.
Von der Opposition im Bayerischen Landtag und aus der Bundespolitik wurden daraufhin Forderungen an Aiwanger und den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geäußert, weiterhin offene Fragen zu klären. Am Dienstag kam der Koalitionsausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Im Anschluss teilte Söder mit, Aiwangers Erläuterungen seien nicht als ausreichend empfunden worden, um den Fall abschließend zu bewerten. Deshalb werde man ihm 25 Fragen zur schriftlichen Beantwortung übermitteln.
Dazu sagte Aiwanger am Mittwoch, er werde sich die an ihn gerichteten Fragen genau anschauen. Er habe mit Söder zuvor „intensivst gesprochen“, die Situation sei „sehr ernst“. Von „den Menschen“ erhalte er bei Wahlkampfveranstaltungen derzeit überwiegend die Rückmeldung, dass es sich bei den Vorwürfen gegen ihn um eine „Schmutzkampagne“ handle und er politisch und persönlich „zerstört“ werden solle.
Freie Wähler: Koalition nur mit Hubert Aiwanger
Seine Partei hatte ihm zuvor den Rücken gestärkt. „Wir stehen als Freie Wähler hundertprozentig hinter Hubert Aiwanger. Und das werden wir auch weiter tun“, sagte Freie-Wähler-Generalsekretärin Susann Enders in München nach Beratungen des Partei- und Fraktionsvorstands. Fraktionschef Florian Streibl äußerte in Reaktion auf Äußerungen Söders vom Dienstag: „Eine Botschaft müssen wir senden: Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben.“
Der bayerische Ministerpräsident hatte in einer Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss geäußert, er halte an dem Bündnis mit den Freien Wählern fest. Die Zusammenarbeit „ist gut“, sagte Söder, fügte aber hinzu, Koalitionen hingen nicht an einzelnen Personen.
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In Meseberg äußerten sich am Mittwoch nach der Kabinettsklausur auch die Spitzen der Berliner Ampelkoalition zu der Affäre um das Flugblatt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) forderten umfassende Aufklärung und gegebenenfalls auch Konsequenzen für Aiwanger. Scholz sagte: „Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Und deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss.“ Wenn das geschehen sei und „nichts vertuscht und verwischt wird“, müssten notwendige Konsequenzen daraus gezogen werden.
Habeck: Weitere Zusammenarbeit mit Aiwanger schwer vorstellbar
Vizekanzler Habeck sagte, er finde Aiwangers Umgang mit den Berichten unaufrichtig. Er habe jüngst in verschiedenen Reden „offensichtlich“ eine Sprache des „rechten Populismus“ benutzt. Es sei eine Frage an Söder, ob er mit einem Kollegen, der so agiere, weiter zusammenarbeiten wolle. „Ich finde es schwer vorstellbar.“
Bundesfinanzminister Lindner sagte: „Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig.“ Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden und gegebenenfalls Konsequenzen geben – durch Aiwanger selbst oder durch Söder.
Lindners Parteikollege, der bayerische FDP-Fraktionschef Martin Hagen, bot der CSU seine Partei als Koalitionspartner an. „Wenn Markus Söder noch bundespolitische Ambitionen hat, kann er sich keinen Stellvertreter leisten, der braune Flecken in seiner Vita hat und einen ehrlichen, selbstkritischen Umgang damit verweigert“, sagte Hagen der Mediengruppe Bayern. „Die CSU wird einen neuen Partner brauchen.“ Vor diesem Hintergrund sei „ein bürgerliches schwarz-gelbes Bündnis“ für Bayern seiner Meinung nach „das Beste“, fügte er an.
Quelle: F.A.Z.
https://www.faz.net/
Aiwanger: "Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht"
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat die Vorwürfe gegen ihn wegen eines antisemitischen Flugblatts als Missbrauch der Judenverfolgung im Nationalsozialismus bezeichnet. "In meinen Augen wird hier die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht", sagte Aiwanger am Donnerstag der "Welt". Er sei überzeugt, dass die Freien Wähler durch die Vorwürfe "geschwächt und Stimmen auf andere Parteien gesteuert werden" sollten.
31. August 2023 - 18:02 Uhr | dpa
Hubert Aiwanger (Freie Wähler, M), Wirtschaftsminister von Bayern, gibt ein Autogramm. © Tobias C. Köhler/dpa
München
Auf die Frage, weshalb das Flugblatt mit antisemitischen Inhalten in seiner Schulzeit in seiner Schultasche gefunden worden war, antwortete Aiwanger: "Mir fehlt schlichtweg die Erinnerung." Auf die Frage, ob er ausschließen könne, das Flugblatt verteilt zu haben, sagte der Freie-Wähler-Chef: "Das kann ich nicht mehr einordnen."
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Zuvor hatte sich Aiwanger im Zusammenhang mit dem Flugblatt öffentlich für Fehler in seiner Jugendzeit entschuldigt, gleichzeitig aber betont, er sei Ziel "einer politischen Kampagne".
https://www.abendzeitung-muenchen.de/
DEUTSCHLAND
ANTISEMITISCHES FLUGBLATT
Aiwanger sendet Tweet – Mitschüler berichtet von Hitlergrüßen
Veröffentlicht am 01.09.2023 | Lesedauer: 4 Minuten
„Es gibt einen Mitschüler, der behauptet, Aiwanger habe den Hitlergruß gezeigt“
Immer mehr Informationen werden in der Causa Aiwanger bekannt. Nun gibt ein Mitschüler an, Hubert Aiwanger habe den Hitlergruß in seiner Schulklasse gezeigt. Die bisher mangelnde Aufklärung durch den Freie-Wähler-Chef verwundert Kolumnist Gunnar Schupelius.
„Schmutzkampagnen gehen nach hinten los“, prophezeit der in der Kritik stehende Hubert Aiwanger auf der Plattform X. Erstmals berichtet derweil ein früherer Mitschüler namentlich über das Verhalten des heutigen bayerischen Vize-Ministerpräsidenten zu Schulzeiten.
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Eigentlich sollte der bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mit der Beantwortung von 25 Fragen zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten beschäftigt sein. Nebenbei bleibt offenbar Zeit für einen Tweet: Am Mittwochmorgen veröffentlichte Aiwanger auf der Plattform X (vormals Twitter) ein kurzes Statement: „Schmutzkampagnen gehen nach hinten los“, heißt es darin. Mehr nicht.
Aiwanger (52) hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.
In den Kommentaren erntet Aiwanger Kritik für den Post. Einige Nutzer fordern ihn zum Rücktritt auf, andere wollen Aufklärung. In Bayern sind am 8. Oktober Landtagswahlen.
Ab und zu „einen Hitlergruß gezeigt“
Ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte der Bayerische Rundfunk einen Beitrag, in dem ein früherer Mitschüler Aiwangers aus der gemeinsamen Gymnasialzeit berichtet. Beim Betreten des vollbesetzten Klassenzimmers habe Hubert Aiwanger ab und zu „einen Hitlergruß gezeigt“, sagte Mario Bauer demnach im Interview mit „report München“ und BR24. Auch habe der 16- oder 17-jährige Aiwanger oft Hitler-Reden imitiert. „Da wollte er immer damit auffallen.“
Darauf angesprochen, sagte Aiwanger gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass er sich an eine solche Geste nicht erinnern kann. Er sei ein Menschenfreund und kein Antisemit oder Extremist.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte seinen Vize am Dienstag aufgefordert, alle im Raum stehenden Vorwürfe betreffend dessen Schulzeit schnell und umfassend zu klären. Dazu wurde Aiwanger ein Fragenkatalog übermittelt.
„Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben“, bekräftigte Söder am Mittwoch am Rande eines Termins im oberbayerischen Beilngries. Das gelte für Fragen, die es seit dem Wochenende gebe, und auch für neue Fragen und Vorwürfe, die inzwischen dazugekommen seien, erklärte der CSU-Vorsitzende.
Dies müsse aber in einem fairen Verfahren stattfinden, betonte Söder. Deshalb habe der Freie-Wähler-Chef nun die Gelegenheit, sich zu äußern, und zwar „vernünftig, fair, und aber auch umfassend“. 25 Fragen habe man ihm übermittelt. „Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten“, betonte Söder. „Wir hoffen sehr, dass das am Ende endlich gelingen kann, diese Sachen zweifelsfrei zu klären. Denn eines ist klar: Solche Vorwürfe dürfen nicht weiter im Raum stehen.“
Hubert Aiwanger (Freie Wähler, M), bei einer Veranstaltung am Dienstagabend
Quelle: dpa/Tobias C. Köhler
Aiwangers Aussagen im Koalitionsausschuss am Dienstag reichten für eine abschließende Klärung „definitiv nicht aus“, hatte Söder am Dienstag gesagt. Es dürften „keine Restzweifel“ bleiben. Er machte aber auch deutlich, dass er mindestens vorerst an Aiwanger festhält: „Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß.“
Die Freien Wähler in Bayern stehen trotz der Vorwürfe geschlossen zu ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Das sagten mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstandes am Mittwoch nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München. Aiwanger, der ebenfalls mit dabei war, äußerte sich allerdings selbst nicht.
„Wir stehen als Freie Wähler hundertprozentig hinter Hubert Aiwanger. Und das werden wir auch weiter tun“, sagte Generalsekretärin Susann Enders. Es gebe eine „geschlossene Rückendeckung“. Enders kritisierte Teile der medialen Berichterstattung, Rücktrittsforderungen der Opposition und sprach wörtlich von einer „üblen Schmutzkampagne“. Fraktionschef Florian Streibl betonte ebenfalls, man stehe geschlossen hinter Aiwanger. „Wir sind mit ihm solidarisch“, sagte er.
Aiwanger muss sich erklären – nicht nur vor Söder, sondern vor der Öffentlichkeit
Streibl fügte in Reaktion auf Äußerungen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vom Dienstag hinzu: „Eine Botschaft müssen wir senden: Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben.“ Auf Spekulationen, Aiwanger könnte in einer Art Rochade aus dem Ministeramt an die Spitze der Freie-Wähler-Fraktion wechseln, ging Streibl nicht ein. „Aiwanger wird immer irgendwie dabei sein“, betonte er lediglich. „Ohne wird‘s nicht gehen.“ Auch Fraktionsvize Bernhard Pohl sagte: „Für mich ist es völlig unvorstellbar, dass wir ohne Hubert Aiwanger weitermarschieren.“
Umweltminister Thorsten Glauber machte deutlich, dass er keine Grundlage für Söder sieht, Aiwanger aus dem Ministeramt zu entlassen. „Explizit ist hier nichts bewiesen.“ Und was nicht bewiesen sei, sei nicht justiziabel. Es gelte die Unschuldsvermutung, betonte er.
„Die CSU wird einen neuen Partner brauchen“
Die Krise trifft die Landesregierung mitten im Wahlkampf. In nur fünf Wochen wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Während Söder nach eigenen Angaben vorhabe, die Koalition mit den Freien Wählern trotz der Affäre fortzusetzen, meldet sich FDP-Fraktionschef Martin Hagen am Mittwoch und bietet seine Partei der CSU als Koalitionspartner an.
„Wenn Markus Söder noch bundespolitische Ambitionen hat, kann er sich keinen Stellvertreter leisten, der braune Flecken in seiner Vita hat und einen ehrlichen, selbstkritischen Umgang damit verweigert“, sagte Hagen der Mediengruppe Bayern. „Die CSU wird einen neuen Partner brauchen.“ Vor diesem Hintergrund sei „ein bürgerliches schwarz-gelbes Bündnis“ für Bayern seiner Meinung nach „das Beste“, fügte er an.
https://www.welt.de/
Verdachtsberichterstattung – was dürfen Journalisten?
Nach der SZ-Recherche zu Hubert Aiwanger und dem antisemitischen Flugblatt aus der Schulzeit ist die bayerische Landespolitik in Aufruhr. Grundlage ist zum Teil eine sogenannte Verdachtsberichterstattung. Die ist unter bestimmten Umständen erlaubt.
Von
Ingo Lierheimer
Über dieses Thema berichtete BR24 am 29.08.2023 um 15:48 Uhr.
"Der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger steht im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst und (…) ausgelegt zu haben." So beginnt die Süddeutsche Zeitung ihren Artikel vom vergangenen Samstag, der seitdem die Landespolitik in Atem hält. Anfangs dementierte der Freie-Wähler-Chef den kompletten Sachverhalt; später räumte er ein, das Flugblatt in seinem Schulranzen gehabt zu haben und von der Schule diszipliniert worden zu sein; dann gab sein Bruder bekannt, Verfasser der Hetzschrift gewesen zu sein. Das Ganze, begleitet von zahlreichen politischen Reaktionen bis hin zu einem Statement des Bundeskanzlers, gipfelte vorerst in einem Sonderkoalitionsausschuss der Staatsregierung.
Zum Artikel: "Aiwanger in Sondersitzung - Ergebnisse, offene Fragen"
Quellen bleiben anonym
Basis der politischen Verwerfungen bleibt die veröffentlichte Recherche der Süddeutschen Zeitung. Unbestritten sind dabei die Existenz und der Inhalt des antisemitischen Hetzblatts. Bis dahin handelt es sich noch nicht um eine Verdachtsberichterstattung. Erst bei der Zuschreibung der Autorschaft des Flugblatts beruft sich die Zeitung auf rund "zwei Dutzend Personen", mit denen sie gesprochen habe. Aus diesen Aussagen ergibt sich für die Rechercheure ein Gesamtbild, zusammengefügt zum dann publizierten Verdacht, "Aiwanger sei als Urheber dieses Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden".
Dass die Quellen namentlich aus Sorge vor möglichen dienstrechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen nicht genannt werden wollen, spielt für den Wahrheitsgehalt keine Rolle. Journalisten müssen ihre Quellen kennen, sie aber auch maximal schützen.
Bedingungen für Verdachtsberichterstattung
Natürlich dürfen Journalisten nicht grundlos Vorwürfe gegenüber einer Person erheben. Das Persönlichkeitsrecht ist stark geschützt. Das bedeutet, dass eine Verdachtsberichterstattung an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist. Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der Technischen Universität Dortmund, erläutert diese im Gespräch mit BR24. Demnach muss es vor allem hinreichend Substanz für einen Verdacht geben, dieser dürfe nicht aus der Luft gegriffen sein. Darüber hinaus müsse der Verdacht deutlich als solcher kenntlich gemacht werden, mit Formulierungen im Konjunktiv oder einschränkenden Adjektiven wie "mutmaßlich". Ganz wichtig: Die Person, gegen die die Vorwürfe erhoben werden, muss vor der Publikation Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen. Außerdem darf die Berichterstattung nicht vorverurteilen.
Abwägung: Berichterstattungsinteresse gegen Persönlichkeitsrecht
Selbst wenn dies alles erfolgt ist, müssen seriös arbeitende Journalisten immer noch abwägen zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an dem Vorfall und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen. Dabei geht es zum Beispiel auch darum, ob der Name einer Person, die in Verdacht gestellt wird, genannt wird. Das wiederum hänge von der Schwere des Vorwurfs ab und der öffentlichen Bedeutung der Person, sagt Tobias Gostomzyk. Und er hält fest, dass bei "Politikern diese Bedeutung regelmäßig als sehr hoch einzustufen ist".
Recht auf Vergessen
Rund 36 Jahre liegt im Fall Aiwanger das Verfassen und die Verteilung des antisemitischen Hetzblatts zurück. Also der Gegenstand der Berichterstattung. Unter anderem deswegen kritisiert Timo Rieg in seinem medienkritischen Blog "SpiegelKritik" die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung. Ihm fehle die Relevanz, so Rieg, da das Blatt aus seiner Sicht nicht begründet habe, warum das Flugblatt heute noch eine Rolle spiele.
Tatsächlich komme dem "Recht auf Vergessen" mit Blick auf das Persönlichkeits- und Datenschutzrecht eine zunehmend größere Bedeutung zu, insbesondere mit Blick auf Internet-Suchmaschinen, sagt Medienrechtler Gostomzyk. Er verweist aber überdies auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach auch über lange zurückliegende Ereignisse berichtet werden darf, wenn genügend Anknüpfungspunkte gegeben sind. Im Fall Aiwanger spreche aus seiner Sicht viel dafür.
Berichterstattung kurz vor der Wahl
Von verschiedenen Seiten kritisiert wird der Zeitpunkt der SZ-Publikation kurz vor der Wahl.
Aktuelle Nachrichten und Hintergründe zur Landtagswahl in Bayern 2023
So schreibt zum Beispiel Carsten Brennecke, Rechtsanwalt für Presserecht, auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter), dass sich die Frage stelle, ob die Berichterstattung bewusst kurz vor der Landtagswahl in Bayern platziert worden sei.
X (vormals Twitter)
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Rechtlich habe das keine Relevanz, sagt Tobias Gostomzyk im Gespräch mit BR24. Zwar liege es auf der Hand, dass die Berichterstattung eine Form der politischen Einflussnahme sein könnte. Aber gerade durch die herausgehobene politische Position Hubert Aiwangers sei es gerechtfertigt, den Wählerinnen und Wählern die Information eben nicht vorzuenthalten und nicht erst nach der Wahl zu berichten.
https://www.br.de/
Aussagen über Hitlergruß
:Druck auf Aiwanger wächst: Neue Vorwürfe
Datum:
30.08.2023 18:18 Uhr
Nach Flugblättern in Aiwangers Schultasche berichtet ein ehemaliger Mitschüler nun von Hitlergrüßen. Aiwanger weist das zurück. Der Druck auf ihn wächst aber.
Aktuell herrscht Krisenzeit in Bayern, Vize-Ministerpräsident Aiwanger wird mit einem antisemitischen Flugblatt in seiner Schulzeit in Verbindung gebracht. Nun äußert er sich.
30.08.2023
Der Druck auf Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger wächst. Es gibt neue Vorwürfe gegen ihn: Aiwanger soll in den 1980er Jahren beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers ab und zu "einen Hitlergruß gezeigt" haben, wie ein ehemaliger Mitschüler Aiwangers dem ARD-Magazin "Report München" sagte. Er sei demnach ein Mitschüler von der 7. bis 9. Klasse gewesen.
Zudem habe Aiwanger "sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang". Auch judenfeindliche Witze seien "definitiv gefallen". Welche "starke Gesinnung" dahinter gesteckt habe, dazu sagte er: "Keine Ahnung."
ZDF-Korrespondent Stefan Leifert in München über Aiwanger und die Freien Wähler:
Die Partei der Freien Wähler stehe bisher weiterhin hinter Hubert Aiwanger, trotz erster Eingeständnisse, dass dort doch etwas war, so ZDF-Studioleiter Stefan Leifert aus München.
Aiwanger weist die Vorwürfe zurück. "Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird", sagte der Freie-Wähler-Chef am Mittwoch dem Sender Welt TV.
Aber auf alle Fälle, ich sag' seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.
Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef
Er könne "für die letzten Jahrzehnte alle Hände ins Feuer legen". Was aus Jugendzeiten nun diskutiert werde, wundere ihn etwas. Der "Bild" sagte Aiwanger zum Thema Hitlergruß: "Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll."
Söder erhöht Druck auf Aiwanger
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte den Freie-Wähler-Chef am Mittwoch auf, die ihm gestellten 25 Fragen rasch, umfassend und zweifelsfrei zu beantworten.
Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) hat in der Flugblatt-Affäre den Druck auf Hubert Aiwanger erhöht. Er müsse nun 25 Fragen zu dem "widerlichen Hetz-Flugblatt" beantworten.
Auf Aiwangers Profil auf X (ehemals Twitter) gab es indes erstmals seit Tagen einen neuen Eintrag: "#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger", stand dort am Mittwoch. In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst.
Söder wartet nun auf Aiwangers schriftliche Antworten auf die 25 Fragen. Anschließend will er eine abschließende Bewertung vornehmen.
Söder hält zunächst an Aiwanger fest
"Söder steht vor der schwersten Entscheidung seiner politischen Laufbahn. Die Entlassung Aiwangers wäre das Ende der Koalition," sagt ZDF-Korrespondent Stefan Leifert in München.
Heißt: Dann wird er voraussichtlich ganz konkret entscheiden müssen, ob er Aiwanger entlässt oder nicht, und das keine sechs Wochen vor der Landtagswahl. Dabei steckt er in einem fast ausweglosen Dilemma: Im Falle einer Entlassung Aiwangers könnten die Freien Wähler bei der Landtagswahl massiv profitieren - so jedenfalls die große Sorge der CSU. Andererseits könnten Söder und die CSU am Ende in Mithaftung genommen werden, wenn er trotz allem weiter an Aiwanger festhält.
Aiwanger weist Flugblatt-Vorwürfe zurück
Der 52-jährige Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden.
Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Seither sind nun auch die Vorwürfe des Mitschülers dazugekommen.
Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben.
Markus Söder, bayrischer Ministerpräsident
Aiwanger habe nun die Gelegenheit, sich vernünftig, fair und umfassend zu äußern. "Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten."
Aiwanger weist die gegen ihn erhobenen Antisemitismus-Vorwürfe zurück. Wie sich diese im bayrischen Wahlkampf auswirken könnten, ordnet ZDF-Korrespondent Stefan Leifert ein.
Am Dienstag hatte Söder gesagt: "Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß". Er fügte aber hinzu: "Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen."
Scholz fordert Aufklärung und mögliche Konsequenzen
Bundeskanzler Scholz sagte bei der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin: "Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Und deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss." Wenn das geschehen sei und nichts "vertuscht" werde, müssten notwendige Konsequenzen daraus gezogen werden.
Sechs Wochen vor der Wahl in Bayern steht der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger im Verdacht, als Jugendlicher ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben.
Vizekanzler Robert Habeck sagte in Meseberg, er finde Aiwangers Umgang mit den Berichten unaufrichtig. Er habe jüngst in verschiedenen Reden "offensichtlich" eine Sprache des "rechten Populismus" benutzt. Auch FDP-Chef Christian Lindner sagte: "Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig." Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden mit den dann gegebenenfalls nötigen Konsequenzen.
Die Freien Wähler in Bayern stehen geschlossen hinter Aiwanger. Das betonten mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstands am Mittwoch nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München.
Quelle: dpa
https://www.zdf.de/
Dokumentarfilm
Die „Angst vor Braunau“ als Plädoyer für Aufarbeitung
Das Geburtshaus Hitlers mit Mahnmal. Dim Dim Film
31.08.2023 um 18:32
von Rosa Schmidt-Vierthaler
Die Symbolik des Geburtshauses von Adolf Hitler wird eigentlich nur in Wien gefürchtet, wie eine Dokumentation Günter Schwaigers zeigt.
Aus vielen Perspektiven sieht man das große gelbe Haus mit der schäbigen Fassade, das sich im Zentrum von Braunau in einem schmucken Straßenzug findet. Man beobachtet Menschen, die gleichgültig daran vorbeigehen. Andere schießen, eher verschämt, ein Foto davon. Von seiner Überraschung, dass das „Geburtshaus des Bösen“ so gar nichts Bedrohliches hat, erzählt Filmemacher Günter Schwaiger in seiner Doku „Wer hat Angst vor Braunau?“ recht bald. Die dunkle Symbolik des Geburtshauses von Adolf Hitler wird denn auch nicht in der Stadt selbst gefürchtet. Sondern im gefühlt sehr weit entfernten Wien.
Mehr...
https://www.diepresse.com/
Hitlers Geburtsort in Braunau am Inn
:Dieses verfluchte Haus
Eine Kleinstadt, hübsch anzuschauen. Doch da steht dieses Haus, in dem Adolf Hitler geboren wurde. Jetzt soll dort die Polizei einziehen.
Ein Artikel von
Patrick Guyton
3.7.2020, 14:50 Uhr
Wird Manfred Hackl im Ausland nach seinem Heimatort gefragt, dann sagt er, dass er „aus der Nähe von Salzburg“ kommt. Nach Salzburg sind es zwar 60 Kilometer, doch die genaue geografische Angabe vermeidet der Lokalpolitiker. Weil sie Überraschung, Befremden, vielleicht Argwohn hervorrufen würde. Weil er genau weiß, dass seine Gesprächspartner sofort anfangen nachzudenken, wie sie das finden und einordnen sollen. Hackl, 56 Jahre alt, lebt in Braunau. In Oberösterreich, am Inn, an der Grenze zu Deutschland. Über allem steht: die Geburtsstadt Adolf Hitlers. Und deswegen weltbekannt.
Er sitzt im Eiscafé Baccili in der Straße Salzburger Vorstadt 13, trinkt eine Apfelschorle und erzählt davon, wie es ist, in Braunau im Jahr 2020 im Gemeinderat für die Grünen Politik zu machen. Und immer wieder mit Hitler und dem Nationalsozialismus konfrontiert zu werden. „Das nervt schon sehr“, sagt Hackl. Und meint süffisant: „Als Lokalpolitiker ist man nicht stolz darauf.“ Direkt neben dem Eiscafé steht das Haus Salzburger Vorstadt 15. Dort wurde Hitler am 20. April 1889 geboren. Sein erstes Lebensjahr verbrachte er in dem Haus und „füllte die Windeln“, wie manche Einheimische sagen. Die Familie zog innerhalb Braunaus um und 1892 weiter nach Passau. Da war Adolf Hitler drei Jahre alt.
Das Haus steht weiter an seinem Platz. Immer und immer wieder wird es als „Haus des Bösen“ tituliert, als ob man die unermessliche NS-Schuld darauf abwälzen könnte. Braunau muss mit dem Erbe umgehen, irgendwie. Jetzt gibt es wieder einmal großen Streit, der bis ins ferne Wien reicht. Das Innenministerium – Österreich gehört das Anwesen seit 2017 – hat nach der Einrichtung von zwei Expertenkommissionen beschlossen, dass nichts mehr an Hitler erinnern soll. Schon im November 2019 hatte der parteilose Kurzzeit-Innenminister Wolfgang Peschorn gesagt: „Wir wollen das Haus als Ganzes der Erinnerung entziehen und es so neutralisieren.“ Neutralisieren – das ist das befeuernde (Un-)Wort. Nach der Renovierung sollen 2023 das Bezirkspolizeikommando und die Polizeiinspektion Braunau dort einziehen, womöglich auch eine Polizeischule.
Ein EU-weiter Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben und das Ergebnis nun am 2. Juni vorgestellt: Sieger ist das Voralberger Architektenbüro Marte.Marte. Bei diesem Entwurf würde mit nichts mehr auf den Diktator und Völkermörder hingewiesen. Die Fassade des Hauses wird den Plänen zufolge in einen historischen Vor-Hitler-Zustand zurückgebaut, auf das hintere Grundstück – jetzt ein Parkplatz – soll ein moderner Bau als Konferenzzentrum kommen, daneben ein kleiner Park. In einem Modellbild sind spielende Kinder zu sehen. Die Polizei sei „ein Garant für Demokratie“, sagt der amtierende Innenminister Karl Nehammer von der konservativen ÖVP. Es gäbe nun „eine klare Perspektive für die Zukunft dieses historisch belasteten Ortes“.
Wolfgang Peschorn, Ex-Innenminister
„Wir wollen das Haus als Ganzes der Erinnerung entziehen und es so neutralisieren“
Ein Problem erledigen, indem man die Vergangenheit löscht? Die Bezüge kappt und einen Neustart verordnet? Der Schriftsteller Ludwig Laher aus dem 35 Kilometer entfernten St. Pantaleon bezeichnet das als „sehr österreichische Verdrängungsgroteske“.
Und dann gibt es noch die Sache mit dem Stein. Der steht seit 1989 kniehoch auf dem Gehweg vor dem Gebäude und trägt die Inschrift: „Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus, Millionen Tote mahnen.“ Er ist der einzige – indirekte – Bezug zu dem Haus und zu Hitler. Entnommen wurde er dem Steinbruch im früheren Konzentrationslager Mauthausen bei Linz. Hermann Feiner, als Sektionschef im österreichischen Innenministerium mit dem Hitler-Geburtshaus betraut, hatte bei der Vorstellung der Wettbewerbsentwürfe gesagt, den Stein solle man am besten entfernen und in Wien im „Haus der Geschichte Österreich“ ausstellen. In Braunau und anderswo sehen das viele Bürger überhaupt nicht so.
Braunau am Inn hat 17.000 Einwohner, die historische Altstadt ist recht klein und angenehm aufgehübscht. Die Leute mögen ihren Ort. Hubert Esterbauer etwa von der rechtspopulistischen FPÖ und zweiter Bürgermeister, sagt: „Braunau ist eine schöne, freundliche Kleinstadt.“ Der 63-Jährige war 42 Jahre lang Polizist und meint: „Ich habe mich mit der Geschichte auseinandergesetzt, habe alles über das Dritte Reich gelernt.“ Der Grüne Manfred Hackl wiederum setzt sich für den Ort ein als „Schulstadt, Radlstadt, Kulturstadt“. Die Verbindung zum niederbayerischen Simbach auf der anderen Seite des Inns ist eng, man macht gemeinsam Tourismus- und Wirtschaftsmarketing. Die Braunauer erinnern sich an das verheerende Hochwasser vom 1. Juni 2016 in Simbach, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Selbstverständlich war ihre Feuerwehr ausgerückt, um beim Wasserabpumpen und Aufräumen zu helfen.
Florian Kotanko vor Hitlers Geburtshaus
Florian Kotanko vor Hitlers Geburtshaus: „Das Haus vom Mahnstein trennen“Foto: Quirin Leppert
Auch Florian Kotanko empfiehlt das Café Baccili zum Reden. Doch bevor der 71-Jährige Platz nimmt, muss er noch zwei Besucher aufklären. Die fragen ihn, ob das denn nun das Haus sei – und deuten auf die Salzburger Vorstadt 15. Mit den Handys machen sie Fotos, Kotanko bezeichnet sie als „interessierte Touristen“ und meint: „Das kommt hier ständig vor.“ Der Mann mit dem grauen Bart und dem Sonnenhut auf dem Kopf war bis zu seiner Pensionierung Rektor des Braunauer Gymnasiums und gilt als wandelndes historisches Ortslexikon. Er setzt sich, sagt: „Ich bin in Braunau geboren und bin kein Nazi.“ Bei Marco bestellt er Espresso und Wasser. Marco Baccili, Betreiber des Cafés neben dem Hitler-Haus, sitzt für die konservative ÖVP im Gemeinderat. Irgendwie kennt jeder jeden in Braunau.
Das Haus vom Mahnstein trennen?
Kotanko steht dem lokalen „Verein für Zeitgeschichte“ vor und besitzt eine ziemliche Erklär- und Deutungsmacht für den Ort, das Haus, Hitler. Was also tun? Der ehemalige Lehrer für Latein und Geschichte holt aus. „Das Haus ist vom Mahnstein zu trennen“, sagt er. Das Haus gehört der Republik Österreich, der Stein der Gemeinde. Der Bundesstaat hatte die Vorbesitzerin, eine gewisse Gerlinde Pommer, 2017 enteignet. Pommer wohnt in Braunau und ist ein Phantom. Kaum einer kennt sie oder hat sie je gesehen. Die Frau hatte sich geweigert, das Haus für die dort ansässige „Lebenshilfe“ umzubauen. Nach dem Auszug des Vereins, der sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt, hatte sie das Haus seit 2011 leer stehen lassen. Sie ging, so wird berichtet, auf keinen Vorschlag für die weitere Nutzung ein, schlug Gesprächsangebote aus. Für das enteignete Haus erhielt sie nach Gerichtsverhandlungen 812.000 Euro Entschädigung.
„Ich empfinde den Umbau nicht als ein Streichen der Geschichte“, sagt der parteilose Historiker Kotanko. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn die Lebenshilfe wieder einzieht. Die will aber nicht. Eine Begründung dafür hatte schon Ende 2016 Marianne Karner, damals Mitarbeiterin des Vereins Bizeps für „Selbstbestimmtes Leben“, geschrieben: „Es kann und darf niemand gezwungen werden, in diesem Haus leben und/oder arbeiten zu müssen.“ Und sie fragte weiter, wie man dazu komme, gerade behinderte Menschen als „Alibi-Lösung“ anzusehen.
Altes Haus
Von den Nazis gekauft Hitlers Geburtshaus wurde im 17. Jahrhundert als großes Bürgerhaus errichtet. Eine Brauerei mit Gastwirtschaft war darin untergebracht sowie Mietwohnungen. NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann kaufte 1938 das Haus für den vierfachen Verkehrswert. Es wurde als NS-Kulturzentrum genutzt, eine Bücherei befand sich darin, Bilder wurden ausgestellt.
Von Österreich enteignet Nach Kriegsende wurde das Haus 1952 den vormaligen Besitzern zurückerstattet. Zugleich mietete es die Republik Österreich an. Bis 1965 war die Stadtbücherei einquartiert. Darauf folgte die Nutzung als berufsbildende Schule im technischen Bereich. Von 1977 bis 2011 war die Lebenshilfe Oberösterreich Untermieterin, die dort eine Tagesheimstätte für Menschen mit Behinderung betrieb. 2017 wurde das damals leer stehende Gebäude vom Staat Österreich enteignet. Es existierten Pläne zum Abriss des Gebäudes, bis entschieden wurde, in dem unter Denkmalschutz stehenden Haus eine Polizeidienststelle unterzubringen.
Von Touristen angesteuert Lange hatte die Stadt Braunau versucht, das Hitler-Geburtshaus gänzlich zu ignorieren. Durch einen Trick weist sie auf dem Stadtplan der Tourist-Information aber nun darauf hin: Als ein sehenswertes Ziel im alten Braunau ist nicht das Haus, aber das Mahnmal „vor A. Hitlers Geburtshaus“ eingezeichnet. (taz)
Florian Kotanko stellt nun erst einmal fest, dass die österreichische Bundesregierung sich dazu entschieden hat, die Polizei in das Haus einzuquartieren. Doch er spricht auch von einer erforderlichen „historischen Kontextualisierung“. Diese könnte so aussehen wie in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Brandenburg. Dort werde in einer Ausstellung in einem Raum gezeigt, „was war“. Den Stein sieht Kontanko nicht im Museum in Wien. Entsprechende Signale habe er mittlerweile von der Bundesregierung erhalten.
Zweifel an der gefundenen Lösung
Im Sommer verströmt Braunau die Aura einer etwas verschlafenen Kleinstadt mit sehr hübschen Ecken. Ein paar Meter vor dem Hitler-Geburtshaus ist in einer Flachbau-Baracke die Tabak-Trafik, daneben sitzen Leute am „Vorstadt-Imbiss“ und trinken Bier. Geradeüber dem Haus ist der Weltladen, vier Stadthäuser entfernt der Naturladen, weiter oben der Hanfladen. Schmale, teils überbaute Altstadtgassen gehen seitlich ab. Es dominiert der erstmals 1966 in seiner alten Form wieder aufgebaute Stadttorturm. An dessen oberer Fassade ist ein großes Plakat angebracht: „Braunau. Simbach. Inn. Einzigartig. Vereint. Grenzenlos #sosindwir“. Und inmitten davon dieses Haus Salzburger Vorstadt 15 mit seiner schmutzig-gelben Fassade, ohne Straßennummer. Drei Stockwerke hoch, ein wuchtiges Gebäude, unbewohnt, hinter den Fenstern Leere.
Die Polizei kommt rein, der Gedenkstein davor bleibt – also alles gut in Braunau? Die Geschwister Elisabeth Wimmer und Martin Simböck, 64 und 66 Jahre alt, haben da massive Zweifel. „Man kann das Haus nicht neutralisieren“, sagt Elisabeth Wimmer. Die zierliche Frau mit langen weißen Haaren ist ein Braunauer Urgestein, von Beruf Goldschmiedin, lange Jahre war sie Gemeinderätin für die sozialdemokratische SPÖ. Sie meint: „Die Polizei war ja nicht immer ein Garant der Demokratie, vor allem nicht im letzten Jahrhundert.“ Ihr Bruder Martin Simböck hat kürzlich in einem Leserbrief an die Lokalzeitung geschrieben: „Wenn man sich die Augen zuhält, ist das Haus dennoch da.“ Und er sagt: „Geschichtslosigkeit rächt sich.“
Die beiden singen im „Demokratischen Chor“ Braunau, regelmäßig treten sie am 8. Mai bei der Gedenkstunde zum Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung von der Nazi-Diktatur auf. Der Chor singt Arbeiter-, antifaschistische und Brecht-Lieder. Jetzt sagt Innenminister Nehammer, aus dem Haus werde „ein Ort, an dem Demokratie und Menschenrechte verteidigt werden“. Ein Anziehungspunkt für Nazis soll es nicht mehr sein. Martin Simböcks Urteil: „Der Nehammer, verzeihen Sie mir, ist ein bisschen ein Trottel.“ Die Angst, dass das Haus zur Nazi-Pilgerstätte werde, sei unbegründet. Ein Mal, am 20. April 1979, seien 500 rechtsradikale Studenten aufmarschiert. Das ist mehr als 40 Jahre her. „Braunau ist kein NS-Anziehungspunkt“, ist sich Elisabeth Wimmer sicher.
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Doch was tun mit dem Haus, das kein Täterort ist – im Gegensatz zu den NS-Zentralen in Berlin, in München, auf dem Obersalzberg, wo Krieg und Völkermord geplant wurden? Und natürlich zu den Vernichtungslagern und den unzähligen Orten der Gräuel und Kriegsverbrechen.
Der Bürgermeister ist in einer Stadt keine unmaßgebliche Person. Doch Johannes Waidbacher von der ÖVP hält sich raus. Mit der taz und anderen Medien möchte er nicht sprechen, stattdessen verschickt er eine inhaltsarme Presseerklärung. Darin steht, dass der Architektenwettbewerb „die Rückführung des Gebäudes auf die historische Fassade“ vorsehe. Dies sei von verschiedenen Institutionen angeregt worden, es „dient der Neutralisierung des Objektes und wurde als zielführend erachtet“. So zeigt ein Bürgermeister, dass er keine eigene Meinung hat. Manch andere haben sie. Die Geschwister vom „Demokratischen Chor“ sagen etwa, ein „Haus der Verantwortung“ wäre gut.
Elisabeth Wimmer und Martin Simböck: ""Geschichtslosigkeit rächt sich"
Elisabeth Wimmer und Martin SimböckFoto: Quirin Leppert
Das ist eine schon 20 Jahre alte Idee, die von dem Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger aufgenommen und forciert wurde. Er will in dem Haus eine „internationale Stätte der Begegnung und Versöhnung“ errichten. Junge Menschen aus der ganzen Welt sollen sich demnach dort zu Workshops treffen und über gesellschaftliche Themen der Vergangenheit und Zukunft arbeiten. Doch die Umsetzung des Vorschlags ist nicht weit gediehen, er findet keine Mehrheiten. Unverdrossen sammelt Maislinger weiter Unterstützer im Internet, mehr als 1.000 hat er mittlerweile beisammen. „Für bestimmte Dinge braucht man einen langen Atem“, sagt er am Telefon. Nach jetzigem Stand der Dinge hat sein Plan keine Chance, das Innenministerium hat anders entschieden. Dennoch will Maislinger nicht aufgeben. Die Entscheidung für die Polizei hält er für grundlegend falsch: „Nach einem Einzug wird es große Probleme geben, denn dann kann sich alles vor dem Hitler-Geburtshaus entladen.“ Mit einem „Haus der Verantwortung“ indes würde Braunau „sein Stigma verlieren“.
Zeit für eine Einordnung bei so viel hitziger Rede. Zeit für einen Besuch beim Schriftsteller Ludwig Laher. Der 65-Jährige kommt nicht aus Braunau, hat den Ort aber immer aus der Nähe betrachtet. Geboren in Graz, studierte, promovierte und arbeitete er als Lehrer in Salzburg. 1993 zog er ins kleine, unscheinbare St. Pantaleon, auf halbem Weg zwischen Braunau und Salzburg. „Um in Ruhe zu schreiben“, wie er sagt.
Jetzt sitzt der Mann mit den längeren grauen Haaren in seinem Garten, streichelt die Katze und sagt: „Die Vorstellung, man könne dem Gebäude seinen Symbolwert entziehen, und dann ist alles in Butter – das ist unglaublich naiv.“ Man könne dem Phänomen „nicht durch Ignorieren oder Niederreißen beikommen“. Schon 2016 wollte der damalige ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka das Haus „schleifen“. Das wäre „die sauberste Lösung“, meinte er. „Die Kellerplatte kann bleiben.“
Ludwig Laher, Schriftsteller
„Die Vorstellung, man könne dem Gebäude seinen Symbolwert entziehen und dann ist alles in Butter – das ist unglaublich naiv“
Je ruhiger und freundlicher Ludwig Laher spricht, umso schärfer werden seine Worte. Er beklagt die „mangelnde Souveränität der Stadtpolitiker“ in Braunau. Und: „Die strukturelle Vermeidungshaltung eint trotz Abstufungen alle politischen Lager.“ Man schiebt also die Verantwortung nach Wien und ist womöglich ganz froh darüber.
Gedenkstein in Braunau am Inn
Soll nun doch bleiben: Gedenkstein in Braunau am InnFoto: Quirin Leppert
Laher kann sich neben Wohnungen und Büros auch gut ein „Haus der Verantwortung“ vorstellen oder „eine ähnliche zukunftsorientierte Lösung ohne direkten Bezug auf die NS-Zeit“. Braunau müsse als Ort versuchen, „dem Phänomen und der Bürde offensiv zu begegnen“. Nach der Enteignung hätte es dafür viel Zeit gegeben, auch um eine Haltung, einen Anspruch gegenüber Wien zu formulieren. Doch nun hat die Bundesregierung entschieden – alles sieht danach aus, dass schon bald die Polizei bei Adolf Hitler einzieht.
https://taz.de/
FLUGBLATT-AFFÄRE
Neue Vorwürfe: Druck auf Aiwanger wächst
Die Aufarbeitung der Flugblatt-Affäre überlagert den bayerischen Landtagswahlkampf. Hubert Aiwanger sorgt mit neuen Aussagen für Aufregung.
30.08.2023 Update: 31.08.2023 - 07:36 Uhr 21 Kommentare 1 x geteilt
Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Markus Söder (CSU)
Im Falle einer Entlassung Aiwangers könnten die Freien Wähler bei der Landtagswahl massiv profitieren - so jedenfalls die große Sorge der CSU.
(Foto: dpa)
München In der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt wächst der Druck auf Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger immer weiter. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte den Freie-Wähler-Chef am Mittwoch auf, die ihm gestellten 25 Fragen rasch, umfassend und zweifelsfrei zu beantworten, auch zu neuen Vorwürfen.
Auf Aiwangers Account im Online-Netzwerk X (früher Twitter) wurde am späten Mittwochabend folgende Nachricht veröffentlicht: „Es wird immer absurder. Eine andere Person behauptet, ich hätte Mein Kampf in der Schultasche gehabt. Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen!?“ In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst. Ob das auch diesmal der Fall war, dafür gab es zunächst keine Bestätigung.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor eine nicht namentlich genannte frühere Mitschülerin Aiwangers zitiert, dieser habe oft Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche mit sich geführt. Sie könne dies bestätigen, weil sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe.
Die Spitzen der Berliner Ampel-Koalition, Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), verlangten ebenfalls Aufklärung – und gegebenenfalls Konsequenzen. Die Freien Wähler in Bayern stellten sich dagegen geschlossen hinter Aiwanger und beklagten eine „Schmutzkampagne“.
THEMEN DES ARTIKELS
CSU Bayern Markus Söder Süddeutsche Zeitung Olaf Scholz Christian Lindner Robert Habeck
Zuvor waren „neue Vorwürfen“ eines weiteren ehemaligen Mitschülers Aiwangers bekannt geworden: Aiwanger soll in den 1980er Jahren beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers ab und zu „einen Hitlergruß gezeigt“ haben, wie der Mitschüler dem ARD-Magazin „Report München“ sagte, demnach ein Mitschüler von der 7. bis 9. Klasse. Zudem habe Aiwanger „sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang“. Auch judenfeindliche Witze seien „definitiv gefallen“. Welche „starke Gesinnung“ dahinter gesteckt habe, dazu sagte er: „Keine Ahnung.“
Aiwanger wehrt sich
Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger kann sich nach eigenen Angaben nicht erinnern, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. „Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll“, sagte der Freie-Wähler-Chef der „Bild“.
„Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird. Aber auf alle Fälle, ich sag seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: Kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund“, sagte Aiwanger am Mittwoch am Rande eines Termins in Donauwörth dem Sender Welt im Beisein auch anderer Journalisten.
„Ich bin weder Antisemit noch Extremist, sondern ich bin ein Demokrat. Ich bin ein Menschenfreund, kein Menschenfeind“, bekräftigte er. „Und insofern sage ich das wirklich, dass ich hier für die letzten Jahrzehnte alle Hände ins Feuer legen kann.“ Was aus Jugendzeiten nun diskutiert werde, wundere ihn etwas.
Die Fragen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe er erhalten. „Ja, ich habe die Fragen jetzt und schaue sie mir genau an.“ Er fügte auf Nachfrage hinzu: „Ja, natürlich ist die Situation sehr ernst. Und wir müssen hier die Sache uns genau anschauen und müssen uns gemeinsam jetzt mit dem Thema auseinandersetzen.“
Ob in seinen Schul-Akten noch Belastendes zu finden sein könnte, dazu sagte Aiwanger: „Lassen wir uns überraschen, was da jemand mir unter die Nase halten will.“
Gefragt nach Rückmeldungen, die er aktuell bekomme, sagte Aiwanger: „Ich habe sehr, sehr überwiegend die Aussage, dass hier eine Schmutzkampagne gefahren wird und dass ich hier politisch und auch persönlich zerstört werden soll.“ Die Menschen verstünden „diese Kampagne“ überhaupt nicht, sondern sagten sehr überwiegend: „Das kann doch nicht sein, dass man mit Dingen konfrontiert wird, die so lange her sind, dass hier gezielt dann diese Themen auch platziert werden offenbar. Also insofern sagen die Menschen, dass das nicht sauber läuft hier.“
Strack-Zimmermann: „Antisemitismus ist keine Jugendsünde“
Auf Aiwangers Profil auf X (ehemals Twitter) gab es erstmals seit Tagen einen neuen Eintrag: „#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger“, stand dort am Mittwoch zu lesen. In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf der Plattform X mit Blick auf Aiwangers Aussagen gegenüber dem Sender Welt: „Antisemitismus ist keine Jugendsünde. Antisemitismus ist kein Mopedausflug ohne Führerschein. Jegliche Relativierung ist unerträglich. Der Charakter eines Politikers zeigt sich auch im Umgang mit seiner früheren Geisteshaltung.“
Söder wartet nun auf Aiwangers schriftliche Antworten auf die 25 Fragen. Anschließend will er eine abschließende Bewertung vornehmen. Heißt: Dann wird er voraussichtlich ganz konkret entscheiden müssen, ob er Aiwanger entlässt oder nicht, und das keine sechs Wochen vor der Landtagswahl. Dabei steckt er in einem fast ausweglosen Dilemma: Im Falle einer Entlassung Aiwangers könnten die Freien Wähler bei der Landtagswahl massiv profitieren - so jedenfalls die große Sorge der CSU.
Andererseits könnten Söder und die CSU am Ende in Mithaftung genommen werden, wenn er trotz allem weiter an Aiwanger festhält.Der 52-jährige Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte.
Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Seither sind nun auch die Vorwürfe des Mitschülers dazugekommen.
>> Lesen Sie hier: Nach Berichten über Skandal-Flugblatt: Söder schickt Aiwanger erstmal 25 Fragen
„Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben“, sagte Söder am Mittwoch. Aiwanger habe nun die Gelegenheit, sich vernünftig, fair und umfassend zu äußern. „Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten.“
Am Dienstag hatte Söder gesagt: „Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß.“ Er fügte aber hinzu: „Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.“
Bundeskanzler Scholz sagte bei der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin: „Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Und deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss.“ Wenn das geschehen sei und nichts „vertuscht“ werde, müssten notwendige Konsequenzen daraus gezogen werden.
Regierung fordert von Söder und Aiwanger rasche Aufklärung
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Habeck sagte in Meseberg, er finde Aiwangers Umgang mit den Berichten unaufrichtig. Er habe jüngst in verschiedenen Reden „offensichtlich“ eine Sprache des „rechten Populismus“ benutzt. Es sei eine Frage an Söder, ob er mit einem Kollegen, der so agiere, weiter zusammenarbeiten wolle. „Ich finde es schwer vorstellbar.“
Und auch Lindner sagte: „Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig.“ Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden mit den dann gegebenenfalls nötigen Konsequenzen.
Aiwangers Partei steht hinter ihm
Die Freien Wähler in Bayern stehen geschlossen hinter Aiwanger. Das betonten mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstands am Mittwoch nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München. „Und das werden wir auch weiter tun“, sagte Generalsekretärin Susann Enders. Fraktionschef Florian Streibl sagte: „Wir sind mit ihm solidarisch.“ Es werde nun das Schicksal von Millionen Juden dazu instrumentalisiert, einen Politiker fertigzumachen, kritisierte er.
Streibl fügte in Reaktion auf Äußerungen Söders vom Dienstag hinzu: „Eine Botschaft müssen wir senden: Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben.“ Auf Spekulationen, Aiwanger könnte in einer Art Rochade aus dem Ministeramt an die Spitze der Freie-Wähler-Fraktion wechseln, ging Streibl nicht ein. „Aiwanger wird immer irgendwie dabei sein. (...) Ohne wird's nicht gehen.“
Söder hatte am Dienstag gesagt, er wolle die Koalition fortsetzen. Koalitionen hingen aber „nicht an einer einzigen Person“, sagte Söder. „Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso.“
Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern machte deutlich, dass er keine Grundlage für Söder sieht, Aiwanger zu entlassen. „Explizit ist hier nichts bewiesen.“ Was nicht bewiesen sei, sei nicht justiziabel. Es gelte die Unschuldsvermutung.
dpa
https://www.handelsblatt.com/
Warum die Nazis die Atombombe nicht vor Oppenheimer bauten
Fred Schwaller
vor 13 Stundenvor 13 Stunden
Angst vor einer deutschen Atombombe trieb ab 1942 das amerikanische Manhattan-Projekt voran. 1945 warfen die USA Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Aber wie weit kam die deutsche Forschung wirklich?
Ende 1938 entdeckten die zwei deutschen Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann die Kernspaltung - also jenen Prozess, bei dem ein Atomkern in zwei oder mehr kleinere Kerne gespalten wird und dabei riesige Mengen Energie freisetzt. Macht Euch diese Kraft zunutze, sagten die Physiker, und ihr könnt eine mächtige Bombe entwickeln, die ganze Städte ausradiert.
Deutsche Wissenschaftler begannen umgehend, an dem Projekt einer Atombombe zu arbeiten. Unterstützt von einer mächtigen Industrie und militärischen Interessen, nahm der dafür gegründete Uranverein einige der weltbesten Kernforscher unter Vertrag.
Obgleich das Projekt geheim war, ließen Wissenschaftler, die aus Nazi-Deutschland flohen, Informationen durchsickern. Unter ihnen war Albert Einstein, der 1939 den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt warnte. Weltweit stieg die Sorge über die Entwicklung einer geheimen Waffe der Nationalsozialisten.
Schauspieler Cillian Murphy in der Rolle als J. Robert Oppenheimer legt den Kopf in den Nacken und schaut in den Himmel, Filmszene aus "Oppenheimer"Schauspieler Cillian Murphy in der Rolle als J. Robert Oppenheimer legt den Kopf in den Nacken und schaut in den Himmel, Filmszene aus "Oppenheimer"
Der "Vater der Atombombe" im Blockbuster-Biopic: Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer in "Oppenheimer", der im Juli in den Kinos anliefBild: Melinda Sue Gordon/Universal Pictures /AP/picture alliance
Die Antwort der USA war das Manhattan-Projekt. Mitten im Zweiten Weltkrieg begann das Programm unter der Führung von J. Robert Oppenheimer im Sommer 1942 zu erforschen, wie eine Atombombe mit Hilfe der Elemente Uran und Plutonium gebaut werden konnte.
Die Angst vor dem konkurrierenden Projekt der Nationalsozialisten spornte die US-Regierung an. Aufgrund massiver finanzieller Förderung brauchten Oppenheimer und sein Team nur drei Jahre, um den ersten erfolgreichen Atomwaffentest durchzuführen. Die erste real eingesetzte Atombombe traf die japanische Stadt Hiroshima drei Wochen später.
Die Tonbandprotokolle von Farm Hall
"Ich glaube kein Wort von der ganzen Sache", sagte Werner Heisenberg, Leiter des deutschen Uranprojektes, als er die Nachricht über Hiroshima hörte.
Zu dieser Zeit wurden Heisenberg und neun weitere hochklassige Kernphysiker, die in Deutschland geforscht hatten, auf dem englischen Landsitz Farm Hall gefangen gehalten. Die Briten nahmen heimlich ihre Gespräche auf, um etwas über die Nuklearprojekte der Nazis zu erfahren.
Rund 30 Menschen (überwiegend Männer) sitzen in Anzügen vor einem alten Gebäude und posieren für das Foto (Internationaler wissenschaftlicher Kongress in Solvay 1927)Rund 30 Menschen (überwiegend Männer) sitzen in Anzügen vor einem alten Gebäude und posieren für das Foto (Internationaler wissenschaftlicher Kongress in Solvay 1927)
Gelehrte aus aller Welt: Bei diesem Kongress trafen sich 1927 der Deutsche Werner Heisenberg und Niels Bohr, Mitarbeiter im Manhattan-ProjektBild: Darchivio/opale.photo/picture alliance
Die anderen Physiker teilten Heisenbergs Ungläubigkeit. Die meisten vermuteten einen Bluff, um Japan zur Kapitulation zu bewegen. Otto Hahn hatte betont, er habe nicht geglaubt, der Bau einer solchen Bombe sei in den nächsten 20 Jahren möglich. Heisenbergs und Hahns Reaktion zeigen, dass das deutsche Programm tatsächlich weit von der Entwicklung einer Nuklearwaffe entfernt war.
Die USA hätten den Stand des deutschen Uranprojektes weit überschätzt, und das sei ihnen erst durch die Farm-Hall-Aufnahmen klargeworden, erklärt der deutsch-japanische Historiker Takuma Melber von der Universität Heidelberg gegenüber der DW.
Abgewracktes Atomprogramm
Als das Manhattan-Projekt in vollem Gange war, war das deutsche Nuklearwaffenprogramm bereits tot. Die deutschen Forscher wussten, dass sie nicht in wenigen Jahren in der Lage sein würden, Isotope zu trennen, um eine Atombombe zu bauen. Sie hatten mit der Kernspaltung nie eine erfolgreiche Kettenreaktion ausgelöst und kannten keine Methode, um Uran anzureichern. Das Nuklearwaffenprogramm wurde im Juli 1942 verschrottet und seine Forschung auf neun unterschiedliche Institute in Deutschland verteilt.
Bis 1942 war das Programm ein militärisches Projekt gewesen, sagt Historiker Melber, aber danach sei es ein ziviles Vorhaben geworden. Das neue Ziel war, einen Atomreaktor zu bauen, der Kernspaltung in kleinerem Maßstab bewältigen konnte. Heisenberg und sein Team experimentierten mit einem Forschungsreaktor in einem Felsenkeller unter der Schlosskirche im baden-württembergischen Haigerloch. Uranwürfel wurden an Drähten befestigt und hinabgelassen in einen Tank mit schwerem Wasser, der chemischen Verbindung Deuteriumoxid.
Ein Mitarbeiter steht im Kontrollzentrum des stillgelegten dritten Reaktors des Atomkraftwerks Tschernobyl, März 2021Ein Mitarbeiter steht im Kontrollzentrum des stillgelegten dritten Reaktors des Atomkraftwerks Tschernobyl, März 2021
Von Heisenbergs Forschungsreaktor zum zeitgenössischen AKW: Kontrollzentrum des stillgelegten dritten Reaktors in Tschernobyl, 2021Bild: Gleb Garanich/REUTERS
Weiter kam das deutsche Nuklearprogramm nicht - der Reaktor hat nie funktioniert. Es befand sich nicht genug Uran im Zentrum des Reaktors, um eine Kettenreaktion auszulösen.
Doch die Forscher waren nah dran. Wissenschaftler glauben heute, wenn im Reaktor 50 Prozent mehr Uran gewesen wären, hätte Heisenberg den ersten Atomreaktor entwickeln können.
Deutsches Durcheinander und flüchtende Forscher
Warum versagte das deutsche Atomprogramm - trotz seines Vorsprungs und brillanten Wissenschaftlern?
Zu einen, weil Deutschland seine Forschung ausblutete. Viele jüdische und polnische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler flohen vor Verfolgung, wie die jüdische Physikerin Lise Meitner, die entscheidenden Anteil an Hahns und Straßmanns Entdeckung der Kernspaltung hatte. Einige dieser Flüchtlinge gingen nach Großbritannien oder in die USA, wo sie am Manhattan-Projekt mitarbeiteten. Andere Wissenschaftler wurden als Soldaten eingezogen.
Der Krieg verknappte auch einige der Rohstoffe für die Forschung, erklärt Takuma Melber. Dazu gehörten angereichertes Uran und Wasser zum Kühlen der Reaktoren. Schweres Wasser wurde im besetzten Norwegen hergestellt, aber alliierte und norwegische Truppen griffen die Produktionsstätten an.
Letztlich war es aber der fehlende politische Rückhalt, der den Fortschritt stoppte. Adolf Hitler habe das Ganze nicht verstanden und 1942 die Unterstützung eingestellt, berichtet Historiker Melber. Danach gab es kaum noch finanzielle Förderung, vor allem im Vergleich zum Manhattan-Projekt. Das beschäftigte 500.000 Mitarbeitende, rund ein Prozent aller US-amerikanischen Erwerbstätigen, und kostete die Regierung rund zwei Milliarden US-Dollar. Heute entspräche das 24 Milliarden US-Dollar. Im deutschen Uranverein und den Nachfolgeprojekten arbeiteten dagegen nicht einmal tausend Wissenschaftler mit einem Etat von acht Millionen Reichsmark, was heute etwa 24 Millionen US-Dollar wären.
Baut Reaktoren statt Bomben!
Die Tonbandaufnahmen aus Farm Hall liefern noch einen anderen Grund für das deutsche Scheitern: Die Wissenschaftler selber waren aus moralischen Erwägungen gegen die Atombombe und sabotierten heimlich deren Entwicklung. Der Physiker und spätere Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker meinte: "Ich glaube, es ist uns nicht gelungen, weil alle Physiker im Grunde gar nicht wollten, dass es gelang. Wenn wir alle gewollt hätten, dass Deutschland den Krieg gewinnt, hätte es uns gelingen können."
Heisenberg sagte am Tag des ersten Atombombenabwurfs, er sei davon überzeugt gewesen, eine Uranmaschine zu bauen, "aber ich habe nie gedacht, dass wir eine Bombe machen würden, und im Grunde meines Herzens war ich wirklich froh, dass es eine Maschine sein sollte und nicht eine Bombe". Die deutschen Wissenschaftler in Farm Hall hofften, die Geschichte werde zeigen, dass US-Amerikaner und Briten die Bombe gebaut hätten - und die Deutschen eine Maschine.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.
https://www.dw.com/de/
Keine Nazi-Symbole an Gebäuden im Saarland bekannt
09.07.2023 | 11:43 Uhr
Im Saarland sind nach Angaben der Staatskanzlei keine Schriftzüge oder Symbole aus der Zeit des Nationalsozialismus an öffentlichen Gebäuden bekannt. Nur im Erdgeschoss des Amtsgerichts Saarbrücken befinden sich noch zwei Wandkarten aus dieser Zeit, die mit Erklärungen versehen sind.
In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg prangen noch vereinzelt NS-Symbole an öffentlichen Gebäuden. So hängen nach Angaben des Mainzer Finanzministeriums noch Reichsadler am Amtsgericht in Bingen, am Finanzamt Alzey und – zeitlich nicht genau der NS-Zeit zuordenbar – am Servicecenter des Mainzer Finanzamtes. In Baden-Württemberg tragen noch das Finanzamt Ulm und die Stadthalle Maulbronn einen Reichsadler. Am Kollegiengebäude I der Uni Freiburg findet sich laut Landesfinanzministerium der Schriftzug „Dem ewigen Deutschtum“.
ZWEI WANDKARTEN IM AMTSGERICHT
Anders sieht es dagegen im Saarland aus. Wie die Saarbrücker Staatskanzlei der Deutschen Presse-Agentur mitteilte, sind keine Nazi-Symbole an öffentlichen Gebäuden mehr bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Verwaltung in der französischen Besatzungszone etwaige Symbole konsequent getilgt. Entweder seien komplette Ehrenmäler abgebrochen oder entsprechende Symbole abgemeißelt worden.
Die von den Nationalsozialisten 1933/34 eingeführte Schriftart „Tannenberg“ könne sich allenfalls noch im Inneren von Westwallbunkern erhalten haben. Außerdem hängen im Erdgeschoss des Saarbrücker Amtsgerichts noch zwei Wandkarten aus dem Jahr 1936 oder 1937.
Eine von ihnen zeigt Südwestdeutschland, die andere das damalige Deutsche Reich. Dabei seien Sehenswürdigkeiten und Verkehrswege eingezeichnet. Die Karten sind mit einem erläuternden Text versehen.
https://www.sr.de/
„Wer Türkisch oder Arabisch spricht, weist stärkere antisemitische Einstellung auf“
Stand: 30.06.2023 | Lesedauer: 4 Minuten
Schiltz Christoph
Von Christoph B. Schiltz
Korrespondent in Brüssel
Österreichs Antisemitismusbeauftragte Karoline Edtstadler
Quelle: Getty Images/Thierry Monasse
Österreichs Antisemitismus-Beauftragte Karoline Edtstadler ist besorgt: Die Zahl der physischen Attacken auf Juden steigt. Im Interview erklärt sie, welche Rolle Migranten spielen – und warum Österreich einem Mitarbeiter von Kanzler Adenauer das Ehrenzeichen aberkennt.
Karoline Edtstadler ist Antisemitismus-Beauftragte der schwarz-grünen Regierung in Österreich und zugleich Verfassungs- und Europaministerin. Die 42-jährige Salzburgerin arbeitete zuvor als Richterin, Oberstaatsanwältin und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
WELT: Frau Ministerin, Österreich hat eine Antisemitismus-Strategie mit 177 Seiten vorgelegt, das deutsche Dokument ist dagegen nur 44 Seiten dick. Tut Österreich mehr zur Bekämpfung von Judenfeindlichkeit als Deutschland?
Karoline Edtstadler: Die Seitenzahlen, die Sie genannt haben, sind korrekt. Die Bewertung überlasse ich Ihnen. Fakt ist, dass Österreich als erstes von mittlerweile 14 EU-Ländern im Januar 2021 eine nationale Strategie gegen Antisemitismus aufgesetzt und mittlerweile bereits zwei Umsetzungsberichte vorgelegt hat. Im Jahr 2024 planen wir eine vollständige Evaluierung der Maßnahmen.
WELT: Wie hat sich der Antisemitismus in Österreich entwickelt?
Edtstadler: Die Zahl der antisemitisch gemeldeten Vorfälle ist nach der Corona-Pandemie Gott sei Dank zurückgegangen. Andererseits haben physischen Attacken gegen Jüdinnen und Juden zugenommen, vor allem im Jugendbereich. In den Sozialen Medien beobachten wir ebenfalls eine Zunahme von holocaustverharmlosenden Inhalten. Das ist alarmierend.
WELT: Was macht Ihnen vor allem Sorgen?
Edtstadler: Die antisemitischen Einstellungen in der Altersgruppe von 16 bis 25 Jahren haben zugenommen, insbesondere bei Lehrlingen und Schülern in Berufs- und Mittelschulen.
WELT: Was ist mit Migranten aus arabischen Ländern?
Edtstadler: Personen, die Türkisch oder Arabisch sprechen, weisen im Allgemeinen eine stärkere antisemitische Einstellung auf als der Durchschnitt der Österreicher und Österreicherinnen.
WELT: Was tut Österreich gegen Antisemitismus?
Edtstadler: Viele, vor allem junge Menschen fragen oft: Was hat der Holocaust mit mir zu tun? Doch es ist wichtig, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und auf die Jetzt-Zeit anzuwenden. Die Geschichte wird sich nur dann nicht wiederholen, wenn wir aus ihr lernen und mutig aufstehen gegen Spaltung und Ausgrenzung. Gedenken ist also wichtig, aber Gedenken allein reicht nicht. Wir wollen aufklären. Wir wollen alle Bürgerinnen und Bürger, aber auch Funktionsträger wie Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Lehrer für Antisemitismus sensibilisieren und das tun wir auch. Und es geht natürlich auch darum, jüdisches Leben in unserem Land finanziell zu unterstützen und nach außen hin sichtbar zu machen.
WELT: Wie versuchen Sie junge Menschen zu erreichen?
Edtstadler: Ab Herbst dieses Jahres fördert die Bundesregierung mit jeweils 500 Euro die Besuche von Schulklassen unter fachkundiger Begleitung im Konzentrationslager Mauthausen. Wir werden dafür einen Fonds in Höhe von 1,5 Millionen Euro einrichten. Gleichzeitig ist es uns wichtig, dass Lehrer einen Zugang zur jüdischen Kultur haben. Die Bundesregierung unterstützt Reisen von Lehrern nach Israel finanziell, damit sie dort jüdische Kultur erfahren und die Gedenkstätte Yad Vashem besuchen können. Es gibt auch Zeitzeugen-Programme, wo Überlebende Schülerinnen und Schüler in der Klasse von ihren Erfahrungen erzählen – das ist sehr bewegend.
WELT: Österreich gewährt seit Jahren Asylberechtigten und vorübergehend Schutzbedürftigen aus afrikanischen Ländern eine Heimat. Spielen diese Menschen auch eine Rolle in der Antisemitismus-Strategie?
Edtstadler: Wir haben seit 2015 für 76.000 Männer und 45.000 Frauen Werte- und Orientierungskurse zur besseren Integration durchgeführt. Darin sind auch spezielle Module zur Sensibilisierung für Formen des Antisemitismus vorgesehen - zunächst waren es acht Stunden, seit dem Jahr 2022 sind es sogar 24 Stunden. Dieses Pflichtmodul wird didaktisch sehr gut vermittelt, es ist aus meiner Sicht ein voller Erfolg.
WELT: Österreich will auch durch eine Novelle des sogenannten Verbotsgesetzes gegen Antisemitismus vorgehen.
Edtstadler: Wir haben die Änderungen Anfang dieses Monats vorgestellt. Österreich hat eine besondere historische Verantwortung, was den Umgang von NS-Verherrlichung betrifft. Künftig sollen NS-Devotionalien, beispielsweise ein Ehrenring der SS, ohne Strafverfahren eingezogen und NS-Propaganda im Internet strafrechtlich verfolgt werden.
Welt: Plant die schwarz-grüne Regierung noch weitere Gesetzesänderungen?
Edtstadler: Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach Ehrenzeichen der Republik bei groben Verstößen gegen die Grundwerte der Gesellschaft wieder aberkannt werden können – auch im Fall von Ehrenzeichenträgern, die bereits verstorben sind.
WELT: Gilt das auch für Personen, die das NS-Regime unterstützt haben?
Edtstadler: Ganz gewiss. Wer ein Ehrenzeichen trägt, soll ein Vorbild sein und andere dazu motivieren, nach dieser Auszeichnung zu streben. Er darf nicht für Hass und Hetze stehen.
WELT: Was passiert mit dem Ehrenzeichenträger Hans Globke?
Edtstadler: Sobald das Ehrenzeichengesetz in Kraft ist, wird dem Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und späteren Kanzleramtsminister von Konrad Adenauer, Hans Globke, das „Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich“ aberkannt werden. Durch diese Feststellung machen wir postum klar, dass Globke niemals Ehrenzeichenträger der Republik Österreich hätte sein dürfen.
WELT: Würden Sie als ÖVP-Politikerin in einer Bundesregierung unter Führung von FPÖ-Parteichef Kickl mitarbeiten?
Edtstadler: Ich habe da eine ganz klare Linie gezogen: Für mich persönlich ist eine Zusammenarbeit mit einer Partei unter Führung von Herbert Kickl nicht vorstellbar. Nicht nur wegen der teilweise antisemitischen Äußerungen aus den Reihen der FPÖ, sondern auch weil diese Partei spaltet, einfache Lösungen vorgaukelt, unter Kickl die Orbanisierung Österreichs vorantreibt und eine „Festung Österreich“ bauen will.
https://www.welt.de/
Gutachten zu NS-Vergangenheit
Der Fall Hans Abich
Stand: 29.04.2023 06:01 Uhr
Hans Abich war nicht nur einer der profiliertesten Filmproduzenten der Nachkriegszeit. Von 1973 bis 1978 war er auch ARD-Programmdirektor. Ein Gutachten zeigt: Abich hatte auch eine NS-Vergangenheit.
Von Jan Meier-Wendte
Wem der Name Hans Abich nichts sagt, der hat zumindest schon mal von seiner Arbeit gehört. Abich gründete kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Produktionsfirma "Filmaufbau Göttingen" und verfilmte deutsche Literaturklassiker wie Thomas Manns "Buddenbrooks" oder die "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Abich gilt als einer der einflussreichsten und umtriebigsten Filmproduzenten der Nachkriegsjahre.
Player: videoDie NS-Vergangenheit des ehem. ARD-Programmdirektors Hans Abich
Sendungsbild | ARD-aktuell2 Min. Die NS-Vergangenheit des ehem. ARD-Programmdirektors Hans Abich Jan Meier-Wendte, RB, tagesschau24, 29.04.2023 10:00 Uhr >>>
Schneller AufstiegAuch als er 1960 zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk wechselte, stieg er schnell auf. Abich arbeitete zunächst als Berater für Radio Bremen, wurde dort später Intendant und schließlich von 1973 bis 1978 Programmdirektor der ARD. Er gilt als "Miterfinder" der tagesthemen.Wenn Abich in Interviews auf die Nazi-Herrschaft angesprochen wurde, gab er sich oft geknickt. In einem Interview mit dem ZDF im Jahr 1990 sagte er selbstkritisch, "dass ich 1934 den sogenannten Röhmputsch und Hitlers Gerichtsbarkeit nicht erkannt und übel genommen habe, sondern das habe ich noch - stellen Sie sich das vor - habe Hitler noch gutgeschrieben, dass er die Verantwortung übernommen hat."
Hans Abich (Archivbild: 01.10.1988)
Die ARD hat die Vergangenheit ihres ehemaligen Programmdirektors Hans Abich aufarbeiten lassen. (Archivbild vom 1.Oktober 1988).
Im Dienste des Reichsministeriums für PropagandaAls Elfjähriger war Abich an Kinderlähmung erkrankt, weshalb er als Soldat nicht infrage kam. Er studierte Jura und Auslandswissenschaften in Berlin. Dort erlebte er 1938, wie organisierte Schlägertrupps in der Reichspogromnacht jüdische Geschäfte und Synagogen niederbrannten und viele jüdische Menschen getötet wurden. Danach habe er Argwohn gegen die Nazis entwickelt. So schilderte Abich es jedenfalls selbst.Doch daran sind Zweifel begründet.Zum einen hat Abich verschwiegen, dass er 1937 in die NSDAP eingetreten war. Ein neues Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Abich darüber hinaus für das Reichsministerium für Propaganda arbeitete. Auch darüber hatte Abich geschwiegen. Und auch über seine Tätigkeit für die Zeitschriften "Sieg der Idee" und "Geist der Zeit" hat Abich nie öffentlich gesprochen.Beides seien keine Hetzschriften gewesen, aber im Gutachten heißt es: "Die beiden Zeitschriften sind durchaus stark in der Ideologie des Nationalsozialismus verhaftet."In einem Text von 1940 schrieb Abich, "dass eines Tages auch der letzte Student von der Kraft der Verantwortung für die nationalsozialistische Hochschule erfasst, belebt und ausgerichtet sein wird."
Logo Universität Salzburg 29.04.2023 Gutachten Prof. Dr. Thomas Birkner Hans Abich PDF >>>
Schatten auf dem Wirken von AbichDer Journalismusforscher Thomas Birkner hat das Gutachten im Auftrag der Historischen Kommission der ARD verfasst. Anlass war ein Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit", in dem im Oktober 2021 erstmals Zweifel an Abichs eigener Schilderung geäußert wurden.Auf die Frage, ob Abichs Wirken neu bewertet werden müsse, antwortet Birkner: "Man darf nicht vergessen, dass Hans Abich nach 1945 sehr produktiv am Aufbau von freien Medien mitgewirkt hat. Aber sein Wirken vor 1945 wirft natürlich einen Schatten auf dieses Wirken."
Logo ARD 29.04.2023 Historische Kommission ARD Hans Abich PDF >>>
"Nicht aufrichtig"Ähnlich ordnet auch der derzeitige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke die Ergebnisse des Gutachtens ein: "Hans Abich hatte natürlich seine Verdienste als Filmproduzent, als Intendant, als Programmdirektor. Aber wir wissen jetzt mehr. Wir wissen etwas über seine Verstrickung im Nationalsozialismus und dass er nicht aufrichtig damit umgegangen ist. Das ergänzt das Bild. Wenn es das Bild nicht sogar korrigiert."Es sei wichtig, dass die ARD die mögliche NS-Vergangenheit ihres Personals aufarbeite, so Gniffke weiter. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gegründet worden als Reaktion auf den Nationalsozialismus. Deswegen soll es ja unabhängigen Journalismus geben. Und insofern haben wir eine besondere Verantwortung, auch bei uns selber sehr kritisch hinzugucken."Hans Abich starb im Juli 2003 in Freiburg im Breisgau.
Dieses Thema im Programm:
Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. April 2023 um 12:00 Uhr.
https://www.tagesschau.de/
80 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto
Warschau/Polen, 19. April 2023
Bundespräsident Steinmeier redet während der zentralen Gedenkzeremonie zum 80. Jahrestag des Warschauer-Ghetto-Aufstandes
"ZEIT GEZUNT CHAVEYRIM UN FREIND, ZEI GEZUNT YIDDISH FOLK, DERLOZT NISHT MER ZU AZELCHE CHURBOYNES."
["Lebt wohl, Freunde. Lebe wohl, jüdisches Volk. Lasst nie wieder eine solche Katastrophe zu."]
Es ist schwer, heute hier, wo einst das Warschauer Ghetto war, zu Ihnen zu sprechen. Und deshalb möchte ich nicht selbst beginnen, sondern eine der Heldinnen des Ghettos sprechen lassen, und zwar in der Sprache, die so viele Jüdinnen und Juden hier in Warschau, in Polen, in Europa gesprochen haben. In der Sprache, die Deutsche auslöschen wollten. Die Malerin Gela Seksztajn hat uns dieses erschütternde Testament hinterlassen, ehe sie und ihre kleine Tochter Margalit nach Treblinka deportiert wurden.
Es ist notwendig und doch so schwer, als Deutscher und als deutscher Bundespräsident hierher zu kommen. Die entsetzlichen Verbrechen, die Deutsche hier verübt haben, erfüllen mich mit tiefer Scham. Aber es erfüllt mich gleichzeitig mit Dankbarkeit und mit Demut, dass ich an diesem Gedenken teilhaben kann, als erstes deutsches Staatsoberhaupt überhaupt.
Verehrter Staatspräsident Duda, ich danke Ihnen für die Einladung, heute gemeinsam mit Ihnen und Ihren Landsleuten, gemeinsam mit Ihnen, verehrter Staatspräsident Herzog, gemeinsam mit Ihnen, verehrter Marian Turski, verehrte Krystyna Budnicka, verehrte Elżbieta Ficowska, mit Ihnen allen gemeinsam zu gedenken. Das bedeutet mir unendlich viel.
Als deutscher Bundespräsident stehe ich heute vor Ihnen und verneige mich vor den mutigen Kämpfern im Warschauer Ghetto. Ich verneige mich in tiefer Trauer vor den Toten.
"Mit eisernem Besen fegen die ersten kalten Tage jene fort, die schon jetzt auf der Straße leben, die all ihre Kleidung verkauft haben und schwach wie die Herbstfliegen sind. Vergebens die unglaubliche Lebenskraft der Warschauer Juden. Sie schreien und sie wehren sich bis zum Schluss, bis zur letzten Stunde und Minute, aber diese Stunde und Minute wird kommen."
Diese Zeilen schrieb Rachela Auerbach, die selbst im Ghetto leben musste, in ihr Tagebuch. Wie viel Schmerz liegt in diesen wenigen Sätzen. Wie viel Trauer. Aber auch: wie viel Gefasstheit. Rachela Auerbach wusste, dass die Juden Warschaus verloren waren. Ihren Aufzeichnungen und denen der anderen Mitstreiter des Ringelblum-Archivs verdanken wir das Wissen, welche Gräueltaten die Nationalsozialisten hier verübt haben – und auch die Erinnerung an eine Welt, die sie ausgelöscht haben.
"Eine Stadt wird zerstört und ein Volk wird zerstört", schrieb Rachela Auerbach. Erschüttert liest man von dem Grauen, das die Menschen hinter den hohen Mauern des Ghettos durchlitten. Es ist ein Bericht aus der Hölle. Erschüttert liest man aber auch von der Kraft, der Menschlichkeit, dem Mut; all das bewahrten sich viele. Sogar Liebe gab es im Ghetto, wie der große Marek Edelman so berührend erzählt hat.
Die Leute um Mordechai Anielewicz, Marek Edelman, Jitzhak Zuckerman und viele andere, die Heldinnen und Helden des Warschauer Ghettos haben unvorstellbaren Mut gezeigt in dunkelster Nacht. Sie wollten ein Zeichen setzen: ihre Würde zu bewahren angesichts des sicheren Todes. Sie erhoben sich gegen brutales Unrecht, gegen Willkür, gegen Terror, gegen das Morden. Ihr Mut strahlte über Warschau hinaus und machte anderen Mut. Ihr Mut strahlt auch hinein in unsere Gegenwart heute.
Rachela Auerbach und Marek Edelman gehörten zu den wenigen Überlebenden des Ghettos. Zeugnis abzulegen, das sahen sie ihr Leben lang als ihre Aufgabe an. Rachela Auerbach in Israel, Marek Edelman hier in Polen. "Wir, die überlebt haben, hinterlassen Euch das, damit die Erinnerung […] nicht verloren geht." Das ist ihr Vermächtnis an uns: die Erinnerung zu bewahren und weiterzugeben. Damit nicht wieder geschieht, was einmal geschehen ist, wie es der große Primo Levi gesagt hat. Das ist der Auftrag an uns. Das ist der Auftrag, dem sich das POLIN-Museum verpflichtet hat: die Erinnerung zu bewahren an jüdisches Leben in Polen und Europa. Jüdisches Leben, das wieder aufgeblüht ist und auch in Zukunft blühen wird.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns erinnern. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Deutsche uns erinnern. Gela Seksztajn, Rachela Auerbach, Marek Edelman, Mordechai Anielewicz, Emanuel Ringelblum, wer kennt ihre Namen heute in Deutschland? Welche Verbrechen die Deutschen hier im besetzten Polen, hier im Warschauer Ghetto verübt haben, verdient mehr Raum in unserer Erinnerung.
Deshalb ist es mir so wichtig, heute hier bei Ihnen und mit Ihnen zu sein. Ich bin heute hier, um Ihnen zu sagen: Wir Deutsche wissen um unsere Verantwortung und wir wissen um den Auftrag, den die Überlebenden und die Toten uns hinterlassen haben. Wir nehmen ihn an. Für uns Deutsche kennt die Verantwortung vor unserer Geschichte keinen Schlussstrich. Sie bleibt uns Mahnung und Auftrag in der Gegenwart und in der Zukunft.
Deutsche haben Polen überfallen. Am 1. September 1939 überfielen sie Wieluń. Es war der Beginn des Zweiten Weltkriegs – vor vier Jahren haben wir in Wieluń und hier in Warschau gemeinsam daran erinnert. Ein Krieg, der weit mehr als 50 Millionen Menschen das Leben kosten sollte, darunter viele Millionen Polinnen und Polen. Ein Krieg, der hier und im Osten Europas zu einem mörderischen Vernichtungskrieg wurde. Ein Krieg, der in die Barbarei führte.
Deutsche haben das Menschheitsverbrechen der Shoah minutiös geplant und durchgeführt. Deutsche haben Europas Jüdinnen und Juden, die Jüdinnen und Juden Warschaus mit unvorstellbarer Grausamkeit und Unmenschlichkeit verfolgt, versklavt und ermordet. Dass der Hauptverantwortliche für die Vernichtung des Ghettos, der brutale und zynische Schlächter Jürgen Stroop, ausgerechnet aus der Stadt stammte, in der ich geboren bin, ist ein historischer Zufall. Aber das hat mich mit der Hölle des Warschauer Ghettos, den Opfern und dem teuflischen Täter und seinen Mittätern immer wieder in meinem Leben mich beschäftigen lassen. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass viel zu wenige andere Täter sich verantworten mussten nach dem Krieg.
Ich stehe heute vor Ihnen und bitte um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben.
Lieber Präsident Duda, lieber Präsident Herzog, viele Menschen in Ihren beiden Ländern, in Polen und in Israel, haben uns Deutschen trotz dieser Verbrechen, trotz des Menschheitsverbrechens der Shoah Versöhnung geschenkt. Welch unendlich kostbares Geschenk war das! Ein Geschenk, das wir nicht erwarten konnten und nicht erwarten durften. Es war dieses Geschenk, das es überhaupt erst möglich machte, dass unsere Länder, dass Polen und Deutschland, dass Israel und Deutschland heute tiefe Freundschaft miteinander verbindet. Diese Freundschaft zwischen unseren Ländern – sie ist wahrlich ein Wunder-Werk! Sie ist ein Wunder nach den beispiellosen Verbrechen der Deutschen – und sie ist zugleich das Werk von Generationen, die vor uns Verantwortung getragen haben; das mutige, das mühevolle Werk von Israelis, Polen und Deutschen, die einander die Hände gereicht haben über den Abgrund der Vergangenheit hinweg – für eine bessere Zukunft.
75 Jahre nach der Gründung des Staates Israel, fast 60 Jahre nach dem Brief der polnischen Bischöfe, über 50 Jahre nach dem Kniefall Willy Brandts hier auf diesem Platz, fast 40 Jahre nach dem ersten Staatsbesuch Israels in Deutschland durch Deinen Vater Chaim Herzog, stehen wir heute, lieber Andrzej, lieber Buji, an diesem historischen Ort, in Erinnerung an die Ermordeten und in der Verantwortung für das Wunderwerk der Versöhnung. Ich weiß, dass uns alle drei dieses eine Bekenntnis verbindet: Wir müssen und wir wollen das Werk der Versöhnung bewahren und in die Zukunft führen.
Die wichtigste Lehre aus unserer Geschichte lautet: Nigdy więcej! !לעולם לא עוד Nie wieder! Nie wieder Rassenwahn, nie wieder entfesselter Nationalismus, nie wieder ein barbarischer Angriffskrieg. Nie wieder – darauf gründet unser gemeinsames Europa. Uns, die wir heute hier gemeinsam gedenken, uns verbinden der Glaube an unsere gemeinsame Zukunft und unsere gemeinsamen Werte: die Gültigkeit des Völkerrechts, das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Freiheit und Demokratie.
Wladimir Putin hat mit seinem völkerrechtswidrigen Angriff auf ein friedliches, demokratisches Nachbarland diese Werte verhöhnt und die Grundlagen unserer europäischen Sicherheitsordnung zerstört. Der russische Präsident hat das Völkerrecht gebrochen, Grenzen in Frage gestellt, Landraub begangen. Dieser Krieg, er bringt den Menschen in der Ukraine unermessliches Leid, Gewalt, Zerstörung, Tod.
Sie in Polen, Sie in Israel, Sie wissen aus Ihrer Geschichte, dass Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft und verteidigt werden müssen. Sie wissen, wie wichtig es ist, dass eine Demokratie sich wehrhaft zeigt.
Aber auch wir Deutsche haben die Lehren aus unserer Geschichte gelernt. Nie wieder, das bedeutet, dass es in Europa keinen verbrecherischen Angriffskrieg wie den Russlands gegen die Ukraine geben darf. Nie wieder, das bedeutet: Wir stehen fest an der Seite der Ukraine – gemeinsam mit Polen und anderen Bündnispartnern. Wir unterstützen die Ukraine humanitär, politisch und militärisch – gemeinsam mit Polen und unseren Bündnispartnern. Nie wieder, das bedeutet, dass wir, die liberalen Demokratien, stark sind, wenn wir gemeinsam und vereint handeln.
Das meine ich, wenn ich von unserer Verantwortung vor der Geschichte spreche. Wir Deutsche werden dieser Verantwortung für die Verteidigung von Frieden und Freiheit gerecht. Und ich bin überzeugt: Unsere Länder, unsere liberalen Demokratien sind in den vergangenen Monaten noch enger zusammengerückt, unsere Freundschaft steht heute auf einem noch stärkeren Fundament.
Hier auf diesem Platz, neben dem Ehrenmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto stehe ich in Trauer und Demut vor Ihnen. Ich bekenne mich zu unserer Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit und zu unserer Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft!
Herzlichen Dank.
https://www.bundespraesident.de/
Weitere Informationen
Zentrale Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto (PDF, 123KB >>>
Übersetzung/Translation
- Speech in Polish (PDF, 178KB) >>>
- Speech in Hebrew (PDF, 124KB) >>>
- Speech in English (PDF, 122KB) >>>
SIEHE AUCH:
Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland: Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (Histoire) Taschenbuch – 1. Oktober 2015
In seinem interdisziplinären Zugriff konkurrenzlos, in seiner diskursgeschichtlichen Anlage ein Nachschlagewerk völlig neuen Typs: Das Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« präsentiert erstmals die politischen und künstlerischen, juristischen und gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und medialen Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit. Die kritische Aufarbeitung der zentralen Ereignisse und Debatten des BRD-Erinnerungsdiskurses mündet so zugleich in eine aufschlussreiche Kulturgeschichte deutscher Befindlichkeiten nach dem Holocaust. Für die 3. Auflage wurde das Lexikon erstmals gründlich überarbeitet. Neue Artikel beschäftigen sich etwa mit der Debatte um Grass' Waffen-SS-Mitgliedschaft, der NSU-Mordserie oder der Erinnerungskultur in den Neuen Medien. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik.
Gedenken an Aufstand im Ghetto
Steinmeier empfindet "tiefe Scham" in Warschau
19.04.2023, 15:12 Uhr
Vor 80 Jahren begehen Deutsche schlimmste Verbrechen in Polens Hauptstadt. Jahrzehnte später darf am selben Ort zum ersten Mal ein Staatsoberhaupt der Bundesrepublik am Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto gegen die Nazi-Besatzer teilnehmen. Steinmeier zeigt sich dabei demütig.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto um Vergebung gebeten für die Verbrechen der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. "Die entsetzlichen Verbrechen, die Deutsche hier verübt haben, erfüllen mich mit tiefer Scham", sagte Steinmeier bei einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung in Warschau mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und dem israelischen Staatschef Isaac Herzog vor dem Denkmal der Helden des Ghettos. "Ich stehe heute vor Ihnen und bitte um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben", sagte der Bundespräsident. Es erfülle ihn gleichzeitig "mit Dankbarkeit und mit Demut", dass er als erstes deutsches Staatsoberhaupt überhaupt an diesem Gedenken teilnehmen könne.
Die Kämpfe sind erbittert, erst nach einer Woche gewinnen die Nazis Boden, indem sie mit Flammenwerfern Haus um Haus niederbrennen.
POLITIK 19.04.23 Aufstand im Warschauer Ghetto >>>
Als sich Hunderte Juden der SS widersetzten
Seine Rede begann Steinmeier mit den Worten: "Lebe wohl, jüdisches Volk. Lasst nie wieder eine solche Katastrophe zu." Die Sätze, ein Zitat einer im Vernichtungslager Treblinka getöteten Ghetto-Bewohnerin, sprach er auf Jiddisch. "Deutsche haben das Menschheitsverbrechen der Shoah minutiös geplant und durchgeführt", sagte Steinmeier. "Deutsche haben Europas Jüdinnen und Juden, die Jüdinnen und Juden Warschaus mit unvorstellbarer Grausamkeit und Unmenschlichkeit verfolgt, versklavt, ermordet." Steinmeier würdigte den "unvorstellbaren Mut" der jüdischen Kämpfer, die sich am 19. April 1943 in aussichtsloser Lage gegen die deutschen Truppen erhoben hatten. "Sie wollten ein Zeichen setzen: ihre Würde zu bewahren angesichts des sicheren Todes. Sie erhoben sich gegen brutales Unrecht, gegen Willkür, Terror, das Morden", sagte Steinmeier. Er verneige sich "in tiefer Trauer vor den Toten".
"Wunderwerk der Versöhnung" mit Polen und Israel
In dem Ghetto, in dem einst rund 450.000 Juden zusammengepfercht waren, lebten nach den Massen-Deportationen im Sommer 1942 nur noch rund 50.000 Menschen. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen und das Ghetto niedergebrannt, nur wenige Menschen überlebten. "Wir Deutsche wissen um unsere Verantwortung und wir wissen um den Auftrag, den die Überlebenden und die Toten uns hinterlassen haben", betonte Steinmeier. "Ich bekenne mich zu unserer Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit und zu unserer Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft." Es dürfe keinen "Schlussstrich" geben.
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POLITIK
19.04.23
Warschauer Ghetto-Aufstand 1943
Eine Holocaust-Überlebende erinnert sich
Mit Blick auf Polen und Israel sprach Steinmeier vom "Wunderwerk der Versöhnung". Die Menschen in beiden Ländern hätten den Deutschen trotz der Kriegsverbrechen, "trotz des Menschheitsverbrechens der Shoah" Versöhnung geschenkt. Die wichtigste Lehre aus der Geschichte laute: "Nie wieder!", sagte Steinmeier auf Deutsch, Polnisch und Hebräisch. Er verurteilte in diesem Zusammenhang Russlands "verbrecherischen Angriffskrieg" gegen die Ukraine und betonte: "Wir stehen fest an der Seite der Ukraine - gemeinsam mit Polen und anderen Bündnispartnern."
Duda würdigt die "Helden"
Das Ghetto-Ehrenmal ist seit dem Kniefall des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt im Dezember 1970 auch ein prägender Ort für die deutsch-polnische Aussöhnung. Steinmeier traf sich vor der Gedenkfeier mit Holocaust-Überlebenden. Zudem standen bilaterale Gespräche mit Duda und Herzog auf dem Programm. Dieser hat die Teilnehmer des Warschauer Ghetto-Aufstandes als gemeinsame Helden Israels und Polens gewürdigt. "Sie sind für mich und viele Polen vor allem ein Symbol für Tapferheit, Entschlossenheit und Mut", sagte Duda bei der Gedenkfeier.
Die Menschen, die sich 1943 gegen die deutschen Besatzer erhoben hatten, seien "die Helden Israels, die Helden der Juden auf der ganzen Welt, sie sind die Helden Polens und der Polen". Die Aufständischen seien mit ihrem Mut ein Vorbild für israelische und polnische Soldaten, die die Grenzen ihrer Länder bewachen, so Duda weiter.
Quelle: ntv.de, rog/dpa/AFP
https://www.n-tv.de/
Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung": Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch: Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Mit über 1000 Begriffen aus 40 Themenbereichen Taschenbuch – 23. Januar 2008
Das Wörterbuch behandelt ein heikles und strittiges Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es zeichnet anhand detaillierter Wort- und Diskursgeschichten den Umgang mit der NS-Vergangenheit im Sprachgebrauch der Gegenwart nach. Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich verschiedene gesellschaftliche Gruppen diese in wörtlichem Sinne fragwürdige nationale Geschichte betrachten. Vorherrschend ist die Instrumentalisierung des „belasteten“ Vokabulars der NS-Vergangenheit zum Zweck der jeweils aktuellen politischen Auseinandersetzung, d.h. das Streitthema Vergangenheitsbewältigung wird im politischen Geschäft der „Bewältigung der Gegenwart“ ausgenutzt. Dabei werden in NS-Vergleichen genau die Geschichtsereignisse am häufigsten relativiert, die andererseits in der öffentlichen Diskussion als einzigartig deklariert werden. Hier zeigt sich – zum Teil bei den gleichen Sprechergruppen – das Auseinanderfallen von öffentlich vertretener Norm und tatsächlichem Sprachverhalten. So spiegelt sich in den analysierten Vokabeln dieses neuartigen Problemfeld-Wörterbuchs die Vergangenheit in der Sprache der Gegenwart wie in einem in viele Facetten zersprungenen Spiegel. Das Wörterbuch zeigt die Verwendung und Funktion von über 1000 diskursrelevanten Vokabeln innerhalb von 40 Themenbereichen. Ein Ergänzungsband mit ca. 20 weiteren Vokabeln wird 2008 erscheinen.
STAATSBESUCH
Bas betont deutsch-britische Verbundenheit
30.03.2023, 12:44
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat die starke deutsch-britische Verbundenheit und Zusammenarbeit hervorgehoben. "Großbritannien und Deutschland sind und bleiben enge Verbündete und vertrauensvolle Partner", sagte sie zur Begrüßung von König Charles III. am Donnerstag im Plenarsaal des Parlaments. Dies gelte auch nach der Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen. Bas dankte für den "unverzichtbaren und großen Beitrag" des Vereinigten Königreichs zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und die Freundschaft mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat die starke deutsch-britische Verbundenheit und Zusammenarbeit hervorgehoben. "Großbritannien und Deutschland sind und bleiben enge Verbündete und vertrauensvolle Partner", sagte sie zur Begrüßung von König Charles III. am Donnerstag im Plenarsaal des Parlaments. Dies gelte auch nach der Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen. Bas dankte für den "unverzichtbaren und großen Beitrag" des Vereinigten Königreichs zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und die Freundschaft mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Parlamentspräsidentin erinnerte auch an die im vergangenen Jahr gestorbene Mutter des Königs. Zeit ihres Lebens habe sich Queen Elizabeth II. für die Aussöhnung beider Länder eingesetzt. Charles und seine Frau Camilla kamen begleitet von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den Plenarsaal. Auf der Ehrentribüne nahmen unter anderem die ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und Christian Wulff an der Veranstaltung teil.
ür Charles ist es die erste Auslandsreise in seiner neuen Rolle als König, die er nach dem Tod seiner Mutter im September übernommen hatte. Mit Camilla war er am Mittwoch in Berlin angekommen. Am dritten und letzten Tag des Staatsbesuchs fährt das Königspaar an diesem Freitag nach Hamburg.
dpa
https://www.stern.de/
Die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland nach 1945 aus psychologischer Perspektive
Studienarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 2,0, Universität Paderborn (Historisches Institut), Veranstaltung: Hauptseminar, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Umgang mit der NS-Vergangenheit war in Deutschland immer eine schwierige Thematik und durchlief verschiedene Phasen der Aufarbeitung (von der Entnazifizierung über die Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ bis zur Einweihung des Mahnmals in Berlin). Auch noch heute ist Vergangenheitsbewältigung ein wichtiges Thema in der deutschen Gesellschaft, auch wenn der 2.Weltkrieg vor 70 Jahren zu Ende ging. In dieser Seminararbeit möchte ich mich mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung in Deutschland auseinandersetzen, hierbei geht es mir allerdings nicht darum, die geleistete oder nicht geleistete Bewältigung der Vergangenheit moralisch zu bewerten, sondern mich diesem Thema auch aus psychologischer Sicht zu nähern. Ich werde mich daher in meinem ersten Kapitel mit der Traumabewältigung befassen und die aus psychologischer Sicht wichtigen Schritte erklären, die zur Bewältigung eines Traumas notwendig sind. Hierfür werde ich mich auf Grundlagenwerke der Psychotherapie stützen (z.B.„Traumatherapie. Eine Einführung“ von Martin Zobel). Am Ende des ersten Kapitels werde ich bereits ein kleines Zwischenfazit ziehen, inwiefern Traumatherapien auf ein ganzes Land angewendet werden können.
Im zweiten Kapitel werde ich die verschiedenen Phasen des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in Deutschland erläutern, um dann in meinem Fazit in der Lage zu sein Parallelen zwischen der Traumabewältigung (allgemeine psychologische Herangehensweise) und der Vergangenheitsbewältigung aufzeigen zu können. Des Weiteren werde ich in meinem Fazit sowohl Fehler in dem Umgang mit der NS-Vergangenheit aus psychologischer Sicht aufzeigen. Auch für das zweite Kapitel werde ich mich weitestgehend auf Grundlagenliteratur stützen, indem ich Werke von Norbert Frei, Peter Reichel und Christoph Cornelißen verwenden werde.
ERINNERUNG AN DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS
Was ist der Internationale Holocaust-Gedenktag?
Der 27. Januar ist ein weltweiter Tag der Mahnung und des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Deutschland begeht den Tag seit 1996, in Israel begann das Gedenken deutlich früher - an einem anderen Tag.
Datum 27.01.2023
Autorin/Autor Andrea Grunau
Vereinte Nationen: Warnung vor Hass und Rassismus
Im November 2005 erklärte die UN-Generalversammlung (Resolution 60/7) den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day). Sie erklärte, "dass der Holocaust, bei dem ein Drittel des jüdischen Volkes sowie zahllose Angehörige anderer Minderheiten ermordet wurden, auf alle Zeiten allen Menschen als Warnung vor den Gefahren von Hass, Intoleranz, Rassismus und Vorurteil dienen wird". Deutschland und andere Länder hatten den Gedenktag bereits zuvor eingeführt.
Am 27. Januar 2006, dem ersten weltweiten Internationalen Holocaust-Gedenktag, sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan: "Die einzigartige Tragödie des Holocaust lässt sich nicht rückgängig machen. Die Erinnerung daran muss mit Scham und Entsetzen wach gehalten werden, solange die menschliche Erinnerung währt."
Warum der 27. Januar?
Am 27. Januar 1945 hatten die sowjetischen Streitkräfte, die Rote Armee, das nationalsozialistische Konzentration- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Die Soldaten trafen auf wenige Überlebende, die Trümmer der Gaskammern, auf Tote und die Asche der Ermordeten. In Auschwitz allein wurden etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet, die allermeisten, etwa 90 Prozent, waren Juden - und Auschwitz war nur eine von zahlreichen Stätten der Verfolgung und der Massenmorde durch das nationalsozialistische Deutschland in Europa.
Eine Person, von der nur Kapuze und Schulter zu sehen sind, steht vor einer Ausstellungswand mit einem großen Foto: Darauf sind Kinder in gestreifter, viel zu großer Kleidung hinter einem Stacheldrahtzaun zu sehen
Gedenkstätte Auschwitz: Kinder, Frauen, Männer litten hinter dem Stacheldraht der NS-Konzentrationslager - für die meisten kam die Befreiung zu spät
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 starben mehr als sechs Millionen Juden, hunderttausende Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, politische Gegner, Menschen, die man als Homosexuelle verfolgte, als Kriminelle oder "Asoziale", Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Zeugen Jehovas und zahllose weitere Menschen, gegen die sich der NS-Terror richtete.
Kofi Annan betonte: "Das Erinnern ist auch eine Absicherung für die Zukunft. Der Abgrund, der in den Todeslagern der Nazis erreicht wurde, begann mit Hass, Vorurteilen und Antisemitismus. Das Erinnern an diese Ursprünge kann uns vergegenwärtigen, stets nach Warnzeichen Ausschau zu halten."
Verhinderung künftiger Völkermorde
Der 27. Januar ist ein Auftrag an alle UN-Mitgliedsstaaten, an die verfolgten und ermordeten Männer, Frauen und Kinder zu erinnern. Die Resolution 60/7 lehnt jede Form der Holocaust-Leugnung ab. Sie unterstützt die Entwicklung von Bildungsprogrammen zur Erinnerung an den Holocaust und will zur Verhinderung künftiger Völkermorde beitragen.
Eine Frau mit Brille in einem dunklem Jackett und roten Pulli steht vor einem Rednerpult und spricht
Holocaust-Gedenktag bei den Vereinten Nationen: Die Überlebende Inge Auerbacher spricht vor den Delegierten in New York (2019)
Unter Berufung auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verurteilt die Resolution alle Formen von "religiöser Intoleranz, Aufwiegelung, Belästigung oder Gewalt gegen Personen oder Gemeinschaften aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer religiösen Überzeugung" in der ganzen Welt.
Gedenken in Israel: Yom HaShoa
In Israel ist nicht der 27. Januar der zentrale Tag des Gedenkens, sondern der Yom HaShoa, der meist in den April fällt. Zwei Minuten lang heulen die Sirenen im ganzen Land: Busse, Autos, alle bleiben stehen. Die Menschen schweigen, denken an die Opfer. Der international übliche Begriff Holocaust ist aus dem Griechischem abgeleitet und bedeutet "vollständig verbrannt". In Israel spricht man von der Shoa, der "Katastrophe".
Straßenszene in Israel: ein Motorrad, Autos und Busse stehen hintereinander, die Fahrer und Fahrerinnen stehen still daneben
28. April 2022: Menschen stehen und schweigen am Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust
Erstmals festgelegt wurde der "Tag des Gedenkens an die Shoa und jüdisches Heldentum" 1951, genauer gesetzlich geregelt wurde er 1959. Der Tag liegt im Monat Nisan des jüdischen Kalenders. Man orientierte sich dabei am Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943. Nach jüdischer Tradition beginnt der Gedenktag am Vorabend. Bei den Gedenkfeiern werden sechs Fackeln entzündet, die symbolisch für die sechs Millionen jüdischen Opfer stehen. Am Morgen folgen weitere Veranstaltungen in der Gedenkstätte Yad Vashem.
In einem dunklen Raum brennt im Hintergrund eine Flamme, vorne kniet eine Frau in dunkler Kleidung vor einem Blumenkranz und richtet die Schleifen
27.4.2022: Die deutsche Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim Gedenken an die Holocaust-Opfer in Yad Vashem
Am Yom HaShoa findet zudem traditionell in Polen ein Gedenkmarsch statt zwischen dem Stammlager Auschwitz und dem rund drei Kilometer entfernten Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo die meisten Menschen ermordet wurden. An diesem "Marsch der Lebenden" (March of the Living) nehmen meist tausende junger Jüdinnen und Juden teil. In der Corona-Pandemie gab es ein virtuelles Gedenken.
Holocaust-Gedenktag in Deutschland
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland dauerte es noch ein halbes Jahrhundert: Erst 1996 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. An öffentlichen Gebäuden in Deutschland hängen seitdem an diesem Tag die Fahnen auf Halbmast. Viele Schulen greifen das Thema im Unterricht auf.
Seit 1996 gibt es zudem am Gedenktag selbst oder in zeitlicher Nähe eine Gedenkstunde für die NS-Opfer im deutschen Parlament. Während in den ersten Jahren mehrheitlich deutsche Politiker die Gedenkrede hielten, haben seitdem auch zahlreiche Holocaust-Überlebende und Politiker aus anderen Ländern im Land der Täter vor den Abgeordneten im Bundestag über ihre Erfahrungen berichtet: aus Israel, den USA, Polen, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Tschechien, Ungarn, Russland oder Großbritannien. Sie teilten bewegende Erfahrungen und mahnten. "Nie wieder! Nie wieder!", rief 2022 der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy.
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Bundestag erinnert an Holocaust-Opfer
2011 sprach mit Zoni Weisz erstmals ein Angehöriger der Minderheit der Sinti und Roma vor dem Deutschen Bundestag, 2017 erstmals zwei Angehörige von Opfern der sogenannten Euthanasie - der planmäßig betriebene Mord an Menschen mit schweren Erkrankungen oder Behinderungen.
Im Mittelpunkt der Gedenkstunde in diesem Jahr am 27. Januar 2023 stehen zum ersten Mal Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Mit Rozette Kats aus den Niederlanden spricht eine Holocaust-Überlebende, die sich für Verfolgte sexueller Minderheiten einsetzt.
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Die Fischer-Kontroverse als Teil der Vergangenheitsbewältigung
Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 1,1, Universität Osnabrück (Neueste Geschichte/ IMIS), Veranstaltung: Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Sprache: Deutsch, Abstract: In den frühen 1960er Jahren löste der Hamburger Historiker Fritz Fischer mit seiner Monographie „Der Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ eine der heftigsten Debatten in der deutschen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit aus. Seine bis dahin revolutionären Thesen, die das Deutsche Reich zum Hauptschuldigen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges machten, beschäftigten über einen langen Zeitraum die nationalen und teilweise sogar internationalen Medien; auch die Politik setzte sich mit der Debatte um Fritz Fischer und seiner Publikation auseinander. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, wie ein wissenschaftliches Buch sowohl in der Wissenschaft selbst als auch in der breiten Öffentlichkeit eine derart leidenschaftliche Kontroverse auslösen konnte. Warum waren Fischers Thesen für das deutsche Volk so brisant? Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst die äußeren Umstände des 1960er-Jahre-Deutschlands zu untersuchen. Was ging zu dieser Zeit in den Köpfen der Deutschen vor? Welche Rolle spielte das Ende des Zweiten Weltkrieges? Wie ging die Bevölkerung mit dem Bau der Mauer 1961 – dem Jahr der Veröffentlichung von Fischers Monographie – um? In dieser Arbeit soll erörtert werden, inwiefern die Fischer-Kontroverse als Teil der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu verstehen ist, bzw. wie und in welchem Maße diese Kontroverse zur Vergangenheitsbewältigung beitrug. Sowohl eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen Fischers und der seiner Kontrahenten als auch die Darstellung des Verlaufs der Kontroverse sollen einen Überblick über die Thematik verschaffen. Anschließend wird auf die Situation in den frühen 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen, um danach zu den Gründen für die Auslösung dieser Kontoverse zu gelangen. Ein weiteres Kapitel widmet sich schließlich einer Untersuchung der Auswirkungen dieser Kontroverse und wie diese zur Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus in West-Deutschland beigetragen haben.
Zeitgeschichte
Erinnern ohne Zeitzeugen
04:23 Minuten
Am Brandenburger Tor wird Gemüse angebaut 1947: Im Hintergrund das beschädigte Brandenburger Tor.
Der Zeitzeuge dokumentiert durch seine Person eine raum-zeitliche Gesamtsituation der Vergangenheit, so Martin Sabrow. Hier: Gemüseanbau 1947 in Berlin. © imago/ akg-images
Überlegungen von Martin Sabrow · 02.09.2019
Vor 80 Jahren begann mit dem deutschen Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg. Daran erinnern wir uns auch über Zeitzeugenberichte. Langsam werden diese aber weniger. Welche Folgen das hat, darüber denkt der Historiker Martin Sabrow nach.
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Aus der Sendung
Politisches Feuilleton
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Zeitzeugen gehören zur Zeitgeschichte. Aber je länger die einschneidendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts in die Vergangenheit zurücksinken, desto schwächer wird ihre Stimme. Kaum noch jemand ist unter uns, der über sein Schicksal als Häftling in einem Konzentrationslager Auskunft geben kann.
Noch kleiner ist die Zahl derer, die den Kriegsausbruch 1939 bewusst miterlebt hat, und die Generation derjenigen, die Zeugen der nationalsozialistischen Machtergreifung waren, ist weitgehend verstummt. Was bedeutet das Ende der Zeitzeugenschaft für unsere Geschichtskultur?
Der Zeitzeuge – eine Figur der Vergangenheitsverständigung
Es bedeutet jedenfalls nicht zwingend das Ende des Streits um die Deutung der Vergangenheit. Im Gegenteil: Die einhundertste Wiederkehr des Ersten Weltkriegsausbruchs 2014 hat die verhängnisvolle Weichenstellung von 1914 überhaupt erst wieder in das Bewusstsein unserer Zeit gehoben; das folgende Jubiläum der Novemberrevolution von 1918 hat ein über Jahrzehnte fast vergessenes Ereignis in die Erinnerung zurückgerufen und seine Bedeutung für die Geschichte Weimars neu definiert.
Zudem ist der Zeitzeuge eine vergleichsweise junge Figur der Vergangenheitsverständigung. Er ist nicht identisch mit dem Tatzeugen, der ein miterlebtes abgrenzbares Geschehen durch seine Darstellung für andere so präzise wie möglich nachvollziehbar und beurteilbar macht. Er ist auch nicht gleichzusetzen mit dem historischen Fachexperten, der vor Gericht oder in den frühen Fernsehproduktionen zur NS-Geschichte als beglaubigende Instanz auftritt, um Ereignisse und Einschätzungen zu bestätigen und zu kommentieren.
Unmittelbare Begegnung mit Geschichte
Der Zeitzeuge dokumentiert durch seine Person eine raum-zeitliche Gesamtsituation der Vergangenheit. Er autorisiert eine bestimmte Sicht gleichsam von innen als mitlebender Träger von Erfahrung und nicht von außen als wahrnehmender Beobachter.
Deswegen konnte der Zeitzeuge erst in einer Zeit Bedeutung gewinnen, die der subjektiven Erinnerung Raum gab. Der Nürnberger Prozess 1946 kannte den Typus des vom Tatzeugen zu unterscheidenden Zeitzeugen noch nicht. Spektakulär in Erscheinung trat der Zeitzeuge das erste Mal im Eichmann-Prozess 1961. Vor dem Bezirksgericht Jerusalem bot Generalstaatsanwalt Gideon Hausner 112 Zeugen auf, die die zerklüftete israelische Gesellschaft dazu bringen sollten, „mehr über die Leiden der europäischen Juden zu erfahren und (...) so auch die (...) kollektive Identität der Israelis bzw. Juden zu festigen.“
Es ist also nicht allein die Botschaft, die die Aura des Zeitzeugen ausmacht, sondern gleichermaßen ihre Beglaubigung. Im Zeitzeugen begegnen wir der Vergangenheit nicht nur mittelbar – in der Erzählung –, sondern zugleich auch unmittelbar – in der überlebenden Person. Der Zeitzeuge ist ein sprechendes Relikt, der als Überrest der Vergangenheit in die Gegenwart ragt und denselben Eindruck von Echtheit und Originalität vermittelt wie das Pergament einer mittelalterlichen Urkunde oder die Überreste der Berliner Mauer. Der Zeitzeuge konnte zur „Leitfigur der öffentlichen Erinnerung“ aufsteigen, weil er Authentizität im wahrsten Sinne des Wortes „verkörpert“.
Das allmähliche Verstummen
Längst hat das Bedürfnis nach der Begegnung mit Zeitzeugen das Phänomen des „sekundären Zeitzeugen“ hervorgebracht, der als „Zeuge des Zeugen“ historisches Erleben in die nächste Generation weitergibt. Und die Shoah Foundation in Los Angeles arbeitet daran, Lebenserinnerungen von Holocaust-Überlebenden so aufzubereiten, dass sie als Avatare, also als digitale Hologramm-Interviewpartner, auch nachwachsenden Generationen dauerhaft zur Verfügung stehen.
Das allmähliche Verstummen der Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts verändert den Charakter der öffentlichen Auseinandersetzung über die Vergangenheit. Aber es verbannt die deutsche Katastrophe nicht aus der Zeitgeschichte. Denn die stellt schon lange nicht mehr nur die Epoche der Mitlebenden dar, sondern weit darüber hinaus auch die Epoche der Miterinnernden.
Martin Sabrow ist Direktor des Leipniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Gefühlte Opfer: Illusionen der Vergangenheitsbewältigung Gebundene Ausgabe – 23. Juli 2010
Seit Jahrzehnten empfinden sich die Deutschen als gefühlte Opfer und vertrauen seit der Rede Richard von Weizsäckers 1985 dem Versprechen, Erinnerung führe zu »Erlösung«. Diese Erinnerungsmoral untersuchen Ulrike Jureit und Christian Schneider historisch, geistesgeschichtlich und psychoanalytisch. Ihr Fazit: Eine vollkommene »Vergangenheitsbewältigung» bleibt eine Illusion.
Hersbrucker Erinnerungskultur: Was bleibt?
05.11.2022, 08:48 Uhr
Beim Kunstwettbewerb „ErinnerungsRÄUME“ haben rund 40 Werke an das Leid der KZ-Häftlinge in Hersbruck und Umgebung erinnert und gleichzeitig Brücken in die Gegenwart geschlagen. Doch was bleibt davon langfristig?
Von
Ulrike Nikola
Aus der Abstellkammer der Grete-Schickedanz-Mittelschule holt Lehrer Michael Steinlein mit den beiden Zehntklässlern Jana und Adem zwei große Banner hervor. Es sind Fotografien mit nackten Füßen, mit denen eine Schülergruppe den leidvollen Marsch der KZ-Häftlinge zur täglichen Zwangsarbeit nachgestellt hat. Die beiden sechs Meter langen Banner hingen während des Kunstwettbewerbs ErinnerungsRÄUME im Sommer an einer Brücke in der Hersbrucker Innenstadt. Eines wurde mutwillig zerschnitten. Wenn sich Kunst im öffentlichen Raum befinde, könne es passieren, dass sie beschädigt werde, sagt Lehrer Michael Steinlein: "Es ist aber auch Teil des Kunstwerks. Denn man möchte die Menschen mit der Kunst ansprechen, provozieren. Manchmal schlägt es um in Gewalt und Zerstörung. Doch wir möchten mit dem zerstörten Kunstwerk weiterarbeiten."
Der Zerstörung trotzen und nach vorne blicken
Mit Graffitis wollen Schüler und Lehrer aus den beschädigten Bannern ein neues Kunstwerk schaffen und sich mit dem Thema auseinandersetzen. Ein Ansporn ist, dass sie beim Kunstwettbewerb ErinnerungsRÄUME mit dem Bernt-Engelmann-Schulpreis ausgezeichnet worden sind. "Der Blick in die Vergangenheit und das Erzählen darüber sind wichtig, denn die jungen Menschen sollen wissen, welche NS-Gräueltaten hier passiert sind. Gleichzeitig geht der Blick in die Gegenwart und darauf, wie wir heute miteinander umgehen. Wir sind 22 Nationen an der Schule. Da können wir gar nicht anders handeln, als aufeinander zuzugehen, voneinander zu lernen und miteinander gut umzugehen", sagt Lehrer Michael Steinlein.
Was sind die nächsten Schritte?
Das Banner der Mittelschule war nicht das einzige Kunstwerk, das während der Präsentationen im Sommer beschädigt wurde. Auf einer Verkehrsinsel wurden Figuren umgestoßen sowie zwei Kunstwerke gestohlen, außerdem ein Schaukasten zerstört und sogenannte "Denkbänke" ins Wasser geworfen. Laut polizeilichen Ermittlungen waren es Dumme-Jungen-Streiche. Doch wie geht es mit der Erinnerungskultur weiter, nachdem in Hersbruck alle Werke des diesjährigen Wettbewerbs abgebaut oder beschädigt worden sind? Das fragen die Ehrenamtlichen des Vereins Dokumentationsstätte KZ Hersbruck und ihr Vorstandsmitglied Klaus Petersen: "Wir möchten mehr Menschen in die Gestaltung einer Erinnerungskultur in Hersbruck einbeziehen. Dazu wollen wir Diskussionsveranstaltungen anbieten, um die Meinungen der Bürger und der Institutionen zu hören: Was sind die nächsten Schritte?"
Auf ehemaligem KZ-Gelände entsteht ein Pflegeheim
Hinter dem Hersbrucker Finanzamt liegt das Areal des ehemaligen KZs. Zu sehen ist davon nichts mehr. Es gibt nur einen schwarzen Kubus mit den Namen der Opfer und mehrere Informationstafeln. Dazwischen liegt ein großer Bauplatz mit aufgeschütteten Erdwällen, wo ein Pflegeheim der Diakoneo gebaut werden soll. Es bleibt also kein Platz für einen neuen Gedenkort, aber vielleicht für ein Kunstwerk. Bürgermeister Robert Ilg ist im Gespräch mit dem Träger, der Bayerischen Gedenkstätten Stiftung und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (zu der das Hersbrucker Außenlager gehörte). "Diakoneo ist sich der Verantwortung bewusst. Sie wissen, auf welchem Gelände sie ihren Neubau realisieren. Es gibt bereits Ideen, mit denen auf die Geschichte im Rahmen des Neubaus hingewiesen werden soll", sagt Bürgermeister Robert Ilg. Denkmäler und Gedenkstätten als Erinnerungsorte an früher sind das eine. Diskussionen um Werte und menschliches Miteinander in der heutigen Zeit das andere. Beides sei wichtig und ein fortlaufender Prozess, so der Bürgermeister.
Ort der Opfer und der Täter
Zur Erinnerungskultur gehört seit dem vergangenen Jahr auch eine freundschaftliche Verbindung zwischen Hersbruck und Oradour-sur-Glane in Frankreich. Es ist der Ort mit dem wohl schlimmsten SS-Massaker, das im Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat. Ins Goldene Buch der Stadt Hersbruck schrieb Benoit Sadry von der französische Delegation: "Eine leere Seite, um darauf die Geschichte der aufkeimenden Freundschaft zwischen unseren beiden Städten zu schreiben und die Menschen daran zu erinnern, dass die Zukunft denjenigen gehört, die die längsten Erinnerungen haben! Es lebe die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern." Hersbruck ist zugleich ein Ort der Täter und Opfer, denn dort lebten sowohl die Verantwortlichen der NS-Gräueltaten als auch die Opfer. Im KZ Hersbruck starben von Mai 1944 bis April 1945 etwa 4.000 Menschen.
Prototyp der Erinnerungskultur entwickeln
Über Hersbruck hinaus gibt es zahlreiche mittelfränkische Orte, in denen die NS-Zeit ein dunkles Kapitel gewesen ist. Auch dort sollte eine zeitgemäße Auseinandersetzung möglich sein, sagt Klaus Petersen vom Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck. Sein Vorschlag lautet daher, ein sogenanntes Cluster der Erinnerungskultur zu schaffen, damit sich die verschiedenen Institutionen, Vereine und Persönlichkeiten mit diesem Thema im Landkreis Nürnberger Land beschäftigen. "Dass durch Netzwerk-Synergien vielleicht ein Prototyp entsteht, wie Erinnerungskultur in einer ländlichen Region gestaltet werden kann", so Petersen. Für die viele ehrenamtliche Arbeit wünsche sich der Doku-Verein mehr öffentliche Unterstützung seitens der Bürgerinnen und Bürger, der Stadt und des Landkreises.
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Das Erbe von Fritz Bauer: Öffentliche Wahrnehmung justizieller „Vergangenheitsbewältigung“ (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Geschichtswissenschaft) Taschenbuch – 29. April 2022
Fritz Bauer setzte sich besonders in den 1950er und 1960er Jahren gegen die anhaltenden Verdrängungsmechanismen und Amnestiebestrebungen der deutschen Gesellschaft ein. Dass Bauer in den letzten Jahren zu einer regelrechten Kultfigur geworden ist, wäre ihm selbst wohl kaum eingefallen. Auch wäre dies dem Juristen und Strafverfolger wohl nur in dem Sinne recht gewesen, als es seinem intensiven persönlichen Engagement für eine juristische Aufarbeitung wie öffentliche Aufklärung der NS-Vergangenheit gedient hätte. In der vorliegenden Arbeit sollen die zeitgenössischen Debatten, die heutige Rezeption Bauers sowie sein Wirken untersucht werden, um den mittlerweile gebildeten „Fritz Bauer-Boom“ sukzessive zu begreifen und zu dekonstruieren.
NS-Vergangenheit deutscher Behörden
Roth: Aufarbeitung ist Bedingung für unsere Demokratie
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Im Rahmen eines Forschungsprogramms haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Umgang deutscher Ministerien und Behörden mit der NS-Vergangenheit untersucht. Auf einer Tagung präsentierten sie jetzt ihre Ergebnisse, die Brüche, aber auch NS-Kontinuitäten in Verwaltung und Politik aufdecken. Gefördert hat das Programm die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
In den vergangenen Jahren hat eine ganze Reihe deutscher Ministerien und Bundesbehörden die eigene NS-Vergangenheit von unabhängigen Historikern untersuchen lassen. Lange Zeit vernachlässigt wurde dabei ein ressortübergreifender Forschungsansatz, der größere Zusammenhänge jenseits des Rasters von Behörden, Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen in den Blick nimmt. Dies stellte auch eine Studie fest, die 2016 zum Stand der NS-Aufarbeitung zentraler Behörden im Auftrag der Beauftragten für Kultur und Medien erstellt wurde.
Neuer ressortübergreifender Ansatz
Die Beauftragte für Kultur und Medien lobte 2017 deshalb das Forschungsprogramm „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus“ aus, in dessen Rahmen zehn Projekte gefördert wurden.
„Es ging dabei um unabhängige Projekte, nicht um innerbehördliche Forschungsaufträge – das war gut und richtig, auch, um der Befürchtung einer reinen „Haus- und Hofberichterstattung“ entgegen zu treten“, erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth gestern auf der Abschlusstagung die Intentionen des Programms.
Das Forschungsprogramm Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus wurde mit 4 Millionen Euro aus dem Haushalt der Kulturstaatsministerin gefördert. Verantwortlich für die Koordinierung der zehn Projekte war das Bundesarchiv, das zusammen mit dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) auch Gastgeber der Abschlusstagung am 25. und 26 Oktober 2022 war.
Auf der zweitägigen Konferenz in Berlin wurden die Ergebnisse der inzwischen weitgehend abgeschlossenen Projekte vorgestellt. Sie untersuchen anhand institutionsübergreifender Fragestellungen die Entwicklung ausgewählter staatlicher Institutionen von der Adenauer-Ära bis – zum Teil – in die 1980er Jahre, unter ihnen das Bundeskanzler- und das Bundespresseamt sowie mehrere Länderjustizverwaltungen.
Fragen nach personellen und strukturellen Kontinuitäten
Im Mittelpunkt standen dabei die Organisationsgeschichte und Verwaltungskultur, die Personalpolitik und die Demokratievorstellungen der Behörden. Konkret wurden im Rahmen der Projekte zum Beispiel Fragen nach der Einstellungspraxis gestellt: Wie viele durch ihre Funktion in der NS-Diktatur belastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten oder wollten die Ministerien, Bundes- und Landesbehörden einstellen? Wie wurde der vielschichtige und oft auf formale Parteimitgliedschaft reduzierte Begriff der „Belastung“ in den politischen Auseinandersetzungen eingesetzt? Wie verschoben sich die Grenzen, die in Bezug auf NS-Belastungen gezogen wurden?
„Ausgeschrieben war das Programm, um größere Zusammenhänge und verdeckte Strukturen aufzuzeigen, um die behördenübergreifend braune Prägung der jungen BRD greifbar zu machen – in politischen Entscheidungsstrukturen und auch in der kommunikativen Praxis“, betonte die Kulturstaatsministerin.
Voraussetzung für Kampf gegen Rechtsextremismus
Ohne das Erinnern an die Verbrechen der NS-Zeit und ihre Vorbereitung in nationalsozialistischen Behörden, wäre die Demokratisierung Deutschlands, wäre eine demokratische Bundesrepublik Deutschland gescheitert, ist Roth überzeugt.
„Die Demokratie braucht die Konfrontation mit der Vergangenheit, nicht nur mit der NS-Vergangenheit, sondern auch mit ihrer eigenen.“ Die Erinnerung an die Verbrechen des Dritten Reiches und die Aufklärung darüber seien die besten Voraussetzungen für den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus in der Gegenwart, für die Auseinandersetzung mit den Demokratieverächtern und den Rechtsstaatsfeinden – und damit eine notwendige Bedingung für unsere Demokratie, erklärte Roth.
Mittwoch, 26. Oktober 2022
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Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung": Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Band 2. Unter Mitarbeit von Katrin Berentzen und Reinhild Frenking. Gebundene Ausgabe – 1. Februar 2009
Aufgrund der großen nationalen und internationalen Medienresonanz zum ersten Band liegt jetzt der zweite und abschließende Band des Wörterbuches der „Vergangenheitsbewältigung“ vor. Wie bereits im ersten Band wird anhand detaillierter Wort- und Diskursgeschichten der Umgang mit der NS-Vergangenheit im Sprachgebrauch der Gegenwart nachgezeichnet. Es wird deutlich, wie unterschiedlich verschiedene gesellschaftliche Gruppen die „Vergangenheit, die nicht vergeht“, begreifen, wie „belastetes“ Vokabular der NS-Vergangenheit verwendet wird, oft zum Zweck der jeweils aktuellen politischen Auseinandersetzung. Das Streitthema Vergangenheitsbewältigung wird so im tagespolitischen Geschäft der „Bewältigung der Gegenwart“ ausgenutzt; Wörter und die mit ihnen verbundene Semantik werden in NS-Vergleichen instrumentalisiert. Zu beobachten ist, dass dadurch genau diejenigen Geschichtsereignisse am häufigsten relativiert werden, die in der öffentlichen Diskussion als einzigartig gelten. Hier zeigt sich das Auseinanderfallen von öffentlich vertretener Norm und tatsächlichem Sprachverhalten, aber auch das Ringen um allgemein gültige Geschichtsvokabeln und das Herausbilden eines öffentlichen Bewusstseins für die NS-Zeit und ihre Sprache. Der zweite Band wird eingeleitet mit einer Rekonstruktion des Diskurses über NS-Vergleiche und zeigt die Verwendung und Funktion von über 1000 diskursrelevanten Vokabeln innerhalb von 24 Themenbereichen: Antisemitismus ? Befehlsnotstand ? Displaced Persons/Fremdarbeiter ? Flüchtlinge/Vertriebene ? Gaskammer/vergasen/Vergasung ? Goebbels-Vergleiche ? Jude ? Kriegsverbrecher ? Militarismus ? Nationalismus ? Nazi/Neonazi ? Nestbeschmutzer ? Opfer ? Patriotismus ? Pazifismus ? Rasse/Rassismus/Herrenrasse ? Reeducation/Umerziehung ? Remilitarisierung ? Revanchismus ? Schlussstrich ? Stürmer-Vergleiche ? Täter ? Versöhnung/Aussöhnung/Normalisierung ? Zigeuner Following on from the wide-ranging media response to first volume, the second and final volume of the Wörterbuch der “Vergangenheitsbewältigung” is now available. The detailed descriptions of the history of words and discourses associated with the Nazi past never lose currency: not a week passes without some explosive historically-charged comparisons being made in public political discourse – whether the “atmosphere of a pogrom against managers”, comparisons between Lafontaine and Hitler, or others of the same kind. The descriptions provide a vivid impression of the use of language in German public affairs and of the social mood of the last sixty years. The gradual development of sensitivity to language in public discourse is exemplified in particular by the often successful criticism of comparisons with Goebbels or Der Stürmer, deemed to be trivialising and distasteful, and by the critical addressing of all racial vocabulary. This public sensitivity is legitimised both from the historical perspective, “How could this happen and what role did language play?” and with a view to the future, “How can we stop it happening again?” This second volume includes an introduction which reconstructs the discourse about comparisons with the Nazis, and illustrates the usage and functions of over 1000 discourse-relevant words within 24 thematic areas: Anti-Semitism ? Superior orders ? Displaced persons/Foreign workers ? Refugees ? Gas chamber/Gassing ? Comparisons with Goebbels ? Jew ? War criminal ? Militarism ? Nationalism ? Nazi/Neo-Nazi ? Denigrator of the state ? Victim ? Patriotism ? Pacifism ? Race/Racism/Master race ? Re-education ? Remilitarisation ? Revanchism ? Drawing a line ? Comparisons with Der Stürmer ? Perpetrator ? Atonement/Reconciliation/Normalisation ? Gypsy
REZENSION
Wie deutsche Unternehmen mit ihrer Nazi-Vergangenheit umgehen
08.05.202210:42
Von: Hans-Jürgen Jakobs
Viele deutsche Unternehmen haben nach wie vor mit der Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit zu tun. Zwei Neuerscheinungen legen den Finger in die Wunde.
Hamburg 1940
Eine zwangsrekrutierte Frau arbeitet in dem Rüstungsbetrieb Conz-Elektrizitäts GmbH an einem Elektromotor .
Bild: SZ Photo
Düsseldorf Familienunternehmen werden zu Recht als Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft beschrieben. Sie sind oft mehr als hundert Jahre alt und betonen die langfristige Kontinuität, die Staffelübergabe über Generationen hinweg. Aber wie das so ist in solchen Fällen: Man erbt nicht nur Vermögen, Markenkraft und Marktanteile, sondern auch die Sünden der Vergangenheit.
Das zeigt sich in Deutschland permanent anhand der Frage, wie es große Namen der deutschen Wirtschaft wohl im „Dritten Reich“ unter den Nazis gehalten haben. Hier wurde und wird nicht selten verdrängt, ignoriert und geklittert, was das Zeug hält, aus psychologisch verständlichen Gründen. Wer will schon Großvater und Großmutter oder sogar Vater und Mutter im Zwielicht der braunen Diktatur und damit die Ahnenreihe kontaminiert sehen?
In dieses Wespennest stechen drei Autoren mit ihren Büchern. Einmal Zachary und Katharina Gallant mit einem kürzeren Abriss, vor allem aber David de Jong, ein in Tel Aviv lebender niederländischer Journalist.
Der langjährige Bloomberg-Reporter hat vier Jahre lang für sein Werk recherchiert – und moniert manche Unterlassung im Umgang mit dem „braunen Erbe“, vor allem ausgebliebene individuelle Entschädigungen oder Wiedergutmachungen für Zwangsarbeiter und jüdische Opfer.
Dramaturgisch konsequent konzentriert sich de Jong auf fünf Familienfälle, die er akribisch aufbereitet, stets um äußerste Faktengenauigkeit bemüht. Der nüchtern rapportierende Stil kontrastiert mit der Emotionalität des Themas, mit der deutschen Schuld, sechs Millionen Juden ermordet zu haben.
David de Jong: Braunes Erbe.
Kiepenheuer& Witsch
Köln 2022
496 Seiten
28 Euro
Übersetzung: Jörn Pinnow, Michael Schickenberg
Vorgeführt werden Textilunternehmer Günther Quandt und Stahlbaron Friedrich Flick, die sich wie Raider der kapitalistischen Neuzeit immer mehr Firmen sicherten, ein Innovator wie Ferdinand Porsche, der Adolf Hitlers Wunsch nach einem „Volkswagen“ aus ingenieurtechnischem Ehrgeiz und aus Erwerbsinteresse gerne nachkam, der knauserige Münchener Baron August von Finck, der Hitlers Lieblingsprojekt „Haus der Kunst“ in München aufhalf, oder die Bielefelder Oetker-Familie mit dem eingeheirateten Stramm-Nazi Richard Kaselowsky als Oberhaupt. Das Mitglied im „Freundeskreis Reichsführer SS“ breitete ganz in Führers Sinne den Stiefsohn Rudolf-August Oetker auf seine Chefrolle vor. Der „Puddingprinz“ wurde früh in die Reiter-SA integriert, war SS-Offizier und half nach dem Krieg alten SS-Kameraden.
All diesen Wirtschaftslegenden war gemein, dass sie in kühler Kosten-Nutzen-Abrechnung vom NS-Zwangssystem opportunistisch profitierten, teilweise schon recht früh zur Finanzierung von Wahlkämpfen der NSDAP oder von SS und SA bereitstanden und selbst Teil der Kriegs- und Eroberungsmaschinerie wurden. Allesamt waren sie in der NSDAP, der SS oder in beiden Organisationen.
Hitlers Wirtschaftsberater Otto Wagener wird so zitiert: „Sie wollen Geld verdienen, Geld, dreckiges Geld – dabei wissen sie nicht einmal, dass sie damit einem teuflischen Phantom nachjagen.“ Typisch, wie Ökonom Hjalmar Schacht im Februar 1933 nach einem Unternehmertreffen mit dem frisch gekürten Reichskanzler Hitler lächelnd bat: „Und nun, meine Herren, an die Kasse!“
Manchmal spielte auch nicht Geld, sondern Liebe, vielleicht auch Sex eine Schlüsselrolle. Zum Beispiel im Fall der attraktiven Magda Friedländer, die erst Günther Quandt heiratete und dann mit Sohn Harald zu Joseph Goebbels wechselte – eine „First Lady des Dritten Reichs“, die mit ihrer neuen Familie im Suizid endete. Vorher hatte Goebbels seinem Stiefsohn Harald geschrieben: „Ich erwarte von Dir, dass Du, wenn Du diesen Krieg überstehst, Deiner Mutter und mir nur Ehre machen wirst.“
Kontinuität ist hier schwierig, aber de Jongs Protagonisten waren nach 1945 irgendwann entnazifiziert durch organisierte „Persilscheine“ wohlgesinnter Zeugen, oft auch von „Alibijuden“. Man war nur „Mitläufer“ gewesen. Der Westen brauchte unternehmerische Bollwerke gegen den Sowjetkommunismus und neue Wirtschaftswunderabsatzmärkte.
Ein deutscher Vorarbeiter zeigt Zwangsarbeitern die Bedienung der Maschinen. SZ Photo
Zwangsarbeiter bei Siemens
Ein deutscher Vorarbeiter zeigt Zwangsarbeitern die Bedienung der Maschinen.
Bild: SZ Photo
Nur Friedrich Flick war nach einer Verurteilung durch die Alliierten ein paar Jahre ins Gefängnis gewandert. Sein Sohn Friedrich Karl schmierte dann fröhlich die Republik, gefiel sich als jetsettender Lebemann und verscherbelte alles an die Deutsche Bank.
Die anderen Porträtierten machten mit dem unter den Nazis angewachsenen Kapital weiter. Ein Günther Quandt galt als Unpolitischer. Vergessen die Eloge des Geschäftsfreundes Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank zum 60. Geburtstag: „Die Umstellung auf die neue Zeit im Jahre 1933 ist Ihnen durch Ihre geschickte Taktik und Ihre besonderen Fähigkeiten in vollem Maße gelungen. Ihre hervorstechendste Fähigkeit aber ist Ihr Glaube an Deutschland und den Führer.“
Zur Trauerfeier für Quandt im Januar 1955 sagte Abs dann: „Er hat sich niemals knechtisch dem übermächtigen Staat unterworfen.“ Quandts Erbe wurde zwischen den Söhnen Harald und Herbert geteilt, der einmal scherzte, hätte Vaters Tod nicht in der Zeitung gestanden, „wirtschaftlich hätte es niemand gemerkt“.
Nachdem die rot-grüne Bundesregierung von 2000 an Zwangsarbeiter über eine Stiftung, an der sich die Wirtschaft beteiligte, entschädigen ließ, haben sich immer mehr Historiker im Firmenauftrag mit der NS-Zeit beschäftigt. Manche weichzeichnend wie Gregor Schöllgen im Fall des Fürther Kaufmanns Gustav Schickedanz, viele konsequent präzise wie Joachim Scholtyseck im Fall der Quandt-Familie, die BMW dirigiert.
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Unmöglich findet es Verfasser de Jong, dass der Porsche-Clan den Beitrag des jüdischen Mitgründers Adolf Rosenberger minimalisiert, sich fälschlicherweise sogar damit schmücke, ihm zur Flucht verholfen zu haben. Nach dem Krieg wurde der Pionier nicht wieder als Gesellschafter eingesetzt, sondern mit einem VW Käfer abgefunden.
Seinen Anteil hatte er einst zum Schleuderpreis an die Porsches abgeben müssen: „Sie haben sich meiner Mitgliedschaft als Jude bedient, um mich billig loszuwerden.“ Als Produzent von Waffen, Panzern und Armeefahrzeugen machte der Clan aus Stuttgart und Salzburg, der 1933 vor dem Bankrott stand, im Krieg blendende Geschäfte. Familienmitglied Anton Piëch tyrannisierte im Volkswagenwerk Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.
Insgesamt 71 der 100 größten Unternehmen der NS-Zeit hätten „bis heute ihre Vergangenheit nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, sodass in vielen Fällen das Ausmaß unklar ist, in dem Unternehmen und Familiendynastien von ihrer Rolle in der NS-Zeit profitierten“, bilanzieren Zachary und Katharina Gallant in ihrem Buch „Brauner Boden“. Genannt werden Röchling, Siemens, Bayer oder Henkel. Angesichts der vielen nach dem Krieg ausgestellten „Persilscheine“ könnte fast der Eindruck entstehen, „dass es in den 1930er- und 40er-Jahren in Deutschland nur sehr wenige willige Nazis gegeben habe“.
Zachary Gallant, Katharina F. Gallant: Brauner Boden
Westend Verlag
Berlin 2022
188 Seiten
24 Euro
Es geht hier immer wieder um das Licht, das ins Dunkle soll, um Aufarbeitung. Solle sie gelingen und authentisch sein, heißt es in Gallants Buch, müsse „sie als fester Bestandteil der nationalen Identität alle Dimensionen des Lebens durchdringen“. Nach 1945 sei wohl eher eine Versöhnung Deutschlands mit den Siegermächten als eine tatsächliche Aussöhnung mit der jüdischen Schicksalsgemeinschaft angestrebt worden.
Die deutsche Wirtschaft bleibe NS-belastet, „bis der volle Umfang der Beteiligung ans Licht gebracht wird und die betroffenen Unternehmen die Verantwortung für ihre dunkle Vergangenheit in vollem Ausmaß übernehmen“, heißt es mit einigem Furor in dem Buch.
Eine gelungene Aufarbeitung der NS-Zeit gibt es auch. Als positives Beispiel zieht David de Jong die Milliardärsfamilie Reimann heran. Deren Patron Albert hatte mit seiner Ludwigshafener Spezialchemiefirma Joh. A. Benckiser (JAB) ebenfalls sehr vom Nazi-System profitiert.
Es kam erst jüngst heraus, dass Reimanns Geliebte Emily Landecker, mit der er drei Kinder hatte, eine Jüdin war. Später heiratete er sie. Mit etlichen Firmenbeteiligungen der JAB-Holding gehören die Reimanns heute zu den reichsten Deutschen.
Viele deutsche Unternehmer-Dynastien scheuen eine vollständige Aufarbeitung der dunklen Geschichte, die ihr Vermögen befleckt.
David de Jong, Buchautor
Ihre in Alfred Landecker Foundation umbenannte Familienstiftung konzentriert sich mit 260 Millionen Euro Stiftungskapital auf die Aufklärung von Holocaust-Verbrechen. Und sie begann, Überlebende der Zwangsarbeit im eigenen Werk ausfindig zu machen und zu entschädigen.
„Kurz und gut, Deutschlands reichste Wirtschaftsdynastie ließ ihren Worten tatsächlich Taten folgen“, erklärt Autor de Jong und wirkt verwundert. Viele deutsche Unternehmerfamilien würden eine vollständige Aufarbeitung der dunklen Geschichte scheuen, „und so werden die Geister des ,Dritten Reichs‘ sie weiter verfolgen.“
Die Quintessenz dieses neuen Schwungs an Aufarbeitungsliteratur kommt vom Reimann-Vertrauten Peter Harf. Der Chef der JAB-Holding hat in der „New York Times“ allen erklärt, es sei Zeit, gegen den wachsenden Nationalismus im Westen Stellung zu beziehen: „In der Vergangenheit haben Geschäftsleute Populisten zur Macht verholfen. Wir dürfen diesen Fehler heute nicht wiederholen.“
Mehr: Wie die Familie Reimann ihr Vermögen in zehn Jahren mehr als verdreifacht hat
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Zur Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche anhand ausgewählter Beispiele
Vordiplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Historisches, Note: 1,3, Freie Universität Berlin (Otto-Suhr-Institut Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: „Vergangenheitsbewältigung“ meint hier ganz allgemein einerseits den Umgang mit Geschichte und andererseits die historische Aufarbeitung als Wahrheitsfindung in einer historischen Epoche sowie wie die Sensibilisierung im Umgang mit historischen Fragen überhaupt, seien sie politischer, sozialer, gesellschaftlicher und/oder religiöser Natur. „Vergangenheitsbewältigung“ kann und soll Geschichte aber nicht abschließend behandeln. Ein „Schlussstrich“ unter eine wie auch immer geartete Vergangenheit scheint weder erstrebenswert noch erreichbar, denn nur durch und mit Hilfe fortdauernder Erinnerung ist und bleibt Geschichte erst lebendig. Ein Nicht-Vergessen der Geschichte, der Vergangenheit kann und soll auch Schutz davor bieten, dass sie sich wiederholen könnte. Erinnerung kann und soll also auch immer Mahnung für die Zukunft sein. Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit erfolgt durch Publikationen, Ehrungen, Gedenkveranstaltungen, Briefmarkenausgaben, etc durch unterschiedliche gesellschaftliche, soziale und staatliche Schichten, Gruppen, Organisationen und Institutionen, in der katholischen Kirche gibt es darüber hinaus die Seligsprechung als ein Instrument der Würdigung und Ehrung für christlichen Einsatz. Dabei darf die Erkenntnis und Erfahrung nicht gering geschätzt werden, dass „Geschichte immer politisch (ist). Denn Geschichte ist, was von früheren Zeiten wie, in welchem Zusammenhang und mit welchem offenkundigen und / oder geheimen Zweck erinnert wird,“ aber auch, dass „alle Erinnerung hochgradig wählerisch, voll der Rationalisierung der jeweils Erinnernden“ ist (Narr 2001). Meine Arbeit verfolgt die These, dass die katholische Kirche - darunter wird im folgenden immer die „Amtskirche“ als Leitungshierarchie der Bischöfe, des Klerus bezeichnet - bezüglich der jüngsten deutschen Vergangenheit vor allem eine Vergangenheitsbewältigung oder -politik betreibt, deren Ziel es ist, sich von der „Schande“ reinzuwaschen, in jener Vergangenheit oft tatenlos zugesehen oder zu wenig getan und damit als Institution versagt zu haben. Das Verhalten der kirchlichen Institution während des Nationalsozialismus steht zweifellos im Widerspruch zur christlichen Lehre der Nächstenliebe und Barmherzigkeit und der Solidarität mit den Armen und Unterdrückten.
Erinnerungskultur: Wird an die Verbrechen des Nationalsozialismus "zu viel", "in angemessenem Umfang" oder "zu wenig" erinnert? [Allgemein und nach Parteianhängern]
Veröffentlicht von
Bernhard Weidenbach
, 30.06.2022
In einer im Januar 2020 durchgeführten Umfrage angesichts des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz waren 72 Prozent der Befragten der Meinung, dass sich in der Bundesrepublik an die Verbrechen der Nationalsozialisten angemessen oder zu wenig erinnert würde. Weitere 25 Prozent vertraten die Ansicht, dass sich zu viel erinnert würde. Auffällig ist die höhere Zustimmungsrate bei AfD-Anhängern.
Machtergreifung der Nationalsozialisten und Zweiter Weltkrieg
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, schaffte die junge Demokratie ab (Machtergreifung) und errichtete eine Diktatur in der jüdische Bürger, Minderheiten und politisch Andersdenkende verfolgt und getötet wurden. Das nationalsozialistische Deutschland ermordete mehr als sechs Millionen jüdische Menschen in ganz Europa und entfesselte durch den Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg, der mehr als 70 Millionen Menschenleben forderte.
Nationalsozialistische Ideologie
Die durch staatlichen Antisemitismus vorangetriebene Ideologie der Nationalsozialisten sah die Vernichtungen von "lebensunwertem Leben" vor. "Unwerte" Völker sollten getilgt werden, um den "arischen" Rassen an deren Stelle ein Leben zu ermöglichen. Das erklärte Ziel des NS-Regimes war die vollkommene Auslöschung des jüdischen Volkes und anderer Minderheiten wie Sinti und Roma sowie Homosexuelle.
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Studie beleuchtet Rolle der LVM Versicherung in der NS-Zeit
10.03.2022 – 14:59
LVM Versicherung
Münster (ots)
Unter dem Titel "Bauernführer, Direktoren und Vertrauensmänner: Die LVM Versicherung im 'Dritten Reich'" legt Prof. Dr. Johannes Bähr die erste wissenschaftlich-historische Untersuchung speziell zum Unternehmen in der NS-Zeit vor. Die Kernergebnisse präsentierte er am gestrigen Mittwoch in einem Digital-Vortrag mit rund 120 Teilnehmenden. Die Untersuchung zeichnet detailliert nach, wie die LVM aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Ausrichtung und der ideologischen Zugehörigkeit ihrer Leitungsgremien eine besondere Nähe zum NS-Regime aufwies. Trotz dieser Verstrickung war die LVM nicht unmittelbar an den Verbrechen der NS-Diktatur beteiligt.
Historische Schuld und heutige Verantwortung
"Wir sind stolz auf unsere 125 Jahre erfolgreiche Unternehmensgeschichte. Dazu gehört aber auch, sich ehrlich und unvoreingenommen mit den Zeitabschnitten zu beschäftigen, die zu den dunkelsten in der deutschen Geschichte gehören", erläutert Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Kleuker die Motivation des Unternehmens, die Studie zu beauftragen. "Wir haben uns bewusst für eine unabhängige und wissenschaftlich-fundierte Aufarbeitung entschieden, um Einsicht in die Verstrickungen des Unternehmens und seiner Persönlichkeiten zu erhalten. Die Studie sollte die Frage beantworten, ob und inwiefern die LVM zu dieser Zeit Schuld auf sich geladen hat. Und die Ergebnisse zeigen, dass sich die LVM am Unrecht jener Zeit beteiligt hat. Diese Schuld sichtbar zu machen und offen mit dieser dunklen Vergangenheit umzugehen, ist die Verantwortung für unsere Unternehmensgeschichte, der wir uns heute stellen."
Die Kernergebnisse im Detail
Die LVM war in der Zeit des "Dritten Reichs" ein Haftpflicht- und Tierversicherer für Landwirte in Westfalen mit rund 80 Mitarbeitenden. Die Zentrale in Münster wurde von bis zu 800 nebenberuflich tätigen Vertrauensleuten in ganz Westfalen unterstützt.
Da die Landwirtschaft in der NS-Ideologie einen besonderen Stellenwert einnahm, wurden nach der nationalsozialistischen Machtübernahme alle landwirtschaftlichen Verbände in eine Zwangsorganisation des NS-Staats, den Reichsnährstand, eingegliedert. Das betraf auch die Träger der LVM, den Westfälischen Bauernverein und die Landwirtschaftskammer Westfalen, und somit indirekt auch die LVM.
Aufsichtsrat und Vorstand der LVM wurden 1933 mit Nationalsozialisten neu besetzt. Dies hatte zur Folge, dass nach der "Gleichschaltung" fünf der neun Aufsichtsratsmitglieder und fünf der sieben Vorstandsmitglieder in der NSDAP waren oder der NSDAP nahestanden. In den Jahren 1933 bis 1945 gehörten sieben von insgesamt elf Aufsichtsratsmitgliedern und sieben von insgesamt zehn Vorstandsmitgliedern der NSDAP an. Die hauptamtlichen Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer waren nicht Mitglieder der NSDAP.
Obwohl die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der LVM mehrheitlich aktive Nationalsozialisten und Funktionsträger der Landesbauernschaft waren oder sogar der SS angehörten, war das Unternehmen nicht unmittelbar an der Ausgrenzung und Ausraubung der Juden beteiligt. Aufgrund seines Geschäftsmodells konnte der Versicherungsverein aus der Verfolgung der Juden keine direkten Vorteile ziehen. Denn bereits vor 1933 konnten sich bei der LVM nur Mitglieder des Westfälischen Bauernvereins oder der Landwirtschaftskammer versichern. Juden waren hier nicht zugelassen.
Die LVM verzeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus hohe Zuwächse bei der Mitgliederzahl und den Beitragseinnahmen. Dazu trugen die wachsende Nachfrage in der Kfz-Haftpflichtversicherung und ab 1937 die Ausweitung des Geschäftsgebiets bei. Durch die Zerstörung ihres Verwaltungssitzes bei einem Luftangriff auf Münster 1944 erlitt die LVM erhebliche Kriegsschäden.
Im Gegensatz zu den großen überregionalen Versicherungsunternehmen konnte die LVM ihren Geschäftsbetrieb nach dem Krieg fast nahtlos weiterführen. Allerdings änderte sich die Zusammensetzung der Verwaltungsgremien in den Jahren 1945/46 grundlegend. Die politisch belasteten Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands schieden auf Anordnung der britischen Militärregierung aus. Anders als in vielen Unternehmen kam keiner dieser Männer nach der Entnazifizierung zur LVM zurück. Aus dem letzten Vorstand vor Kriegsende blieb nur der politisch unbelastete Geschäftsführer übrig, der schon vor der "Gleichschaltung" von 1933 im Amt war. Auch der 1933 ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende Hermann Winkelmann kehrte in sein früheres Amt zurück.
Mit der Gründung des Landwirtschaftsverbandes Westfalen-Lippe im August 1947 und der Wiederbegründung der Landwirtschaftskammer am 31. Juli 1949 erhielt die LVM einen neuen Rückhalt. In ihren Aufsichtsrat traten - anders als im "Dritten Reich" und auch in der Weimarer Zeit - die Spitzen der landwirtschaftlichen Organisationen Westfalens ein.
Bewertung der Studienergebnisse
In seiner Bewertung der Studienergebnisse kommt Prof. Dr. Johannes Bähr zu dem Schluss, dass sich die "LVM zur NS-Zeit durch eine besondere Nähe zum NS-Regime auszeichnete. Dennoch gehört die LVM nicht zu den Unternehmen im 'Dritten Reich', die schwere NS-Verbrechen begangen haben". Kritisch sieht der Wissenschaftler vor allem die Rolle der Führungsgremien, die 1933 frühzeitig und geschlossen ihre Ämter zu Verfügung gestellt und somit den Weg frei gemacht hätten für die "ideologische und strukturelle Gleichschaltung" durch das NS-Regime. Auch wenn die Eingliederung in den Reichsnährstand nicht hätte verhindert werden können, so müsse sich die LVM doch ihrer historischen Verantwortung für die Regimenähe in den Jahren 1933 bis 1945 stellen.
LVM-Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Kleuker dankte für die profunden Ergebnisse der Studie, die Erkenntnis und Mahnung zugleich seien. "Das Wissen um die eigene Geschichte und der zukunftsorientierte Umgang damit ist Teil unserer unternehmerischen Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen und leben - gerade angesichts aktueller gesellschaftlicher Tendenzen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen, ist das wichtiger denn je", stellte Dr. Mathias Kleuker die Relevanz historischer Studien für die Jetztzeit heraus.
Über das Studienprojekt
Bereits 2020 - im Zulauf auf das Jubiläumsjahr der LVM in 2021 - hat die LVM eigeninitiativ die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) mit einer Studie zum Thema "Die LVM in der Zeit des Nationalsozialismus" beauftragt. Bei der GUG handelt es sich um eine international anerkannte wissenschaftliche Einrichtung, die auf unternehmenshistorische Forschung spezialisiert ist. Als Autor der Studie wurde Prof. Dr. Johannes Bähr als anerkannter Experte der Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte mit Schwerpunkt "Drittes Reich" gewonnen. Für seine Studie konnte der Historiker auf eine insgesamt gute Quellenlage zugreifen. Dazu zählten insbesondere Akten aus dem gerade im Aufbau befindlichen historischen Unternehmensarchiv der LVM. Zudem recherchierte Prof. Dr. Johannes Bähr im Bundesarchiv, im Landesarchiv NRW und im Westfälischen Wirtschaftsarchiv. In Gänze haben die Arbeiten an der Studie rund 1,5 Jahre gedauert - teilweise erschwert durch pandemiebedingte Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Archiven.
Die Studie "Bauernführer, Direktoren und Vertrauensmänner: Die LVM Versicherung im 'Dritten Reich'" ist im Buchhandel zu einem Preis von 20 Euro erhältlich.
Ergänzendes Pressematerial bietet die LVM Versicherung in einem Themendossier auf ihrer Homepage an.
Pressekontakt:
Nicola Flügemann
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon (0251) 702 16 23
n.fluegemann@lvm.de
Katharina Fiegl
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: 0251 702 39 93
k.fiegl@lvm.de
LVM Versicherung
Kolde-Ring 21
48126 Münster
www.lvm.de
https://www.presseportal.de/pm/20033/5167638
Vergangenheitsbewältigung. Oder wie man den Krieg nochmals verliert Taschenbuch – 1. Januar 1980
Zentrum für Erinnerungskultur an Uni Regensburg wird eröffnet
10.03.2022, 15:02 Uhr
Die Uni Regensburg hat zusammen mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ein Zentrum für Erinnerungskultur gegründet. Die zentrale Frage, die durch wissenschaftlichen Austausch geklärt werden soll: Wie geht Erinnern - wie an den Holocaust - in Zukunft?
Von
Sebastian Grosser
BR24 Redaktion
Auf den Fotos, die entlang einer langen Galerie in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg hängen, blicken junge Menschen auf die fünfköpfige Gruppe junger Berufsschüler aus Schwandorf. Es sind Fotos, die von einem einst unbeschwerten Leben erzählen - bevor die Abgebildeten Opfer des Nationalsozialismus wurden. Die Fotos berühren auch die Berufsschüler wie Nadine Seidl aus dem nahegelegenen Schwandorf. "Das ist Teil meiner Geschichte, ob ich will oder nicht. Und ich muss mich damit auseinandersetzen, damit sowas nie wieder passiert." Das Interesse der Jugendlichen ist da. Die Frage ist: Wie geht man mit der Neugierde um?
Erinnerungskultur ja - nur wie?
Nadine Seidl und ihre Mitschüler engagieren sich in dem Projekt "ReMember". Zusammen mit der KZ-Gedenkstätte haben sie ein Theaterstück entwickelt und auf die Bühne gebracht - von jungen Menschen für junge Menschen. "Egal woher sie kommen: Jugendliche sind keine unbeschriebenen Blätter, die einfach vollgetextet werden müssen", sagt Dennis Forster, der das Projekt bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg betreut. "Bei ‚ReMember‘ bekommen ihre eigenen Erfahrungen und unterschiedlichen Lebensrealitäten Platz. Ihre Geschichte zählt. ‚ReMember‘ ist Streetwork, politisch-historische Bildung, Theater - und Freundschaft."
KZ-Gedenkstätten: Neue Wege des Erinnerns
KZ-Gedenkstätten wie Flossenbürg müssen neue Wege ausprobieren, um zu ermitteln, wie das Erinnern an die Schrecken des Holocaust auch in Zukunft geht. Das Problem ist: Bald werden keine Zeitzeugen mehr leben, weiß Jörg Skriebeleit, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: "Ehemalige Häftlinge haben als Zeitzeugen oft eine große Empathie ausgelöst. Man hat ihnen zugehört. Sie waren der Beweis, allein indem, dass sie noch dasaßen, dass diese Geschichte sich ereignet hat, dass sie durch viel Glück und Zufälle den Lagern entronnen sind. Und das ist ein großer Wert, der so nicht ersetzbar ist."
Digitale und innovative Lösungen
Ein Weg, die Botschaft der Zeitzeugen lebendig zu halten, kommt aus den USA. In den dortigen Holocaust-Memorials werden schon länger interaktive Hologramme verwendet. Wie das funktioniert, führt Skriebeleit auf einem Tablet vor, auf dessen Bildschirm ein älterer Herr sitzend abgebildet ist: Pinchas Gutter. Um mit dem Holocaust-Überlebenden zu sprechen, drückt Skriebeleit einen roten Aufnahmeknopf: "Can you tell us something about your family?" Nach einem kurzen Moment beginnt Gutter von seiner Familie und ihrer Ermordung zu erzählen.
Er gibt Antworten, die nachdenklich stimmen. Doch können ausgearbeitete Antworten auf vorgefertigte Fragen den Schrecken der Konzentrationslager vermitteln? Skriebeleit hat da seine Zweifel. "Vielleicht sagt auch nur der auf einem Handzettel gekritzelte Tagesablauf mehr aus, als die Illusion, einen ewigen Zeitzeugen immer befragen zu können."
Trotzdem: Die Gedenkstätte Flossenbürg will sich dem digitalen Fortschritt nicht verschließen. Man probiert aus. Auf dem Social-Media-Kanal Tiktok zum Beispiel erzählen ehemalige KZ-Häftlinge von ihrem Schicksal. So soll vor allem bei jungen Menschen das Interesse geweckt werden für einen Besuch einer KZ-Gedenkstätte.
Opfergruppen damals und heute im Fokus
Erinnern ist eine Gratwanderung. Das Zentrum für Erinnerungskultur, das am Donnerstagnachmittag an der Regensburger Universität von Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) eröffnet wird, soll nun helfen, diese Herausforderung anzugehen: Erinnerung an vergangene Ereignisse in die Gegenwart zu holen.
Dafür werden Projekte gefördert und es wird mit diversen Gruppen aus der Gesellschaft zusammengearbeitet. Ein Beispiel: Die Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen. Diese wurden auch in Konzentrationslager wie Flossenbürg verschleppt. Wie andere Häftlinge mussten sie im Steinbruch arbeiten, unter schlimmsten Bedingungen, bis hin zum Tod. Schon länger arbeitet die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg daher mit der LGTBQ-Community in Nürnberg zusammen, um die Erinnerung daran zu fördern.
Diese Stele erinnert an Männer, die aufgrund des Paragraphen 175 im KZ Flossenbürg interniert wurden.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Nicolas Armer
Diese Stele erinnert an Männer, die aufgrund des Paragraphen 175 im KZ Flossenbürg interniert wurden.
Personalisierte Zugänge schaffen
Auch für die Schwandorfer Berufsschüler ist der Hass gegen Homosexuelle ein gegenwärtiges Thema. "Das ist noch sehr stark vorhanden", stelle Michelle Müller fest. "Ich kenne auch einige Leute, die unter anderen Sexualitäten leben und die trauen sich nicht, das zu sagen, weil: Sie wissen nie, von wem sie dann verachtet werden."
Es sind diese persönlichen Zugänge, die die Nazi-Verbrechen in Erinnerung rufen, sagt Skriebeleit. Sie zu finden und zu fördern wird die Aufgabe des neuen Zentrums sein.
https://www.br.de/nachrichten/
Nach Nürnberg und Tokio: "Vergangenheitsbewältigung" in Japan und Westdeutschland 1945 bis 1968: Vergangenheitsbewältigung in Japan und ... für Zeitgeschichte, 89, Band 89) Taschenbuch – 24. November 2004
In Nürnberg und Tokio standen nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptrepräsentanten des Nationalsozialismus und des japanischen Ultranationalismus vor Gericht und mußten sich wegen der von beiden Diktaturen verübten Massenverbrechen verantworten. In der Folgezeit tat sich Japan noch schwerer damit als Westdeutschland, seine Vergangenheit zu "bewältigen". Dies lag nicht allein daran, daß die Verbrechen nur teilweise vergleichbar waren und der Tennô in Tokio nicht auf die Anklagebank kam. Vielmehr konnten die Japaner nach dem apokalyptischen Schock der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki einen Opferstatus für sich reklamieren, der die japanischen Verbrechen im Weltkrieg lange Zeit verdeckte, während sich den Deutschen, trotz Bombenkrieg und Vertreibung, eine solche Ausflucht nicht eröffnete. Überdies war die Insel im fernen Osten als allein auf die USA gestütztes Bollwerk gegen den ostasiatischen Kommunismus erinnerungskulturell einem viel geringeren Außendruck ausgesetzt als die in eine internationale Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaft eingebundene Bundesrepublik. Manfred Kittel untersucht ferner die Bedeutung der inneren Kräfte - der konservativen Regierung und der linken Opposition, der Medien und der Geschichtswissenschaft - im Umgang mit den Lasten der Vergangenheit: bei der Ahndung von Kriegs- und Gewaltverbrechen, bei der "Wiedergutmachung" für die Opfer und der Entwicklung der politischen Kultur in einer shintôistisch bzw. protestantisch geprägten Erinnerungslandschaft bis hin zur Studentenbewegung der 1960er Jahre.
Bayreuth plant Lautsprecher-Mahnmal für Opfer des Holocaust
01.03.2022, 11:21 Uhr
Ein besonderes Mahnmal soll in der Bayreuther Innenstadt in Zukunft an den Holocaust erinnern. Lautsprecher unter Pflastersteinen werden die Namen der jüdischen Opfer akustisch wiedergeben - um den großen Verlust immateriell erfahrbar zu machen.
Von
Frederik Eichstädt
In Bayreuth wird am Sternplatz ein Mahnmal für die Opfer des Holocaust errichtet. Wie die Stadt Bayreuth mitteilt, handelt es sich dabei um ein akustisches Denkmal - um nicht etwas darzustellen, was nicht darstellbar sei.
Akustisches Mahnmal: Lautsprecher unter Pflastersteinen
Unter Pflastersteinen sollen Lautsprecher befestigt werden. Damit sollen Namen und Lebensdaten zu den jüdischen Bürgern Bayreuths wiedergegeben werden, die in den Jahren des Holocaust deportiert und ermordet worden waren.
Namen der Verstorbenen können ergänzt werden
Da die Namen und Daten der Ermordeten durch eine menschliche Stimme vermittelt werden, soll der große Verlust "immateriell erfahrbar" werden. Die Ansagen würden den ganzen Tag abgespielt und seien nur dann zu hören, wenn man unmittelbar am Mahnmal stehe. Das Mahnmal sei "vandalismussicher" und soll nicht durch Umwelteinflüsse wie Schnee oder Regen beschädigt werden können. Zudem sei es möglich, die vorgelesenen Namen im Laufe der Zeit zu ergänzen, falls es neue Erkenntnisse gebe.
Enge Zusammenarbeit mit Israelitischer Kultusgemeinde
Für die Ausführung des Mahnmals werde die Stadtverwaltung Bayreuth eng mit der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayreuth zusammenarbeiten. Das Mahnmal soll bis zur diesjährigen Festspielzeit Ende Juli realisiert sein. Die genauen Kosten seien noch nicht bekannt.
https://www.br.de/
Die dunklen Geheimnisse eines Dorfes: Volksschullehrer war Nazi-Massenmörder
Im Lager Malyj Trostenez (rechtes Bild) ermordete Artur Wilke unzählige Menschen, zum Teil eigenhändig.
Eine Erinnerung aus der Kindheit, viele offene Fragen – und ein Journalist, der spät im Leben den Geheimnissen seines eigenen Dorfes auf den Grund geht: Das sind die Zutaten für ein Buch, das Aufsehen erregen wird. Denn die Ereignisse aus der Nachkriegszeit wirken bis heute nach: Wie konnte ein Mörder des NS-Regimes jahrelang Kinder unterrichten?
Stefanie Gollasch
21.09.2019, 10:13 Uhr
Peine. Er ist ein strenger Lehrer. Wer nicht gehorcht, bekommt den Rohrstock zu spüren, manchmal auch das Lineal. Jürgen Gückel und seine Klassenkameraden in der Volksschule Stederdorf mögen Walter Wilke nicht, viele haben Angst vor dem hageren Mann, der sie seit ihrer Einschulung 1959 unterrichtet. Und dann ist er plötzlich weg.
Im August 1961 verschwindet der Lehrer von einem Tag auf den anderen, ohne Ankündigung, ohne Erklärung, und Jürgen Gückel wird sich jahrzehntelang an den Moment dieses Verschwindens erinnern. Wie sich die Tür zum provisorischen Klassenraum im Saal des Gasthauses öffnet, Männer in langen Mänteln hereinkommen und Walter Wilke abführen.
Wohin er gebracht wird, was der Grund seines Verschwindens ist – darüber hört der damals neunjährige Jürgen höchstens Gerüchte. Mal wird etwas von Bigamie gemunkelt, mal von Betrug. Aber niemand im Dorf spricht offen darüber, warum der Lehrer verschwunden ist. Es ist die Hochphase des Nicht-darüber-Redens, und Jürgen Gückels Familie, Flüchtlinge aus Schlesien, stellt ebenso wenig die nächstliegende Frage wie alle anderen: Was genau hat Wilke verbrochen?
Zwischen normalem Alltag und grausamem Verbrechen: Lehrer Artur (Walter) Wilke mit seiner damaligen Klasse.
© Quelle: privat
Recherche nach 50 Jahren
Mehr als 50 Jahre werden verstreichen, bis Jürgen Gückel dieser Frage endlich nachgeht. Aus dem Flüchtlingsjungen ist ein gestandener Journalist geworden, der zuletzt als Gerichtsreporter arbeitet und sich viele Meriten verdient hat. Unter anderem, weil er ein hartnäckiger Rechercheur ist: Wenn er einen kleinen Zipfel einer Geschichte zu fassen bekommt, zieht er so lange daran, bis das Gesamtgebilde freigelegt ist. Im Fall des verschwundenen Lehrers ist dieser kleine Zipfel ein Redemanuskript der Theologin Katharina von Kellenbach.
Gückel stößt zufällig im Internet auf den Text, in dem sich von Kellenbach mit der Unbelehrbarkeit und vollkommen fehlenden Reue von Nazi-Kriegsverbrechern befasst. „Jeglicher moralische Handlungsspielraum wurde geleugnet. NS-Täter präsentieren sich als Werkzeuge eines übermächtigen Regimes, dem sie nicht widerstehen konnten“, schreibt die Theologin. Der Täter, den sie dabei vor Augen hat, um den sich der gesamte Text dreht, ist ein SS-Hauptsturmbannführer namens Artur Fritz Wilke, geboren 1910 in Hohensalza. Jürgen Gückel ist fassungslos: Ist da etwa sein alter Lehrer gemeint?
Mit einem Schlag wird dem Journalisten bewusst, dass er und seine Klassenkameraden von einem Massenmörder unterrichtet wurden. Wie konnte das bloß passieren? Wie konnten die Behörden zulassen, dass ein solcher Verbrecher auf Kinder losgelassen wird?
Die Suche nach der Antwort wächst sich zu einer mehrjährigen Recherche aus und erbringt schließlich ein atemberaubendes Ergebnis: Der vermeintliche Lehrer Walter Wilke hieß in Wirklichkeit tatsächlich Artur – und war als SS-Hauptsturmführer verantwortlich für den Tod Tausender Menschen, die bei den Nazi-Massakern rund um Minsk auf bestialische Weise umgebracht wurden. Zum Kriegsende nahm er die Identität seines gefallenen Bruders Walter an, um nicht für seine Taten belangt zu werden.
Ich war einer, der mitgeschwiegen hat, ich habe nie die Verantwortung gespürt, die ich als Zeitzeuge doch hatte und immer noch habe.
Jürgen Gückel/Autor
In seinem jetzt erschienenen Buch „Klassenfoto mit Massenmörder“ (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 25 Euro) schildert Jürgen Gückel das Leben seines falschen Lehrers, vor allem aber den Umgang sowohl von Behörden als auch von Nachbarn, Freunden, Verwandten mit dem Ungeheuerlichen. Und er hinterfragt immer auch seine eigene Rolle: Hätte er nicht viel eher mal nachfragen müssen, was damals tatsächlich passiert ist? „Ich war einer, der mitgeschwiegen hat, ich habe nie die Verantwortung gespürt, die ich als Zeitzeuge doch hatte und immer noch habe“, sagt der heute 66-Jährige.
Umso gründlicher macht er sich daran, das Leben seines falschen Lehrers auszuleuchten. Jetzt will er alles ganz genau wissen: die Verbrechen des SS-Mannes, sein Leben unter falschem Namen, seine spätere Verurteilung – aber auf der anderen Seite auch die Rolle der Stederdorfer. Hat wirklich niemand erkannt, dass der Lehrer nicht der war, der er zu sein vorgab? Wie erinnern sich die Klassenkameraden von damals, was haben sie womöglich gewusst und nur nicht zu sagen gewagt?
„Es ist ja ein riesiger Unterschied, ob man die soundsovielte Geschichte über Nazi-Verbrecher liest oder ob es dabei um jemanden geht, der einem ganz nah gekommen ist“, sagt Gückel, wenn er an den Moment der Entdeckung zurückdenkt. In welche Abgründe ihn seine Recherche führen würde, hat er nicht einmal geahnt – es sind nicht allein die Gräueltaten Wilkes in Weißruthenien, die sprachlos machen, sondern auch das bleierne Schweigen der Mitwisser im Dorf, die Unzulänglichkeit der späteren Gerichtsverfahren und schließlich sogar die Fürsprache namhafter Theologen für den inhaftierten Nazi-Verbrecher.
Artur Wilke, studierter Archäologe und Theologe, kurzzeitig sogar als Lehrer beschäftigt, zeigt früh Interesse für Militärisches. Neben dem Studium dient er freiwillig bei der Wehrmacht, von 1938 an arbeitet er für den Sicherheitsdienst und wird im Krieg schließlich ins von Deutschland besetzte Weißruthenien, nach Minsk, versetzt. Die Gestapo-Einheit, der er zugeordnet wird, hat eine klare Aufgabe: Sie ist zuständig für „Lebensgebiete“, also für die Gestaltung des neuen Siedlungsraumes für die Deutschen.
Im Klartext heißt das: Menschen im großen Stil töten, um Dörfer zu entvölkern, alles bemäntelt mit der Behautpung, es handele sich um „Partisanen“. Wie hier aus dem Intellektuellen Wilke in kurzer Zeit ein brutaler Schlächter wird, beschreibt Gückel mithilfe imaginierter Dialoge, die jedoch eine sehr reale Grundlage haben: Wilke, ein Mensch von eitlem Intellekt, schreibt Tagebuch. Und dort, in diesem Heft, finden sich zahlreiche Hinweise auf sein Denken und später auch Rechtfertigungen der Taten, für die es kaum Worte gibt. Soldaten der Roten Armee finden dieses Tagebuch und weitere persönliche Papiere von Wilke 1943 in einem Spind im Vernichtungslager Trostenez bei Minsk. Die Unterlagen werden später im Prozess gegen Wilke und andere SS-Männer eine zentrale Rolle spielen.
Berichte sind kaum auszuhalten
Gückel dringt immer tiefer in die Einzelheiten von Wilkes Leben als SS-Kommandeur vor, er wühlt sich durch Zehntausende Prozessakten, reist kreuz und quer durch Deutschland, sucht in Archiven nach Belegen. Und Stück für Stück formt sich das Bild des Menschen, der sein alter Lehrer wirklich war: ein akribischer Mörder, der nur ganz am Anfang noch Skrupel hegt, dann aber mit wachsendem Eifer Frauen, Männer, Kinder eigenhändig tötet, sie quält, erniedrigt, entmenschlicht. In Gückels Buch handeln viele Passagen von diesen Gewaltexzessen, und sie zu lesen ist kaum auszuhalten. Etwa die Beschreibung der Gaswagen, die zur effizienten Tötung von „Partisanen“ nach Minsk geliefert worden waren: „Mehrere Aktionen, bei denen auch Gaswagen eingesetzt wurden, hatte Wilke zu beaufsichtigen oder zu leiten.
Mal überwachte er das Ausladen der Leichen, mal sorgte er dafür, dass die Menschen nach dem Aussteigen aus dem Güterzug in die Gaswagen gepfercht wurden. Man gaukelte ihnen vor, sie würden zum Duschen gefahren. Anfangs drückte man ihnen sogar noch ein Stück Seife und ein Handtuch in die Hand, ehe der Laderaum mit bis zu 100 Menschen geschlossen wurde und der Laster losfuhr, bevor man nahe der schon ausgehobenen Grube den Abgasschlauch anschloss. Die Seifenstücke, in die sich die Finger der Opfer im Todeskampf gekrallt hatten, wurden später wieder eingesammelt und glatt gewaschen – für die nächste Fuhre.
Das als sanftes Töten angekündigte Vernichtungswerk funktionierte nicht so perfekt wie erwartet. Dass die Menschen im Todeskampf wie wild gegen die Bretter hämmerten, ehe das Abgas seinen Zweck erfüllt hatte, war zu erwarten gewesen. Doch dass ihnen beim Öffnen noch lebende Menschen, von Kopf bis Fuß mit Kot, Urin und Erbrochenem verschmiert, entgegenstürzen würden – damit hatten Wilke und seine Kameraden nicht gerechnet. Man musste die noch Lebenden nun doch an den Rand der Grube zerren und erschießen.“
Mit gefälschten Papieren zum Lehrerjob
Der Walter Wilke ist als Handballer in den Krieg gezogen und als Fußballer zurückgekommen – da stimmt doch was nicht.
Parallel zur Erforschung von Wilkes Nazi-Karriere versucht Gückel Licht ins Dunkel der Nachkriegszeit in seinem Heimatdorf zu bringen. Mit kunstvoll gefälschten Papieren und unter dem Namen seines Bruders taucht der Massenmörder dort kurz nach Kriegsende auf und schlüpft bei seiner Tante unter, bei der vor dem Krieg auch der echte Walter gelebt hatte. Zuvor ist er mehrmals in Gefangenschaft geraten, entwischt aber jedes Mal nach kurzer Zeit schon wieder.
Auch den Briten fällt er in die Hände, und laut Gückels Recherchen spricht viel dafür, dass der britische Geheimdienst Wilke „abgeschöpft“, ihm also nützliche Informationen entlockt hat. Wilke selbst sagt später vor Gericht aus, die Briten hätten ihm geraten, seine falsche Identität beizubehalten. Haben die Besatzer also tatsächlich gewusst, wen sie da in Stederdorf auf Schulkinder losließen? Der letzte Beweis dafür fehlt, Gegenbeweise gibt es aber ebenso wenig.
Fest steht indes, dass die Briten nicht die einzigen gewesen wären, die um die wahre Identität von Wilke wussten. In Stederdorf taucht er tief ins Dorfleben ein und ergattert schon bald den Lehrerposten, auch das schafft er mithilfe gefälschter Papiere. Natürlich hatte seine eigene Familie bemerkt, dass der Sohn plötzlich unter dem Namen seines Bruders auftrat – das bestätigt Gückel der heute noch lebende 84-jährige Neffe des falschen Lehrers: „Die sahen sich nämlich gar nicht ähnlich, der Walter und der Artur.“
Aber auch andere Dorfbewohner hatten erkannt, wen sie da vor sich hatten, zogen es jedoch ebenfalls vor, zu schweigen. Da war etwa der Vorsitzende des Sportvereins, dem der Satz zugeschrieben wird: „Der Walter Wilke ist als Handballer in den Krieg gezogen und als Fußballer zurückgekommen – da stimmt doch was nicht.“ Und später, als der Lehrer verhaftet worden war, sagte der Vereinschef: „Dass mit dem was nicht stimmt, das haben wir doch geahnt.“ Bloß gesagt hat es eben niemand.
„Das ist euer wahrer Vater!“
Die Verwandtschaft protestierte auch nicht, als Wilke, der während des Krieges geheiratet und vier Kinder gezeugt hatte, im Begriff war, Bigamist zu werden: In Stederdorf heiratete er 1949 die Landärztin, seine erste Frau und die drei Kinder (eins war bereits als Kleinkind gestorben) lebten da noch in der DDR. Als die Mutter starb, holte Wilke die Kinder als Mündel nach Stederdorf, offiziell war er ja schließlich ihr Onkel. Kurz darauf gab er sie zur Adoption in den USA frei. Zwei blieben dort, nur Sigrid, die Älteste, kehrte bald nach Deutschland zurück und begann eine Ausbildung zur Krankenschwester.
Ihre beiden Geschwister in den USA erfuhren mitten in einer Englischstunde von der wahren Identität ihres vermeintlichen Onkels. Ein Lehrer betrat den Raum und hielt den Geschwistern eine jüdische Zeitung hin, in der über die Enttarnung und Verhaftung eines Nazi-Kriegsverbrechers namens Wilke berichtet wurde. „Das“, rief der Lehrer den Kindern zu, „ist euer wahrer Vater!“ Sigrid selbst bekam im Schwesternwohnheim einen Anruf von Wilkes Frau, ihrer „Tante“: „Der Onkel Walter ist verhaftet worden!“, sagte die Ärztin. Später, als durch den Gerichtsprozess der ganze Schwindel aufgedeckt wurde, behauptete sie gegenüber Sigrid, sie habe selbst nicht gewusst, wer ihr Ehemann in Wirklichkeit ist: „Sonst hätte ich ihn doch nicht geheiratet.“
Darüber, wie die zweite Ehefrau mit den Enthüllungen über ihren Mann zurechtkam, ist wenig bekannt. Der Sohn der beiden hingegen, Wolfdietrich, hat die Last nicht tragen können. Wolfsdietrichs bester Freund schildert Jürgen Gückel, wie eisern die beiden damals die Ereignisse rund um den verhafteten Vater aus ihren Gesprächen ausklammerten: „Wir sind zum Schweigen über die Vergangenheit erzogen worden und haben es so hingenommen.“ Für Wolfdietrich endet dieses Schweigen schließlich tödlich: An seinem 27. Geburtstag, wenige Monate nach seiner Hochzeit, nimmt er sich mit Tabletten das Leben. Dass er Vater von Zwillingen werden würde, hat er nicht mehr erfahren. Seine Halbschwester Sigrid sagt heute: „Er liebte seinen Vater, aber er musste doch an dessen Taten verzweifeln.“
Lehrer Artur (Walter) Wilke mit seiner damaligen Klasse.
© Quelle: privat
Bei den Gesprächen mit Zeitzeugen aus Stederdorf hat Jürgen Gückel eine erschreckende Erfahrung gemacht: Selbst heute noch mögen manche nicht reden über das, was damals geschah – und vor allem über das, was sie womöglich wussten. „Wir haben diese Zeit endlich vergessen. Jetzt muss aber mal Ruhe sein“, sagt etwa eine frühere Nachbarin der Wilkes. Von ehemaligen Mitschülern bekommt Gückel ebenfalls Gegenwind für sein Projekt. Warum er bloß diesen ganzen Dreck wieder aufwühle, sagt einer. Und die Schwester eines anderen fragt ihn, wieso er die Familie Wilke nicht in Ruhe lassen könne.
Täuscht die Erinnerung?
Wann hätten die Stederdorfer die Chance gehabt, den wahren Wilke zu erkennen? Als er am 21. Mai 1963 schließlich wegen Mordes an mindestens 6600 Menschen zu zehn Jahren Haft verurteilt wird, ist darüber in der Zeitung praktisch nichts zu lesen. Dabei ist sein Verfahren Teil des großen Prozesses gegen den Minsker Gestapo-Chef Georg Heuser, dem der „Spiegel“, die „Zeit“ und andere Leitmedien große Berichte widmen. Heuser ist es auch, der seinen früheren Untergebenen an die Justiz „verrät“. Zufällig laufen er und Wilke sich am Braunschweiger Bahnhof über den Weg – und von dem Moment an ist Wilke klar, dass seine Tarnung bröckelte, denn Heuser weiß jetzt, dass der als verschollen Geltende noch lebt.
Am 14. Juli 1959 wird Heuser verhaftet, mehr als zwei Jahre lang lebt Wilke dann noch mit der Furcht vor der Festnahme, überlegt zu fliehen nach Ägypten oder Argentinien, bleibt letztlich aber doch, wo er ist, und lebt sein falsches Leben. Bis schließlich der Tag im August 1961 kommt, der sich Jürgen Gückel so tief ins Gedächtnis gebrannt hat. Die Tür geht auf, Männer in langen Mänteln betreten das Klassenzimmer – sehr wahrscheinlich, so das Ergebnis von Gückels langer Recherchereise, war dies aber gar nicht der Moment der Festnahme, sondern ein Besuch des Gesundheitsamtes, weil Wilke unter Tuberkulose litt.
Die kleine Frage, mit der alles begann – Erinnere ich mich überhaupt richtig? –, bleibt am Ende also unbeantwortet. Dafür hat Jürgen Gückel Antworten auf viele Fragen gefunden, die lange niemand zu stellen wagte.
Für das Buch „Klassenfoto mit Massenmörder“ (Vandenhoeck & Ruprecht, 300 Seiten, 25 Euro) hat Jürgen Gückel lange recherchiert – da er seit zwei Jahren im Ruhestand ist, fand er nun endlich die Zeit, es zu vollenden. Und die Geschichte von Artur Wilke zieht bereits weitere Kreise: Nora Fingscheidt, preisgekrönte Regisseurin, plant das Thema zu verfilmen. „Ich bin schon vor zwölf Jahren auf Artur Wilke aufmerksam geworden, weil mein Patenonkel ein entfernter Verwandter von ihm war und von ihm erzählt hat“, sagt Fingscheidt, deren Film „Systemsprenger“ für Deutschland für den Auslandsoscar ins Rennen geht. Als sie von Gückels Buchprojekt hörte, war das der entscheidende Impuls, sich mit dem Schicksal des falschen Lehrers erneut zu beschäftigen.
https://www.rnd.de/
Das Nazi-Erbe - Trauma, Schuld, Verantwortung
28.09.2021 ∙ ZDFinfo ∙ ZDF
UT
ZDFinfo
Sie alle umgibt der Schatten der Nazizeit noch heute. Sechs Nachfahren von NS-Tätern und Holocaustüberlebenden erforschen ihr schweres Erbe. Der Umgang damit ist unterschiedlich.
Bild: ZDF/Thomas Bresinsky
https://www.ardmediathek.de/video/zdfinfo/das-nazi-erbe-trauma-schuld-verantwortung/zdf/Y3JpZDovL3pkZi5kZS9QUk9EMS9TQ01TX2RkMjU4M2JlLTk4MmYtNDZkZS04ODA0LWVmYzJhYzI3M2RmMg
Studie zu Umgang mit NS-Zeit
"Vieles liegt noch im Dunkeln"
Stand: 13.09.2021 14:35 Uhr
Die Rolle vieler staatlicher Stellen während der NS-Zeit und danach ist immer noch unklar - das betrifft auch das Bundespräsidialamt. Deshalb hat Amtsinhaber Steinmeier eine Studie in Auftrag gegeben.
Jetzt gibt es erste Ergebnisse.Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht noch erheblichen Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Verstrickung staatlicher Stellen in den Nationalsozialismus und den Umgang damit nach 1945. "Hinter den Fassaden des Staates liegt vieles noch im Dunkeln. Vieles ist noch nicht ausreichend ausgeleuchtet und nicht erzählt", sagte Steinmeier.So lägen zu den obersten Verfassungsorganen des Bundes noch keine Studien vor. "Und ich meine: Gerade das Amt des Staatsoberhaupts darf hier nicht fehlen", sagte Steinmeier bei einer Zwischenbilanz zu einem Forschungsprojekt, dass er über das Bundespräsidialamt in Auftrag gegeben hatte.
77 Jahre nach dem Attentat auf Adolf Hitler ist in Berlin der Widerstandskämpfer gedacht worden. mehr
"Es wird längst nicht aller Opfer angemessen gedacht"Als Bundespräsident empfinde er seinerseits "eine besondere Verantwortung, der Geschichte meines eigenen Amtes nicht auszuweichen, sondern sich ihr offen und selbstkritisch zu stellen", so Steinmeier.Der Bundespräsident betonte, die Geschichten der Opfer der NS-Verbrechen ließen sich buchstäblich hinter fast jeder Fassade finden. "Doch trotz Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung und historischer Aufarbeitung sind längst nicht alle diese Geschichten erzählt, alle Verbrechen bekannt, wird längst nicht aller Opfer angemessen gedacht."
Ergebnisse sollen 2022 in Buchform erscheinen
Das Forschungsprojekt "Das Bundespräsidialamt und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus 1949–1994" war im Mai 2020 gestartet worden. Die Untersuchung führt der Historiker Norbert Frei von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er gab heute einen Einblick in die bisherige Arbeit seines Teams, die kommendes Jahr abgeschlossen werden soll. Frei bilanzierte, dass die Bundespräsidenten zwischen 1949 und 1994 in der Debatte über den gesellschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit "eher Moderatoren als Avantgarde" gewesen seien - wenn auch "in unterschiedlicher Ausprägung".Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im kommenden Jahr in Buchform veröffentlicht werden.
Dieses Thema im Programm:
Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. September 2021 um 17:00 Uhr.
https://www.tagesschau.de/
Babyn Jar
: Frank-Walter Steinmeier erinnert an NS-Verbrechen in der Ukraine
Mehr als 33.000 Juden wurden in Babyn Jar von SS-Soldaten erschossen. Der Bundespräsident erinnert an den Massenmord und kritisiert den Antisemitismus in Deutschland.
7. Oktober 2021, 0:58 UhrQuelle: ZEIT ONLINE, dpa, AP, AFP,
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einer Gedenkfeier in der ukrainischen Stadt Kiew an die NS-Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges erinnert. 80 Jahre nach der Erschießung von mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden in Babyn Jar durch deutsche Soldaten prangerte Steinmeier auch den erneut wachsenden Antisemitismus in Deutschland an: "Es schmerzt mich und es macht mich zornig, dass – gerade in der Notlage einer Pandemie – alter Hass in neue Verschwörungsmythen gegossen wird", sagte Steinmeier.
"Wie sehr wünschte ich mir, sagen zu können: Wir Deutsche haben ein für alle Mal aus der Geschichte gelernt", sagte der Bundespräsident. "Aber das kann ich nicht." Die "bösen Geister der Vergangenheit" zeigten sich "heute im neuen Gewand". Steinmeier betonte: "Für uns Deutsche kann es darauf nur eine Antwort geben: Nie wieder!"
An der Gedenkveranstaltung im Gedenkzentrum Babyn Jar nahm auch Steinmeiers israelischer Kollege Jitzchak Herzog teil. Er sprach von zwei Verbrechen in der Schlucht: dem Massenmord und dem Versuch, daran nicht mehr zu erinnern. So etwas dürfe nie wieder geschehen. Herzog forderte, für die "ganze Menschheit" sicherzustellen, "dass es niemals wieder ein Babyn Jar geben wird". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete das Massaker von Babyn Jar als "dunkles, hässliches Kapitel in der Weltgeschichte". Babyn Jar sei eine "gemeinsame Tragödie für das jüdische und das ukrainische Volk" und "ein Ort, den Gott für immer verlassen hat".
Babyn-Jar-Gedenkstätte veröffentlicht Liste mit 159 Tätern
In der Schlucht Babyn Jar bei Kiew erschossen SS-Kommandos am 29. und 30. September 1941 mehr als 33.000 ukrainische Jüdinnen und Juden. Bis 1943 wurden in dem Gebiet von den deutschen Besatzern bis zu 100.000 Menschen getötet – Jüdinnen, Roma und sowjetische Kriegsgefangene. Die Schlucht gilt als das größte Massengrab in Europa.
Anlässlich der Gedenkfeier veröffentlichte die Babyn-Jar-Gedenkstätte eine Liste mit 159 Beteiligten an dem Massaker. "Einige waren Schützen, andere holten die Juden aus ihren Häusern, andere nahmen ihre Habseligkeiten und ihr Gepäck", hieß es. Nur einige Offiziere seien nach Ende des Zweiten Weltkriegs verurteilt worden. "Die große Mehrzahl kehrte zu einem normalen Leben nach dem Krieg zurück." Historikerinnen und Historiker vermuten, dass niemand der Beteiligten mehr am Leben ist.
Steinmeier: "Holocaust durch Kugeln" in Deutschland kaum bekannt
"Es waren Deutsche, die diese Gräuel begangen haben. Worte versagen im Wissen unvorstellbarer Grausamkeit und Brutalität an diesem Ort", sagte Steinmeier. "Das Menschheitsverbrechen des Holocausts begann nicht erst in den deutschen Todesfabriken: in Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek, Belzec", sagte Steinmeier in seiner Rede. Es habe bereits "auf dem Eroberungsfeldzug Richtung Osten, in Wäldern, am Rande von Ortschaften" begonnen. Der Bundespräsident erinnerte an "weit mehr als eine Million Juden", die dem "Holocaust durch Kugeln in der Ukraine" zum Opfer fiel. "Wer in meinem Land, in Deutschland, weiß heute von diesem Holocaust durch Kugeln? Wer kennt sie, diese mit Blut getränkten Namen?", sagte Steinmeier.
Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941, überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Im Hintergrund der vorrückenden Soldaten verübten SS-Einheiten Massaker an Juden, Roma, aber auch der Zivilbevölkerung. Insgesamt starben in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Menschen – die größte Zahl an Opfern in Europa. Steinmeier hatte zum 80. Jahrestag bereits kritisiert, die Kriegsopfer der Völker der damaligen Sowjetunion seien weniger stark in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, als ihr Leiden es fordere.
Steinmeier besucht Korjukiwka, wo die SS 6.700 Menschen ermordete
Am Morgen hatte Steinmeier die Stadt Korjukiwka im Norden des Landes besucht, wo im März 1943 während einer der größten SS-Strafaktionen gegen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg binnen zwei Tagen mehr als 6.700 Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden. Dieses Verbrechen sei bisher kaum bekannt – allerdings ist Korjukiwka nur einer von vielen Orten in der heutigen Ukraine, in Belarus und im Westen Russlands, in dem die deutschen Besatzer Massaker an er Zivilbevölkerung verübten.
Holocaustgedenken - "Menschen, Menschen haben das getan"
Margot Friedländer überlebte das KZ Theresienstadt. Mit uns redete sie über ihre Geschichte und sprach eindrückliche Mahnungen aus. Ein Video aus dem Archiv
Der Bundespräsident mahnte bei seinem Besuch, das gemeinsame Erinnern sei wichtig, "um zu erkennen, wohin entfesselter Hass und Nationalismus, Antisemitismus und Rassenwahn führen können". Auch heute noch würden die NS-Verbrechen nachwirken. "Das Leid, das dieser Krieg brachte, wirkt bis heute fort, in so vielen Familien, in so vielen Dörfern und Städten Ihres Landes, der Ukraine", sagte Steinmeier. Die Ukraine sei "auf unserer Landkarte der Erinnerung nur viel zu blass" verzeichnet. Viele der Orte hätten "keinen angemessenen Ort in unserer Erinnerung". Doch ohne ehrliche Erinnerung könne es aber keine gute Zukunft geben.
https://www.zeit.de/
Kommandant von Auschwitz-Birkenau: das lange Schweigen im Land
Fritz Hartjenstein
Es wurde verdrängt und vergessen – in seiner Familie ebenso wie in seiner Heimatstadt: Fritz Hartjenstein war Kommandant von Auschwitz-Birkenau und eines Zwangsarbeiterlagers. Wie kann man heute an so einen Mann und an die Selbstgerechtigkeit nach 1945 erinnern?
Jürgen Gückel
05.09.2021, 09:43 Uhr
Peine. Die Szene wirkt irreal – auch heute noch, 70 Jahre danach: Das blonde Mädchen sitzt auf dem Schoß seines Vaters. Sieben Stunden lang. Es kämmt dem blassen Mann das schüttere Haar, kennt ihn nur aus Erzählungen der Mutter, sieht ihn als Fünfjährige zum ersten und letzten Mal. Sie sitzen in einem Gefängnis im französischen Metz – in der Todeszelle. Er ist ein Mörder, hat Hunderttausende Menschen in den Tod getrieben, ist bereits zweimal zum Tode verurteilt worden und kämpft seit Jahren um sein Leben. Er war Befehlshaber der größten Massenvernichtungsmaschinerie der Menschheitsgeschichte: Kommandant von Auschwitz. Und noch heute sagt das kleine Mädchen von damals: „Ich habe meinen Vater geliebt, liebe ihn noch.“
Kommandant von Auschwitz-Birkenau
Was Ellen Burgdorf noch immer liebt, ist das Bild eines Vaters, den sie nie hatte, den sie sich als Kind nur ausmalen konnte. Er geriet in Gefangenschaft, ehe sie geboren wurde; er starb 1954 im Gefängnis, ohne heimgekehrt zu sein. Jetzt wird sie mehr erfahren. Die heute 76-Jährige wird das gerade erschienene Buch „Heimkehr eines Auschwitz-Kommandanten – Wie Fritz Hartjenstein drei Todesurteile überlebte“ lesen und so den einzigartigen Lebensweg eines deutschen SS-Führers und KZ-Kommandanten kennenlernen. Auch das, was in der Familie so penibel verschwiegen und in ihrer Heimatstadt so gründlich verdrängt wurde. Hartjenstein, 1905 geborener Sohn aus dem stadtbekannten Milchladen im Zentrum, war Kommandant von Auschwitz-Birkenau und letzter Kommandant des größten NS-Zwangsarbeiterkomplexes in Natzweiler/Elsass. Nun wird der Name Friedrich „Fritz“ Hartjenstein heimkehren ins öffentliche Bewusstsein seiner Geburtsstadt Peine.
Am Brand der Peiner Synagoge 1938 waren vier Verwandte Hartjensteins beteiligt.
© Quelle: Stadtarchiv Stadt Peine
„Die größte Gefahr für uns alle geht vom Vergessen aus“, hat jüngst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesagt. Wieso Vergessen? Gibt es nicht unzählige Gedenkstätten, Gedenktage, Mahnmale, Geschichtsvereine und -stiftungen? Gelten nicht die Deutschen als vorbildlich in der Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Zeit? Und haben nicht eine internationale Historikergemeinde, unzählige Autoren, Biografen und Publizisten dafür gesorgt, dass der Verbrechen jener Jahre kenntnisreich gedacht werden kann? Jeder kann heute wissen, was damals geschah. Wer es leugnet, es relativiert, der lügt.
Das Nachkriegsbeschweigen
Wie kommt es dann, dass Gymnasiasten oder Rentnergruppen aus Auschwitz heimkehren, tief betroffen über das, was „die Nazis“ angerichtet haben, aber kein Wort davon gehört haben, dass es ein Sohn ihrer Heimatstadt war, der das alles befehligte? Der Name Hartjenstein ist in Peine ähnlich unbekannt wie der seines Verwandten Lothar Hartjenstein in Hannover, der als Architekt den Generalentwicklungsplan für Auschwitz entwarf. Das gilt für andere Namen, andere Städte in Deutschland genau so. Das Nachkriegsbeschweigen hat die namentlich bekannten Täter zu einer namenlosen Masse von „Nazis“ gemacht, mit der die Menschen im Nachkriegsdeutschland nichts mehr zu tun haben wollten. Es sei, schreibt die Berliner Historikerin Susanne Willems in ihrem Vorwort zu „Heimkehr eines Auschwitz-Kommandanten“, nicht nur eine Familiengeschichte der Hartjensteins, eine Stadtgeschichte Peines, eine Geschichte der SS-Wachmannschaften und der Konzentrationslager Auschwitz und Natzweiler sowie eine der Nachkriegsjustiz. Diese „Reportage“ lege „Wahrheiten über die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft frei, in der die Naziverbrechen so intensiv beschwiegen wurden, dass (… ) Selbstgerechtigkeit Platz greifen konnte“. Willems schreibt: „Jede einzelne Geschichte ist Erinnerungsarbeit, die die Verblendungen in familiären und politischen Erzählungen durchdringt, die tatsächlichen Verhältnisse aufspürt und nach Gerechtigkeit sucht.“
Die Hochzeit von Fritz und Auguste Hartjenstein 1935.
© Quelle: Privat/Familie Hartjenstein
Wie schon „Klassenfoto mit Massenmörder“, der Geschichte des unter dem Namen seines Bruders lebenden Kriegsverbrechers Artur Wilke, ist „Heimkehr eines Auschwitz-Kommandanten“ eine „autobiografische Biografie“. Sie schildert die Suche eines Hartjenstein-Verwandten in der von NS-Verbrechen überschatteten Familiengeschichte. Und legt den Lebensweg eines SS-Mannes frei, der im KZ Karriere gemacht hat und sich später als Opfer des NS-Regimes verstand.
Aus Verlegenheit zur SS
Hartjenstein, wie Sally Perel („Hitlerjunge Salomon“) in Peine geboren, war noch kurz vor Kriegsbeginn einfacher Soldat. Er war nie in der Partei, ging nur aus Verlegenheit zur SS. Dort ließ man ihn die KZ-Wachmannschaften ausbilden. Als die SS in den Totenkopfdivisionen in den Krieg zog, war Hartjenstein dabei. Er gehörte zu den wenigen Überlebenden des Kessels von Demjansk in Russland 1942. Als man ihn mit Erkundungen für einen Ausbruch betraute, er jedoch erfolglos aufgab, fiel er bei der Heeresleitung in Ungnade. Als „Versager“ abgestempelt, steckte man ihn ins KZ-System. Es folgte eine steile Karriere – und doch sei es eine Bestrafung gewesen, klagte Hartjenstein später vor Gericht. Er habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen.
Das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen.
© Quelle: imago images/epd
War das so? Die Frage der Tochter bleibt offen: War der Vater ein „Nazischwein“, wie Zeugen ihn benannt haben, oder war er einer, der einen letzten Rest Menschlichkeit in den Lagern zu retten suchte? Jedenfalls war Hartjenstein nach dem Krieg ein Politikum. Zweimal haben ihn die Briten, zweimal die Franzosen verurteilt. Neuneinhalb Jahre lang kämpfte er, zum Schluss mit drei Todesurteilen im Nacken, in französischen Gefängnissen um sein Leben. Ihm und seiner Familie halfen nicht nur alte Nazis und gedungene Zeugen, sondern auch deutscher Hochadel, hochrangige Politiker und Diplomaten. Hannovers Landesbischof Hanns Lilje setzte sich für ihn ein, am Ende gar der französische Staatspräsident. Hartjenstein beschäftigte den Deutschen Bundestag ebenso wie die Besatzungsbehörden. Er wurde gar zum Störfaktor der französisch-deutschen Aussöhnung. Zu seiner Verteidigerriege gehörten Juristen, die als stramme Nazirichter im Nachkriegsdeutschland Berufsverbot hatten, aber auch ein Jurist, der in Natzweiler Zwangsarbeit leisten musste, während Hartjenstein Kommandant war.
Die Frage, ob Friedrich Hartjenstein, unter dessen Befehlsgewalt Hunderttausende Menschen ermordet wurden, ein Täter oder ein Opfer seiner Zeit war, muss seine Tochter Ellen wie jeder Leser selbst beantworten.
Jürgen Gückel ist Autor des jetzt erscheinenden Buches „Heimkehr eines Auschwitz-Kommandanten. Wie Fritz Hartjenstein drei Todesurteile überlebte“. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. 300 Seiten, 23,99 Euro.
https://www.rnd.de/
Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus
Die gemeinsame Erinnerungsarbeit verbindet beide Völker – Deutsche und Israelis.
Videolänge:82 min Datum:27.01.2022 :UT - DGS
Verfügbarkeit:
Video verfügbar bis 27.01.2024
„Nie wieder, nie wieder“
Beide haben eine Brücke gebaut und sehen die Bedeutung von Freundschaft und Demokratie, sagte der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im deutschen Bundestag.
Seit 1996 wird in der Bundesrepublik Deutschland die Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945 als "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" begangen.
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WELTKRIEGS-GEDENKEN
Bundeskanzlerin Merkel erinnert an Opfer der NS-Gewaltherrschaft
Zum 76. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs hat Bundeskanzlerin Merkel dazu aufgerufen, die Opfer niemals in Vergessenheit geraten zu lassen. Aus der SPD hieß es, ein zentraler Gedenkort sei überfällig.
Datum 08.05.2021
33.771 Juden wurden beim Massaker von Babi Jar am 29. und 30. September 1941 von Deutschen ermordet
"Es bleibt unsere immerwährende Verantwortung, die Erinnerung an die Millionen von Menschen wachzuhalten, die in den Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft ihr Leben verloren", erklärte Angela Merkel, wie Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter mitteilte.
Außenminister Heiko Maas (SPD) dankte jenen, "die ihr Leben riskiert und millionenfach geopfert haben, um die Welt vom Faschismus zu befreien". Er erinnerte zudem daran, dass der Faschismus bis heute bestehe. "Die Idee des Faschismus ist leider auch heute nicht ganz ausgemerzt", erklärte er auf Twitter. "Wir müssen jeden Tag gemeinsam für Demokratie und Freiheit einstehen."
Roth: Zentraler Erinnerungsort ist überfällig
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, sprach sich in einem Gastbeitrag für das Portal t-online für einen zentralen Erinnerungsort in Berlin aus, an dem aller Opfer der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft gedacht wird. "Ein solcher Ort ist überfällig", schrieb der SPD-Politiker. "Wir brauchen endlich ein gemeinsames Gedenken an alle Opfer und eine Würdigung des Leids aller betroffenen Länder."
Brandenburger Tor Illumination 75. jahre Kriegsende
Gedenken 2020: Lichtinstallation am Brandenburger Tor mit dem Wort "Danke" in mehreren Sprachen
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zitierte anlässlich des Jahrestags den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker auf Twitter mit den Worten: "Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg."
Mit dem Überfall auf Polen hatte das damalige Deutsche Reich am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg begonnen. Zwischen 60 und 70 Millionen Menschen kamen ums Leben. Sechs Millionen Juden fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Das militärische Eingreifen der Alliierten - der USA, der Sowjetunion, Frankreichs und Großbritanniens - führte zur Kapitulation der Deutschen, die bereits am 7. Mai in Reims erklärt und einen Tag später in Berlin wiederholt wurde. Damit endeten die Kampfhandlungen in Europa
bri/haz (epd, afp)
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Nationalsozialismus in der »zweiten Generation«: Psychoanalyse von Hörigkeitsverhältnissen (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) Taschenbuch – 31. August 1992
Thema dieser aufschlußreichen Arbeit sind die Auswirkungen, die die Epoche des Faschismus und der Zusammenbruch des »Dritten Reiches« auf die psychische Entwicklung der während des Krieges oder unmittelbar danach geborenen Kinder der Täter gehabt haben. Dieses Buch verdient schon deshalb ein breites Interesse, weil sich Anita Eckstaedt auf ein auch von der westdeutschen Psychoanalyse bis heute weitgehend vernachlässigtes Terrain vorgewagt hat. Anita Eckstaedts Beschreibung und Analyse der psychischen Deformationen, in denen die Ideologie des Nationalsozialismus nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« bis heute überlebt und ihre unheilvolle Wirkung entfaltet hat, ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zu der von der Nachkriegsgeneration unterlassenen Aufklärungs- und Trauerarbeit. Ihre Untersuchung gehört daher gleichwertig neben Alexander und Margarete Mitscherlichs Die Unfähigkeit zu trauern gestellt. Während deren sozialpsychologische Analyse der Abwehr- und Verleugnungsmechanismen, mit deren Hilfe sich die Nachkriegsgeneration ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu entledigen suchte, eher eine soziologische Bestandsaufnahme von außen war, entwickelt Anita Eckstaedt die gleiche Problematik aus der Situation der psychoanalytischen Behandlungsrealität heraus. Dadurch wird nachvollziehbar, wie die für die Kriegsgeneration von Alexander und Margarete Mitscherlich primär strukturell beschriebenen Phänomene und Symptome sich konkret auf die psychische Entwicklung der »zweiten Generation« ausgewirkt haben. (Joachim Weiner) 1991 hat Anita Eckstaedt im Suhrkamp Verlag veröffentlicht: Die Kunst des Anfangs. Psychoanalytische Erstgespräche.
Nachkriegszeit
Vergangenheitsbewältigung
Quelle: SWR | Stand: 19.10.2020, 10:30 Uhr
Jahrzehntelang war die Auseinandersetzung mit der Hitlerzeit geprägt von Verdrängung, Schweigen und der Forderung, "endlich einen Schlussstrich zu ziehen". Erst seit den 1980ern gehen die Deutschen offener mit der eigenen Vergangenheit um – damals entstand eine öffentliche Erinnerungskultur.
Von Gabriele Trost
Verdrängung in Ost- und Westdeutschland
Persönliche Verdrängung
Der Beginn einer Erinnerungskultur
Verdrängung in Ost- und Westdeutschland
1945, als die Verbrechen der Deutschen für alle Welt sichtbar wurden und die Deutschen selbst die Augen nicht mehr verschließen konnten, schien eine Rückkehr in den Alltag kaum denkbar. Und doch setzte bald ein Prozess der Normalisierung ein, ein Weitermachen, Vorwärtsschauen, ein Die-Vergangenheit-ruhen-Lassen.
Und nicht allzu lange dauerte es, bis die ersten Stimmen danach riefen, "endlich einen Schlussstrich zu ziehen". Eine Forderung, die bis heute wiederkehrt, zum Beispiel in Form der 1998 vom Schriftsteller Martin Walser beklagten "Auschwitzkeule".
Beschwiegen und verdrängt wurde im öffentlichen wie im privaten Leben. Im Osten wie im Westen. In beiden deutschen Staaten wurden Mitläufer und das riesige Heer der ehemaligen NSDAP-Mitglieder rasch in die neuen Gesellschaftsordnungen integriert.
Oft kamen sogar diejenigen, die schon unter Hitler Karriere gemacht hatten und überzeugte Nationalsozialisten gewesen waren, erneut in Amt und Würden.
In der jungen Bundesrepublik glaubte man, ohne das Wissen der alten, belasteten Fachleute sei kein neuer Staat zu machen, sei die Wirtschaft nicht wiederaufzubauen und hätte man kein Personal für die neue Bundeswehr, die im Kalten Krieg so dringend gegen die kommunistische Gefahr gebraucht wurde.
Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen verlief schleppend. Vielfach wurden Untersuchungen eingestellt oder verliefen ergebnislos. Erst mit den Frankfurter Auschwitzprozessen der 1960er-Jahre, in denen Mitglieder des Lagerpersonals vor dem Richter standen, begann zögerlich eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
Prozess gegen die ehemaligen SS-Angehörigen und Bewacher des früheren Konzentrationslagers Auschwitz (1964) 1963 begann der Prozess gegen das ehemalige Personal des Konzentrationslagers Auschwitz
Persönliche Verdrängung
Auch in den Familien wurde geschwiegen. Wenn überhaupt, kreisten die weitergegebenen und erzählten Erinnerungen an den Nationalsozialismus und den Krieg um Themen wie Erfahrungen in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädel, den Bombenkrieg und die Flucht gegen Ende des Krieges.
Erinnerungen an die Judenverfolgung wurden hingegen verdrängt ("Wir haben das alles nicht gewusst"). Manch ehemaliger Volksgenosse verschwieg lieber ganz sein aktives Mittun oder die Tatsache, dass er sich an den enteigneten Besitztümern der Juden bereichert hatte.
Und so genau wollten es die Töchter und Söhne der Nachkriegsgeneration oft auch nicht wissen.
Ein Kind aus der Hitler Jugend trommelt.Kinder in der Hitler-Jugend: Opfer der Zeit?
Der Beginn einer Erinnerungskultur
Erst seit den 1970er-Jahren vertieften Schulen und andere Bildungseinrichtungen, die Medien und die Forschung die Kenntnisse über den Holocaust. Inzwischen ist mehr Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus vorhanden – trotzdem scheuen sich auch heute noch viele, genau nach dem Verhalten der Eltern und Großeltern zu fragen.
Was sich aber durchgesetzt hat, ist eine öffentliche Erinnerungskultur, sind Institutionen, die sich um die deutsch-jüdische Geschichte kümmern, die mehr als 75 Jahre nach Kriegsende noch Zeitzeugen befragen, Zeugnisse und Quellen suchen und die Geschichte dokumentieren.
https://www.planet-wissen.de/
Zweierlei Bewältigung: Über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
ZWEITER WELTKRIEG
Steinmeier bekennt sich zu deutscher Kriegsschuld
Bundespräsident Steinmeier hat am 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs Polen um Vergebung gebeten. Er erinnerte auch daran, wie wichtig die Partnerschaft mit den USA beim Wiederaufbau war.
Datum 01.09.2019
"Es gibt keinen Platz in Europa, an dem es mir schwerer fällt, meine Stimme zu erheben" und "in meiner Muttersprache" zu sprechen, begann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Rede in Warschau bei der zentralen Gedenkfeier zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Er erinnerte an die historischen Verbrechen Deutschlands. "Ich stehe hier in Demut und in Dankbarkeit", sagte Steinmeier auf dem Pilsudski-Platz im Zentrum der polnischen Hauptstadt. "Ich verneige mich in Trauer vor dem Leid der Opfer. Ich bitte um Vergebung für Deutschlands historische Schuld. Ich bekenne mich zu unserer bleibenden Verantwortung." Auch auf Polnisch versprach Steinmeier: "Wir werden niemals vergessen."
Deutschland müsse seiner Verantwortung mit einem stärkeren europäischen Engagement gerecht werden, weil es "zu neuer Stärke in Europa wachsen durfte". Vor dem Hintergrund der Geschichte hätten Deutsche allen Grund, die glücklichsten Europäer zu sein, dürften sich aber nicht als die "besseren Europäer" empfinden.
Polen Gedenken Zweiter Weltkrieg Warschau
Auch polnische Kriegsveteranen nahmen an der Zeremonie in Warschau teil
Auf die polnischen Forderungen nach Reparationen ging der deutsche Präsident nicht ein. Erst am Morgen hatte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einer weiteren Gedenkveranstaltung in Danzig die Forderung nach Wiedergutmachung erneuert. In Warschau war neben Steinmeier auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast. Es gilt als besonderes Zeichen gegenüber Polen, dass Bundespräsident und Bundeskanzlerin gemeinsam bei einer internationalen Gedenkveranstaltung zugegen sind.
Niemals vergessen
Der polnische Präsident Andrzej Duda rief in seiner Rede dazu auf, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wachzuhalten. Solch ein Krieg dürfe sich niemals wiederholen, sagte Duda. Er appellierte an die Staaten der Nato und der EU, Aggressionen in den internationalen Beziehungen entschieden entgegenzutreten. In den 1930er Jahren sei das versäumt worden. Dem nationalsozialistischen Deutschland hätte Einhalt geboten werden müssen, sagte er unter anderem mit Verweis darauf, das sich vor dem Überfall auf Polen das nationalsozialistische Deutschland bereits Österreich einverleibt hatte, ohne dass Konsequenzen gezogen worden seien.
Polen Gedenken Zweiter Weltkrieg Warschau | Andrzej Duda Rede
Polens Präsident Andrzej Duda rief dazu auf, auf Aggressionen früher zu reagieren
"In letzter Zeit haben wir die Rückkehr imperialistischer Tendenzen in Europa beobachten können", so der polnische Präsident. Dazu zählte er "gewaltsame Grenzverschiebungen", Angriffe auf andere Staaten und das Besetzen von Land. Obwohl er Russland namentlich nicht nannte, bezog er sich auf militärische Aktionen in Georgien 2008 und der Ukraine 2014. Es sei kein Rezept für den Frieden, ein Auge zuzudrücken und alles seinen gewohnten Gang gehen zu lassen, so Duda.
Erinnerung an NATO-Verpflichtungen
Auch US-Vizepräsident Mike Pence hielt eine Rede. Er vertrat Präsident Donald Trump, der seine Teilnahme wegen des Hurrikans "Dorian" kurzfristig abgesagt hatte. Pence würdigte den Widerstandsgeist der Polen, den weder die Nazi-Herrschaft noch das darauffolgende kommunistische Regime hätten brechen können. Indirekt forderte der US-Vizepräsident Verbündete dazu auf, ihren Verpflichtungen in der NATO nachzukommen. "Amerika und Polen werden unsere Allierten auch weiterhin aufrufen, die Versprechen zu erfüllen, die wir uns gegenseitig gegeben haben." Die USA werfen besonders Deutschland immer wieder vor, zu wenig Geld für Verteidigung auszugeben.
Zuvor wandte sich Steinmeier in seiner Rede direkt an den US-Vizepräsidenten. Der Bundespräsident betonte die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen. Erst "die Macht von Amerikas Ideen und Werten, seine Weitsicht, seine Großzügigkeit" hätten Europa nach 1945 eine neue Chance gegeben. "Dieses Amerika wollte echte Partnerschaft und Freundschaft in gegenseitigem Respekt", sagte er. Vieles scheine heute nicht mehr selbstverständlich. Steinmeier appellierte, die Partnerschaft zu bewahren.
Zu der Gedenkfeier in Warschau waren etwa 250 geladene Gäste aus 40 Ländern erwartet worden. Ausdrücklich nicht eingeladen war der russische Präsident Wladimir Putin. Im Anschluss an die Reden läuteten die Gäste eine Gedenkglocke.
Gedenken im Morgengrauen in Wieluń
Bereits seit den frühen Morgenstunden wird in Polen an den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls erinnert. Vor 80 Jahren um 4.37 Uhr bombardierten Kampfflugzeuge der deutschen Wehrmacht die polnische Kleinstadt Wieluń. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedachte dort um kurz nach halb fünf mit seinem polnischen Amtskollegen Duda des Kriegsbeginns.
Polen Wielun Gedenken an den Beginn des 2. Weltkrieges mit Bundespräsident Steinmeier
Nächtliches Gedenken: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) und sein polnischer Kollege Andrzej Duda in Wieluń
Deutschland nehme die Verantwortung an, "die unsere Geschichte uns aufgibt", sagte Steinmeier. Der Bundespräsident mahnte, dass die Erinnerung kein Ende haben könne. "Es waren Deutsche, die in Polen ein Menschheitsverbrechen verübt haben. Wer behauptet, das sei vergangen und vorbei, wer erklärt, die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten über Europa sei eine Marginalie der deutschen Geschichte, der richtet sich selbst", sagte der Bundespräsident. "Wir werden nicht vergessen. Wir wollen und wir werden uns erinnern."
Der polnische Staatschef Duda dankt Steinmeier dafür, dass er als erster Bundespräsident nach Wieluń gekommen ist. "Ich bin überzeugt, dass diese Zeremonie in die Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft eingehen wird", sagt er. "Dass Sie hier sind, ist eine Form der moralischen Wiedergutmachung."
Polen Wielun Gedenken an den Beginn des 2. Weltkrieges
Auch viele Zuschauer nahmen an der Gedenkveranstaltung am frühen Morgen teil
Die damals nahe der deutschen Grenze gelegene und militärisch völlig bedeutungslose Kleinstadt Wieluń war von der deutschen Luftwaffe am 1. September 1939 als erstes Ziel angegriffen und weitgehend zerstört worden. Von den rund 15.000 Einwohnern der Stadt starben an diesem Tag mindestens 1000 im Bombenhagel, darunter viele Frauen und Kinder. Wenige Minuten später beschoss das deutsche Kadettenschulschiff SMS Schleswig-Holstein ein polnisches Munitionsdepot auf der Halbinsel Westerplatte bei Danzig. Der Überfall auf die beiden Ziele in Polen markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Laut Schätzungen starben in den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1945 bis zu 80 Millionen Menschen.
qu/ust/gri (dpa, epd, afp, rtr, ap, phönix)
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Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Unter dem Begriff Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit werden die juristische, politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Überwindung der ideologischen und materiellen Folgen der Zeit des Nationalsozialismus zusammengefasst.
Wichtigstes Kriegsziel der Anti-Hitler-Koalition war die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht sowie die „Befreiung der Welt vom Nationalsozialismus“.[7]
Am Anfang der Vergangenheitsbewältigung stand die juristische Aufarbeitung, das heißt die Bestrafung von Tätern, die Rehabilitierung von Opfern und die Etablierung einer neuen Rechtsordnung mit Grundgesetz und DDR-Verfassung sowie einer Revision der nationalsozialistischen Gesetzgebung, insbesondere der Rassegesetze. Die juristische Seite wurde bald begleitet von einer historischen Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaft mit unterschiedlichen Schwerpunkten.[8][9][10]
Parallel versuchten insbesondere die US-Amerikaner und die Briten durch die ideologische Entnazifizierung (Reeducation) die westdeutsche Gesellschaft zu demokratisieren. Es galt, einer breiten Öffentlichkeit den menschenverachtenden Charakter des NS-Staates deutlich zu machen und ihr demokratische Wertvorstellungen nach angloamerikanischem Vorbild nahezubringen mit dem Ziel, “to stamp out the whole tradition on which German nation has been built up” und “to look to Great Britain and to the English speaking world as their exemplar”.[11] Mit dem Potsdamer Abkommen verdeutlichten die Hauptsiegermächte, ihre Besatzungszonen sowohl wirtschaftlich als auch ideologisch in die westliche Welt (Westintegration) bzw. den Ostblock unter Führung der Sowjetunion zu integrieren, was zur deutschen Teilung führte. Dabei blieb die Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik anders als in der DDR ein ständiger Prozess.[12]
Die Unterschiede zwischen den drei deutschsprachigen Staaten im Umgang mit der NS-Vergangenheit beschrieb der Soziologe Mario Rainer Lepsius mit den Begriffen Internalisierung, Externalisierung und Universalisierung: In der Bundesrepublik wurde die NS-Vergangenheit nach langem Beschweigen als Teil der eigenen Geschichte anerkannt und somit internalisiert. In Österreich betrachtete man sich lange als erstes Opfer des Nationalsozialismus, der somit als externes Phänomen beschrieben wurde. Die DDR sah ihn als Faschismus an, also als Ausfluss des weltweit tätigen Kapitalismus. Daher schienen seine Wurzeln nicht nur in der deutschen Geschichte zu liegen, sondern im universalen Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der mit naturgesetzlicher Notwendigkeit siegen werde.[13]
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Vergangenheitsbewältigung in Deutschland: Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz: Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute (Beck'sche Reihe)
EIN SPIEL MIT HALBWAHRHEITEN
Von wegen Entnazifizierung: Nazi-Karrieren in der DDR
MDR.DE , Fernsehen, Geschichte, DDR
Politik & Gesellschaft
von Claudia Gründer
Stand: 17. Januar 2022, 17:28 Uhr
1948 wurde die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone offiziell beendet. Zu den neueren Mythen zählt die scheinbare Gewissheit, dass die DDR alle Nazis in ihrem Land konsequent aufgespürt und einer gerechten Strafe zugeführt hatte. Eine Legende, die zum antifaschistischen Selbstverständnis der DDR passte und durchaus bewusst etabliert wurde. Entnazifizierung in der DDR - ein Spiel mit Halbwahrheiten.
2015 begann vorm Landgericht Neubrandenburg das Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Hubert Z. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in über 3.600 Fällen angeklagt. In der DDR hatte er ein unbehelligtes Leben führen können – und das obwohl die Staatssicherheit über seine Tätigkeiten als SS-Mann in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern im Bilde war. Hubert Z. ist kein Einzelfall. Auch in der DDR war es möglich, als ehemaliger NS-Täter seine Nische in der Gesellschaft zu finden.
Willkür und Härte: Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR
1945 war die Entnazifizierung des öffentlichen Lebens von den Alliierten auf der Potsdamer Konferenz vereinbart worden. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde diese besonders rigoros betrieben. Insgesamt wurden bis zu 80.000 Deutsche vom Sowjetischen Militärtribunal zu langjährigen Zuchthausstrafen oder gar zum Tode verurteilt – jedoch nach äußerst willkürlichen Kriterien und oft ohne fundierte Beweislage. 1948 galt die Entnazifizierung als abgeschlossen, jedoch waren die sowjetischen Speziallager noch voller Häftlinge. Offziell waren es "NS-Verbrecher", eine individuelle Schuld wurde jedoch nie festgestellt. Die Aburteilung der verbliebenen Häftlinge wurde der DDR-Justiz übergeben und gipfelte in den Waldheimer Prozessen, die unter großem Zeitdruck und mit zum Teil stalinistischen Methoden durchgeführt wurden.
DDR: Phasenweise mehr Entnazifizierung als BRD
In publikumswirksamen Schauprozessen wurden mehr oder minder NS-Belastete vorgeführt und abgeurteilt. Jedoch weiß man heute, dass sich unter den hart bestraften Verurteilten zahlreiche Mitläufer und sogar Unschuldige befanden. Dennoch: Die DDR hat in dieser Phase erwiesenermaßen mehr NS-Verbrecher zu Recht verurteilt, als es die Bundesrepublik getan hat. Die Entnazifizierung von Polizei, Justiz und innerer Verwaltung wurde sehr erfolgreich betrieben. Das wusste die DDR im Kalten Krieg auch zu nutzen. In zahlreichen Kampagnen gegen die Bundesrepublik wurde genau dieses Wissen ausgenutzt, um zu diffamieren, aufzudecken und sich letztlich als den besseren der beiden deutschen Staaten zu präsentieren. Aber was ist dran am "besseren Deutschland" DDR? Wie ernst wurde der antifaschistische Anspruch bei der juristischen Strafverfolgung von NS-Tätern in der DDR genommen?
Staatsdoktrin Antifaschismus
Seit im Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, galt der Antifaschismus als eine der Hauptsäulen der Staatsideologie. Bei jeder Gelegenheit wurde er nach außen wie nach innen propagiert: fand sich als Parole auf Bannern bei großen Paraden wieder, war Thema in Filmen und Literatur der DDR, wurde von Kindesbeinen an als höchstes Gut des Staates vermittelt. In Schulen und Betrieben erinnerten antifaschistische Traditionskabinette mit Urkunden, Fotos und Medaillen an die "verdienten antifaschistischen Kämpfer". Der Antifaschismus war für viele Bürger der DDR eine Selbstverständlichkeit, eine Haltung, keine Pflicht. Das galt im Besonderen für die Kriegsgeneration, die mit Überzeugung sagte: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus."
Dennoch: In der DDR herrschte ein großer Unterschied zwischen politischem Anspruch und Wirklichkeit. Der Antifaschismus war auch Kalkül – diente der SED zur Machtsicherung und für die Rechtfertigung zahlreicher staatlicher Entscheidungen, so z.B. 1961 für den Bau der Mauer, dem "antifaschistischem Schutzwall". Zudem wollte sich die DDR von der Bundesrepublik als "imperialistisch-kapitalistischem" Nachfolger des Dritten Reiches abgrenzen, mehr noch: diesem Teil Deutschlands die Hauptschuld am Nationalsozialismus zuweisen. Auch wenn in vielen Fällen berechtigterweise die NS-Vergangenheit westdeutscher Funktionäre durch DDR-Aufdeckungsmanöver ans Licht kam, so vergaß, oder besser verdrängte es die DDR-Staatsführung, vor der eigenen Tür zu kehren. Den DDR-Bürgern wurde pauschal Absolution erteilt, die Schuldfrage nicht gestellt, wenn sie sich im Gegenzug dem Sozialismus zuwendeten und den Aufbau der "frohen, friedlichen Zukunft" tatkräftig unterstützten. Und das, obwohl auch die DDR-Gesellschaft zu einem erheblichen Teil aus NS-Mitläufern und Tätern bestand – auch in führenden Positionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.
Herrschaftswissen: NS-Vergangenheit
Dem Ministerium für Staatssicherheit kam in der NS-Vergangenheitsbewältigung eine besondere Rolle zu. Die Abteilung IX/11 des MfS, untergebracht in einer Villa in Hohenschönhausen, beherbergte – streng geheim und von der Außenwelt abgeschottet – das sogenannte "Nazi-Archiv": elf Kilometer Akten aus NS-Beständen. Einerseits wurden diese Dokumente gesammelt, um Kampagnen gegen braune Eliten in der Bundesrepublik zu starten, andererseits aber auch, um Strafverfahren im eigenen Land zu vereiteln. Die Akten belegen, dass in der DDR lebende NS-Täter nicht zwangsläufig vor Gericht gebracht wurden und dass systematisch ehemalige NSDAP-Mitglieder, aber auch schwer belastete NS-Verbrecher als IM angeworben wurden – und zwar in Ost und West. Die "Infiltration" von Nazi-Kreisen diente als Stasi-interne Legitimation dieser Anwerbungen. De facto aber spielte das nur bei einer geringfügigen Minderheit eine Rolle. Die meisten angeworbenen IM mit Nazi-Vergangenheit halfen schon aus Angst, sich selbst zu belasten, keineswegs bei der Aufklärung von NS-Verbrechen oder der Enttarnung bisher unbekannter Täter.
Stille Integration: NSDAP-Mitglieder füllen die Reihen der SED
Die SED hatte 1948 auf Empfehlung Stalins nicht nur die Initiative zur Gründung der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) als Auffangbecken für "geläuterte" NS-Kader und Wehrmachtssoldaten ergriffen, sondern auch selbst in großem Stil ehemalige NSDAP-Mitglieder und andere NS-Belastete in ihren Reihen aufgenommen. Bereits 1946 hatte die SED die Aufnahmekriterien für diese Klientel offiziell vereinfacht. In dieser Zeit lag der Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bei acht bis zehn Prozent aller SED-Genossen. Die SED führte in ihren Kaderakten genaue Listen über ehemalige Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zur NSDAP bzw. deren Suborganisationen. Nach außen jedoch wurde die braune Vergangenheit belasteter SED-Mitglieder nicht publik, oft sogar bewusst verschleiert.
Euthanasie-Ärzte im Dienste der DDR
Die Präsenz einstiger NSDAP-Mitglieder in der neuen Staatspartei SED war nur die Spitze des Eisbergs. In vielen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere dort, wo fachliche Qualifikationen gefragt und die Konkurrenz zum Westen hoch war, schaute man nicht auf die Vergangenheit und ließ eine hohe Konzentration einstiger NSDAP-Mitglieder zu. Besonders verwerflich erscheint heute, dass es im Gesundheitswesen der DDR zahlreiche ehemalige NS-Ärzte, die an Euthanasie-Verbrechen beteiligt gewesen waren, weiterarbeiten konnten. Sogar Leitungspositionen und Professorenstellen waren möglich. Auch hier gingen politische Überlegungen vor juristische Erwägungen.
NS-Euthanasie: Mörder in Weiß
Während der NS-Euthanasie wurden in Bernburg rund 14.000 Psychiatrie-Patienten und KZ-Häftlinge vergast. Insgesamt gab es sechs Mordzentren.
In Thüringen gibt es in diesem Zusammenhang erschütternde Fälle. So konnte nach dem Krieg beispielsweise der Chef der Universitätskinderklinik in Jena, Jussuf Ibrahim, seine Karriere fortsetzen, obwohl er zu den schwerbelasteten NS-Medizinern gehörte und seit 1942 regelmäßig behinderte Kinder in den Tod geschickt hatte. Ein weiteres Euthanasie-Zentrum in Thüringen war die Landesheilanstalt Stadtroda. Nach Kriegsende wurden beteiligte Ärzte und das Pflegepersonal strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen, obwohl bis 1948 die lokale Kriminalpolizei und das MfS wegen Euthanasie-Verbrechen hier ermittelte und umfangreiches belastendes Material sicherstellte. Auf höchster Ebene riet das MfS von der juristischen Verfolgung der belasteten, aber inzwischen integrierten Mediziner ab, um die antifaschistische Identität der DDR nicht in Frage zu stellen.
Namensschild der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin - Jussuf Ibrahim - in Jena
Ein Nazi-Arzt als Namenspatron? Bis Mitte 2000 war eine Klinik der Universität Jena nach Jussuf Ibrahim benannt.
Ein besonders prominentes Beispiel ist Medizinprofessorin Rosemarie Albrecht, spätere DDR-Nationalpreisträgerin und "verdiente Ärztin des Volkes": Trotz Wissens um ihre NS-Vergangenheit als Assistenzärztin und spätere Stationsleiterin der Frauen- und Nervenklinik Stadtroda, wurde sie zu DDR-Zeiten nicht vor Gericht gebracht. Ein Ermittlungsverfahren gegen sie im Jahr 2000 wurde wegen ihres schlechten Gesundheitszustands eigenstellt. Ähnliche Fälle gibt es auch in Sachsen, wo die Universitätskinderklinik Leipzig eine der Euthanasie-Hauptmordanstalten im NS-Staat war. Verantwortliche Ärzte konnten auch hier ihre Karrieren unbehelligt in der DDR fortsetzen.
NS-Euthanasie: Mörder in Weiß
Die zwei Seiten des Kriegsverbrecherprozess gegen Heinz Barth
Im französischen Oradour ermordeten SS-Truppen 1944 mehr als 600 Menschen. Die juristische Aufarbeitung dieses Verbrechens ließ lang auf sich warten – in Ost wie West. Bis in die 1980er Jahre wurde kein Beteiligter vor ein deutsches Gericht gebracht. Durch Zufall ermittelte die Stasi den ehemaligen SS-Obersturmführer Heinz Barth, der am Massaker beteiligt war.
Am 25. Mai 1983 wurde unter großer internationaler Aufmerksamkeit in Ost-Berlin der Prozess gegen Heinz Barth eröffnet, am Prozessende stand die Verurteilung zu lebenslanger Haft. Die DDR stilisierte diesen Prozess zum letzten großen Paradebeispiel für die NS-Strafverfolgung in der Deutschen Demokratischen Republik. Doch die DDR-Behörden spielten nicht mit offenen Karten. Im Zuge der Ermittlungen waren zwei Untergebene Barths bekannt geworden, deren Zeugenaussagen nicht nur Barth sondern auch sie selbst belasteten. Dennoch wurde beschlossen, die beiden nicht vor Gericht zu stellen und der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Man fürchtete das negative internationale Echo. Barth konnte man als "bedauerlichen Einzelfall" deklarieren, wie aber mit noch zwei mutmaßlichen Kriegsverbrechern umgehen, die so viele Jahrzehnte in der DDR unentdeckt hatten leben können? Schweigen war das Gebot der Stunde.
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NS-Verfolgte nach der Befreiung: Ausgrenzungserfahrungen und Neubeginn (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung) Taschenbuch – 28. September 2022
Über die Nachkriegserfahrungen von NS-Verfolgten aus West- und Osteuropa. Nach ihrer Befreiung 1944/45 erfuhren NS-Verfolgte ihre Rückkehr in ein »normales« Leben als einen langwierigen Prozess: Die Wege durch das zerstörte Europa waren von großen Hoffnungen geprägt, aber auch mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Welche Gründe sprachen für eine Rückkehr in das Herkunftsland und welche für eine Emigration? Wie reagierte das soziale Umfeld auf die Verfolgungserfahrungen? Welche Formen der Unterstützung erfuhren die überlebenden Frauen und Männer, wo konnten sie sich politisch artikulieren und wo waren sie mit fortgesetzten oder auch neuen Formen der Ausgrenzung konfrontiert? Die in diesem Heft versammelten Studien sind den NS-Verfolgten aus West- und Osteuropa gewidmet. Gefragt wird nach den Erfahrungen von Überlebenden in Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Österreich, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei. Deutlich wird, wie stark die Nachkriegserfahrungen von ihren jeweiligen Verfolgungskontexten, ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Geschlecht geprägt waren. Dies alles hatte nachhaltige Auswirkungen auf ihr weiteres Leben.
SPD und NS-Vergangenheit
Den eigenen Widerstand nicht betonen
Direkt nach dem Krieg hat die SPD versucht, den Deutschen entlastende Angebote zu bieten, denn nur die waren mehrheitsfähig. So beschreibt die Historikerin Kristina Meyer in ihrem Buch „Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945-1990“ auch, wie der eigene Widerstand gegen die Nazis bewusst nicht betont wurde – denn die Deutschen wollten nicht an ihre Mitläuferschaft erinnert werden.
Von Henry Bernhard | 11.07.2016
Sie sehen das Logo der SPD, davor unscharf eine Person, die vorbeigeht.
Die Politik der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Kristina Meyer auf. (picture-alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
Der Zweite Weltkrieg war noch nicht zu Ende, da sammelte der Sozialdemokrat Kurt Schumacher in Hannover schon wieder Genossen um sich, um die SPD neu aufzubauen. Noch ohne Genehmigung durch die Besatzer, aber versehen mit der unbeugsamen Autorität des Mannes, der zehn Jahre im KZ gesessen hatte. Schumacher sah in der SPD die einzige Partei, die den Nationalsozialisten von den 20er-Jahren an konsequent und unbefleckt widerstanden hatte – auf der Straße, als einzige Stimme im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz, im Widerstand. Daraus erhob er den Führungsanspruch seiner Partei nach dem Krieg – auch gegenüber den Alliierten. Wobei er durchaus mit deren Wohlwollen rechnen konnte, wie die Jenaer Historikerin Kristina Meyer schreibt.
„Sozialdemokratische Verfolgte zählten beim Neuaufbau der örtlichen Verwaltung zu den bevorzugten Ansprechpartnern der Besatzungstruppen. Der erstaunlich schnelle und energische Wiedereinstieg dieser Sozialdemokraten in den politischen Arbeitsalltag war nicht nur das Ergebnis eines Vertrauensvorschusses, den ihnen die Besatzungsmächte gewährten, sondern auch Ausdruck eines besonderen Pflicht- und Verantwortungsbewusstseins der Zurückgekehrten.“
Meyer beschreibt, mit vielen Einzelbeispielen belegt, wie sich eben noch verfolgte, gedemütigte, gequälte oder auch emigrierte Männer in den Dienst der Allgemeinheit stellten:
„Die Verfolgten erhofften sich natürlich Anerkennung für den geleisteten Widerstand und das erlittene Leid in Haft und Emigration. Aber ganz schnell hat sich innerhalb der Partei ein Bescheidenheitsgestus herausgebildet, ein ganz betont zurückhaltender Umgang mit der eigenen Widerstands- und Verfolgungserfahrung. Kurt Schumacher hat das sozusagen als vorbildhaft in die Partei hineingetragen.“
Mehrheitsfähig waren entlastende Angebote
Die Parteidisziplin forderte, sich selbst zurückzunehmen und das Große und Ganze im Blick zu haben: Die linken Kräfte einen, Mitglieder gewinnen, Wähler gewinnen, ein mehrheitsfähiges Angebot machen. Und mehrheitsfähig waren eben nicht leidvolle Geschichten aus dem KZ, nicht heldenhafte Erzählungen aus dem Widerstand in einer Zeit, in der sich die meisten Deutschen als Opfer sahen. Mehrheitsfähig waren entlastende Angebote für die Deutschen.
„Dahinter stand ja auch immer die Deutung, dass das NS-Regime durch Zutun von Industrie, Wirtschaft, Bürgertum in den Sattel gehoben worden war. Und man konzentrierte sich auf die wenigen „Gangster“, von denen immer die Rede war, die Hauptverantwortlichen. Und diese Minderheit hatte es geschafft, durch ihre geschickte Propaganda die große Masse der Ahnungslosen, der „idealistischen“ Deutschen für ihre Ziele zu vereinnahmen.“
Die Autorin beleuchtet quellengesättigt den autoritären Kurs Kurt Schumachers, der lieber die eigenen Genossen düpierte als die Masse der Deutschen, die es zu gewinnen galt. Auch mit der konsequenten Zurückweisung der Kollektivschuldthese. Um sich abzugrenzen von den Kommunisten, den Bürgerlichen; um den sozialdemokratischen Widerstand – ganz allgemein, nie zu konkret – herauszuheben; um sich von den Alliierten abzugrenzen; um die Masse der Deutschen zu entlasten.
„So entstand ein um die Schimäre der Kollektivschuld kreisender Diskurs, in dem es kaum um vergangene Schuld ging, sondern vor allem um Profilierung in den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart.“
Kurt Schumachers Flexibilität reichte so weit, dass er seine rechte Hand im Hannoveraner Büro, einen Genossen, der in der Zeit des Nationalsozialismus Parteifreunde an die Gestapo verraten hatte, nicht behelligte, als er von dessen Spitzel-Vergangenheit erfuhr. Ebenso sanft verfuhr man mit Menschen, die einstmals der NSDAP angehört hatten und nun in die SPD eintreten wollten. Anfangs strenge Kriterien wurden – analog zur Entnazifizierung – bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht. Dieser Opportunismus blieb in der SPD nicht unwidersprochen; aber letztlich fügten sich die Genossen der bitteren Einsicht, meint die Autorin:
„Diese Minderheit der ehemaligen Widerstandskämpfer musste immer die Masse der ehemaligen Mitläufer für sich und für ihre Argumente gewinnen und nicht umgekehrt. Man redet viel zu schnell von einer Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in die demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik. Nein! Das war die Mehrheit der Menschen. Umso mehr war eine Partei wie die SPD darauf angewiesen, dass diese Masse der ehemaligen Volksgenossen und Mitläufer sich auf ihre Politik einließ.“
Ideologische und rhetorische Geschmeidigkeit
Diese ideologische und rhetorische Geschmeidigkeit brauchten die Sozialdemokraten nicht nur bei der Frage von Widerstand versus Mitläufertum in Nationalsozialismus, sondern auch bei Themen wie der Wiedergutmachung oder der Bestrafung von NS-Kriegsverbrechern. Waren viele Sozialdemokraten sehr engagiert dabei, die Entschädigung von Juden und anderen NS-Opfern voranzutreiben, argumentierte die SPD öffentlich nicht etwa moralisch oder juristisch, sondern, dass die Wiedergutmachung dem deutschen Ansehen im Ausland nütze.
Gegen den vehementen Protest vieler Genossen setzten sich 1951 führende Sozialdemokraten um Kurt Schumacher, Carlo Schmid, Erich Ollenhauer, Herbert Wehner und Fritz Erler beim amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy dafür ein, dass 28 in Nürnberg von den Alliierten zum Tode verurteilten NS-Verbrecher nicht hingerichtet werden – und argumentierten dabei mit dem Grundgesetz, dass die Todesstrafe abgeschafft hatte.
„Die SPD hat damit vor allem eine Strategie verfolgt: Sie wollte die alliierte Justizpraxis diskreditieren. Man wollte sich einerseits vom harten Kern dieser Amnestie-Lobby distanzieren, die natürlich aus ganz anderen Motiven für die Freilassung und Begnadigung der NS-Verbrecher plädierte; aber man wollte vor allem der Bevölkerungsmehrheit und der verbreiteten Stimmung nach Entlastung entgegenkommen.“
Kristina Meyer zeigt, wie frustrierend das Zurückstecken für ehemalige Widerstandskämpfer war. Erst in den 70er- und 80er-Jahren, als lokale Geschichtswerkstätten den Widerstand im Nationalsozialismus aufarbeiteten, hätten noch lebende SPD-Veteranen Genugtuung darin gefunden, dass ihre Widerstandsgeschichte endlich gewürdigt wurde. Ihre Enttäuschung haben dennoch viele mit ins Grab genommen. Diese Geschichte faktenreich, gut strukturiert, angenehm und leicht nachvollziehbar aufgeschrieben zu haben, ist ein Verdienst der Historikerin Kristina Meyer. Ihr Buch gehört unbedingt in die Geschichtsdebatte der SPD.
Buchinfos:
Kristina Meyer: „Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945 – 1990“, in der Reihe „Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts“, Wallstein Verlag, 549 Seiten, Preis: 42 Euro
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SPD
Schwierigkeiten mit der NS-Vergangenheit
Die Historikerin Kristina Meyer mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bei der Verleihung des Willy-Brandt-Preises für Zeitgeschichte in Berlin © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Winfried Sträter | 24.02.2016
Auch die SPD musste nach 1945 beim Umgang mit der NS-Vergangenheit eine Gratwanderung machen. Die Historikerin Kristina Meyer hat eine preisgekrönte Untersuchung zu diesem Kapitel der Parteigeschichte vorgelegt. Sie sagt: „Hier war eben auch Pragmatismus und Machtkalkül gefragt.“
Die Historikerin Susanne Heim, Leiterin des geschichtswissenschaftlichen Großprojekts zur Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden 1933-45, sagt: Es gruselt sie, wenn sie daran denkt, welche Leute aus der NS-Zeit das Nachkriegsdeutschland mit aufgebaut haben. Weithin bekannt sind Namen wie Globke, Kiesinger, Filbinger.
Aber – je weiter die historische Forschung in die Nachkriegszeit eindringt, desto klarer wird, dass sich die Herren nicht nur in einer Ecke des politischen Spektrums versammelt haben. Selbst die Partei des guten Gewissens, die SPD, hatte ihre Schwierigkeiten im Umgang mit der Vergangenheit.
In der vergangenen Woche wurde die Historikerin Kristina Meyer mit dem Willy-Brandt-Preis für Zeitgeschichte geehrt, weil sie genau dieses Kapitel Parteigeschichte untersucht und dabei auch unangenehme Wahrheiten herausgefunden hat.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erinnerte daran, dass sich auch seine Partei nach 1945 für ex-NSDAP-Mitglieder öffnete:
„Auf dem ersten Nachkriegsparteitag der SPD im Mai 1946 in Hannover, wir begehen dieses Jahr den 70. Jahrestag dieses Ereignisses, wurde ins Parteistatut der Passus aufgenommen, dass ehemalige Nationalsozialisten, wenn sie mindestens zwei sozialdemokratische Bürgen hatten, die selbst nie Mitglied der NSDAP gewesen sein durften, in die SPD aufgenommen werden konnten.“
Rücksichtnahme auf Volkes Stimme
Selbst die SPD lavierte, wenn sie sich in heiklen Fragen positionieren musste. Zu diesen heiklen Fragen gehörten die Nürnberger Prozesse und der Umgang mit verurteilten Kriegsverbrechern. Volkes Stimme sprach damals von Siegerjustiz.
Sigmar Gabriel: „Was die Verfolgung der Täter betrifft, hat die SPD diese grundsätzlich mit Nachdruck eingefordert. Dennoch gab es auch auf diesem Feld in der Frühzeit manche Äußerung und Entscheidung der Parteiführung, die heute verwundert – wie zum Beispiel die Kritik an den Nürnberger Prozessen oder das Eintreten für die Überprüfung der Urteile alliierter Militärtribunale.“
Kristina Meyer erläuterte das Dilemma so:
„Das war nun mal eine Tatsache: Eine Partei war nicht wiederaufzubauen, und eine große Mitgliederschaft und Wählerschaft war nicht zu erreichen, wenn man sich auf die wenigen verlassen hätte in der Nachkriegsgesellschaft, die tatsächlich gegen das NS-Regime gewesen waren. Das heißt, hier war eine Menge Idealismus am Platz bei den ehemals Verfolgten in der SPD, wenn es darum ging, die Nachkriegsgesellschaft zu demokratisieren oder zu sozialdemokratisieren, aber hier war eben auch Pragmatismus und Machtkalkül gefragt, wenn es darum ging, Wähler und Mitglieder zu gewinnen. Das finde ich nicht verwunderlich, und es wäre wahrscheinlich auch kaum anders gegangen.“
Deutlich wird, wie schwierig der Neuanfang nach dem Absturz in die Barbarei gewesen ist. Das Buch von Kristina Meyer ist im Wallstein Verlag erschienen unter dem Titel: „Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945-1990“, es kostet 42 Euro.
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Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
Status quo und quo vadis? Neue Forschungen zur Anerkennung und Wiedergutmachung von NS-Unrecht in vergleichender Perspektive
Veranstalter: Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg; Hochschule für jüdische Studien Heidelberg
Veranstaltungsort: Hochschule für jüdische Studien Heidelberg
Gefördert durch Baden-Württemberg-Stiftung
PLZ 69117
Ort Heidelberg
Land Deutschland
Vom - Bis30.03.2023 - 31.03.2023
Deadline31.12.2022
Joey Rauschenberger, Forschungsstelle Antiziganismus, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Status quo und quo vadis? Neue Forschungen zur Anerkennung und Wiedergutmachung von NS-Unrecht in vergleichender Perspektive
Das von der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg ausgerichtete Symposium dient dazu, das Thema "Wiedergutmachung für NS-Unrecht" unter Einbeziehung vielfältiger interdisziplinärer, raum- und epochenübergreifender Vergleichsperspektiven zu beleuchten und (neu) zu historisieren.
Status quo und quo vadis? Neue Forschungen zur Anerkennung und Wiedergutmachung von NS-Unrecht in vergleichender Perspektive
2022 jährt sich das Luxemburger Abkommen von 1952 zum 70. Mal. Diesem von Bundeskanzler Konrad Adenauer forcierten Vertragswerk mit dem Staat Israel und der Jewish Claims Conference folgten in Westdeutschland weitere Regelungen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Mit dem Bundesergänzungsgesetz von 1953 wurde die Individualentschädigung bundesweit vereinheitlicht und richtete sich an einen erweiterten Personenkreis ehemaliger Verfolger. Doch zahlreiche Opfergruppen blieben unberücksichtigt. Erst 2020 erkannte der Deutsche Bundestag Personen, die als sogenannte „Asoziale” und „Berufsverbrecher“ verfolgt worden waren, als Opfer des Nationalsozialismus an, wodurch die wenigen verbliebenen Überlebenden dieser Gruppe einen erleichterten Zugang zu Entschädigungsleistungen erhielten. Sowohl im politischen Diskurs um die Anerkennung der Opfer als auch in der Verwaltungspraxis der Entschädigung zeigen sich Kontinuitäten der Diskriminierung, so dass viele Überlebende gezwungen waren, Forderungen öffentlich Nachdruck zu verleihen. Tendenzen wie diese offenbarten sich ebenfalls in der DDR. Nichtsdestoweniger sind Unterschiede im Behörden- und Verwaltungsalltag auf regionaler und lokaler Ebene auszumachen, die über die Differenzen im deutsch-deutschen Systemkonflikt hinausgehen.
So stellt sich heute nicht nur die Frage, wie die gesamtdeutsche Entschädigungspolitik und -praxis bilanziert werden kann, sondern damit zusammenhängend auch, wie es um den Stand der historischen Aufarbeitung dieser Felder bestellt ist. Zahlreiche Forschungen widmen sich der „Vergangenheitsbewältigung“ oder der „Transitional Justice“ in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Sie beschäftigen sich neben der Strafverfolgung von NS-Täter:innen oder Formen des Gedenkens u.a. auch mit der Anerkennung und Entschädigung von Überlebenden der Verfolgung. Die Wiedergutmachung stand historiographisch jedoch lange im Schatten anderer Seiten von Vergangenheitspolitik wie der alliierten Militärtribunale, der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen oder der Entnazifizierung. Eine erste Welle von Forschungen setzte erst in den 1980er-Jahren ein. Dabei verteilte sich die wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit nicht gleichmäßig auf die verschiedenen Teilgebiete dieser Thematik: Die Globalentschädigung für Israel und die Claims Conference nach dem Luxemburger Abkommen stand stets im Zentrum. Indes sind andere Aspekte wie die Rückerstattung und Individualentschädigung auch nichtjüdischer Opfergruppen weniger systematisch aufgearbeitet, was mit der bis heute anhaltenden Tätigkeit der Wiedergutmachungsverwaltung, aber auch mit der lange Zeit fehlenden gesamtgesellschaftlichen Anerkennung sogenannter „vergessener Opfer“ zu begründen ist. Den Einfluss der weltpolitischen Lage auf die Geschichte der Wiedergutmachung verdeutlicht die jahrzehntelang völlig ausgeklammerte Gruppe der ausländischen, mehrheitlich osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, deren Entschädigung aus Mitteln der im Jahr 2000 gegründeten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ)“ erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus möglich geworden war.
Der mittlerweile durch systematisch angelegte Digitalisierungsprozesse der Archive erleichterte Zugang zu den Einzelfallakten der Landesentschädigungsämter behebt das zentrale Quellenproblem, das die Erforschung der Individualentschädigung in den letzten 40 Jahren stark gehemmt hat. Darüber hinaus steht mit dem in absehbarer Zeit bevorstehenden Tod der letzten Überlebenden das Auslaufen von Entschädigungszahlungen bevor. Diese Faktoren – verbunden mit Impulsen aus dem Bereich der Provenienzforschung – lassen einen neuen Boom der Wiedergutmachungsforschung in Deutschland sowie eine systematischere Historisierung der Wiedergutmachungspraxis erwarten. Die Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg und die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg wollen diese Entwicklungen zum Anlass nehmen, den bisherigen Forschungsstand zu rekapitulieren und zur Diskussion von Entwicklungs- und Erkenntnispotentialen des Themas auf einem wissenschaftlichen Symposium einzuladen. Dabei sollen die Perspektiven der älteren Forschung in einen produktiven Dialog mit neueren Fragestellungen treten. Vorgestellt werden sollen vor allem laufende und avisierte Forschungen, die sich u.a. den folgenden Problemkreisen widmen:
- Politische Anerkennung von NS-Unrecht und gesetzlicher Rahmen für Entschädigungsleistungen
- Verwaltungsalltag, Entscheidungsmechanismen, behördliche Handlungsspielräume und Vergleichsperspektiven auf regionaler und lokaler Ebene
- Perspektive der Überlebenden und ihre Handlungsspielräume
- Einordnung von Wiedergutmachung oder Entschädigungsleistungen in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge oder den allgemeinpolitischen Diskurs
- Transnationale Zusammenarbeit und Allianzen bei der Anerkennung als Verfolgte und der Entschädigungspraxis
- Nationale und institutionelle Auslegungen und Umsetzungen der auf der Washingtoner Konferenz erarbeiteten Empfehlungen hinsichtlich NS-Raubgut
- Interdisziplinäre Ansätze und Theorien
- Methodologische Zugänge, z.B. quantitative Analysen oder Digital Humanities
- Vergleichende Perspektiven in Bezug auf unterschiedliche Opfergruppen („rassisch“, „politisch“ oder „religiös“ Verfolgte, Homosexuelle, Zwangsarbeiter:innen, sowjetische Kriegsgefangene oder sog. „Italienische Militärinternierte“, Zwangssterilisierte, „Euthanasie“-Opfer, als „Asoziale“ Verfolgte und andere „vergessene“ Opfergruppen)
- Vergleichsperspektiven auf die verschiedenen Schadensarten nach dem Bundesentschädigungsgesetz (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen, berufliches Fortkommen), Verknüpfung opfergruppenspezifischer und schadensartspezifischer Probleme
- Diachrone Analysen und Entwicklung der Aufarbeitung oder der Historisierung der Aufarbeitung von NS-Unrecht, Vergleiche zur Aufarbeitung von Unrecht durch die SED-Diktatur nach 1989/90
- Globale und transnationale Vergleiche zu historischen Diktaturüberwindungen in anderen Ländern, insbesondere der Umgang mit Opfern staatlichen Unrechts
Formalia:
Bitte reichen Sie Ihr Exposé in deutscher oder englischer Sprache, bestehend aus einem Abstract mit Titel (500 Wörter) und einem kurzen akademischen CV einschließlich Kontaktmöglichkeit und institutioneller Zugehörigkeit bis zum 31. Dezember 2022 per E-Mail an FSA-Symposium@zegk.uni-heidelberg.de ein. Die Bewerbung von Nachwuchswissenschaftler:innen ist ausdrücklich erwünscht. Die Benachrichtigung über die Annahme erfolgt Mitte Januar 2023.
Das Symposium wird aus Mitteln der Baden-Württemberg-Stiftung im Rahmen des Verbundprojekts „Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung. Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs 1945–1952“ gefördert. Die Veranstaltung findet vom 30. bis 31. März 2023 in Heidelberg statt und wird von der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg (Verena Meier, Joey Rauschenberger) und der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (Philipp Zschommler) organisiert.
Kontakt
E-Mail: fsa-symposium@zegk.uni-heidelberg.de
Zitation
Status quo und quo vadis? Neue Forschungen zur Anerkennung und Wiedergutmachung von NS-Unrecht in vergleichender Perspektive. In: H-Soz-Kult, 15.09.2022, <www.hsozkult.de/event/id/event-129645>.
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Status quo and quo vadis? New Research on the Recognition and Compensation of Nazi Injustice in Comparative Perspective.
The symposium, organized by the Research Center on Antigypsyism at Heidelberg University in cooperation with the Heidelberg University of Jewish Studies, serves to illuminate and (re)historicize the topic of "Compensation for Nazi Injustice" by incorporating diverse interdisciplinary, cross-spatial, and cross-epochal comparative perspectives.
Hi Hitler! Der Nationalsozialismus in der Populärkultur. Hitler-Memes, Nazi-Filme und Führer-Parodien: Vergangenheitsbewältigung mit Humor oder beunruhigende Geschichtsvergessenheit?
(Zu) lockere Vergangenheitsbewältigung? Über den legeren Umgang mit dem Führer. Die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus als Grundlage für Hitler-Witze und lustige Memes? Darf man sich mit einem gewissen zeitlichen Abstand über alles lustig machen, einschließlich der dunkelsten Periode der deutschen Zeitgeschichte? Es scheint, als wären seit der Jahrtausendwende Scherze über Hitler salonfähig geworden. Woran das liegt und ob die Gesellschaft tatsächlich an einer Mischung aus kontrafaktischer Geschichtsschreibung und aus zeitlichem Abstand herrührender Verharmlosung leidet, hat Gavriel D. Rosenfeld näher untersucht.
- Nachkriegsrevisionismus und alternative Fakten zum Dritten Reich
- Schutz vor Normalisierung: Wie einzigartig war der Holocaust?
- Vom grausamen Führer zur harmlosen Witzfigur: Zeitgenössische Hitler-Filme
- Was wäre wenn? Kontrafaktisches Denken und sein Einfluss auf die Holocaust-Historiografie
- Grammar-Nazis und Hitler-Katzen-Memes: der Führer in der Populärkultur
Vom wissenschaftlichen Forschungsobjekt zur Witzfigur: Der Wandel der Rezeption von Adolf Hitler
Wie kann ein Mann, der für Tod und Leid von Millionen Menschen verantwortlich ist, zum beliebten Scherzmotiv im Internet werden? Ist die Unterlegung von Hitler-Bildern mit Wortspielereien eine Form der Vergangenheitsbewältigung mit Humor oder droht dadurch eine Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen des Nazi-Regimes um sich zu greifen? Standen im 20. Jahrhundert wissenschaftliche Untersuchungen und moralische Verurteilung des Dritten Reichs im Vordergrund, scheint mittlerweile zunehmende Gleichgültigkeit zur Norm zu werden.
Woran das liegen könnte und warum man dieser drohenden Geschichtsvergessenheit angesichts humoristischer Darstellungen in Filmen, Büchern und dem Netz entgegenwirken sollte, stellt der Autor in dieser kenntnisreichen Studie anschaulich dar.
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
Wer waren die Nationalsozialisten?
DAS DRITTE REICH UND DIE DEUTSCHEN - ANATOMIE EINER DIKTATUR. Wer waren die Nationalsozialisten? Diese einfache Frage berührt den Kern der NS-Herrschaft. Denn wer sie präzise beantworten will, der muss wissen, wer das Dritte Reich ermöglicht und durch sein Handeln – oft bis zuletzt – unterstützt hat. Ulrich Herbert, einer der angesehensten Zeithistoriker der Gegenwart, geht in diesem Buch den spezifischen Merkmalen der nationalsozialistischen Diktatur nach und analysiert von den Ursprüngen des Judenhasses bis zum Werdegang einstiger NS-Funktionäre in der Bundesrepublik zentrale Themen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. War es eine kleine Gruppe von Verbrechern, die das deutsche Volk ins Schlepptau nahm? Ein Projekt traditioneller Eliten? Oder doch eine von breiten Schichten der Bevölkerung getragene faschistische Bewegung? Die Antworten auf die Frage, wer die Nationalsozialisten waren, sind ebenso zahlreich wie die Versuche, personelle Kontinuitäten auszublenden und zwischen den Verbrechen des Regimes und der eigenen Verantwortung einen Trennstrich zu ziehen. Indem Ulrich Herbert diese Frage zum Ausgangspunkt seiner Studien nimmt, dringt er tief in den Charakter der NS-Diktatur ein und legt zentrale Aspekte ihrer Herrschaft frei. Seine prägnant argumentierenden Aufsätze bündeln nicht nur seine Überlegungen zur Geschichte des Nationalsozialismus, sondern spiegeln zugleich den Weg, den die NS-Forschung in den letzten Jahrzehnten genommen hat.
- Eine Charakterstudie der NS-Diktatur
- Welche Rolle spielten die Eliten?
- Wie groß war die Zustimmungsbereitschaft in der Bevölkerung?
- Wie fassten die NS-Führungsgruppen nach dem Krieg wieder Fuß?
- Von einem der besten Zeithistoriker seiner Generation
Frank Engehausen
Frank Engehausen (* 31. Januar 1963 in Uelzen)[1] ist ein deutscher Historiker. 1982 legte er sein Abitur in Mellendorf/Wedemark ab und studierte danach Mittlere und Neuere Geschichte und Englische Philologie in Heidelberg. 1989 legte er den Magister Artium ab, 1993 folgte die Promotion und 2002 die Habilitation. 2005 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 2007–2009 vertrat er den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe. Von 2014 bis 2017 war er Koordinator des Forschungsprojekts „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“. Seit 2017 arbeitet Engehausen als akademischer Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Hier ist er Leiter der Forschungsprojekte „Beamte nationalsozialistischer Reichsministerien. Rekrutierung – Karrieren – Nachkriegswege“ und „Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung – Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs 1945-1952“.
Er ist u. a. Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und der Heidelberger Kommission für Straßenbenennungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Engehausen
Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland: Vergangenheitsbewältigungen 1949 - 1969 oder eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im ... Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
Forum Landesgeschichte im Generallandesarchiv Karlsruhe
05.02.2021 16:00 Uhr
Das Forum Landesgeschichte befasst sich am 05. Februar 2021 ab 16 Uhr mit der Nachkriegsgeschichte des deutschen Südwestens zwischen 1945 und 1952. Es werden unterschiedliche Aspekte der drei Vorgängerländer Baden-Württembergs betrachtet: von der Vergangenheitspolitik der Regierungen und Landtage über eine Gesellschaftsgeschichte der Entnazifizierung bis zum Wirken von Spitzenbeamten in der höheren Verwaltung.
Die Veranstaltung wird gemeinsam von den Universitäten Heidelberg und Stuttgart, dem Generallandesarchiv Karlsruhe und der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein angeboten. Drei Vorträge geben Einblick in das Forschungsprojekt:
Dr. Alexander Klimo, Heidelberg: Vergangenheitspolitik der neuen Regierungen und Landtage
Dr. Sebastian Rojek, Stuttgart: Gesellschaftsgeschichte der Entnazifizierung
Viktor Fichtenau M.A., Heidelberg: Personelle Kontinuität der höheren Beamtenschaft nach 1945.
Das Forschungsprojekt "Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung. Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs 1945-1952", das mit Mitteln der Baden-Württemberg Stiftung finanziert wird, thematisiert die unmittelbare Nachkriegszeit im Südwesten zwischen 1945 und 1952.
Das Phänomen des Umgangs mit dem Nationalsozialismus wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, um die Reintegrationsmaßnahmen im Kontext von Schuldzuweisung und Entschädigung zu erschließen. In drei Teilprojekten werden mit den Landesregierungen die Hauptakteure der Nachkriegszeit untersucht, mit den Spruch-kammern die Hauptinstrumente des Umgangs mit dem Nationalsozialismus und mit dem Antiziganismus das Paradigma der Kontinuität der Opferdiskriminierung.
Die Veranstaltung findet digital statt. Bitte melden Sie sich dazu bis 03. Februar 2021 per E-Mail an: glakarlsruhe@la-bw.de. Sie erhalten von uns dann die erforderlichen Zugangsdaten.
https://www.landesarchiv-bw.de/
Gefühlte Opfer: Illusionen der Vergangenheitsbewältigung
Seit Jahrzehnten empfinden sich die Deutschen als gefühlte Opfer und vertrauen seit der Rede Richard von Weizsäckers 1985 dem Versprechen, Erinnerung führe zu »Erlösung«. Diese Erinnerungsmoral untersuchen Ulrike Jureit und Christian Schneider historisch, geistesgeschichtlich und psychoanalytisch. Ihr Fazit: Eine vollkommene »Vergangenheitsbewältigung» bleibt eine Illusion.
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
PRÄSENTATION DER ABSCHLUSSPUBLIKATION IM STAATSARCHIV LUDWIGSBURG: DIE BADISCHEN UND WÜRTTEMBERGISCHEN LANDESMINISTERIEN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS
23. Mai 2019, von Viktor Fichtenau
Kommissionsmitglieder sowie Vertreter der Baden-Württemberg Stiftung und des MWK während der Pressekonferenz (v.l.n.r.: Prof. Dr. Christiane Kuller, Prof. Dr. Frank Engehausen, Dr. Andreas Weber, Ministerin Theresia Bauer, Prof. Dr. Wolfram Pyta, Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Dr. Denise Burgert) (Foto: Viktor Fichtenau)
Es ist geschafft! Am 29. April 2019 wurde im Staatsarchiv Ludwigsburg nach mehr als vier Jahren intensiver Forschungs- und Schreibarbeit der erste Teil der Abschlusspublikationen unseres Forschungsprojekts der Presse und der Öffentlichkeit vorgestellt. Vor der öffentlichen Abendveranstaltung betonte die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vor der Presse, dass der „verantwortungsvolle Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus […] elementar für unsere gesellschaftliche Identität wie auch für die politische Kultur [ist]“. Für die Landesregierung sei „dieses anspruchsvolle Forschungsprojekt von immenser Bedeutung, denn hier wird die Rolle der institutionellen Vorgänger unserer heutigen Landesministerien systematisch untersucht und historisch bewertet“, so Bauer weiter.
Die Gruß- und Dankesworte von Ministerin Bauer, der Vorsitzenden der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Prof. Dr. Sabine Holtz sowie Prof. Dr. Wolfram Pyta richteten sich auch an die Baden-Württemberg Stiftung, die für die Finanzierung des Projekts knapp 1,5 Millionen Euro bereitstellte. Daneben hob Wolfram Pyta die projektbegleitenden Public History Maßnahmen hervor, darunter diesen Internetauftritt sowie die Projekt-App, dank derer unsere treuen Leserinnen und Leser stets auf dem neuesten Stand der Forschung gehalten werden konnten. Die Buchvorstellung wurde durch einen Vortrag von Prof. Dr. Martin Sabrow (Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam) über die Vergangenheitsaufarbeitung abgeschlossen.
Obwohl unser Projekt nun auf der Zielgeraden angelangt ist, wird der Internetauftritt fortgeführt werden. Mindestens bis zum Erscheinen des zweiten, nun im Manuskript vorliegenden Teils der Abschlusspublikationen, der 2020 als Buch veröffentlicht werden wird, wollen wir Sie weiter informieren: etwa mit Blogartikeln zu interessanten Themen, darunter solche, die für die Abschlusspublikationen nicht berücksichtigt werden konnten und sich beim Aufräumen der Schreibtische wiedergefunden haben beziehungsweise wiederfinden werden, mit Berichten über weiter laufende Projektkooperationen und auch mit Hinweisen auf die Resonanz, die der erste Teil der Abschlusspublikationen hoffentlich bald in der Fachöffentlichkeit finden wird.
Prof. Dr. Martin Sabrow (Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam) während seines Vortrags zur „Vergangenheitsaufarbeitung. Wohl und Wehe eines Paradigmas“ (Foto: Viktor Fichtenau)
Die Ludwigsburger Veranstaltung diente nicht nur dem Rückblick, sondern auch dem Ausblick auf ein neues Vorhaben: Ende des vergangenen Jahres wurde erneut mit der finanziellen Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung ein Nachfolgeprojekt ins Leben gerufen: „Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung – Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs 1945-1952“. Dieses Forschungsprojekt knüpft an die Ergebnisse des abgeschlossenen Projekts an und nimmt die unmittelbare Nachkriegszeit in den Vorgängerländern Baden-Württembergs für den Zeitraum zwischen 1945 und 1952 in den Blick. Während das Projekt zwar an bereits abgeschlossene sowie laufende behördengeschichtliche Forschungen anknüpft, setzt es dennoch eigene Akzente: „Wir wollen untersuchen, wie die Kontinuitäten ermöglicht wurden und welche Folgen sie für die Opfer des Nationalsozialismus hatten, und es soll aufgezeigt werden, wie die südwestdeutschen Landesregierungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit eigene Handlungsspielräume nutzten, die sich ihnen im Übergang von der alliierten Besatzungsherrschaft zur Gründung der Bundesrepublik boten“, so Prof. Dr. Edgar Wolfrum während der Pressekonferenz. Das neue Forschungsteam wird unsere Leserinnen und Leser ebenfalls auf der neu eingerichteten Internetpräsenz (https://ns-kontinuitaeten-bw.de) sowie bald über die bereits auf Ihren mobilen Endgeräten installierte App über ihre Forschungsergebnisse informieren.
https://ns-ministerien-bw.de/
Weiterführende Informationen und Presseberichte:
Pressemitteilung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 29. April 2019: Publikation „Die Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ vorgestellt
https://mwk.baden-wuerttemberg.de/
Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland: Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (Histoire)
In seinem interdisziplinären Zugriff konkurrenzlos, in seiner diskursgeschichtlichen Anlage ein Nachschlagewerk völlig neuen Typs: Das Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« präsentiert erstmals die politischen und künstlerischen, juristischen und gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und medialen Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit. Die kritische Aufarbeitung der zentralen Ereignisse und Debatten des BRD-Erinnerungsdiskurses mündet so zugleich in eine aufschlussreiche Kulturgeschichte deutscher Befindlichkeiten nach dem Holocaust. Für die 3. Auflage wurde das Lexikon erstmals gründlich überarbeitet. Neue Artikel beschäftigen sich etwa mit der Debatte um Grass' Waffen-SS-Mitgliedschaft, der NSU-Mordserie oder der Erinnerungskultur in den Neuen Medien. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik.
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
„Die Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“
Bedeutung der Rolle der Landesministerien in NS-Zeit wurde unterschätzt / Folgeprojekt nimmt Opferdiskriminierung durch die öffentliche Verwaltung nach 1945 in den Blick.
30. APRIL 2019 MWK
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: „Solche Forschungsprojekte sind unverzichtbar für unsere Demokratie. Wir können daraus viel für unser demokratisches Handeln und Selbstverständnis lernen“.
Im Staatsarchiv Ludwigsburg wurden gestern (29. April) die beiden Teilbände der Publikation „Die Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ vorgestellt. Damit hat das 2014 von der baden-württembergischen Landesregierung initiierte und der Baden-Württemberg Stiftung finanzierte Forschungsprojekt, das die Rolle der südwestdeutschen Landesministerien im Herrschaftssystem des „Dritten Reiches“ aufklären sollte, einen Abschluss gefunden. Mit ihrer Arbeit bringt die Kommission Licht in einen bislang wenig beachteten Teil der nationalsozialistischen Machtgrundlagen: die Rolle der Länderregierungen zwischen 1933 und 1945.
„Der verantwortungsvolle Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus ist elementar für unsere gesellschaftliche Identität wie auch für die politische Kultur. Für die Landesregierung ist dieses anspruchsvolle Forschungsprojekt von immenser Bedeutung, denn hier wird die Rolle der institutionellen Vorgänger unserer heutigen Landesministerien systematisch untersucht und historisch bewertet. Das Land macht sich damit ehrlich vor seiner Geschichte und bekennt sich zur bleibenden historischen Verantwortung seiner Institutionen“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Montag (29. April) in Ludwigsburg.
Anlässlich der Buchvorstellung dankte die Ministerin den beteiligten Historikerinnen und Historikern für die akribische Dokumentation und fundierte Analyse der Mitwirkung der NS-Landesministerialbürokratie in der Diktatur. „Entgegen bisheriger Annahmen gab es durchaus Handlungsspielräume auf Landesebene. Die Ministerien nutzen diese oftmals sogar zur verschärften Umsetzung der Reichsdirektiven. Sie waren damit Teil des nationalsozialistischen Systems, handelten auch eigenverantwortlich. Umso mehr hat das heutige Baden-Württemberg die Pflicht zur Erinnerung und Aufarbeitung.“
Bauer würdigte das Forschungsprojekt als einen Beitrag zur historischen Selbstvergewisserung von Landespolitik und Landesverwaltung und hob zugleich hervor: „Die Selbstverständlichkeit und Mühelosigkeit, mit der sich das alltägliche Verwaltungshandeln an die herrschende Doktrin angepasst hat, gibt zu denken. Die gewonnenen Erkenntnisse werfen wie mit einem Brennglas Licht auf die Verletzlichkeit der Demokratie. Auch unsere Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie heute sind fragile Güter, um die stets neu gerungen werden muss.“ Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zeige auch die Notwendigkeit einer festen ethischen und politischen Orientierung von Vewaltung und Bürokratie, um demokratische Ordnungen zu stabilisieren.
Dies bekräftigte Prof. Dr. Wolfram Pyta (Universität Stuttgart), Mitherausgeber der Publikation mit dem Hinweis, dass eines der zentralen Ergebnisse des Forschungsprojekts die hohe Anpassungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit der Ministerialbeamtenschaft gewesen sei: „Die neuen Machthaber mussten daher gar nicht mit ‚eisernem Besen‘ kehren und ‚Parteigenossen‘ systematisch plazieren, weil die höhere Beamtenschaft eine große Kooperationsbereitschaft bekundete. Eingefahrene Karrieremuster wie ausgeprägtes Laufbahndenken beförderten dieses proaktive Entgegenarbeiten“.
Folgeprojekt weitet Betrachtungszeitraum aus bis 1952
Dr. Andreas Weber, Leiter der Abteilung Bildung der Baden-Württemberg Stiftung, unterstrich, dass der Befund der politischen Anpassung der Beamtenschaft im Nationalsozialismus die Frage aufwerfe, wie sie sich nach dem Ende der Diktatur verhalten habe und wie man im Südwesten beim demokratischen Wiederaufbau mit der NS-Vergangenheit umgegangen sei: „Die Forschungsarbeiten zur NS-Vergangenheit bis zur sogenannten ´Stunde Nulllegen den Schluss nahe, dass es sinnvoll ist, den Zeithorizont der Betrachtung für die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft über den bislang untersuchten Zeitraum hinaus auszudehnen. Dabei war dem Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung wichtig, dass der schon im ersten Projekt erfolgreich realisierte zentrale Ansatz der ´Public History handlungsleitend bleibt. Damit können die Erkenntnisse unmittelbar und projektbegleitend der Öffentlichkeit vermittelt, in die Lehre in Hochschule und Schule eingebunden und damit ein hoher gesellschaftlicher Mehrwert erreicht werden.“
Prof. Dr. Edgar Wolfrum (Universität Heidelberg) dankte Wissenschaftsministerin Bauer für die Intiative und der Baden-Württemberg Stiftung für die Förderung des Projekts „Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung – Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs 1945-1952“. Mit einem Fokus auf der Kontinuitätsproblematik knüpfe das Projekt, so Wolfrum, an die Fragestellungen abgeschlossener und laufender behördengeschichtlicher Forschungen an, setze dabei aber eigene Akzente: „Wir wollen untersuchen, wie die Kontinuitäten ermöglicht wurden und welche Folgen sie für die Opfer des Nationalsozialismus hatten, und es soll aufgezeigt werden, wie die südwestdeutschen Landesregierungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit eigene Handlungsspielräume nutzten, die sich ihnen im Übergang von der alliierten Besatzungsherrschaft zur Gründung der Bundesrepublik boten“.
„Es ist richtig, dass wir nicht nur die Täter in der Zeit des Nationalsozialismus in den Blick nehmen, sondern auch die Opferdiskriminierung durch die öffentliche Verwaltung nach 1945 und die bürokratischen – personellen – Kontinuitäten über den Systemwechsel hinaus betrachten“, betonte Ministerin Bauer abschließend.
Weitere Informationen
Das Projekt wurde maßgeblich von der Baden-Württemberg Stiftung finanziert, die 1,45 Mio. Euro für die dreijährige Projektlaufzeit zur Verfügung stellte.
Zusammenfassung zentraler Forschungsergebnisse
Die erstmalige systematische Untersuchung der Rolle der Landesministerien im Herrschafts- und Verwaltungsapparat der NS-Diktatur zeigt, dass deren Bedeutung bislang unterschätzt worden ist: Zwar verloren die Länder 1934 im Zuge der Verwaltungszentralisierung ihre Justizministerien; die übrigen Ressorts wurden aber durch die „Verreichlichung“ nicht marginalisiert, sondern konnten sich beträchtliche politische Einflussmöglichkeiten erhalten und teilweise auch neue hinzugewinnen. Das Projekt macht deutlich, wie die teils zurückhaltende, teils willfährige, teils skrupellose Mitwirkung zahlreicher Landesbediensteter an der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis die Durchsetzung und Ausgestaltung des ‚Dritten Reichs‘ vor Ort, im sozialen und regionalen Nahbereich, erst ermöglicht hat.
Im Fokus der Recherchen standen die Biographien der badischen und württembergischen Ministerialbeamten, die in unterschiedlichen Funktionen auch an der NS-Repressionspolitik beteiligt waren. So kam es 1933 nur zu moderaten Eingriffen in den Personalbestand der Landesministerien – ihre Umwandlung in Werkzeuge der Diktatur war vielmehr ein Prozess der Selbstgleichschaltung der Beamtenschaft und Ausdruck eines kollektiven politischen Opportunismus. So wie bei der nationalsozialistischen Machtübernahme ein administrativer Elitentausch ausgeblieben ist, hat auch das Kriegsende 1945 keine gravierende Zäsur dargestellt: Einer großen Zahl von NS-belasteten Ministerialbeamten ist die Rückkehr in den öffentlichen Dienst Baden-Württembergs und seiner Vorgängerländer gelungen – dies indes ist keine südwestdeutsche Besonderheit, sondern der bundesweite Normalfall gewesen, so die Wissenschaftler.
Publikation
Frank Engehausen, Sylvia Paletschek und Wolfram Pyta (Hg.): Die Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen Band 220), Stuttgart: Kohlhammer 2019, LXXXI und 992 Seiten mit 103 Abbildungen, ISBN 978-3-17-035357-2, 78,- €.
Foto: Prof. Dr. Frank Engehausen
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Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung": Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch: Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Mit über 1000 Begriffen aus 40 Themenbereichen
Das Wörterbuch behandelt ein heikles und strittiges Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es zeichnet anhand detaillierter Wort- und Diskursgeschichten den Umgang mit der NS-Vergangenheit im Sprachgebrauch der Gegenwart nach. Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich verschiedene gesellschaftliche Gruppen diese in wörtlichem Sinne fragwürdige nationale Geschichte betrachten. Vorherrschend ist die Instrumentalisierung des „belasteten“ Vokabulars der NS-Vergangenheit zum Zweck der jeweils aktuellen politischen Auseinandersetzung, d.h. das Streitthema Vergangenheitsbewältigung wird im politischen Geschäft der „Bewältigung der Gegenwart“ ausgenutzt. Dabei werden in NS-Vergleichen genau die Geschichtsereignisse am häufigsten relativiert, die andererseits in der öffentlichen Diskussion als einzigartig deklariert werden. Hier zeigt sich – zum Teil bei den gleichen Sprechergruppen – das Auseinanderfallen von öffentlich vertretener Norm und tatsächlichem Sprachverhalten. So spiegelt sich in den analysierten Vokabeln dieses neuartigen Problemfeld-Wörterbuchs die Vergangenheit in der Sprache der Gegenwart wie in einem in viele Facetten zersprungenen Spiegel. Das Wörterbuch zeigt die Verwendung und Funktion von über 1000 diskursrelevanten Vokabeln innerhalb von 40 Themenbereichen. Ein Ergänzungsband mit ca. 20 weiteren Vokabeln wird 2008 erscheinen.
Siehe auch :
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Reparationen und Entschädigungen >>>
- Öffentlichkeitsarbeit >>>
- Bildungsarbeit >>>
Umgang mit NS-Vergangenheit, seit den 1950er Jahren
von Markus Raasch
Die Erzählung der Leid- und Aufbaugemeinschaft, die große Drangsale in Krieg und Nachkriegszeit überstanden und einen erfolgreichen Neubeginn bewerkstelligt hatte, prägte jahrzehntelang den Umgang mit der NS-Vergangenheit. In diesem Sinne wurden Straßen nach verlorenen Ostgebieten umbenannt und Gedenksteine zur Erinnerung an alliierte Bombardierungen eingeweiht. Im Wesentlichen schwiegen die ehemaligen „Volkgenossinnen“ und „Volksgenossen“, die Nachwachsenden glaubten ihre Opfererzählung und trauten sich nicht, näher nachzufragen. Substantielle Bemühungen, sich der NS-Vergangenheit zu stellen, gab es erst im letzten Fünftel des 20. Jahrhunderts, als die Kriegsgeneration wegen ihres Alters nicht mehr alle Diskussionsräume vereinnahmen konnte, sich die örtliche Demografie durch Zuzüge wesentlich verändert hatte, gesellschaftliche Werthaltungen nach „68“ einen Wandel erfahren hatten und die mediale Vermittlung der NS-Vergangenheit nach Ausstrahlung der TV-Serie „Holocaust“ im Jahre 1979 stärker auf die deutschen Verbrechen, insbesondere die Shoah, abhob. So waren es vor allem jüngere Leute, Auswärtige oder oft Zugezogene, die ein besonderes Engagement entwickelten und – gegen teilweise erheblichen Widerstand – erste Türen öffneten. Eine gewisse Katalysatorfunktion besaß der 9. November 1988, der 50. Jahrestag der Reichspogromnacht. Denn an diesem Tag wurde zum einen ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Synagoge in der Ludwigstraße 20 eingeweiht, zum anderen öffnete die vielbeachtete Ausstellung des Stadtarchivs mit dem Titel „Vor 50 Jahren – Neustadt unter dem Nationalsozialismus“. Fortan erwuchs in der Bevölkerung ein Engagement, das seit den 1990er Jahren vielfältige Aktivitäten bewirkte. Eine Langzeitfolge war die Gründung eines Fördervereins für NS-Opfer, der seit 2013 am Ort des frühen Konzentrationslagers die Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt betreibt. Trotz aller Aufbrüche bleiben aber Reserven und bis heute wird in Neustadt auch immer wieder über die NS-Zeit gestritten. Dies zeigen die lokalen Debatten über die Entstehung der „Deutschen Weinstraße“, die Bezeichnung „(frühes) Konzentrationslager“ Neustadt oder das Grabmal von Josef Bürckel.
Quellen
Festbuch zum 1200-jährigen Jubiläum von Lachen Speyerdorf 774–1974. Lachen-Speyerdorf 1975. Einige Textstellen lassen das Bemühen um Relativierung der NS-Zeit deutlich zu Tage treten, weil sie beflissen deren „positive“ und „negative“ Seiten trennen.
PAUL HABERMEHL, Hambach. Führer durch die Ortsgeschichte. Speyer 1977. Typisches Beispiel für die Weitertradierung der deutschen Leiderzählung, wenn etwa vom „Würgegriff des Nationalsozialismus“ die Rede ist.
KLAUS-PETER WESTRICH, Neustadt an der Weinstrasse. Beiträge zur Geschichte einer pfälzischen Stadt. Neustadt a. d. W. 1975. Dieser Band stellt die große Stadthistorie Neustadts dar, widmet der NS-Zeit aber nur einige wenige Zeilen.
Literatur
EBERHARD DITTUS, „Vor 50 Jahren – Neustadt unter dem Nationalsozialismus“. Eine Ausstellung des Stadtarchivs als „Meilenstein“ in der Aufarbeitung der Neustadter NS-Geschichte, in: Markus Raasch (Hrsg.), Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020. Mit Hilfe eines kleinen Bestandes aus dem Stadtarchiv Neustadt werden die erinnerungskulturellen Um- und Aufbrüche der 1980er Jahre vor Augen geführt.
https://neustadt-und-nationalsozialismus.uni-mainz.de/
Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen: Westdeutsche Filme über den Nationalsozialismus in den 1950er und 60er Jahren
«Kann man Geschichte aus der Glotze lernen?» fragen kritische Beobachter angesichts der großen Beliebtheit, der sich historische Themen in den TV-Programmen erfreuen. Das Leitmedium Fernsehen erweist sich als quantitativ erfolgreichster Vermittler von Geschichte. Was zunächst erstaunt: Historiker zeigen sich davon in der Regel wenig angetan. Das gilt immer wieder auch für Filme zum Nationalsozialismus. Angesichts dessen ist es verwunderlich, dass der Umgang des (west)deutschen Fernsehens mit der NS-Vergangenheit bislang wenig betrachtet worden ist. Hier setzt die vorliegende Studie ein, indem sie Beispiele aus den 1950er und 60er Jahren untersucht. Das historische Umfeld der Entstehungszeit der Filme gerät dabei ebenso in den Blick wie die Situation zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung. So wird nicht nur die Arbeitsweise der Produzenten erhellt, sondern auch die Resonanz, auf die die Sendungen stießen. Damit zeigt die Studie, wie «Vergangenheitsbewältigung» – schon der Begriff ist symptomatisch für das Verhältnis der Bundesrepublik zur jüngeren deutschen Vergangenheit – zu unterschiedlichen Zeitpunkten angegangen wurde. Es gerät nicht nur die Frage in den Blick, ob das Medium Fernsehen die Gesellschaft beeinflusst oder nur vorhandene Tendenzen aufgreift. Es ist das Spannungsfeld zwischen historischer Situation, zeitgenössischer Sichtweise und aktuellem Gegenwartswissen, das den Gegenstand dieser Arbeit ausmacht.
Nationalsozialismus
Deutsche Vereinigung und NS-Vergangenheit
Jochen Fischer
Hans Karl Rupp
28.09.2005 /
Vom Wunsch der Deutschen nach Einheit und von ihrem Vollzug ging keine neue Gefahr im Sinne einer Wiederholung der Geschichte aus. Antisemitismus ist ein bei Durchbrechung sanktioniertes Tabu.
Schienen im ehemaligen Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 17. Januar 2005 im heutigen südlichen Polen. Schätzungsweise 600.000 Menschen besuchen das Lager jedes Jahr um zu lernen oder zu trauern; die große Mehrheit bewegt sich ruhig und in einem Geist der Ehrfurcht auf dem Komplex. Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus.
"Wegen Auschwitz keine Wiedervereinigung!" war in den Monaten vor und nach dem Fall der Mauer in Berlin eine unter westdeutschen Intellektuellen verbreitete Auffassung. Der Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Günter Grass vertrat als Gastredner auf dem SPD-Parteitag im Dezember 1989 die Auffassung, es müsse vermieden werden, dass in der Mitte Europas wieder eine Großmacht entstehe.
Ein "Einheitsstaat, dessen wechselnde Vollstrecker während nur knapp 45 Jahren anderen und uns Leid, Trümmer, Niederlagen, Millionen Flüchtlinge, Millionen Tote und die Last nicht zu bewältigender Verbrechen ins Geschichtsbuch geschrieben haben, verlangt nicht nach einer Neuauflage" Zur Auflösung der Fußnote[1].
Noch schärfer formulierte es Grass auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing im Februar 1990: "Das unter dem Begriff Auschwitz summierte und durch nichts zu relativierende Verbrechen Völkermord lastet auf diesem Einheitsstaat. (...) Er war die früh geschaffene Voraussetzung für Auschwitz." Zur Auflösung der Fußnote[2] Ähnlich äußerte sich der im Februar 1990 zum Kanzlerkandidaten der SPD bestimmte Oskar Lafontaine:
Der Nationalstaat im Allgemeinen und der deutsche im Besonderen seien historisch überholt, ja geradezu gefährlich, sollte eine Wiedervereinigung Deutschlands vor der politischen Einigung Europas und unabhängig von ihr erfolgen. Zur Auflösung der Fußnote[3] Das Signum "Auschwitz" wurde von Lafontaine geradezu zu einer felix culpa im Sinne des Kirchenvaters Ambrosius umgedeutet, schreibt der Historiker Heinrich August Winkler. Zur Auflösung der Fußnote[4]
Dagegen trat nach dem "Rausch der Einheit" eine ganze Gruppe nationalbeschwingter Publizisten und Sozialwissenschaftler von Arnulf Baring bis Rainer Zitelmann mit euphorischen Bekenntnissen und Hoffnungen hervor. Der aus der Vergessenheit wieder auftauchende Gründer und ehemalige Herausgeber des Achtundsechziger-Magazins "konkret", Klaus Rainer Röhl, meinte in einem Beitrag zum Sammelband "Die selbstbewußte Nation", endlich könne man aus den Jahrzehnten der "Umerziehung" heraustreten: "Ein halbes Jahrhundert nach dem Morgenthau-Plan und dem Anfang der großen Umerziehung beginnen Deutsche überall im Land, sich selbst wieder wahrzunehmen." Zur Auflösung der Fußnote[5]
Eine andere Art "befreiten" Hinter-sich-Lassens der alliierten "Umerziehung" zeigte sich schon im Winter 1990/91 in einer nach 1945 bis dahin ungekannten Welle von Gewalt und Obszönität, gerichtet gegen jüdische Synagogen, Gemeindezentren und Friedhöfe. Unmittelbar nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 breiteten sich Brandanschläge und Friedhofsschändungen über das vereinigte Deutschland aus; ebenso erfassten zwischen dem ersten und dem zweiten Jahrestag der deutschen Einheit Attacken auf Asylbewerberheime fast alle Teile der Republik. Der Historiker Manfred Görtemaker spricht von insgesamt 1639 Gewalttaten allein im Jahr 1992. Zur Auflösung der Fußnote[6] Großdemonstrationen und öffentlichkeitswirksame Aktionen und Lichterketten in den großen deutschen Städten zwischen November und Dezember 1992, an denen Hunderttausende teilnahmen, beendeten die Kette von Ausschreitungen. Die Staatsanwaltschaften, die Innenbehörden und die Polizei griffen nun früher und umfassender ein.
Zudem verbesserte sich vorübergehend die ökonomische Situation. Das erhöhte Konsumniveau in Ostdeutschland, bedingt durch die deutliche Anhebung der tariflichen Grundentlohnung "von etwa 35 auf 80 Prozent in den Jahren 1990 bis 1993" Zur Auflösung der Fußnote[7], sowie die Folgen des "Vereinigungsbooms" in Westdeutschland milderten den Transformationsprozess und verhinderten zunächst ein erneutes Umsichgreifen rechtsextremer Umtriebe. Dennoch wurde seither nicht nur bei ostdeutschen Landtagswahlen immer wieder ein Aufflackern offen oder tendenziell neonazistischer Wählervoten sichtbar.
Neue Außenpolitik
Eine an Grass und Lafontaine anknüpfende und sich verschärfende Kritik gipfelte - nachdem die deutsche Vereinigung nach 1990 politisch relativ konsensual, auch mit politischer Integration der SED-Nachfolgepartei PDS, gelungen war - in der erneuerten These der marxistischen Orthodoxie, nach der ein aus der Aufsicht anderer imperialistischer Mächte entlassener Staat im Monopolkapitalismus der Gegenwart selbst zu einem neuen Imperialisten werde. Damit greife er nicht nur als Konkurrent in den schon vermachteten Weltmarkt ein, sondern bereite - allein oder gemeinsam mit anderen imperialistischen Staaten - neue Menschenrechtsverletzungen in den Ländern des Südens vor. Diese in manchen altlinken Zirkeln der alten Bundesrepublik noch heute vorhandene Auffassung geht - bei aller berechtigter Kritik der terms of trade - von einem überholten Basis-Überbau-Modell aus, dem zufolge die Probleme der Ökonomie einer Gesellschaft die Politik und auch den Erfolg von Nichtregierungsorganisationen restriktiv bestimmen. Ob das weltwirtschaftliche Agieren einer Gesellschaft die Menschenrechte verletzt oder nicht, hängt entscheidend vom Agieren und vom Einfluss der jeweiligen Öffentlichkeit ab, worunter nicht nur der Stellenwert der entsprechenden Themen in den Medien eines Landes, sondern auch der Stellenwert der entsprechenden Fragen im Agieren der Zivilgesellschaft insgesamt gemeint ist. Es gab nach der deutschen Vereinigung hier prinzipiell keine neue Situation, allerdings einen vergrößerten Aktionsraum für die bundesdeutsche Außenpolitik, der von den Bundesregierungen seither auch genutzt wurde.
Doch geschah dies in Anknüpfung an alte geopolitische Konzepte, etwa in Richtung auf Gewinnung politischer und ökonomischer Vorherrschaft auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten? Trotz einiger irritierender Einzelaspekte wird man diese Frage kaum bejahen können. Die voreilige Anerkennung der sezessionistischen Staatsgründungen Kroatiens und Sloweniens gegen die Empfehlungen des EG-Vermittlers auf dem Balkan, Lord Carrington, und der Kriegseinsatz gegen Jugoslawien im Kosovokrieg lieferten - mit unterschiedlichen Begründungen - darunter: "Nie wieder Auschwitz!" - Zweifel an der Beibehaltung eines friedensorientierten außenpolitischen Kurses, wie er seit der Neuen Ostpolitik Willy Brandts prägend für die Bundesrepublik gewesen war.
Aber dies sind nur zwei Vorgänge der Außenpolitik der zweiten Phase der Regierungszeit Helmut Kohls und derjenigen von Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis 2005. Kennzeichnender für diese Politik - die tatsächlich eher von Kontinuität als von Widersprüchen geprägt war - ist die Vielzahl der humanitären Einsätze in Ländern außerhalb Europas. 1998 etwa richtete die Bundeswehr im Südsudan zur Rettung von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen vor dem Hungertod "eine der größten Luftbrücken aller Zeiten" Zur Auflösung der Fußnote[8] ein. Um die Jahrtausendwende war die Bundeswehr - ohne große Öffentlichkeit - zu dem nach den USA größten Truppensteller bei Friedensmissionen überall in der Welt geworden. Zur Auflösung der Fußnote[9]
Auch hier könnte man den Einsätzen eine erneuerte imperialistische Zielsetzung unterstellen. In Wirklichkeit erklärt sich der Einsatz der Bundeswehr vor allem aus Verpflichtungen, UNO- oder NATO-Beschlüsse umzusetzen, die unter anderem eine Antwort auf die Terroranschläge des 11. September 2001 geben wollen. Die Verpflichtungen ergaben sich aus dem selbstgewählten Anspruch der bundesdeutschen Außenpolitik, in Antwort auf die jahrhundertealte preußisch-deutsche Kriegspolitik, also gerade in Abwendung von dem Weg, der in den Nationalsozialismus führte, nun als "Friedensmacht" in der Welt aufzutreten. Zur Auflösung der Fußnote[10]
Antisemitismus nach der Vereinigung
Die ersten Umfragen nach der Vereinigung schienen die Solidarität mit dem Staat Israel angesichts des zweiten Golfkrieges vom Januar 1991 zu festigen: Die Zustimmung der Befragten zu besseren Beziehungen zu Israel erhöhte sich von 72 auf 78 Prozent. Zur Auflösung der Fußnote[11] Der Anteil antisemitischer Einstellungen war in Ostdeutschland sogar geringer als in Westdeutschland, wie erste Umfragen in den neuen Bundesländern ergaben. Zur Auflösung der Fußnote[12] Gleichwohl war der Anteil antisemitisch geprägter Antworten auf bestimmte Fragestellungen erstaunlich hoch: 44 Prozent der Westdeutschen unterstellten 1990 "den Juden" "zu viel Einfluss auf die Vorgänge in der Welt", in Ostdeutschland waren es 20 Prozent. In diesen demoskopischen Momentaufnahmen schien sich anzudeuten, dass vor allem junge Erwachsene und Jugendliche empfänglich für fremdenfeindliche und antisemitische Parolen sind.
Dabei fanden gerade bei ostdeutschen Jugendlichen antisemitische Vorgaben eine unerwartet hohe Zustimmung. Nach ersten Jugendstudien stimmten 14 Prozent der 14- bis 18-jährigen Ostdeutschen der Auffassung "Die Juden sind Deutschlands Unglück" zu, demgegenüber nur fünf Prozent der 18- bis 20-Jährigen und nur ein Prozent der 25- bis 26-Jährigen. (Vergleichsdaten zu westdeutschen Jugendlichen liegen für diese frühe Phase nicht vor.) Werner Bergmann und Rainer Erb vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin sind der Ansicht, dass die besondere Antisemitismus-Anfälligkeit ostdeutscher Jugendlicher "vor allem in den tiefgreifenden und krisenhaften Transformationsprozessen in den neuen Ländern zu suchen" sei.
Die weitere Entwicklung der Einstellung der jeweiligen Gesamtpopulation der Ost- und Westdeutschen hat sich bis zum Jahre 2003 nicht wesentlich geändert: Damals glaubten 21 Prozent der Ostdeutschen sowie 25 Prozent der Westdeutschen an einen "übergroßen jüdischen Einfluss in der Welt". Laut Bergmann und Erb hängen Verbreitung und Intensität antisemitischer Vorurteile wesentlich vom schulischen Bildungsniveau ab. "Für West- und Ostdeutschland gilt der auch sonst international nachgewiesene Trend, dass mit besserer Bildung und niedrigerem Alter antisemitische Vorurteile seltener vorkommen." Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, wertet die Umfrageergebnisse aus dem Jahre 2003 kritisch: Dass jeweils ein Viertel der Deutschen "solchen konfusen Weltverschwörungstheorien" Glauben schenke, sei ein alarmierendes Zeichen und erkläre, dass es in nicht- oder semiöffentlichem Rahmen durchaus Attacken und Hetze gegen Juden geben könne. Zur Auflösung der Fußnote[13]
Das Projekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" (GMF) des Soziologen Wilhelm Heitmeyer konstatiert für die Jahre ab 2002 ein diffuseres Bild mit Blick auf die bisher festgestellte generelle Abnahme antisemitischer Vorurteile in der gesamtdeutschen Bevölkerung. Es gebe sogar - außerhalb der Öffentlichkeit - eine zu beobachtende Zunahme antisemitischer Äußerungen im privaten Milieu. Zur Auflösung der Fußnote[14] Bei Umfragen geht aber die Zunahme antisemitischer Vorurteile in Ostdeutschland von einem erheblich niedrigeren Niveau aus als in Westdeutschland. Zur Auflösung der Fußnote[15]
Es bleibt die Frage, ob die Sozialisation in der DDR - mit ihren zweifellos beträchtlichen Defiziten, was die schulische Unterweisung mit Blick auf Antisemitismus und "Drittes Reich" betrifft - tatsächlich zu jenen temporären Wahlerfolgen offen bzw. verdeckt neonazistischer Parteien geführt hat, wie sie sich besonders in den ostdeutschen Bundesländern immer wieder ereigneten. Die in der (west)-deutschen sozialwissenschaftlichen Literatur ab Mitte der neunziger Jahre dominierende These eines direkten Übergangs von der Bejahung des autoritären Systems der DDR zur Unterstützung neonazistischer Parteien und jugendlicher Schlägerbanden - u.a. unter Zuhilfenahme des Konzepts von der Autoritären Persönlichkeit, das einst Theodor W. Adorno im amerikanischen Milieu der Nachkriegszeit entwickelt hatte Zur Auflösung der Fußnote[16] - erweist sich als fragwürdig. Entweder haben die in den ostdeutschen Bundesländern Befragten wesentlich angepasster auf die Fragen der Interviewer reagiert als die Westdeutschen - in dem Glauben, dem Fragesteller eine von ihm persönlich positiv bewertete Antwort zu geben -, oder die bisherige Kritik an der "antizionistischen" (und damit indirekt antisemitischen) Erziehung der Jugendlichen in der DDR ist in den sozialwissenschaftlichen Studien zum "Rechtsextremismus in der DDR" erheblich überzeichnet worden.
Lägen die sozialwissenschaftlichen Studien zur offiziellen Duldung und Tradierung des Antisemitismus im Gewand des "Antizionismus" in der DDR richtig, würden sie außerdem den Umfragen zu antisemitischen Vorurteilen bei Ostdeutschen völlig widersprechen. Die Welle fremdenfeindlicher und antisemitischer Gewalt, die nach der Vereinigung besonders Ostdeutschland erfasste, ist ohne die Agitation offen neonazistischer Gruppen - auch im Skinhead-Milieu - kaum denkbar. Zur Auflösung der Fußnote[17] Die temporären Wahlerfolge offen oder verdeckt neonazistischer Parteien weisen die zeitweilige Mobilisierbarkeit antisemitischer bzw. rechtsextremer Einstellungsmuster nach. Der Erfolg dieser Parteien ist in ökonomischen Krisensituationen wahrscheinlicher als in Phasen subjektiv empfundener ökonomischer Prosperität. Zusätzlich können in Krisen "unpolitische" Protestwähler für NPD oder DVU gewonnen werden.
Aufbrechen der "Kommunikationslatenz"?
Die von Bergmann und Erb bereits 1986 entwickelte These von der "Kommunikationslatenz" besagt, dass einerseits antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung verbreitet seien, diese andererseits aber nicht durch das öffentliche Meinungsklima bestätigt werden. Werde diese Latenz dennoch durchbrochen, würde dies moralisch durch Achtungsentzug, in schweren Fällen auch durch rechtliche Folgen sanktioniert. "Solange Konsens in den politischen und kulturellen Eliten besteht, auch gegen 'die Stammtische' den Meinungsdruck aufrechtzuerhalten und sich antisemitischer Ressentiments nicht zu bedienen, kann dies den Antisemitismus aus der öffentlichen Kommunikation weitgehend heraushalten und langfristig die Tradierung antijüdischer Stereotype abschwächen." Zur Auflösung der Fußnote[18] Bricht dieser in Richtung Latenz ausgeübte öffentliche Druck auf? Für Bergmann und Heitmeyer ist diese Gefahr unter folgenden Aspekten real: Zunächst käme die Forderung nach Aufbrechen dieser "Kommunikationssperre" dem Wunsch nach "Normalisierung" entgegen, der auch von jüngeren Bundesbürgern geteilt werde. Sodann gebe es folgende Erosionselemente: "Israelkritik als Umwegkommunikation", Kritik "mächtiger Juden" in Israel und den USA, Kritik an Tabus generell, ausgehend von der jüngeren und mittleren Generation, sowie Versuche, den Holocaust und den Antisemitismus zu europäisieren.
Einschränkend kann zur These der "Kommunikationslatenz" angefügt werden, dass jene behaupteten durchgreifenden Sanktionierungen erst schrittweise durchgesetzt werden mussten. Bundeskanzler Kohl etwa ließ noch 1986 eine antisemitische Äußerung eines CSU-Bundestagsabgeordneten mit einer Rüge durchgehen. Zur Auflösung der Fußnote[19] Dies hatte sich spätestens bei Bekanntwerden der Rede zum Tag der Deutschen Einheit, die der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann (CDU) am 3. Oktober 2003 gehalten hatte, geändert: Dessen Versuch einer "neuen", indirekten SchuldzuweisungZur Auflösung der Fußnote[20] führte zum Fraktions- und bald darauf auch zum Parteiausschluss Hohmanns. Der sich mit Hohmann solidarisierende General Reinhard Günzel wurde vom Verteidigungsminister seiner Funktion enthoben und aus der Bundeswehr entlassen. Zur Auflösung der Fußnote[21]
Eine Auflistung der Erosionselemente erweist die These von der Kommunikationslatenz zumindest teilweise als zu pauschal: Ist es beispielsweise Ausdruck einer Verdrängungstendenz, über die Gehilfenrolle des Vichy-Regimes bei der Judendeportation zu forschen und zu schreiben? Plausibel wird der Verweis auf Erosionstendenzen im Fall Jürgen Möllemann: Hier gab es bereits vor seinem Selbstmord empörte Aufschreie, als die Schmähung des jüdischen Publizisten Michel Friedman durch den FDP-Politiker in einigen Medien als Antisemitismus etikettiert wurde. Der in Umfragen absehbare Erfolg des Möllemann'schen "Projekts 18" deutet im Namen eines "sekundären Antisemitismus" - nicht trotz, sondern wegen Auschwitz werden Ressentiments mobilisiert Zur Auflösung der Fußnote[22] - auf gefährliche mögliche Entwicklungstendenzen bei künftigen Parlamentswahlen hin. Die Möllemann-Affäre verweist auf eine nach wie vor außerordentliche Labilität des Konsenses gegen Antisemitismus.
Einschnitt in die Erinnerungskultur?
Mit der Debatte um die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin wurde sichtbar, dass latent vorhandene antisemitische Tendenzen auch in Diskursen in der Berliner Republik aufschienen. Der nach einer Ausschreibung durch eine Stiftungsinitiative eingebrachte Vorschlag des New Yorker Architekten Peter Eisenman, ein Stelenfeld zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor zu installieren, sorgte für heftige Reaktionen. Die vehementeste Gegenrede hielt der Schriftsteller Martin Walser in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main 1998. Walser sah in dem monumentalen Mahnmal einen "fußballfeldgroßen Alptraum" und betonte die in seinen Augen mit dem Denkmal verbundene "Monumentalisierung der Schande". Zur Auflösung der Fußnote[23]
Die Worte des angesehenen Autors vor einem prominent besetzten Auditorium in der Paulskirche stießen zunächst auf wenig Widerspruch. Walser, der in seiner Rede von der deutschen Geschichte als der "unvergänglichen Schande" und von der "Moralkeule Auschwitz" gesprochen hatte, vermied selbstkritische Reflexion und verharrte in Schuldzuweisungen. Das Mahnmal für die Opfer des Holocaust wurde als moralische Anklage, als "unaufhörliche Präsentation unserer Schande" gegen "alle Deutschen" umfunktioniert, nicht aber als mahnende Erinnerung an geschehene Grausamkeiten von Deutschen betrachtet. Indem Walser aber die Vergegenwärtigung des Holocaust als Instrument der "Meinungssoldaten" herabsetzte, legitimierte er das Vergessen und etikettierte die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen als bloßes Werkzeug vermeintlich anderer Interessen.
Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, bezichtigte Walser daraufhin der "geistigen Brandstiftung"Zur Auflösung der Fußnote[24]. Bubis entlarvte in seiner Antwort den logischen Bruch in Walsers Rede: Wenn er sich von der Kollektivschuld distanziere, sei es nicht zu verstehen, warum Walser sich bei Filmen über Auschwitz schuldig fühle, womit Bubis die konstruierten Fronten in der Rede offen legte. Der durch Walsers Friedenspreisrede ausgelöste Diskurs um die deutsche Erinnerungskultur nach der Wiedervereinigung wurde zur Grundsatzdebatte über einen neuen Umgang mit dem Holocaust in einem neuen Deutschland. Durch die breite, zunächst mediale und später auch politische Diskussion war bald von einem "Einschnitt in die Erinnerungskultur der Bundesrepublik" Zur Auflösung der Fußnote[25] die Rede.
Jürgen Habermas hob die besondere Bedeutung der Initiatoren des Mahnmals hervor. Dass eine Gruppe von Deutschen parallel zum nationalen Freudentaumel der staatlichen Wiedervereinigung und fünfzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz eine zentrale Gedenkstätte für die von Deutschen ermordeten europäischen Juden forderte, konnte als Chance für ein im Licht der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit stehendes Selbstverständnis der Berliner Republik begriffen werden. Zur Auflösung der Fußnote[26] Die Stifter seien diejenigen Bürger, so erläuterte Habermas, die sich als die unmittelbare Erben einer Kultur, "in der das möglich war, vorfinden - in einem Traditionszusammenhang, den sie mit der Tätergeneration teilen" Zur Auflösung der Fußnote[27]. Am 25. Juni 1999 entschied der Deutsche Bundestag über die Errichtung des Mahnmals. Auch wenn in der Debatte nicht zur Diskussion stand, ob ein Mahnmal gebaut werde, sondern wie es auszusehen habe, kam es zu klaren Bekenntnissen der Bundestagsfraktionen für ein Mahnmal. Sowohl in den Reden der Debatte als auch in der Abstimmung wurde deutlich, dass zumindest 439 der 559 Abgeordneten des Deutschen Bundestages das Mahnmal nicht als "Schandmal" im Sinne Walsers begriffen. Zur Auflösung der Fußnote[28]
Eine Loslösung von den singulären deutschen Verbrechen der NS-Zeit ist trotz mancher Befürchtungen nach der deutschen Vereinigung nicht eingetreten - das kann man als Fazit aus der Debatte um das am 10. Mai 2005 eingeweihte Denkmal im Zentrum der Hauptstadt ziehen. Die deutsche Erinnerungskultur hat sich mit dem deutlichen Bekenntnis zum Holocaust-Mahnmal erneuert, zumindest, was das offizielle Gedenken in der Berliner Republik betrifft; von einer vergessenen Erinnerung kann keine Rede sein. Zur Auflösung der Fußnote[29]
Wie ist die Beziehung von Auschwitz zur deutschen Vereinigung? Wie hat sich das Syndrom des Antisemitismus im vereinigten Deutschland entwickelt? Welche Gefahren drohen ethnischen Minderheiten, vor allem der jüdischen Minderheit, hierzulande? Wie wirken die Schatten der NS-Vergangenheit auf das wieder vereinigte Deutschland? Vom Wunsch der Deutschen nach Einheit und von ihrem Vollzug ging keine neue Gefahr im Sinne einer Wiederholung der deutschen Geschichte aus. Antisemitismus ist im offiziellen Deutschland ein durchgesetztes und bei Durchbrechung sanktioniertes Tabu. Ethnische Minderheiten sind im Deutschland des 21. Jahrhunderts gleichwohl immer wieder gefährdet - vor allem in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen. Immerhin zeigt aber die breite und dauerhafte Ablehnung antisemitischer Vorurteile in Repräsentativumfragen in Ost- und Westdeutschland, unabhängig von Geschlecht und Alter, dass es bei einer Mehrheit der Deutschen eine inzwischen gefestigte Frontstellung gegen antisemitische Äußerungen und Verhaltensweisen gibt.
Quellen / Literatur
Text aus: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 40/2005) - "Deutsche Einigung und NS-Vergangenheit"
Fussnoten
Zur Erwähnung der Fußnote [1]
Günter Grass auf dem Berliner Programm-Parteitag der SPD 1989. Protokoll. Berlin, 18.-20.12. 1989, Bonn 1990, S. 151.
Zur Erwähnung der Fußnote [2]
Ders., Kurze Reden eines vaterlandslosen Gesellen, in: Die Zeit vom 9.2. 1990, S. 61.
Zur Erwähnung der Fußnote [3]
Vgl. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen II. Deutsche Geschichte 1933 - 1990, Bonn 2004, S. 527. Diese Position vertrat in ähnlicher Weise der französische Staatspräsident François Mitterrand, der für seine Zustimmung zur deutschen Einheit die rasche Umsetzung der europäischen Währungsunion als Gegenleistung forderte; vgl. Hans Karl Rupp, Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, München/Wien 2000(3), S. 298.
Zur Erwähnung der Fußnote [4]
Vgl. H. A. Winkler (ebd.), S. 478.
Zur Erwähnung der Fußnote [5]
Klaus Rainer Röhl, Morgenthau und Antifa. Über den Selbsthaß der Deutschen, in: Heimo Schwilk/ Ulrich Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation. "Anschwellende Bocksgesänge" und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Berlin 1994, S. 99.
Zur Erwähnung der Fußnote [6]
Vgl. Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1999, S. 780.
Zur Erwähnung der Fußnote [7]
Ebd., S. 775.
Zur Erwähnung der Fußnote [8]
Gregor Schöllgen, Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, München 2003, S. 87. Gegenüber dem Duktus von Schöllgen ist eher die Kontinuität zu betonen; vgl. u.a. Hans Karl Rupp, Die Bundesrepublik als "Sonderweg" der europäischen Geschichte?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, (1999) 39 - 40, S. 12 - 20.
Zur Erwähnung der Fußnote [9]
Vgl. Hans Karl Rupp, Politik nach Auschwitz. Ein Essay zur Geschichte der Bundesrepublik, Münster 2005, S. 97.
Zur Erwähnung der Fußnote [10]
Der Begriff "Friedensmacht" stammt zwar von SPD-Wahlplakaten aus dem Jahre 2003 (vgl. H. K. Rupp [ebd.], S. 99), er ist aber auch als Anspruch der Kohl'schen Außenpolitik verbürgt.
Zur Erwähnung der Fußnote [11]
Vgl. Michael Wolffsohn/Douglas Bokovoy, Israel, Opladen 2003(6), S. 272.
Zur Erwähnung der Fußnote [12]
Vgl. Werner Bergmann/Rainer Erb, Wie antisemitisch sind die Deutschen? Meinungsumfragen 1945 - 1994, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in Deutschland, München 1995, S. 47 - 63; dort auch die folgenden Angaben.
Zur Erwähnung der Fußnote [13]
W. Benz (ebd.), S. 198f.
Zur Erwähnung der Fußnote [14]
Vgl. Werner Bergmann/Wilhelm Heitmeyer, Antisemitismus: Verliert die Vorurteilsrepression ihre Wirkung?, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt/M. 2005, S. 224 - 238.
Zur Erwähnung der Fußnote [15]
Umfragen des American Jewish Committee, zitiert in: ebd., S. 232.
Zur Erwähnung der Fußnote [16]
Referiert z.B. bei Julia Isabel Geyer, Rechtsextremismus bei Jugendlichen in Brandenburg, Münster 2002, S. 120ff.
Zur Erwähnung der Fußnote [17]
Hans Sarkowicz ist der Ansicht, es habe sich 1991/92 "um eine logistisch gut abgestimmte Kette inszenierter Verbrechen gehandelt, die einen ,Volksaufstand` vorspiegeln sollten"; vgl. Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt/M. 1994, S. 70.
Zur Erwähnung der Fußnote [18]
Werner Bergmann/Rainer Erb, Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, (1986) 38, S. 225f.
Zur Erwähnung der Fußnote [19]
Auf die Äußerung des CSU-Bundestagsabgeordneten Hermann Fellner, dass die Juden sich immer schnell zu Wort melden würden, wenn "in deutschen Kassen Geld klimpert", reagierte Kohl mit der Bemerkung: "Wenn ich ihn sehe, werde ich ihm sagen: Bitte formulieren Sie so nicht." Vgl. Markus A. Weingardt, Deutsche Israel- und Nahost-Politik, Frankfurt/M.-New York 2002, S. 316f.
Zur Erwähnung der Fußnote [20]
Die Schlusspassage der Rede lautet: "Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase [in der Sowjetunion, d. V.] nach der ,Täterschaft` der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in derFührungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ,Tätervolk` bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet. (...) Daher sind weder ,die Deutschen`, noch ,die Juden` ein Tätervolk. Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts." (zit. auf www.kritische-solidaritaet.de).
Zur Erwähnung der Fußnote [21]
Vgl. H. K. Rupp (Anm. 9), S. 106f.
Zur Erwähnung der Fußnote [22]
Vgl. W. Benz (Hrsg.) (Anm. 12), S. 19.
Zur Erwähnung der Fußnote [23]
Martin Walser, Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Dankesrede beim Empfang des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 11.10. 1998, abgedruckt in: Frank Schirrmacher, Die Walser-Bubis-Debatte: eine Dokumentation, Frankfurt/M. 1999, S. 13. Weitere Zitate ebd., S. 11ff.
Zur Erwähnung der Fußnote [24]
Ignatz Bubis, Rede des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland am 9. 11. 1998 in der Synagoge Rykestraße in Berlin, in: ebd., S. 111.
Zur Erwähnung der Fußnote [25]
Hajo Funke/Micha Brumlik/Lars Rensmann, Einleitung, in: dies., Umkämpftes Vergessen. Walser-Debatte, Holocaust-Mahnmal und neuere deutsche Geschichtsschreibung, Berlin 2004, S. 9.
Zur Erwähnung der Fußnote [26]
Bereits 1988 hatten die Publizistin Lea Rosh und der Historiker Eberhard Jäckel einen Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas gegründet.
Zur Erwähnung der Fußnote [27]
Jürgen Habermas, Der Zeigefinger: Die Deutschen und ihr Denkmal, in: Die Zeit vom 31.3. 1999.
Zur Erwähnung der Fußnote [28]
So das Abstimmungsergebnis zu dem Antrag auf Verzicht des Mahnmal-Baus (BT-Drs. 14/981); vgl. BT-Protokoll 14/48, S. 4123.
Zur Erwähnung der Fußnote [29]
Vgl. Jochen Fischer, Erinnern oder Vergessen. Zur Erinnerungskultur nach der deutschen Einheit, in: H.K. Rupp (Anm. 9), S. 111 - 124.
https://www.bpb.de/
Vergangenheitspolitik: Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit
Die Frage, wie mit der NS-Vergangenheit umzugehen sei, war in der Bundesrepublik stets heftig umstritten und hat durch die Debatten um die DDR-Vergangenheit noch zusätzliche Brisanz bekommen. Norbert Frei untersucht das Problem für die politisch entscheidenden Jahre seit dem Neubeginn in Bonn und schildert, wie sich Bundesregierung und Parlament zu dem schon 1949 geforderten "Schlussstrich" unter die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit stellten.
Hans Globke
Hans Josef Maria Globke (* 10. September 1898 in Düsseldorf; † 13. Februar 1973 in Bonn) war ein deutscher Verwaltungsjurist, der während der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus im preußischen und im Reichsinnenministerium tätig war und von 1953 bis 1963 als Chef des Bundeskanzleramts unter Kanzler Konrad Adenauer wirkte. Er ist das prominenteste Beispiel für die Kontinuität der Verwaltungseliten zwischen dem „Dritten Reich“ und der frühen Bundesrepublik Deutschland.
Bereits während der Weimarer Republik wirkte Globke federführend an einer antijüdischen Änderung des Namensrechts mit, die der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung den Weg bereitete. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die Namensänderungsverordnung von 1938, durch die Juden als solche erkennbar gemacht und stigmatisiert werden sollten.
In der Adenauer-Ära war Globke als „graue Eminenz“ und engster Vertrauter des Kanzlers verantwortlich für Personalpolitik, Kabinettsarbeit, die Einrichtung und Kontrolle von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sowie für Fragen der CDU-Parteiführung. Zu seinen Lebzeiten wurde sein Einsatz für die nationalsozialistische Diktatur nur teilweise bekannt. Im In- und Ausland wurde er deshalb immer wieder scharf angegriffen, von der Bundesregierung, dem BND und der CIA aber stets geschützt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke
Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Das Auswärtige Amt und seine NS-Vergangenheit Höchste Zeit STEFAN BRAMS
28.10.2010 – 19:07
Bielefeld (ots)
Dieses Buch war überfällig. Ex-Außenminister Joschka Fischer ist dafür zu danken, dass er es auf den Weg gebracht hat - gegen heftigen Widerstand aus dem Auswärtigen Amt selbst. Dass der so vehement ausfiel, wundert angesichts der Forschungsergebnisse der Historikerkommission nicht. Die Diplomaten haben es nun schwarz auf weiß: Das Auswärtige Amt war, entgegen einer gern geübten Selbststilisierung als etwas Besonderes, Teil des nationalsozialistischen Herrschaftsapparats. Das alleine überrascht zwar noch nicht, aber das Ausmaß und die systematische und höchst eilfertige Verstrickung des "Amts" in die Judenvernichtung schon. Und das Buch erzählt noch eine andere Geschichte - die des Auswärtigen Amtes nach 1945. Die Historiker sezieren eine Maschinerie, die nach Kriegsende weitermacht, als sei nichts geschehen. Diplomaten, die tief in NS-Verbrechen verstrickt waren, blieben im Dienst. Ja das Amt betätigte sich gar als staatliche Hilfsstelle für Kriegsverbrecher. Dank dieser Studie ist den Leugnern und Geschichtsklitterern innerhalb und außerhalb des Amtes nun ein für alle Mal der Boden entzogen worden. Ministerien und Institutionen, die sich ihrer NS-Vergangenheit noch nicht gestellt haben, sollten sich diese Studie zum Vorbild nehmen.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
https://www.presseportal.de/pm/65487/1707505
Die „Kriegsverräter“ werden rehabilitiert
nicht rehabilitiert sind damit die Politiker, die diese Entscheidung 64 Jahre
hinausgezögert haben
Helmut Kramer 04.08.2009
Das Wichtigste vorweg: Die Todesurteile der Wehrmachtsjustiz gegen die sog. Kriegsverräter sollen endlich aufgehoben werden. Wenn der Bundestag nach der in größter Eile am 2. Juli eingeschobenen ersten Lesung in der Sondersitzung am 26. August 2009 das Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 entsprechend ergänzt haben wird, wird dieses Kapitel endlich juristisch aufgearbeitet sein. Ganz zur Tagesordnung übergehen darf man trotzdem nicht. Im Zeichen des von Politikern oftmals beschworenen „Lernens aus der Vergangenheit“ muss auch die Frage, wie wir in den 64 Jahren nach Kriegsende mit dem Unrecht umgegangen sind, zum Gegenstand der Aufarbeitung gemacht werden. Und zu dieser Auseinandersetzung gehört der fast bis in die letzten Tage anhaltende Versuch, die Rehabilitierung der Ermordeten bis zum Sankt Nimmerleinstag aufzuschieben. Hier soll nur die Entwicklung der letzten sieben Jahre rekapituliert werden...
https://www.kramerwf.de/
Hinrichtung von Marinesoldaten 1945
Sie wollten nicht mehr mitspielen, der Krieg war ja aus
Am 5. Mai 1945 verweigerten deutsche Marinesoldaten einen Einsatzbefehl - und wurden dafür erschossen. Nun gibt es ihnen zu Ehren eine Gedenkfeier. Einer der Initiatoren schildert den Fall.
Ein Interview von Annette Bruhns
08.09.2020, 11.28 Uhr
SPIEGEL: Am 5. Mai 1945 meuterten 20 deutsche Marinesoldaten in dänischen Gewässern. Elf wurden dafür noch in der Nacht auf See hingerichtet, obwohl die deutschen Streitkräfte am Tag zuvor ihre Kapitulation in Nordwesteuropa unterzeichnet hatten. Nun wird ihnen in Sonderburg ein Gedenkstein gewidmet, dort, wo die Unglücklichen mit Torpedoteilen versenkt wurden. Von wem ging die Initiative aus?
Matlok: Die Idee gab es schon lange, eine dänische Historikerin und der Pastor der deutschen Minderheit warben dafür, auch ich habe das immer unterstützt. Aber niemand biss richtig an, zumal in Dänemark manche befürchteten, Deutschland damit zu beleidigen.
Die SPIEGEL Gruppe ist nicht für den Inhalt verantwortlich.
SPIEGEL: Immerhin haben das DDR-Doku-Drama "Rottenknechte" von 1971 sowie Siegfried Lenz’ Erzählung "Ein Kriegsende" von 1984 die Erinnerung an diese Untat wachgehalten.
Matlok: Der als propagandistisch eingestufte DDR-Film war einer der Gründe, warum man sich bis zum Mauerfall mit dem Gedenken zurückhielt. Dazu muss man wissen, dass die Verantwortlichen für die Todesurteile nach dem Krieg nicht strafrechtlich belangt wurden, auch weil der Adjutant von Hitlers Nachfolger Karl Dönitz sich dafür verbürgte, diese hätten von der Kapitulation nichts gewusst. Damit wären sie schlechter informiert gewesen als ihre eigenen Matrosen! Zwei der Verantwortlichen machten sogar noch Karriere beim Staat. Die bundesdeutsche Justiz hat in vielen in den letzten Kriegstagen oder danach hingerichteten Meuterern nur Deserteure gesehen. Erst 2009 hat der Bundestag die letzten Todesurteile der Nazi-Kriegsgerichte gegen sogenannte Kriegsverräter aufgehoben.
SPIEGEL: Knappe Mittel können kein Grund für die lange Dauer gewesen sein: Der Gedenkstein hat kaum 7000 Euro gekostet. Wer hat ihn bezahlt?
Matlok: Die Kommune Sonderburg und die Deutsche Botschaft in Kopenhagen. Dass das jetzt endlich klappt, liegt auch am Jubiläumsjahr 2020, in dem die friedliche Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark vor 100 Jahren gefeiert wird.
SPIEGEL: Wer waren die Meuterer?
Matlok: Sie waren alle nicht älter als 24, und sie wollten nicht noch einen Kriegseinsatz im Osten fahren. Deshalb setzten sie den Kapitän fest, der Kurs Kurland ausgegeben hatte. Sie wollten "nicht mehr mitspielen", erklärten sie gegenüber den Besatzungen von zwei deutschen Schnellbooten: "Der Krieg ist ja aus." Diese enterten daraufhin das Minensuchboot; um 18.10 Uhr verhängte ein Standgericht die Todesurteile. Von den elf Leichen wurden nur sieben angeschwemmt und beigesetzt. Es ist ein peinliches Kapitel der bundesdeutschen Geschichte, dass 75 Jahre lang dieser Menschen nicht gedacht wurde. Umso mehr freue ich mich, dass zwei Schwestern der hingerichteten Soldaten zur Gedenkfeier kommen.
SPIEGEL: Erwartet werden von deutscher Seite der Militärattaché der Deutschen Botschaft und von dänischer der Bürgermeister von Sonderburg. Wie es mit Marinevertretern?
Matlok: Offiziell kommen keine, wegen Corona. Die dänische Marine soll wegen der Pandemie nicht an der Gedenkfeier teilnehmen, deshalb hält sich auch die deutsche zurück. Aber es haben sich Offiziere aus Flensburg als Gäste angemeldet.
https://www.spiegel.de/
neues deutschland: LINKE-Politiker fordern Gedenkort für sowjetische Kriegsgefangene
18.06.2015 – 16:00
nd.DerTag / nd.DieWoche
Berlin (ots)
Politiker der Linkspartei fordern einen zentralen Gedenkort für die 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Zweiten Weltkrieg in die Hände der Deutschen Wehrmacht fielen und von denen 3,3 Millionen in den Arbeits- und Vernichtungslagern des NS-Regimes ums Leben kamen. Der Vizefraktionschef im Bundestag, Jan Korte, und die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke sprachen sich gegenüber der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland" (Freitagausgabe) für eine Mahn- und Gedenkstätte in Berlin aus. Über Jahrzehnte sei die Opfergruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen ignoriert worden, so Korte. Ihre Anerkennung sei besonders dringlich, weil sie vielfach auch in der eigenen Heimat keine Rehabilitierung erfahren habe.
Mit der Entscheidung der Bundesregierung, zehn Millionen Euro zur Entschädigung der noch lebenden Kriegsgefangenen in den Haushalt einzustellen, sei ein Anfang getan. Darüber hinaus komme es jedoch auf eine begleitende Geste des Bundestages an, um das Bedauern Deutschlands für das schwere Leid der Betroffenen deutlich zu machen und als NS-Unrecht anzuerkennen.
Auf die Brüskierung vieler ehemaliger Kriegsgefangener macht Ulla Jelpke aufmerksam, deren Entschädigungsanträge bei der Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern des NS-Regimes abgelehnt worden waren. Umso mehr komme es nun auf eine rasche und unbürokratische Ermittlung der Anspruchsberechtigten und Auszahlung der Entschädigung an. Jelpke: "Jeden Tag sterben Anspruchsberechtigte." Die Linkspolitiker äußerten sich am Rande eines Fachgesprächs der Fraktion zum Vernichtungskrieg der Wehrmacht in Osteuropa.
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Das Amt
Die NS-Vergangenheit deutscher Behörden
Christian Mentel
Niels Weise
31.03.2017 / 14 Minuten zu lesen
Manche Frage erinnert an die Spitze eines Eisbergs. Im April 2005 fragte ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages die Bundesregierung: "In welchen Bundesministerien hat eine bzw. hat noch keine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit stattgefunden, und auf welche Weise ist diese jeweils erfolgt?" Im Namen der Regierung antwortete das Innenressort, die Bundesministerien verfügten aufgrund ihrer Gründung in den Jahren ab 1949 über keine "nationalsozialistische Vergangenheit", die der "Aufarbeitung" bedürfe. Zwar hätten "leider in einigen Fällen" Personen Zugang zu öffentlichen Ämtern erhalten, die aufgrund ihrer NS-Vergangenheit "ungeeignet" gewesen seien, aber dies sei bereits "Gegenstand umfassender historischer Untersuchungen geworden".Zur Auflösung der Fußnote[1]
Dies stand in deutlichem Widerspruch zur Auffassung des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Hier hatte man sich nämlich bereits angeschickt Historiker zu beauftragen, um die eigene NS-Vergangenheit untersuchen zu lassen. Denn die Frage, inwiefern verstorbene ehemalige Beschäftigte, die bereits in der NS-Zeit im Staatsdienst standen, weiterhin mit Nachrufen geehrt werden sollten, hatte die Aufmerksamkeit schon längst auf die Kontinuitätslinien zwischen den Behörden des NS-Staats und denen der Bundesrepublik gelenkt. Während für Außenminister Joschka Fischer feststand, "dass die Frage von geschichtlicher Kontinuität und Diskontinuität im AA nicht geklärt" sei, sah Innenminister Otto Schily für sein Haus hingegen keine Veranlassung, "eine historische Untersuchung vorzunehmen, die dem Eindruck Vorschub leistet, dass es hier eine Kontinuität gibt".Zur Auflösung der Fußnote[2]
Zwölf Jahre später mutet diese Frontstellung seltsam antiquiert an. An die 20 Bundesministerien und nachgeordnete Behörden haben seither einschlägige Forschungsprojekte mit vielen Millionen Euro finanziert und werden dies auch in den kommenden Jahren tun. Selbst das sich noch jahrelang sperrende Bundesinnenministerium lässt mittlerweile erforschen, welche Kontinuitäten es mit der NS-Zeit verbinden. Bei diesem wie allen anderen Projekten geht es aber keineswegs um das wissenschaftlich unergiebige reine "Zählen von Nazis". Eine solche quantitative Erfassung von Parteimitgliedern und anderen NS-Belasteten dient vielmehr als Datengrundlage für weitergehende Analysen. Dass die Zahl von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in Behörden in den 1950er Jahren mitunter deutlich höher war als in den 1930er Jahren, ist seit Langem bekannt. Erforscht wird jetzt vor allem, wie sich dies konkret auf das Amtshandeln auswirkte. Zudem macht sich die Forschung verstärkt daran, die Mechanismen und Prozesse zu untersuchen, mit denen auch schwer belastete Personen sich in die beiden deutschen Gesellschaften integrierten beziehungsweise integriert wurden.
Das steigende Bedürfnis, Klarheit über die Rolle der Behörden im NS-Staat zu erhalten und sich mit dem Tun der bald nach Kriegsende massenhaft wieder eingestellten Mitarbeiter und wenigen Mitarbeiterinnen zu befassen, machte deutlich, dass zu vielen Aspekten weder in der Breite noch in der Tiefe wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse vorlagen. Die Gelder, die daraufhin von mehr und mehr Behörden zur Verfügung gestellt wurden, führten alsbald zu einem regelrechten Boom der Behördenforschung. Dabei handelt es sich jedoch nicht um herkömmliche Forschungsprojekte wie beliebige andere auch. Zwar füllen auch diese Projekte Wissenslücken beispielsweise zum Ausmaß der Teilhabe der Behörden an NS-Verbrechen und verschaffen Aufklärung darüber, welche Traditionen überdauerten, wie das wieder eingestellte Personal die Behörden der Nachkriegszeit prägte und wie mit der NS-Vergangenheit amtsintern umgegangen wurde.
Zugleich dienen die Forschungsprojekte aber auch der geschichtspolitischen Standortbestimmung der Behörden, der Gesellschaft und des Staats insgesamt. Mit der Finanzierung solcher Forschungsarbeiten ist die Botschaft verbunden, dass die Behörden nunmehr Verantwortung übernehmen und ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten. Forschung und Aufarbeitung stehen demnach in einem komplexen Spannungsverhältnis zueinander. Auch wenn sich die jeweiligen Ziele teils überschneiden, sie mitunter voneinander abhängig und die Grenzen zwischen ihnen nicht immer klar zu ziehen sind – beide Seiten folgen unterschiedlichen Logiken. Das moralische Bekenntnis der Aufarbeitung ist nicht mit der methodisch kontrollierten Erkenntnis der Forschung gleichzusetzen, das Gebot des mitfühlenden Erinnerns nicht mit der wissenschaftlichen Tugend des kritischen Infragestellens.
Vorgeschichte
Die aktuelle Konjunktur der Behördenforschung nahm ihren Ausgang 2005. Im Juli, zwei Monate nach der eingangs zitierten Stellungnahme der Bundesregierung, berief das AA als erstes Bundesministerium eine bereits im April angekündigte Unabhängige Historikerkommission. Die Wissenschaftler wurden damit beauftragt, die Geschichte des AA "in der Zeit des Nationalsozialismus, den Umgang mit dieser Vergangenheit nach der Wiedergründung des Auswärtigen Amts 1951 und die Frage personeller Kontinuität bzw. Diskontinuität nach 1945" zu erforschen. Seitdem initiierten zahlreiche weitere Bundesministerien und nachgeordnete Behörden ähnliche Projekte. Ihre Zahl stieg rapide an, nachdem die Historikerkommission des AA 2010 ihren Abschlussbericht "Das Amt und die Vergangenheit" vorgelegt und sich eine kontroverse öffentliche Debatte darum entwickelt hatte. Immer mehr Bundesinstitutionen – zunehmend auch Einrichtungen der Länder und Kommunen – sahen die Notwendigkeit, sich der zumeist im Halbdunkel liegenden eigenen NS-Vergangenheit zuzuwenden und diese weiter ausleuchten zu lassen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Frage der NS-Vergangenheit von Behörden bundespolitische Bedeutung erlangt, und es wuchs das Bedürfnis nach Orientierung in einem bereits für Fachleute kaum noch zu überblickenden Forschungsfeld. Daher forderten 2011 zwei nahezu wortgleiche Anträge im Deutschen Bundestag, eine "Übersicht über bereits erfolgte Forschungen, laufende Projekte sowie bestehende Forschungslücken" erstellen zu lassen. Nachdem das Parlament im Jahr darauf eine solche Bestandsaufnahme beschlossen hatte, wurde die Studie 2015 am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam erarbeitet.Zur Auflösung der Fußnote[3] Den in diesem Beitrag zusammengefassten Befunden folgte ein mit vier Millionen Euro dotiertes Forschungsprogramm, das die zuständige Kulturstaatsministerin Ende 2016 ausschrieb und das Vorschläge zu bislang unberücksichtigten Behörden einschließlich des Bundeskanzleramts anregt.
Der seit Jahren anhaltende Boom der Behördenforschung hat Vorläufer. Bereits Ende der 1980er Jahre hatten bundesdeutsche Unternehmen, allen voran der Volkswagen-Konzern, Historiker damit beauftragt, ihre NS-Vergangenheit zu erforschen. Ab den 1990er Jahren folgten Bank- und Finanzhäuser wie die Allianz und die Dresdner Bank und andere nicht- oder halbstaatliche Einrichtungen und Körperschaften in unterschiedlicher Trägerschaft, darunter die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz oder der Deutsche Fußball-Bund. Entscheidend für den Aufschwung der historischen Auftragsforschung waren die imagegefährdenden Auseinandersetzungen um die Zwangsarbeiterentschädigung, drohende Sammelklagen und der damit verbundene ökonomische Druck auf die Unternehmen; auch der sich zeitgleich vollziehende generationelle Umbruch spielte eine bedeutende Rolle. Seit Mitte der 2000er Jahre tun sich nun vor allem staatliche Stellen als Geld- und Auftraggeber hervor und geben historische Gutachten, Forschungsüberblicke und Studien in Auftrag, unterstützen mit größeren und kleineren Summen einschlägige Forschungs-, Publikations- und Ausstellungsprojekte und berufen mehrköpfige, meist international und hochkarätig besetzte Historikerkommissionen.
Hatte diese Konjunktur ihren Ausgang noch auf der Bundesebene genommen, zogen bald Länder und Kommunen nach. Forschungsprojekte zur NS-Vergangenheit von Abgeordneten der Landtage und Bürgerschaften wurden und werden seit 2009 in Niedersachsen, Hessen, Bremen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Im Auftrag der jeweiligen Landtagsfraktionen der Partei Die Linke entstanden zudem kürzere Ausarbeitungen zu niedersächsischen, nordrhein-westfälischen, hessischen und saarländischen Landtagsabgeordneten. Seit 2014 und 2016 fördern Baden-Württemberg und Bayern Projekte zur Geschichte ihrer Landesministerien vor beziehungsweise nach 1945, und auch große, mittlere und kleine Städte wie etwa München, Münster, das hessische Eschwege und sogar 5000-Seelen-Gemeinden wie das badische Maulburg lassen die Geschichte ihrer Verwaltungen im Nationalsozialismus erforschen.
Projekte der Behördenforschung
Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts wurden oder werden rund 20 Forschungsprojekte von obersten Bundesbehörden (vor allem Bundesministerien) und ihren nachgeordneten oberen Bundesbehörden finanziert, weitere – wie etwa zur Bundesbank – sind in Planung. Trotz ihres auf den ersten Blick gleichen Gegenstands lassen sich die Projekte jedoch nur schwer miteinander vergleichen, ja noch nicht einmal die Gesamtzahl lässt sich wegen divergierender Organisationsstrukturen ohne Weiteres nennen. Zu groß sind die Unterschiede, die vom rechtlichen Rahmen, der finanziellen und personellen Ausstattung und Zusammensetzung und der praktischen Arbeitsorganisation bis hin zu inhaltlichen Aspekten reichen. Ebenfalls alles andere als einheitlich stellen sich die konzeptionellen Anlagen der Projekte, ihre methodischen Zugriffe und die grundlegende Forschungs- und Quellenlage dar.
Die Mehrzahl der Behörden hat die von ihnen berufenen Kommissionen beziehungsweise beauftragten Forscherinnen und Forscher selbst zusammengestellt – so die Bundesministerien für Arbeit, Äußeres, Finanzen, Forschung, Inneres, Justiz, Landwirtschaft, Verkehr, Wirtschaft, der Bundesnachrichtendienst, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und das Robert Koch-Institut. Nur wenige Einrichtungen wie das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesarchiv, das Bundeskriminalamt und der Bundesrechnungshof wählten den Weg der Ausschreibung von Fördergeldern, auf die sich Forscherinnen und Forscher mit Projektvorschlägen bewerben konnten. Einen Sonderfall stellt darüber hinaus die Forschungseinrichtung des Bundesverteidigungsministeriums, das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dar, das jedoch mit einem ungleich breiteren Forschungsauftrag ausgestattet ist.
Die enormen Unterschiede werden am eindrucksvollsten deutlich, wenn man die Rahmenbedingungen des kleinsten und größten Projekts nebeneinander stellt. Das kleinste Projekt, ein von einer Historikerin und einem Historiker innerhalb von sechs Monaten verfasster Forschungsüberblick zur antijüdischen Politik der Reichsbahn für das Bundesverkehrsministerium, schlug mit 25000 Euro zu Buche. Die sechsköpfige Geschichtskommission des Bundeswirtschaftsministeriums und ihre weiteren 19 Autoren, die die Geschichte der Wirtschaftspolitik von 1917 bis 1990 in vier deutschen Staaten untersuchten, hatten über einen Zeitraum von sechs Jahren hingegen die mehr als 150-fache Summe zur Verfügung, nämlich 3,9 Millionen Euro. So stehen einzelne Historikerinnen und Historiker neben teils großen Forscherteams und etablierte neben Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die ihre Doktorarbeiten im Rahmen der Projekte anfertigen. Entsprechend unterscheidet sich, wie die Ergebnisse erarbeitet und präsentiert werden – etwa in institutionengeschichtlichen monografischen Gesamtdarstellungen, Aufsätzen oder in selbstständigen Studien zu Teilaspekten und Detailfragen.
Gleichwohl sind die inhaltlichen Schwerpunkte nicht nur den finanziellen Möglichkeiten geschuldet. Einige Projekte befassen sich etwa ausschließlich mit der Zeit vor 1945, andere setzen erst nach 1945 an und reichen bis in die 1970er oder in die frühen 1980er Jahre, wieder andere sind so angelegt, dass sie die Zäsur von 1945 übergreifen. Das Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums spannt den Bogen sogar vom Ende des Kaiserreichs bis zur deutschen Einheit. Der andere deutsche Nachkriegsstaat, die DDR, findet lediglich in drei Projekten Berücksichtigung – dem des Innen- und des Wirtschaftsressorts sowie des Bundesarchivs. Hinzu kommen Studien der Ressortforschungseinrichtung der Bundeswehr zur Geschichte des DDR-Verteidigungsministeriums und der Nationalen Volksarmee. Die Rolle von Behörden und ihrem Personal im NS-Staat und ihr Anteil an seinen Verbrechen werden nur von einem Teil der Forschungsprojekte untersucht. Die Mehrzahl geht hingegen der Frage nach, wie die nationalsozialistische Diktatur in der Bundesrepublik, insbesondere in personeller und sachlicher Hinsicht, fortwirkte und wie hiermit umgegangen wurde.
Chancen und Risiken für die Wissenschaft
Die Behördenforschung, wie sie im Moment organisiert ist, zeichnet sich durch ihre Nähe zur Politik aus. Denn die Projekte werden nicht über die etablierten Formen der Forschungsförderung wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder Stiftungen vergeben und finanziert, sondern direkt durch die Behörden. Die Behörden selbst wählen die zu berufenden Historikerinnen und Historiker beziehungsweise die den Zuschlag erhaltenden Projekte aus und gewähren ihnen in den meisten Fällen privilegierten Aktenzugang, in vielen Fällen zum ersten Mal überhaupt. Mehr als bei anderen Projekten sind darum die vertraglich niederzulegenden gegenseitigen Rechte und Pflichten von besonderer Bedeutung. Denn auch wenn die Ziele von Politik und Wissenschaft sich in Anbetracht der zwei Logiken von Aufarbeitung und Forschung in Teilen überschneiden: identisch sind sie nicht. Gleichwohl steht außer Frage, dass sich die Wissenschaft solchen Projekten weder verschließen kann noch darf. Der ohnehin nur gelegentlich erhobene Vorwurf der Auftragsforschung im Sinne unwissenschaftlicher Hofgeschichtsschreibung ist zumeist auf populäre Genres im Bereich der Unternehmensgeschichte beschränkt.
Seit dem Aufschwung der Behördenforschung wird in der Fachwelt zunehmend über die Chancen und Risiken der Auftragsforschung und über deren Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaft diskutiert. Einhellig positiv bewertet wird etwa, dass solche Forschungsprojekte überhaupt erst den Zugang zu bislang versperrten Quellenbeständen ermöglichten und Forschungslücken schlossen. Dem stehen jedoch mehrere kritische Aspekte gegenüber, etwa die Einbindung der Forscherinnen und Forscher in die Imagepflege der Institutionen, der weitgehende Verzicht auf kompetitive Ausschreibungsverfahren bei der Projektvergabe und nicht zuletzt die Gefahr, dass die große Zahl strukturell ähnlich gelagerter Auftragsprojekte den Gang der Forschung beeinflussen könnte, da sie konventionelle Perspektiven stärkt und methodische Innovationen unter Umständen bremst. Auch wenn viele Forschungsprojekte die sich bietenden Freiräume zunehmend nutzen, neue Zugänge wählen und innovative Fragestellungen entwickeln, richtet sich die Auftragsforschung grundsätzlich eher an öffentlich akzeptierten Denkrahmen aus, als dass sie diese neu befragen würde.
Dies macht einen Abwägungsprozess sowohl auf Seiten der Projektgeber wie der Projektnehmer nötig. Denn direkte Finanzierungsformen besitzen einen stärker forschungslenkenden Effekt und stellen angesichts der angespannten finanziellen Lage im akademischen Betrieb eine nicht zu unterschätzende Einflussnahme dar.
Damit verbunden ist ein anderer bedeutender Aspekt, nämlich dass es ausschließlich in den Händen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu liegen hat, ein Forschungsprojekt inhaltlich auszugestalten, die konkrete Fragestellung zu entwickeln und über den zu publizierenden Text zu entscheiden. Bislang traf dies bei allen Projekten zu, sieht man von Ausnahmen wie dem Bundesnachrichtendienst ab, bei dem die Manuskripte vor Drucklegung aufgrund gesetzlicher Vorgaben auf schützenswerte Geheimnisse zu prüfen sind. Ein eng gefasster Forschungsauftrag oder gar eine vorgegebene Schematisierung von Fragestellungen und Ansätzen wären mit der Freiheit der Wissenschaft und einem ergebnisoffenen Forschungsprozess nicht in Übereinstimmung zu bringen. Als selbstverständlich hat auch zu gelten, dass die Publikationen der Behördenforschungsprojekte nicht als "amtliche" Geschichtswerke apostrophiert werden, mit denen der Prozess der Aufarbeitung beziehungsweise Erforschung der NS-Vergangenheit einer Institution abgeschlossen sei. Andere Historikerinnen und Historiker stellen andere Fragen an den Gegenstand und verfolgen andere Forschungsinteressen, die nicht weniger berechtigt und relevant sind.
Schon aus diesem Grund wäre ein exklusiver Quellenzugang ein grundsätzlich nicht hinnehmbarer Verstoß gegen fachliche Standards. Wo inhaltliche Aussagen und die zugrundeliegenden Quellen nicht überprüfbar sind, ist eine Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens verletzt. Entsprechend sollte Bedingung jedes Behördenforschungsprojekts sein, dass die Archivalien, die teilweise entgegen gesetzlicher Vorgaben noch hausintern verwahrt werden und die nicht verzeichnet sind, den fachlichen Standards entsprechend erschlossen und in öffentliche Archive überführt werden, um so ihre allgemeine Zugänglichkeit herzustellen und dauerhaft zu sichern.
Neue Forschungsperspektiven
Die bereits vorliegenden Ergebnisse der Behördenforschung haben in erheblichem Maße dazu beigetragen, das Wissen über die nationalsozialistische Herrschaft, besonders am Schnittpunkt von Verwaltung, Gesellschaft und Ideologie, und um deren Folgen für die neugegründete Bundesrepublik und die DDR zu erweitern – und dies wird auch für die momentan noch in Bearbeitung befindlichen und ebenso wohl auch für zukünftige Studien gelten. Das ist zum einen darin begründet, dass die Forschung in vielen Fällen bislang unzugängliche Quellen auswerten kann und in die Lage versetzt wird, Pionierstudien insbesondere zu den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zu erarbeiten. Zum anderen ermöglichen gerade die großen Projekte, Einzelstudien im Rahmen eines Gesamtkonzepts aufeinander abzustimmen, sodass die Forschenden erheblich von Synergieeffekten profitieren konnten und können.
Nach über zehn Jahren der auf den Nationalsozialismus bezogenen Behördenforschung und elf ganz oder teilweise abgeschlossenen Projekten lassen sich einige allgemeine Perspektiven aufzeigen, wie die zukünftige Behördenforschung aus wissenschaftlicher Sicht weiterhin sinnvoll und vielversprechend fortgesetzt werden könnte. Zunächst wären hier systemübergreifende längere Untersuchungszeiträume und vergleichende Ansätze zu nennen. Studien, die über die Zäsuren von 1933 und 1945/49 hinweg blicken, können behördenspezifische Wendepunkte besser ausmachen und das Ausmaß von Kontinuität und Diskontinuität eruieren, etwa hinsichtlich fortbestehender Konzepte und Praktiken, stabiler oder sich wandelnder Mentalitäten oder anderer Prägungen. In diesem Zusammenhang wäre das Augenmerk verstärkt auf die bislang weitgehend unberücksichtigte DDR zu richten. Hier wäre etwa die Grundannahme zu prüfen, dass es einen kompromisslosen Bruch mit der NS-Vergangenheit gegeben habe, und zu untersuchen, inwieweit sich in den Behörden der DDR ältere Verwaltungstraditionen fortsetzten. Nicht zuletzt ließe sich auch der Transformationsprozess nach 1990 hinsichtlich der Adaptions- und Integrationsfähigkeit von Beamten nach Systemwechseln befragen und in Beziehung zu denjenigen von 1933 und 1945/49 setzen.
Entscheidend wäre auch, die Forschung künftig weniger institutionell am Raster von Behörden, Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen auszurichten, sondern sich stärker an übergreifenden Themen zu orientieren. Eine solche Ausweitung würde das Problem der Abgrenzung von Staat und Partei im Nationalsozialismus und in der DDR auflösen und stärker auf das Geflecht aus staatlichen, nicht-staatlichen oder quasi-staatlichen Parteiinstitutionen und Akteuren sowie auf Verbände und ähnliches hinlenken. Erleichtert würde auch die Untersuchung von Kontinuitäten zur Zeit vor 1933 und nach 1945, gerade wenn die ministerielle Zuständigkeit wechselte.
Vielversprechend wären zudem übergreifende Querschnittsstudien, die in vielerlei Hinsicht neue Einblicke eröffnen würden. Etwa als Kollektivbiografien von Ministern und Staatssekretären unterschiedlicher Ministerien, als vergleichende Analyse beispielsweise der Personalpolitik und in Hinsicht auf behördenübergreifende Netzwerke und Karrierewege von Beamten. Ähnlich ertragreich erscheinen Studien, die nicht nur eine einzelne Behörde in den Blick nehmen, sondern exemplarisch die nachgeordneten Stellen der verschiedenen Hierarchieebenen einbeziehen. Denn gerade unteren Behörden konnte durch ihren direkten Kontakt zur Bevölkerung, durch ihre praktische Auslegung von Gesetzen und ihre Ermessensspielräume mitunter eine größere und eigenständigere Bedeutung zukommen, als dies ihre bloße Stellung vermuten ließe.
Weiterhin verspricht eine exemplarische Ausweitung des Fokus von Einrichtungen des Bundes auf diejenigen der Länder und Kommunen von Vorteil zu sein, denn damit würde den vielfältigen Bezügen und Verflechtungen Rechnung getragen. Ähnlich wie das politisch festgelegte Behördenraster nicht unhinterfragt den Rahmen von wissenschaftlichen Forschungsprojekten vorgeben sollte, sollte auch die Beschränkung entweder auf die Bundes-, Landes- oder Kommunalebene nicht von vornherein die Reichweite von Fragestellungen begrenzen. Darüber hinaus scheinen auch supranational vergleichende Ansätze insbesondere mit denjenigen Ländern fruchtbar zu sein, die vor 1945 faschistisch oder nationalsozialistisch beherrscht wurden – etwa Italien, Österreich und Vichy-Frankreich. Aber auch Vergleiche mit den Verwaltungen ehemals besetzter Länder beziehungsweise der unter deutschem Einfluss stehenden Satellitenstaaten versprechen weitere Einblicke in den Umgang anderer Staaten mit Verwaltungsangehörigen, die als Kollaborateure des NS-Staats fungierten.
Zukünftige Entwicklung
Trotz der positiven bisherigen Entwicklung der Behördenforschung ist also zu problematisieren, wie und mit welchen Gegenständen sie grundsätzlich fortschreiten sollte. Dass eine flächendeckende Erforschung sämtlicher staatlicher Institutionen auf allen Verwaltungsebenen weder umsetzbar noch zielführend ist, ist ein Gemeinplatz. Bislang wies das Vorgehen der Behörden aber genau diese Tendenz auf: Eine geldgebende Institution nach der anderen förderte Forschungsprojekte ausschließlich zur eigenen Geschichte. So wenig diesen Einrichtungen das Interesse an ihrer speziellen NS-Vergangenheit und die Berechtigung abgesprochen werden darf, zu ihrer Erforschung Gelder bereitzustellen, so sehr ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aus geschichtswissenschaftlicher Sicht andere Prioritäten zu setzen wären.
Nicht jede Behörde ist nämlich allein deswegen zu erforschen, weil dies bislang noch nicht geschehen ist, nun aber finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das Interesse der Forschung liegt vielmehr in allgemeineren und übergreifenden Aussagen hinsichtlich der Nachkriegsentwicklung in beiden deutschen Staaten und nicht in der immer kleinteiligeren und isolierteren Untersuchung einzelner Einrichtungen. Anders als die Verwaltung geht die Geschichtswissenschaft zudem nicht in erster Linie von den heute bestehenden Institutionen, sondern vielmehr von den in einem bestimmten Zeitraum existierenden Behörden aus, die später unter Umständen aufgelöst wurden und keine Nachfolgeeinrichtung fanden. Allen voran sind dies die Institutionen der DDR, aber auch Einrichtungen der Bundesrepublik wie das 1969 abgewickelte Vertriebenenministerium oder das Reichspropagandaministerium des NS-Staats.
Die zeitgeschichtliche Disziplin profitiert einerseits erheblich von dem großen öffentlichen Interesse und der Auseinandersetzung mit der jüngeren und jüngsten Geschichte. Andererseits muss sie sich trotz des starken Drucks, Forschungsgelder einzuwerben, davor hüten, zu einem "Aufarbeitungsdienstleister" zu werden, der Aufträge übernimmt, die aus wissenschaftlicher Perspektive unergiebig sind. Das 2016 ausgeschriebene "Forschungsprogramm zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zentraler deutscher Behörden" besitzt durch sein Ziel, "übergreifende, querschnitthafte und vergleichende Fragestellungen" anzuregen, das Potenzial, zweierlei gerecht zu werden: sowohl die Innovationskraft der Forschung zu stimulieren als auch dem gesellschaftlichen Aufarbeitungsinteresse Genüge zu tun.Zur Auflösung der Fußnote[4] Bald wird man sehen, welche Forschungsarbeiten damit angeregt wurden – noch im Herbst 2017 soll das auf drei Jahre angelegte Programm starten.
https://www.bpb.de/
DEUTSCHLAND
Ehemaliges Arbeitslager wird Flüchtlingsheim
Die Stadt Schwerte will Flüchtlinge auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers unterbringen. Der Bürgermeister verteidigt das, andere Politiker sind entsetzt. Aus Schwerte Carla Bleiker.
Datum 16.01.2015
Autorin/Autor Carla Bleiker, Schwerte
Mehr und mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland - und mehr und mehr Kommunen in Deutschland wissen nicht mehr so recht, wohin mit ihnen. In einigen Städten werden Asylbewerber in Turnhallen gequetscht, in anderen protestieren Anwohner - oder gewaltbereite Rechtsextremisten - gegen die Unterbringung.
In der westdeutschen 46.000-Einwohner-Stadt Schwerte in Nordrhein-Westfalen dachten Politiker und Stadtverwaltung, sie hätten eine gute Lösung gefunden. Mit dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit, die ihnen entgegenschlug, als herauskam, dass Flüchtlinge auf dem Gelände eines ehemaligen Nazi-Arbeitslagers untergebracht werden sollen, hatten sie nicht gerechnet.
Auf einer Pressekonferenz am Freitag sagte Bürgermeister Heinrich Böckelühr, dass die Stadtverwaltung aus Überzeugung an der Entscheidung festhält. "Der Vorwurf, wir in Schwerte seien geschichtslos und unsensibel, hat Rat und Verwaltung getroffen. Das entbehrt insbesondere vor dem Hintergrund der gelebten Willkommenskultur hier jedweder Grundlage", sagte der Bürgermeister. "Die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften, Wohncontainern oder Turnhallen ist nach unserem Verständnis einer gelingenden Integration kaum vertretbar."
PK Stadtrat Schwerte. (Foto: Carla Bleiker/ DW)
Bürgermeister Böckelühr im Rathaus - mehr Medieninteresse gab es in Schwerte wohl noch nie
Negative Presse
Die umstrittene zukünftige Flüchtlingsunterkunft liegt auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Schwerte-Ost, einer Außenstelle des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald. Hier errichteten die Nazis ein "Fremdarbeiterlager", in dem bis zu 701 Menschen schufteten. Bis Januar 1945 mussten sie unter grausamen Bedingungen für das größte Ausbesserungswerk der Reichsbahn Lokomotiven reparieren.
Die Barracken, in denen Gefangene und Wachleute lebten, sind lange abgerissen. Nach Beginn der negativen Berichterstattung gab die Stadt beim Westfälischen Denkmalamt eine Studie in Auftrag, um die genauen bauhistorischen Hintergründe des Geländes festzustellen. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Gebäude, die sich heute auf dem Gelände des ehemaligen KZ befinden, erst in den späten 1950er Jahren erbaut wurden. Die Flüchtlinge werden also nicht in ehemaligen Gefangenenbaracken wohnen.
Die elf Männer aus Guinea, Marokko, Ägypten und Bangladesch werden in ein Haus ziehen, das vorher bereits einen Kindergarten und ein Künstleratelier beherbergt hat. Weitere zehn Männer sollen folgen, sobald alle Räumlichkeiten fertig renoviert sind.
Verstecktes Mahnmal
Das zukünftige Flüchtlingsheim sieht von außen ziemlich heruntergekommen aus. Es ist eine gute Viertelstunde Autofahrt vom Rathaus im Stadtzentrum entfernt und liegt in einem Gewerbegebiet, gegenüber von einer lauten Fabrik. Supermärkte, Wohnhäuser in direkter Nachbarschaft oder andere Möglichkeiten, wo Flüchtlinge "alteingesessene" Bewohner kennenlernen könnten, gibt es nicht - für Integrationszwecke ist das schlecht.
Um das Mahnmal für die Zwangsarbeiter, die im Außenlager des KZ Buchenwald gestorben sind, zu erreichen, muss man etwa 100 Meter an der Hauptstraße entlang gehen. Dann biegt man rechts auf einen kleinen Weg ein. Nach wenigen Schritten steht man dann vor einem kurzen Stück Eisenbahnschienen. Sie liegen auf den steinernen Körpern von fünf Männern. Einer von ihnen hat den Mund zu einem stummen Schmerzensschrei verzogen, der Kopf eines anderen ist nur noch ein knochiger Schädel.
Schwerte Flüchtlingsunterkunft Gelände Außenlager ehem. KZ Buchenwald
Das Mahnmal für die Zwangsarbeiter des Außenlagers des KZ Buchenwald errichtete die Stadt 1990
Kritik von der Landesregierung
Die Landesspitze Nordrhein-Westfalens findet die Entscheidung, Flüchtlinge in solcher Nachbarschaft unterzubringen, nicht verständlich. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nannte sie "kein gutes Zeichen". Sie bat die Stadtverwaltung, ihre Entscheidung noch ein mal "zu bedenken und abzuwägen".
Bürgermeister Böckelühr ist von der Einmischung nicht begeistert: "Bei allem Respekt, wir brauchen keine Hinweise von der Ministerpräsidentin, sondern wenn dann konkrete Vorschläge: Wenn wir die Flüchtlinge nicht so unterbringen sollen, wie dann?"
Hannelore Kraft. (Foto: REUTERS/Thomas Peter)
Hannlore Kraft ist von der Unterbringung alles andere als begeistert
Schwerte ist verschuldet und hat mit der Unterbringung einer wachsenden Anzahl von Flüchtlingen zu kämpfen. Zur Zeit befinden sich 173 Flüchtlinge in den drei bis zum Anschlag gefüllten Übergangsheimen. Allein zwischen Oktober 2014 und dem 15. Januar 2015 wies das Land Nordrhein-Westfalen Schwerte 64 Personen zu.
Ruinierter Ruf?
Die Frage, ob die Männer, die auf das ehemalige KZ-Gelände ziehen, über die Vergangenheit ihres neuen Zuhauses informiert werden, konnte niemand auf der Pressekonferenz am Freitag abschließend beantworten.
Der Schwerter Jens Kritzler findet das besorgniserregend. Der 33-Jährige sagt, dass diese wichtige Information den Flüchtlingen nicht vorenthalten werden dürfe: "Wenn sie sagen: 'Ist uns egal, Hauptsache, wir haben eine gute Bleibe', dann ist es okay."
Daniel Schumacher, ein Schwerter, der in Dortmund eine Diskothek betreibt, kritisiert, dass die Stadt das Gelände erst einer historischen Untersuchung unterzog, nachdem die Presse das Thema bereits aufgegriffen hatte. Auch die Pressekonferenz habe zu spät stattgefunden. "Die Stadt hat gar nicht agiert, sondern musste reagieren", sagte der 28-Jährige. "Sie hat einen politischen Faux-pas begangen."
Der Club-Betreiber sorgt sich um den Ruf seiner Heimatstadt. Nicht nur die Presse in Deutschland berichtete negativ über Schwerte, beschwert sich Schumacher - die Nachricht schaffte es bis nach Ozeanien. Der "New Zealand Herald" brachte die Schlagzeile über Flüchtlinge im "Nazi concentration camp" am Mittwoch.
https://www.dw.com/de/ehemaliges-arbeitslager-wird-fl%C3%BCchtlingsheim/a-18197222
Steuermilliarden für Naziverbrecher - Deutsches Recht macht Täter zu Opfern
von Bericht: John Goetz und Volker Steinhoff
Das Erste | Panorama | 30.01.1997 | 21:00 Uhr
Anmoderation:
PATRICIA SCHLESINGER
Alle reden über Renten - wir auch. Wenn Adolf Hitler heute noch lebte, könnte er zusätzlich zu seiner normalen Rente eine sogenannte "Opferrente" bekommen. Ja, Sie haben richtig gehört, er gälte nach heutiger Gesetzgebung als Opfer, weil er bei einem Attentatsversuch verletzt wurde, und dafür bekäme er Geld, unter Umständen mehrere tausend Mark monatlich - unser Steuergeld. Diese Opferrente beziehen viele der noch lebenden Nazi-Verbrecher oder deren Angehörige. Hier, bei uns in Deutschland, wurden die Täter nicht nur von der Nachkriegsjustiz oftmals geschont, sondern zu Opfern erklärt, und dafür werden sie noch heute verdammt gut bezahlt.
Opferrente für Naziverbrecher
Deutsches Recht macht Täter zu Opfern: Viele ehemalige SS-Angehörige, darunter Kriegsverbrecher, bekommen Opferrente.
Nach monatelangen Recherchen präsentieren meine Kollegen John Goetz und Volker Steinhoff eine unfaßbare und zynische Geldverschwendung.
KOMMENTAR:
Karneval in Ochtendung. Jahrelang hatten die heiteren Rheinländer bei Koblenz einen respektierten Mann als Präsident. Sein Name: Wolfgang Lehnigk-Emden. Der Mann ist ein Mörder.
0-Ton
WOCHENSCHAU:
"Ein von Banden besetztes Dorf wird in Brand geschossen."
KOMMENTAR:
Lehnigk-Emden, vor über fünfzig Jahren als Leutnant der Wehrmacht.
0-Ton
GERHARD SCHREIBER: (Militärhistoriker)
"Herr Lehnigk-Emden muß als Kriegsverbrecher und Mörder bezeichnet werden, denn er ließ in Italien 15 Frauen und Kinder, wehrlose Personen, die auch keinerlei Gegenwehr leisteten, unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung niedermetzeln."
KOMMENTAR:
Nie wurde Lehnigk-Emden für seine nachgewiesenen Morde bestraft - wegen Verjährung, sagt der Bundesgerichtshof. So wurde aus dem von der Justiz verschonten Mörder plötzlich für die Behörden ein Opfer, denn Lehnigk-Emden leidet an einer leichten Beinverletzung von damals.
Dafür bekommt der wohlhabende Rentner bis heute jeden Monat neben seiner normalen Rente zusätzlich 708,- Mark, eine sogenannte "Opferrente".
Noch ein sogenanntes Opfer. In diesem Haus in Barsbüttel bei Hamburg lebt ein weiterer gut versorgter Zusatzrentner. Auch er will nicht mit uns sprechen, genau wie alle anderen.
Ein heimlich gedrehtes Video zeigt den Schweigsamen: Wilhelm Mohnke - ehemaliger SS-Hauptsturmführer in der Leibstandarte Adolf Hitler. Seine monatliche Opferrente bekommt er für einen verletzten Fuß. Mohnke war einer der letzten engen Vertrauten Hitlers. Wegen der Erschießung von 72 amerikanischen Soldaten, die sich vorher ergeben hatten, gilt er für die US-Regierung als Kriegsverbrecher und darf das Land nicht betreten.
0-Ton
ELI ROSENBAUM: (Übersetzung) (US-Justizministerium)
"Es gibt sehr gute Beweise für Wilhelm Mohnkes persönliche Beteiligung an Nazi-Kriegsverbrechen."
KOMMENTAR:
Seine Zusatzrente bekommt Mohnke vom Versorgungsamt Lübeck in Schleswig-Holstein. Auch dieser Täter profitiert von der Freizügigkeit des Gesetzes.
0-Ton
RUDOLF PETEREIT: (Versorgungsamt Schleswig-Holstein)
"Nach der derzeitigen Gesetzeslage ist die Tatsache, daß jemand Verbrechen begangen hat, kein Grund, ihn von der Kriegsopferversorgung auszuschließen."
KOMMENTAR:
Bis heute ist kaum bekannt, daß diese Täter von damals und viele andere auch heute Opfer geworden sind, die Anspruch auf eine staatliche Entschädigung haben.
0-Ton
IGNATZ BUBIS: (Zentralrat der Juden)
"Ich habe in dem irren Glauben gelebt, daß es für diese Leute keine Versorgungsrenten gibt, aber das war wohl ein Irrglaube."
KOMMENTAR:
Geregelt ist dieser Skandal im Bundesversorgungsgesetz. Voraussetzung ist lediglich: irgendeine Kriegsverletzung und Mitgliedschaft in Wehrmacht oder Waffen-SS. Selbst eingezahlt haben die Empfänger keinen Pfennig. Das Geld kommt von den rund 100 Versorgungsämtern, aus Steuermitteln. Mal zahlen sie ein paar hundert Mark, mal mehrere tausend pro Monat an die Opferrentner, egal ob Kriegsverbrecher oder nicht.
SS-Veteranen in Lettland. Sie gehören zu den weltweit über eine Million Opferrentnern, die derzeit noch Steuergelder bekommen. Die meisten sind keine Kriegsverbrecher, aber:
0-Ton
GERHARD SCHREIBER: (Militärhistoriker)
"Es erscheint mir statthaft, fünf Prozent der ehemaligen Wehrmacht- und Waffen-SS-Angehörigen als Kriegsverbrecher bzw. als Angehörige von belasteten Einheiten einzuordnen."
KOMMENTAR:
Fünf Prozent von gut einer Million Opferrentnern würde bedeuten: 50.000 Belastete und Kriegsverbrecher bekommen bis heute jeden Monat ihre Zusatzrente. Diese Kriegsverbrecher sind teuer, nicht nur die in Lettland. Sicher ist der Großteil der Opferrentner nicht belastet. Weltweit gibt der Staat für alle Opferrentner 12 Milliarden 775 Millionen Mark aus, allein im letzten Jahr. Die geschätzten fünf Prozent davon sind rund 637 Millionen, die an belastete Opferrentner gehen. Seit dem Krieg sind so mehrere Milliarden Steuergelder für Opferrenten an NS-Verbrecher bezahlt worden, weil es im Gesetz keinen Ausschluß für sie gibt. Verantwortlich für dieses Versorgungsgesetz ist das Bundesarbeitsministerium. Auch hier ist man wegen der PANORAMA-Recherchen bestürzt.
0-Ton
JOSEF HECKEN: (Bundesarbeitsministerium)
"Jeder einzelne Kriegsverbrecher, der heute eine Leistung erhält, jede einzelne Hinterbliebene, die eine solche Leistung erhält, tut mir persönlich weh."
KOMMENTAR:
Doch geändert hat man seit fast fünfzig Jahren gar nichts. Dabei gehören Opferrenten für NS-Verbrecher bei den Versorgungsämtern zum Alltag.
0-Ton
RUDOLF PETEREIT: (Versorgungsamt Schleswig-Holstein)
"Ja, ich kann mich erinnern an einen Fall eines ehemaligen KZ-Bewachers, der jedenfalls an den Greueltaten, die dort begangen wurden wie Totbaden der Juden im Winter oder Aufhängen im Beisein der ganzen Lagerinsassen - jedenfalls anwesend war. Er wurde dann bei Kriegsende gefangen genommen, wurde wie andere Soldaten auch in ein Gefangenenlager gesteckt, mußte dort auf dem kalten Steinfußboden schlafen. Später hatte er einen Nierenschaden und behauptete, daß der Nierenschaden von dem Schlafen auf dem kalten Steinfußboden entstand."
KOMMENTAR:
Der KZ-Wärter beantragte eine Opferrente für zehn Tage Gefangenschaft in einem kalten Zimmer. Das Amt lehnte ab, doch der KZ-Wärter gewann vor Gericht.
0-Ton
RUDOLF PETEREIT:
"Wir mußten Versorgung gewähren, weil es für solche Leute keinen Ausschlußtatbestand gibt."
KOMMENTAR:
Opferrente für einen KZ-Wärter.
Ein anderer Fall: Früher war Thies Christophersen Leutnant im KZ Auschwitz, nach dem Krieg wurde er dann zum Opferrentner, blieb aber seiner Gesinnung treu.
0-Ton
THIES CHRISTOPHERSEN: (Auschwitz-Leugner)
"Ich habe ein Buch geschrieben, das heißt 'Die Auschwitzlüge', und das ist in Deutschland verboten."
KOMMENTAR:
Die "Auschwitzlüge", also das Leugnen der Gaskammern, wurde quasi zu einer Bibel der Neonazis, der mehrfach vorbestrafte Christophersen zur bekannten Ikone. Der Steuerzahler finanzierte seine Hetze unfreiwillig mit, denn auch Christophersen kassierte jahrelang Opferrente.
0-Ton
IGNATZ BUBIS: (Zentralrat der Juden)
"Die Begriffe sind schlimm, wenn ein Opfer hört, daß der Begriff des Opfers bei ihm nicht vorhanden ist, aber sein Bewacher als Opfer gesehen wird, dann ist das Hohn."
KOMMENTAR:
Mit den wirklichen Opfern geht der deutsche Staat anders um. Während keiner der Angehörigen von Wehrmacht und Waffen-SS wegen Verbrechen ausgeschlossen werden kann, ist das bei den KZ-Überlebenden ganz anders, da reicht schon eine Kleinigkeit. Für sie gilt das Bundesentschädigungsgesetz, und da gibt es Ausschlußgründe.
Zum Beispiel Kurt Baumgarte. Er hat den Volksgerichtshof und das KZ Fuhlsbüttel überlebt. Über zehn Jahre saß er in Einzelhaft, oft geschlagen und angekettet an Händen und Füßen. Seine Entschädigungsanträge nach dem Krieg wurden immer wieder abgelehnt - mit der gleichen Begründung.
0-Ton
KURT BAUMGARTE: (KZ-Überlebender)
"Da steht wörtlich folgendes drin: 'Baumgarte wurde 1935 verhaftet und 36 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Wiedergutmachungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz stehen ihm aber nicht zu, weil er sofort nach 1945 wieder Funktionär der KPD war.'"
KOMMENTAR:
Keine Entschädigung bis heute. Das gilt für viele Kommunisten aus den KZs.
Es gibt noch mehr Unterschiede zwischen dem Gesetz für Hitlers Opfer und dem für Hitlers Kämpfer. Die Naziopfer durften Anträge nur bis 1969 und nur in den Ländern des Westens stellen, Hitlers Kämpfer hingegen können Anträge ewig und weltweit stellen.
Dieser Unterschied macht sich auch finanziell bemerkbar. Während nach dem Enschädigungsgesetz letztes Jahr 1,8 Milliarden Mark an die wirklichen Opfer gezahlt wurden, waren es für Hitlers Kämpfer sieben mal so viel: 12,7 Milliarden Mark - alles aus Steuergeldern, allein im letzten Jahr.
Knapp die Hälfte dieser Summe geht an Witwen, darunter auch die von Hitlers oberstem Blutrichter Freisler, damals Präsident des Volksgerichtshofes. Die wohlhabende Witwe bekommt bis heute eine monatliche Zusatzrente von mehreren hundert Mark, weil ihr Mann durch eine Bombe starb. Begründung für die Zusatzrente: Ihr Mann hätte nach dem Krieg Karriere gemacht und entsprechend verdient.
0-Ton
JOSEF HECKEN: (Bundesarbeitsministerium)
"Im Falle Freisler ist seinerzeit unterstellt worden, daß Herr Freisler irgendeine Funktion bei normalem Verlauf seiner Berufskarriere als Jurist vergleichbar einem Rechtsanwalt oder ähnliches erreicht hätte."
KOMMENTAR:
Noch einmal: Eine Opferrente aus Steuermitteln bis heute für die Witwe, weil der Blutrichter im Nachkriegsdeutschland Karriere gemacht hätte.
Opferrente auch für die verstorbene Witwe von Reinhard Heydrich. Der Planer des Holocaust starb durch ein politisches Attentat. Begründung für die Opferrente: auch das sei ein Kriegseinsatz gewesen.
Nicht nur im Inland, auch im Ausland ist Deutschland spendabel, etwa bei diesen lettischen SS-Legionären. Aber, sagt die Bundesregierung, Kriegsverbrecher bekommen nichts, wegen des "Ausschlußtatbestands Ausland".
0-Ton
JOSEF HECKEN: (Bundesarbeitsministerium)
"Es hat den Ausschlußtatbestand Ausland seit 1950 gegeben. Der Ausschlußtatbestand Ausland ist seit 1950 geltendes Recht."
KOMMENTAR:
Die Realität ist eine andere. Keines der für's Ausland zuständigen Versorgungsämter kannte diese Vorschrift, als PANORAMA vor Ort recherchierte. Keinem einzigen der Belasteten im Ausland wurde bisher die Opferrente entzogen. Entsprechend groß die Freude.
0-Ton
BORIS MICHAILOW: (SS-Rentner)
"Großer Dank deutsche Regierung, daß uns nicht vergessen. Wir haben nicht gedacht, daß kommt einmal solche Zeit. Hier wir waren nichts."
KOMMENTAR:
Freude auch in den USA. In dieser netten Wohngegend bei Chicago wohnt ein weiterer Opferrentner. Er kann es sich leisten. Kazys Ciurinskas. Bisher hat der US-Bürger 186.000 Mark Steuergelder aus Deutschland für einen verletzten Arm kassiert. In den USA ist er zur Zeit wegen der Teilnahme an Naziverbrechen angeklagt. Die Einheit des Opferrentners beteiligt sich 1941 in Weißrußland an der Erschießung Tausender Juden und Kommunisten. Für deutsche Behörden auch er ein Opfer. Die Opferrente für Kriegsverbrecher im Ausland ließe sich theoretisch jetzt schon stoppen. Doch für Fälle in Deutschland müßte das Gesetz geändert werden. Aber das sei unmöglich, sagt das Arbeitsministerium.
0-Ton JOSEF HECKEN: (Bundesarbeitsministerium)
"Wir heute können diese Fälle nicht mehr korrigieren wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbotes, so gern wir es auch täten."
KOMMENTAR:
Seit 47 Jahren haben die großen Parteien nichts getan. Nun sind sie, von PANORAMA damit konfrontiert, moralisch empört, behaupten aber oft, nichts davon gewußt zu haben. Jetzt endlich verabschiedet sich die mitregierende FDP aus dieser großen Koalition der angeblich zum Nichtstun Verurteilten.
0-Ton GISELA BABEL: (FDP, Bundestag)
"Es ist natürlich möglich. Wir sind nach eingehender Diskussion der Problematik der Meinung, daß wir im innerstaatlichen Recht, also für die Inländer, einen Ausschlußtatbestand einführen müssen. Der Ausschlußtatbestand müßte so wirken, daß ein Weiterzahlen von Leistungen an Personen, die Kriegsverbrechen begangen haben, ausgeschlossen werden sollte."
KOMMENTAR:
Auch die Grünen fordern eine Gesetzesänderung.
0-Ton VOLKER BECK: (Bündnis 90/Grüne)
"Wir meinen, Kriegsverbrecher und ehemalige Mitglieder Waffen-SS haben keinen Anspruch auf eine Kriegsopferversorgung, und sie von einer Kriegsopferrente auszuschließen, das ist auch juristisch möglich. Verzichten auf diesen Ausschluß kann man allenfalls bei denjenigen Mitgliedern der Waffen-SS, die zwangsrekrutiert wurden."
KOMMENTAR:
Eine Gesetzesänderung würde den Steuerzahlern nicht nur viel Geld sparen, sie ist auch moralisch geboten, erst recht, solange es Opfer der Nazis gibt, die ohne Entschädigung bleiben, wenngleich sie Jahrzehnte zu spät käme. Die Morde von Lehnigk-Emden hatten bisher nur eine Konsequenz: Seinen Posten als Karnevalspräsident hat er verloren - seine Opferrente bekommt er weiter, jeden Monat.
Abmoderation:
PATRICIA SCHLESINGER
Seit 47 Jahren werden Opferrenten wie selbstverständlich an Naziverbrecher gezahlt, ohne Ausnahme. Vor wenigen Stunden hat das Bundesarbeitsministerium zwei Kriegsverbrechern die Opferrente gestrichen. Schon erstaunlich, was unsere Nachfragen so bewirken können.
Dieses Thema im Programm:
Das Erste | Panorama | 30.01.1997 | 21:00 Uhr
https://daserste.ndr.de/panorama/
Haben die Deutschen aufgrund ihrer Vergangenheit eine besondere Verantwortung gegenüber den anderen Völkern?
Umfrage zur besonderen Verantwortung Deutschlands aufgrund der Vergangenheit
Veröffentlicht von Statista Research Department, 26.01.2012
Die Grafik zeigt das Ergebnis einer Umfrage zum Bestehen einer besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber anderen Völkern aufgrund der deutschen Vergangenheit. 31 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Deutschen aufgrund ihrer Vergangenheit eine besondere Verantwortung gegenüber anderen Völkern haben.
https://de.statista.com/
Analysen und Berichte
Die Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus
Das BMF hat eine unabhängige Historiker-Kommission beauftragt, die Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus (NS) zu erforschen.
In insgesamt sechs Teilprojekten werden Funktion und Tätigkeit des Ministeriums mit Beiträgen zur Behördengeschichte und zur Finanzpolitik, aber auch zum Mitwirken an nationalsozialistischen Verfolgungs- und Raubmaßnahmen im In- und Ausland beleuchtet.
Die Forschungsergebnisse machen deutlich, dass das Reichsfinanzministerium und seine Angehörigen nicht fachlich neutral arbeiteten, sondern tief in das Wirken des nationalsozialistischen Unrechtsregimes verstrickt waren.
Die Idee für das Projekt
Das BMF ist seit den Anfängen der Bundesrepublik mit Fragen der Wiedergutmachung von NS-Unrecht befasst. In den Verfahren der Wiedergutmachung ging es in vielen Einzelfällen immer wieder darum, historische Vorgänge und Sachverhalte aufzuklären, um Verfolgte des NS-Regimes angemessen entschädigen zu können. Überdies ging es im Zusammenhang mit der deutschen Einheit um Fragen der Wiedergutmachung, aber auch um die Prüfung, ob vermögensrechtliche Ansprüche abzulehnen sind, weil Anspruchsteller selbst in staatliches Unrecht verstrickt waren. Aus dieser fachlichen Verantwortung besteht im BMF seit jeher eine besondere Kenntnis und Verantwortung hinsichtlich der deutschen Vergangenheit und deren Nachwirken bis in die Gegenwart.
Das Auswärtige Amt hatte im Jahr 2005 aufgrund einer in die Kritik geratenen Nachrufpraxis für ehemalige Angehörige eine Historiker-Kommission berufen, um klären zu lassen, in
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welchen historischen Zusammenhängen das eigene Haus steht und insbesondere, ob und in welchem Umfang sich mögliche personelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit bis in die frühe Bundesrepublik nachzeichnen lassen. Angesichts dieses Forschungsauftrags entstand im BMF der Wunsch, die bisherige Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit auf eine systematischere und wissenschaftlich gesicherte Basis zu stellen. Es ging vor allem um die Frage, auf welche Weise und in welchem Ausmaß die Vorgängerverwaltung in die Verfolgung und Beraubung von Menschen unter der NS-Herrschaft verstrickt war. Um dies zu klären, sollte die Funktion und die Tätigkeit des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus, also im Zeitraum von 1933 bis 1945, durch eine Historiker-Kommission untersucht werden.
Der Beginn des Projekts
Aufgabe eines Ministeriums ist es grundsätzlich, sich in seiner Zuständigkeit mit den drängenden Problemen der Gegenwart zu befassen, sie zu erkennen und nach Möglichkeit zu lösen. Die Untersuchung der eigenen Vergangenheit, insbesondere die wissenschaftliche Erforschung der Tätigkeit von Vorgängerbehörden, gehört hingegen nicht zu den üblichen Aufgaben eines Ministeriums. Für ein solches „fachfremdes“ Projekt eine überzeugende Lösung zu finden, ist daher eine besondere Herausforderung. Ausgangspunkt für die Überlegungen und Planungen zu einem derartigen Projekt war, dass die Untersuchung strengen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen sollte und die beauftragten Wissenschaftler nicht nur eine umfassende Unterstützung bei ihrer Forschungstätigkeit erhalten, sondern dass sie auch völlig unabhängig von Vorgaben oder Weisungen des Ministeriums arbeiten sollten.
Zur Umsetzung des Projekts sollten Historiker mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten angesprochen werden, um die Geschichte des Reichsfinanzministeriums unter möglichst vielen Aspekten beleuchten zu können. Dazu gehören Experten für Finanz- und Verwaltungsgeschichte, aber auch Experten für die Zeit des Nationalsozialismus. Mit
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Unterstützung und Beratung durch Ansprechpartner bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gelang es, eine Kommission zu verpflichten, die diesen Anforderungen entspricht. Um die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Kommission von vornherein sicherzustellen, beschränkte sich die thematische Vorgabe des BMF auf die zu untersuchende Behörde und den zu untersuchenden Zeitraum – das Reichsfinanzministerium in der Zeit von 1933 bis 1945. Die konkret aufzuwerfenden Fragestellungen und die Schwerpunkte der Forschungsarbeiten sollten hingegen durch die Kommission selbst bestimmt werden.
Der Startschuss für das Projekt fiel daher im Juni 2009 mit einer wissenschaftlichen Tagung, in der die Mitglieder der Kommission gemeinsam mit anderen eingeladenen internationalen Wissenschaftlern und Experten, etwa Vertretern des Bundesarchivs, über die Themen und Fragen diskutierten, die Gegenstand des Projekts werden könnten. Unter Einbeziehung der hierbei gesammelten Erkenntnisse wurde dann von den Mitgliedern der Historiker-Kommission ein Forschungskonzept erstellt, das alle nach ihrer Einschätzung wesentlichen zu erforschenden Bereiche enthielt. Neben einer umfassenden „Behördengeschichte“ des Ministeriums wurden einzelne Politik- und Tätigkeitsbereiche als weitere Teilprojekte zur Erforschung ausgewählt. Ein wichtiger Schwerpunkt sind die Verfolgungsmaßnahmen gegen jüdische Bürger und sogenannte Feinde des Reichs, wie Sinti und Roma, Gewerkschafter aber auch verfolgte politische Gegner. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Rolle des Reichsfinanzministeriums in den ab 1939 besetzten Gebieten Europas. Schließlich sollte die Verschuldungs- und Steuerpolitik des Reichsfinanzministeriums näher untersucht werden. Das Gesamtprojekt wurde daher in sechs Teilprojekte unterteilt. Mit der Forschungsarbeit wurde jeweils ein einzelner, von der Kommission ausgewählter wissenschaftlicher Bearbeiter beauftragt, der diese im Rahmen einer Promotion beziehungsweise Habilitation leisten sollte. Die Kommission koordiniert die Arbeiten. Die einzelnen Teilprojekte werden in den kommenden Monatsberichten von den Bearbeitern vorgestellt.
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Mitglieder der Historiker-Kommission
Prof. Dr. Jane Caplan, Oxford
Prof. Dr. Ulrich Herbert, Freiburg
Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, München
Prof. Dr. Werner Plumpe, Frankfurt
Prof. Dr. Adam Tooze, Yale
Prof. Dr. Hans-Peter Ullmann, Köln (Sprecher der Kommission)
Prof. Dr. Patrick Wagner, Halle
Die Durchführung des Projekts
Derzeit liegen abgeschlossene und veröffentlichte Studien zu zwei Teilprojekten vor: Von Prof. Dr. Christiane Kuller unter dem Titel „Bürokratie und Verbrechen“ und von Dr. Jürgen Kilian unter dem Titel „Krieg auf Kosten anderer“. Weitere Teilprojekte stehen kurz vor dem Abschluss und der Publikation. Entgegen der ursprünglichen Planung musste der Projektzeitraum, der im Jahr 2009 zunächst auf drei bis vier Jahre angelegt war, deutlich erweitert werden.
Die Gründe hierfür waren vielfältig, zwei Beispiele seien exemplarisch genannt: Ob und in welchem Umfang das Reichsfinanzministerium überhaupt eine Rolle in den besetzten Gebieten gespielt hat, war zu Beginn der Projekts kaum bekannt. Es waren zunächst umfangreiche Vorstudien erforderlich, um entscheiden zu können, ob hier ein lohnendes Forschungsgebiet zu erschließen war. Dass dies der Fall ist, macht die Studie von Jürgen Kilian deutlich. Folgen wird in diesem Bereich die Studie von Ramona Bräu zum Generalgouvernement. Eine entgegengesetzte Erkenntnis erbrachte die Beschäftigung mit
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der Rolle des Reichsfinanzministeriums bei der Verschuldung des Deutschen Reichs. Hier wurde deutlich, dass das Ministerium nur eine untergeordnete Funktion hatte, die entgegen der ursprünglichen Vermutung eine eigene Studie nicht ergiebig erscheinen ließ.
Zeitlich aufwendiger als zunächst gedacht waren auch die Erschließung und die Sichtung der einschlägigen Quellenbestände. Für die systematische Darstellung des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus waren nicht nur die bisherigen wissenschaftlichen Studien und Erkenntnisse auszuwerten, sondern es musste auch auf bisher unerschlossene Quellen in Deutschland, aber auch im Ausland zurückgegriffen werden. Damit war der Fortgang des Projekts auch abhängig vom Auffinden und der Zugänglichkeit dieser Quellen. Erschwerend kam hinzu, dass größere Aktenbestände des Reichsfinanzministeriums in Berlin im Zusammenhang mit Kriegsereignissen verloren gegangen sind oder vernichtet wurden, sodass immer wieder Lücken in der Überlieferung zu verzeichnen waren. Die Bedeutung des Projekts
Bei der Veröffentlichung der letzten Teilstudien – voraussichtlich im Jahr 2019 – wird die Bundesrepublik 70 Jahre alt sein. Mancher mag daher bedauern, dass eine umfassende Darstellung des Reichsfinanzministeriums in der Zeit der Nationalsozialismus erstmalig zu diesem Zeitpunkt vorliegen wird, auch wenn zahlreiche Einzelstudien zeigen, dass die Finanzverwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus auch bisher schon durchaus Gegenstand der Forschung war.
Andererseits lässt sich positiv hervorheben, dass sich unsere Zeit dieser Aufgabe stellt. Der aktuellen Generation von Historikern kommt dabei zugute, dass sich nach 1989 neue Zugänge zu Archiven und Aktenbeständen ergeben haben, sich die Quellenlage also teilweise deutlich verbessert hat. Auch die wissenschaftliche Herangehensweise an dieses Thema entspricht den Kenntnissen und Entwicklungen unserer Zeit. Für das BMF ist es wichtig, ein
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Projekt zu unterstützen, das in diesem Umfang ohne die gezielte Förderung durch das Ministerium vermutlich kaum auf den Weg gebracht worden wäre. Die Hoffnung ist, dass zukünftige historische Forschung, die wieder neue Fragen aufwerfen wird, auf den hierbei gesammelten Erkenntnissen aufbauen kann.
Im Herbst 2018 werden noch nicht alle Teilprojekte veröffentlicht sein, da zum Teil noch universitäre Verfahren zu durchlaufen sind, die Forschungsergebnisse werden aber Teil einer Abschlusstagung mit internationalen Wissenschaftlern sein, die die gewonnenen Erkenntnisse auch in einen größeren Rahmen stellen wird.
Bisherige Veröffentlichungen im Rahmen des Projekts:
Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen
Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland
De Gruyter Oldenbourg 2013, ISBN 978-3-486-71659-7
Jürgen Kilian, Krieg auf Kosten anderer
Das Reichsministerium der Finanzen und die wirtschaftliche Mobilisierung Europas für Hitlers Krieg
De Gruyter Oldenbourg 2017, ISBN 978-3-11-044974-7
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Opfergedenken in Europa
Die Vergangenheit einer Nation oder einer Gesellschaft ist nie einfach nur da. Sie hat auch große politische Bedeutung in der Gegenwart. Geschichte und Geschichtspolitik werden in Europa immer wichtiger, so die Grundthese eines Sammelbandes zum Thema.
Von Cornelius Wüllenkemper | 16.09.2013
„Sie haben sich für diesen Besuch entschlossen, was Sie ehrt. Und uns zugleich verpflichtet, nachdem wir die Vergangenheit akzeptiert haben, mutig die Zukunft vorzubereiten. Frankreich und Deutschland haben eine besondere Verantwortung in Europa. Unsere Länder sind in der Lage, Schrecken und Krieg zu überwinden, in Frieden zu leben und ein Ideal zu verwirklichen, nämlich Europa.“
François Hollande Anfang September bei einem Besuch in Oradour-Sur-Glane. An seiner Seite: Bundespräsident Joachim Gauck. Er ist der erste deutsche Politiker, der gemeinsam mit einem französischen Präsidenten das Dorf im Zentralmassiv besucht. 1944 hatte die deutsche Waffen-SS fast die gesamte Bevölkerung des Dorfes ermordet. Der Besuch des Bundespräsidenten an diesem Ort des Schreckens, die gemeinsame Geste der Versöhnung – das war auch ein Akt der Geschichtspolitik. Welche Funktion solch gemeinsames Erinnern hat, welche Rolle Mahnmale oder Gedenkfeiern spielen, wie mit der politischen Vergangenheit, mit der Täter- und der Opferrolle in verschiedenen europäischen Ländern umgegangen wird – all das ist Thema des vorliegenden Sammelbandes.
Etienne François, emeritierter Geschichtsprofessor an der Pariser Sorbonne und der Freien Universität Berlin, hat ihn gemeinsam mit Historikern aus Deutschland und Polen herausgegeben. Es kann in Europa keine einheitliche Erinnerung geben, so der Tenor des Buches. Und doch werde die Deutung der Vergangenheit immer wichtiger für die Schaffung einer europäischen Identität. Diese Entwicklung sei gerade seit 1989 zu beobachten. Etienne François betont:
„erstens, dass die Debatten über den Umgang mit der Vergangenheit als ein Politikum in ihrer Intensität zugenommen haben. Und das Zweite, dass diese Debatten, auch wenn sie überwiegend in einem nationalen Rahmen stattfinden, immer weniger rein national sind, und immer eine europäische und transnationale Dimension haben.“
Als 1989 der eiserne Vorhang fiel und die osteuropäischen Länder ihre nationale Souveränität zurückerhielten, da entbrannten in vielen dieser Staaten auch erbitterte Deutungskämpfe um die eigene Geschichte, die zum Teil bis heute geführt werden.
Aber nicht nur die lange unterdrückten nationalen Identitäten und Erinnerungen sind umstritten. Zur Debatte steht auch eine Hierarchie des Leids: Da sind die Opfer von Nationalsozialismus und Holocaust auf der einen Seite und die Opfer des Stalinismus auf der anderen Seite. Am 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2005 stritt darüber sogar das Europäische Parlament. Über die Konkurrenz der Opfer schreibt der polnische Historiker Wlodzimierz Borodziej:
„Nie zuvor nahmen Menschengruppen, die Unrecht erlitten haben, eine derart wichtige Stellung in der europäischen Gesellschaft ein, wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zum Zuge kommen keineswegs vorrangig jene, die von Historikern als Leidtragende identifiziert worden sind, sondern mitunter jene, die aus innen- oder außenpolitischen Gründen der Konjunktur oder der medialen Wirksamkeit in den Mittelpunkt rücken.“
Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow spricht gar von den „postheroischen Gesellschaften“ Europas, die sich nicht über ihre Helden identifizieren, sondern über die Opfer ihrer Geschichte. Der Opferdiskurs, so ist im Aufsatz des belgischen Historikers Pieter Lagrou zu lesen, sei das Phantom von Gesellschaften,
„die von der Vergangenheit besessen sind und in Nostalgie versinken und denen es an Projekten und Utopien fehlt. Wir sollten uns ehrlich fragen: Geht es beim europäischen Projekt heute nur noch darum, die Vergangenheit zu konservieren und Identitäten zu erfinden. Oder handelt es sich nicht doch um eines der spannendsten und zukunftsweisendsten Projekte des 21. Jahrhunderts?“
Europa, das wird bei der Lektüre des Sammelbandes klar, besteht aus einzelnen, in sich extrem vielschichtigen, nationalen Identitäten. In Frankreich scheiterte der Versuch, die Erinnerung an die Kolonialgeschichte per Gesetz zu dekretieren, am heftigen Protest aus Historikerkreisen und Gesellschaft. Die polnische Gesellschaft streitet bis heute über die aktive oder passive Haltung des Landes während der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg. Auch Portugal, die Ukraine oder die Tschechische Republik werden in ihrer jeweiligen Besonderheit abgebildet. Deutschland erscheint in einer widersprüchlichen Rolle: Einerseits als Land der Täter und Urheber des Holocaust – die Erinnerung an dieses singuläre Verbrechen ist heute so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner europäischer Geschichtspolitik. Zugleich gelten Deutschlands Umgang mit der Vergangenheit und die Aufarbeitung von zwei Diktaturen als vorbildlich. Der Bezugspunkt Holocaust, die Bedeutung von Zeitzeugen, die Opferkonkurrenz und die zunehmende strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die als Täter gelten, dies sind die gemeinsamen Linien europäischer Geschichtspolitiken. Die Schwierigkeiten bei der Absicht des Europäischen Parlaments, im Jahr 2015 in Brüssel das „Haus der Europäischen Geschichte“ zu eröffnen, fasst Etienne François in einem brillanten Schlusskapitel zusammen:
„Die Vorstellung, es könnte im großen, im Aufbau befindlichen Europa so etwas wie eine gemeinsame Erinnerung geben, ist eine törichte! Es genügt festzustellen, dass die Erinnerungskulturen, die Formen der Debatte über die Vergangenheit, anders sind. Was Europa als Institution machen kann, ist, dazu beizutragen, dass breit darüber diskutiert wird auf europäischer Ebene.“
Ungeachtet einiger thematischer Wiederholungen und der zum Teil schwankenden Qualität der Texte findet der Leser in diesem Sammelband äußerst spannende, politisch geradezu verwegene Ideen zur Identität unseres Kontinents. Sie heben sich erfrischend ab von dem, was uns in Zeiten der Rettungsfonds und Bankenpleiten als europapolitische Vision und Identitätskitt unserer Gemeinschaft verkauft wird. Zugleich erinnern die 22 Beiträge daran, dass Europa ein Experiment der kompromissreichen Vereinigung von Einzelstaaten ist, die jeweils auf unterschiedliche Weise die gleiche Geschichte erlebt haben.
Buchinfos:
Etienne Francois, Kornelia Konczal, Robert Traba, Stefan Troebst (Hrsg.): „Geschichtspolitik in Europa seit 1989: Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich“, Wallstein Verlag, 560 Seiten, Preis: 42,00 Euro, ISBN: 978-3-835-31068-1
https://www.deutschlandfunk.de/opfergedenken-in-europa-100.html
3. YouTube-Videos zur NS-Vergangenheitsbewältigung
03.02.2023 - Nationalsozialismus: Schwierige Aufarbeitung in den Kommunen | Kontrovers | BR24
BR24
90 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beginnt die Aufarbeitung in Bayern mancherorts erst jetzt. Teilweise gibt es Widerstand, vor allem wenn es um die Vergangenheit der eigenen Stadt oder Gemeinde geht. Kontrovers hat die NS-Aufarbeitung und ihre Folgen in Kempten im Allgäu beobachtet: Die Gesellschaft war dort tiefer in den Nationalsozialismus verstrickt als bisher bekannt war.
https://www.youtube.com/watch?v=6_MTCSVrVfU
Podiumsdiskussion: Über Täterschaft und Mitläufertum in der eigenen Familiengeschichte
15. März 2022, Dienstag, 19:00 Uhr
Deutsches Hygiene-Museum, Großer Saal
Podiumsdiskussion im Rahmen der Wanderausstellung „Einige waren Nachbarn“
Teilnehmer:innen:
Prof. Dr. Stefan Kühl, Organisationssoziologe, Universität Bielefeld, Autor u. a. von "Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust", Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, forscht u. a. zu den organisationssoziologischen Voraussetzungen von Täterschaft.
Dr. Sabine Moller, Gedächtnisforscherin, Humboldt-Universität zu Berlin, Mitautorin (zus. mit Harald Welzer und Karoline Tschugnall) von "Opa War kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis" (Frankfurt 2002), forscht zu Tradierung und Geschichtsbewusstsein in Schulen, Familienerinnerung, Spielfilmen und Ausstellungen in der NS-Zeit und der DDR an der Humboldt-Universität Berlin..
Dr. Jens-Christian Wagner, Historiker, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er fordert, dass wir die Begrifflichkeit des Erinnerns anders definieren und dass die Erinnerungskultur mehr auf Reflektion gerichtet wird. Er bezeichnet die jetzige Erinnerungskultur als eine Wohlfühlkultur.
Moderation:
Jan Feddersen, Redakteur, taz und Kurator des taz lab und taz TALK
Ralph Giordano | Warum Erinnern wichtig ist (NZZ Standpunkte 2012)
NZZ Standpunkte
Wenn aus einer schrecklichen Vergangenheit gelernt werden soll, dann muss man sich dieser erinnern, darf sie nicht verdrängen. Das Erinnern an den Holocaust ist das bekannteste Beispiel dafür. Doch Erinnerung kann verblassen. Der deutsche Journalist, Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano hat sein Leben lang gegen das Vergessen und Verdrängen nationalsozialistischer und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekämpft. Mit ihm unterhalten sich NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann und Marco Färber über Notwendigkeit und Schwierigkeit des Erinnerns, über das Aussterben der Zeitzeugen und wie Erinnerung dennoch weitergetragen werden kann.
Manfred Görtemaker: Umgang mit der NS-Vergangenheit
zeitzeugen-portal
Der Historiker Manfred Görtemaker spricht über die fehlende Traumabewältigung und die Verdrängung der NS-Vergangenheit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Das braune Netz: Willi Winkler im Gespräch mit Werner Bührer
vhs im Norden des Landkreises München e.V.
Das braune Netz
Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde
Willi Winkler, SZ, im Gespräch mit Prof. Werner Bührer
Sie hatten ihre Karriere im Dienste des NS-Staates begonnen - und setzten sie bruchlos in der neuen Bundesrepublik fort. So bereitwillig sie der braunen Ideologie gedient hatten, so engagiert traten sie nun für die Demokratie ein. Kriegsgerichtsräte fällten wieder ihre Urteile, einst regimetreue Professoren lehrten und die Journalisten aus den früheren Propagandakompanien schrieben, als hätten sie sich nichts vorzuwerfen. Damit gewann der junge Staat zwar politische Handlungsfreiheit zurück, gründete seinen Erfolg aber auf einen moralischen Widerspruch, der nicht aufzulösen war: Die Demokratie wurde mitaufgebaut von ihren Feinden.
Zum 70. Geburtstag der Bundesrepublik hatte Willi Winkler eine schonungslose Betrachtung ihrer Frühgeschichte vorgelegt. Mitreißend und faktengesättigt beschreibt er, wie der westdeutsche Staat trotz all seiner Zerrissenheiten zum Erfolgsmodell wurde - und er zeigt, welchen Anteil vermeintlich oder tatsächlich geläuterte Nazis daran hatten. Eine Parabel über Schuld und Scham, über Bewältigung und Versöhnung, und zugleich eine zwingende Lektüre für alle, die dieses Land von Grund auf verstehen wollen.
Willi Winkler, geboren 1957, war Redakteur der "Zeit", Kulturchef beim "Spiegel" und schreibt heute für die "Süddeutsche Zeitung". Er ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen "Die Geschichte der RAF" (2007), "Der Schattenmann" (2011), "Deutschland, eine Winterreise" (2014) und "Luther. Ein deutscher Rebell" (2016). 1998 erhielt Willi Winkler den Ben-Witter-Preis, 2010 den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus, 2013 den Michael-Althen-Preis.
Das Gespräch mit Willi Winkler führt Dr. Werner Bührer, em. Professor für Zeitgeschichte an der TU München.
In Kooperation mit der Gemeindebibliothek Ismaning.
50 Jahre „Radikalenerlass“ – Geschichte und Aktualität einer umstrittenen Maßnahme
Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung
50 Jahre „Radikalenerlass“ – Geschichte und Aktualität einer umstrittenen Maßnahme: Der „Radikalenerlass“ gilt bis heute als eine der umstrittensten politischen Maßnahmen der Brandt-Regierung. Vortrag von Dominik Rigoll ( @Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung) und Diskussion mit Alexandra Jaeger (FZH Hamburg), Liane Bednarz und @Helge Lindh (@SPD). Moderation: Korbinian Frenzel (@Deutschlandfunk)
Timeline:
00:00:00 Einführung und Begrüßung Kristina Meyer (Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung)
00:02:07 Vortrag Dominik Rigoll
00:23:30 Interview mit der Zeitzeugin Dorothea Vogt, geführt von Korbinian Frenzel
00:40:26 Podiumsdiskussion Dominik Rigoll (ZZF Potsdam), Alexandra Jaeger (FZH Hamburg), Liane Bednarz, Helge Lindh (SPD), Korbinian Frenzel (Deutschlandfunk).
Zu Beginn des Livestreams gab es technische Probleme. Hier finden Sie die Einführung von Kristina Meyer zum Nachlesen:
In die Zeit zwischen Willy Brandts Vereidigung als Bundeskanzler im Herbst 1969 und seinem Rücktritt im Frühjahr 1974 fielen zahlreiche außenpolitische Wegmarken und innenpolitische Reformen, an die viele Mitlebende jener Auf- und Umbruchsjahre mit positiven oder gar nostalgischen Gefühlen zurückdenken. Positive Erinnerungen und Gefühle weckt der Jahrestag des sogenannten „Radikalenerlasses“ vom 28. Januar 1972 aber wohl bei den wenigsten, denn er gilt bis heute als eine der umstrittensten Maßnahmen aus der Regierungszeit der sozial-liberalen Koalition. Mit ihrem Beschluss wollten Bundeskanzler Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder den Eintritt von politischen Extremisten in den öffentlichen Dienst verhindern. Sämtliche Bewerberinnen und Bewerber, aber auch bereits Eingestellte wurden fortan durch eine individuelle Regelanfrage beim Verfassungsschutz dahingehend überprüft, ob ihre politischen Aktivitäten und Mitgliedschaften auf eine verfassungsfeindliche Einstellung schließen ließen. Auch wenn der ursprüngliche Beschluss auf links- und rechtsradikale „Verfassungsfeinde“ gleichermaßen zielte, waren in den siebziger und achtziger Jahren jedoch vor allem Mitglieder der 1968 neu gegründeten DKP und anderer linker Organisationen von den Folgen jener Maßnahme betroffen, die für viele einem Berufsverbot gleichkam.
Willy Brandt bezeichnete den „Radikalenerlass“ schon wenige Jahre später als „Irrtum“. Er wies aber auch auf einen bis heute selten thematisierten Hintergrund der Entscheidung hin: Ohne die Neue Ostpolitik und die innenpolitische „Schlacht, die um sie geführt wurde“, sei der Beschluss nicht zu verstehen, so Brandt 1989. War die Maßnahme also auch ein Versuch, den heftigen innenpolitischen Streit über die sozial-liberale Politik der Verständigung mit den kommunistischen Staaten Osteuropas durch eine Maßnahme zur Extremistenabwehr im eigenen Land zu entschärfen? Aber auch die Langzeitwirkung und Gegenwartsrelevanz des Beschlusses von 1972 möchten wir in den Blick nehmen: Welche Folgen zeitigte der „Radikalenerlass“ für den Umgang des Staates mit „Verfassungsfeinden“ von links und rechts, für die Bereitschaft zu politischem Engagement in der Gesellschaft, aber auch für das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland? Wie hat sich der „Radikalenerlass“ auf das berufliche Fortkommen und die soziale Lage derjenigen ausgewirkt, die von ihm konkret betroffen waren – und wie kann und sollte ihren Forderungen nach Rehabilitierung und Entschädigung heute Rechnung getragen werden? Was hatte der „Extremistenbeschluss“ eigentlich mit der unzureichend „bewältigten“ NS-Vergangenheit zu tun? Und nicht zuletzt: Wie stellt sich das Für und Wider eines solchen „Radikalenerlasses“ heute dar, im Lichte der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz und der möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Verbleib von Mitgliedern der Partei ebenso wie von Angehörigen bereits gänzlich als rechtsextrem geltender Organisationen im öffentlichen Dienst?
Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung online:
Webseite: https://willy-brandt.de/
Hitlers Geheimwaffen Chef Hans Kammler
Twinx Cäppy
Hitlers mächtiger Geheimwaffen-Chef Hans Kammler wurde 1948 von einem deutschen Gericht für tot erklärt. Angeblich beging der SS-General am 9. Mai 1945 Selbstmord. Doch neueste Quellenfunde widerlegen die amtliche Version.
Ein auf den 30. Mai 1945 datiertes Dokument des Geheimdienstes der US-Luftwaffe listet eine Reihe hochrangiger deutscher Kriegsgefangener auf, die zum Verhör zur Verfügung stehen: neben Albert Speer und Hermann Göring auch Hans Kammler – drei Wochen nach dessen angeblichem Tod. Im November 1945 ordnete der Geheimdienstchef der U.S.-Luftstreitkräfte in Europa an, Kammler aufgrund seines Wissens über die wichtigsten bombensicheren unterirdischen Rüstungsanlagen zu vernehmen, da Erkenntnisse darüber für künftige mit Raketen und Atombomben geführten Kriege von Bedeutung sein könnten.
Weitere Dokumente belegen die weitreichenden Zuständigkeiten des SS-Generals bei den Geheimprojekten: Raketen, Atomenergie und Düsenflugzeuge. Zudem kontrollierte er ein Netz wichtiger Rüstungsstandorte unter Tage und Forschungseinrichtungen.
Ein brisanter Fall: Denn Hans Kammler war nicht nur für neueste Waffensysteme zuständig. Der SS-General und promovierte Architekt hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die Errichtung von Konzentrationslagern und den systematischen Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen, der Zehntausende Opfer forderte. Er war ein "Technokrat des Todes" und wurde als Kriegsverbrecher bei den Nürnberger Prozessen offenbar nur deshalb nicht zur Verantwortung gezogen, weil er einer Siegermacht als Wissensträger dienen konnte.
Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kammler
Der NS-Staat: Getragen von der Bevölkerung - Dr. Götz Aly, 16.02.2009 | AusdemArchiv (039)
Stiftung Demokratie Saarland SDS
"Während des Zweiten Weltkrieges verwandelte die Regierung Hitler den Staat in eine Raubmaschine ohne Beispiel. Die große Mehrheit der Deutschen stellte sie mit einer Mischung aus sozialpolitischen Wohltaten, guter Versorgung und kleinen Steuergeschenken ruhig. Die Kosten dieser Gefälligkeitsdiktatur hatten Millionen von Europäern zu tragen, deren Besitz und Existenzgrundlagen zum Vorteil der deutschen Volks- und Raubgemeinschaft enteignet wurden. Der Autor zeigt, wie die Erlöse aus dem Verkauf von jüdischen Vermögen überall in Europa in die deutsche Kriegskasse flossen und damit auch in die Taschen der Soldaten.
Wer von den vielen Vorteilen für Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen."
- Aus dem Klappentext des Buches „Hitlers Volksstaat“
Referent:
Dr. Götz Haydar Aly, geb. 1947, studierte Politische Wissenschaft und Geschichte. Er arbeitete für die taz, die Berliner Zeitung und als Gastprofessor. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 2003 den Marion-Samuel-Preis und 2012 den Ludwig-Börne-Preis. Zuletzt veröffentlichte er „Warum die Juden? Warum die Deutschen? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800–1933“ (2011), „Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück“ (2008), „Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel“ (mit Michael Sontheimer 2007), „Volkes Stimme. Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus“ (mit Frankfurter Studenten 2006) und „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ (2005). Er gehörte bis 2010 zu den Begründern und Herausgebern der Quellenedition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945“.
Gedenkstunde im Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus
tagesschau
Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau, wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Im Deutschen Bundestag findet eine Gedenkstunde mit prominenten Redner:innen statt, darunter in diesem Jahr die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Holocaust-Überlebende, Charlotte Knobloch, sowie die Publizistin Marina Weisband. An der Gedenkstunde nehmen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel teil.
Josef Bürckel - Nationalistische Herrschaft und Gefolgschaft in der Pfalz - Teil 2
OK-TV Ludwigshafen
Sektion I
Eine "Bombe mit verkürzter Zündschnur". Der Konflikt zwischen Josef Bürckel und SS-Standartenführer Theodor Eicke 1930/33
(Dr. Niels Weise, Würzburg)
Ministerpräsident Ludwig Siebert und die Pfalz 1933 - 1942 (Dr. des. Daniel Rittenauer, München)
Machtsicherung und Netzwerke Bürckels (Dr. Franz Maier, Speyer)
Historische TV-Sendungen über den Zweiten Weltkrieg
Wie Deutschland entnazifiziert wurde - Dokumentarfilm "Die kleinen Nazis" (1981)
Deutsche Fernsehgeschichte
Der Film behandelt die Unterschiede zwischen den Besatzungsmächten, vor allem der distanziert-erzieherische Ansatz der Amerikaner (Do not fraternize!) mit Entnazifizierungs-Fragebögen. Britische, sowjetische und französische Maßnahmen werden demgegenüber aber nur gestreift.
Außerdem geht es um Fragwürdigkeiten in der Handhabung (Denunziation, "Persilscheine"), Begleitumstände, wie vor allem das Nachkriegselend, und die "Wendehalsigkeit" einiger Deutschen: Über begeisterte Parteieintritte 1933 und die Distanzierung danach.
Wir zeigen den Film mit freundlicher Genehmigung von Chronos Media: https://www.youtube.com/user/chronosh...
Originaltitel: Die kleinen Nazis - Das Dilemma der Entnazifizierung
© 1981, Lizenz Chronos Media
15.05.2018 - Verbrechen der Wehrmacht – Versuch eines Überblicks, Versuch einer Bilanz
Helmut-Schmidt-Universität
5. Vortrag der Ringvorlesung "Tradition wird gemacht. Geschichte, Erinnerung und Selbstverständnis der Bundeswehr", gehalten am 09.04.2018 von Dr. Christian Hartmann ( Institut für Zeitgeschichte, München).
Organisation: Privatdozent Dr. Michael Jonas
Staatsschutz im Kalten Krieg. Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF
Topographie des Terrors
Donnerstag, 31. März 2022 19:00 Uhr
Staatsschutz im Kalten Krieg. Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF
Buchpräsentation: Prof. Dr. Friedrich Kießling, Bonn, und Prof. Dr. Christoph Safferling, Erlangen
Moderation: Prof. Dr. Annette Weinke, Jena
SWR 23.7.1963: Die DDR verurteilt den NS-Schreibtischtäter Globke
Kalenderblatt
Hans Globke war Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze und später Staatssekretär in der Adenauer-Regierung. Ein DDR-Gericht verurteilte ihn zu lebenslänglicher Haft.
Michael Lachmann
https://www.youtube.com/watch?v=f_FD0pZSG1E
05.12.2020 - Regierungssprecher bestätigt Noch immer hängt Porträt von NS Verbrecher Hans Globke im Kanzleramt
EL CARBON Preusse aus der Provinz Saxonia
https://www.youtube.com/watch?v=4bTO_K71gWY
18.02.2022 - Gut gemeint, schlecht umgesetzt: Das Problem mit deutscher Erinnerungskultur | ZDF Magazin Royale
ZDF MAGAZIN ROYALE
ZDF MAGAZIN ROYALE
Wann hast du das letzte Mal an Nationalsozialismus gedacht? Über die Hälfte aller Deutschen denkt da nämlich nicht so gerne dran und würde am liebsten einen "Schlussstrich" unter das Thema ziehen. Deutschland hat ein Problem mit der Erinnerungskultur. Das Instagram-Projekt "ichbinsophiescholl" soll auf das Thema aufmerksam machen, hat aber einige Probleme bei der Umsetzung. Historische Quellen und die langweilige Wahrheit klicken halt leider nicht so gut! Und je länger die NS-Zeit her ist, je weniger Täter und Opfer noch leben, desto mehr verschwimmen die Fakten.
https://www.youtube.com/watch?v=rx8HZ0rnRxA
Ringvorlesung "Forschung im Zeitalter der Extreme: Akademien und andere Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus"
05.02.2018 - Strukturwandel der Forschung im Nationalsozialismus
Universität Göttingen
Prof. Dr. Mitchell Ash, Wien: "Strukturwandel der Forschung im Nationalsozialismus. Versuch einer Entwicklungsgeschichte". Vortrag im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung "Forschung im Zeitalter der Extreme: Akademien und andere Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus" an der Universität Göttingen, gehalten am 7. November 2017 in der Aula am Wilhelmsplatz.
https://www.youtube.com/watch?v=hBLfJxdftUs
Gestaltet wird das Programm von der Forschungskommission "Die Göttinger Akademie und die NS-Zeit". Eine Veranstaltung der Universität Göttingen und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, untertützt durch den Universitätsbund Göttingen e.V. Informationen zu dieser Ringvorlesung:
http://www.uni-goettingen.de/de/57120...
02.09.2020 - 75 Years after WWII: Memorials in Berlin | A History Tour of Berlin | Traces of WWII in Berlin
DW Travel
75 years after the end of WWII, travel expert Lukas Stege visits memorials in Berlin to find out what impact the war had on the German capital. Among his destinations are the Reichstag, the Topography of Terror museum, a flak tower and museums of the Allies.
https://www.youtube.com/watch?v=1mGC8eO_k6A
4. Podcasts zur NS-Vergangenheitsbewältigung
PODCAST_Interview - Deutschlandfunk Kultur · Deutsches Rotes Kreuz in der NS-Zeit - Tief ins Unrechtsregime verstrickt
Interview - Deutschlandfunk Kultur · 16.01.2021 · 7 Min.
Das Deutsche Rote Kreuz habe dazu beigetragen, die Verbrechen in den Konzentrationslagern zu vertuschen, sagt der Mediziner und Historiker Horst Seithe. Nur hochrangige Nationalsozialisten hätten die Organisation auf den hohen Ebenen geführt. Horst Seithe im Gespräch mit Axel Rahmlow www.deutschlandfunkkultur.de, Interview Hören bis: 19.01.2038 04:14 Direkter Link zur Audiodatei https://podcast-mp3.dradio.de/
https://www.ardaudiothek.de/
PODCAST - BR24 - NS Verbrechen: Wie schwer sich die Politik mit der Erinnerungskultur tut
Der Funkstreifzug · 19.11.2019 · 20 Min.
Fast 75 Jahre nach Kriegsende gibt es nur noch wenige Zeitzeugen für die Gräueltaten der Nazis. Umso wichtiger werden Gedenkorte wie Dachau und Kaufering. Doch um die gibt es Streit. Dabei werden gerade in Bayern wichtige Weichen gestellt.
https://www.ardaudiothek.de/
5. Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zur problematischen NS-Vergangenheitsbewältigung
Fragestellung zum
Umgang mit
Nationalsozialismus und Nazis
bis heute
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten. Siehe dazu auch Kapitel 1 auf dieser Seite.
Während die vom Familiengericht-Amtsgericht Mosbach beauftragte forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, zunächst EINERSEITS ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten in einem Umfang von über 100 Seiten zum 07.04.2022 unter 6F 202/21 erstellt hat, entschließt sich dieselbe Gutachterin sodann, ANDERERSEITS eine ergänzende Stellungnahme von zwei ganzen DIN A4-Seiten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute, insbesondere zum Kontext der historisch nachgewiesenen Beteiligungen an NS-Massenmordverbrechen in Mosbach wie Judenverfolgung und Holocaust, NS-Verfolgung von Sinti und Roma, Nazi-Euthanasie unter 6F 202/21 zum 31.08.2022 an das Amtsgericht Mosbach zu generieren. Die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, ERWÄHNT LEDIGLICH MIT EINEM WORT DEN "NATIONALSOZIALISMUS" auf Seite 2, Absatz 2 und erwähnt lediglich mit einem Satz auf Seite 2, Absatz 2, dass der Antragsteller von NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach sich gegen den Nationalsozialismus wendet. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen hat hier die GERICHTLICH BEAUFTRAGTE EINDEUTIGE GELEGENHEIT gehabt, mit einer entsprechend beim Amtsgericht Mosbach beantragten Fristverlängerung SICH SACHLICH UND FACHLICH auch auf über 100 Seiten bezüglich der Nazi-Thematik bzw. der Nazi-Problematik vor einem deutschen BRD-Gericht EXPLIZIT ZU ÄUSSERN. Diese Gelegenheit für eine sachliche und fachliche gutachterliche Expertise zum Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Verbrechen, deren Auswirkungen und Aufarbeitungen nach 1945, u.a. auch in Mosbach, besteht zukünftig weiterhin jederzeit für die forensische Sachverständige aus Kitzingen.
Siehe auch:
EINERSEITS:
Mit den Verfügungen des Familiengerichts-Amtsgericht Mosbach vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 hat die gerichtlich beauftragte forensische Sachverständige aus Kitzingen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Chance und das gerichtliche explizite Angebot, sich sachlich und fachlich zur NS-Vergangenheitsbewältigung seit 1945 bis heute, auch zur NS-Vergangenheitsbewältigung und Nazi-Kontinuität in Mosbach und in Baden-Württemberg, AUSFÜHRLICH EXPLIZIT gutachterlich zu äußern.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur problematischen NS-Vergangenheitsbewältigung, zum Umgang mit Nationalsozialismus und mit Nazis und zur Problematik der NS-Erinnerungskultur bis heute. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur juristischen, politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Überwindung der ideologischen und materiellen Folgen der Zeit des Nationalsozialismus. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur Problematik der Entnazifizierungsverfahren nach 1945 und zum Phänomen der sogenannten "Persilscheine". UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur Problematik der Kontinuität von NS-Funktionseliten, NS-Belasteten, NS-Tätern, NS-Trittbrettfahrern bei Bundeswehr, Polizei, Sicherheitsdiensten, Ministerien, Gerichten und Staatsanwaltschaften, Politischen Institutionen, etc. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik, der Sicherheitsdienste und Sicherheitskräfte. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die Kontinuität von Nazi-Juristen nach 1945 zu viel diskutierten negativen Konsequenzen führt, u.a. wie zur Kontinuität der politisch rechtsbelasteten, rechts-blinden deutschen Justiz seit der Weimarer Republik. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die politische deutsche Justiz, "auf dem rechten Auge blind" seit der Weimarer Republik (siehe Hitler-Putsch-Prozess und -Urteil), zusammen mit der unzureichenden NS-Vergangenheitsbewältigung dann zur Problematik des umstrittenen Radikalenerlasses, dessen Auslegung und Anwendung und den sich daraus ergebenden Berufsverboten in der Nachkriegszeit führt. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik, der Sicherheitsdienste und Sicherheitskräfte.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den Nazi-Juristen, hauptsächlich in der NS-Tätergruppe der Schreibtischtäter aktiv, und deren spätere Kontinuitäten als NS-Funktionseliten nach 1945. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Nazi-Jurist Hans Globke, als einem der prominentesten Beispiele für die Kontinuität der Verwaltungseliten und NS-Juristen, der zunächst im NS-Regime u.a. als Mitverfasser und Kommentator an den Nürnberger Rassengesetzen beteiligt und dann anschließend von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts unter dem Deutschen Bundeskanzler Kanzler Konrad Adenauer ist. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Fachliteratur frei verfügbaren Thematisierungen der problematischen Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen und der problematischen Strafverfolgung von NS-Täter:innen. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Fachliteratur frei verfügbaren Thematisierungen von Opfern des Nationalsozialismus, des NS-Regimes und den Familienangehörigen dieser NS-Opfer und NS-Verfolgten. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen VERZICHTET DAMIT EXPLIZIT DARAUF, den Opfern und des Nationalsozialismus, des NS-Regimes und den Familienangehörigen dieser NS-Opfer und NS-Verfolgten eine Stimme mit Anerkennung und Respekt vor einem deutschen Gericht im Jahr 2022 in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach zu geben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Fachliteratur frei verfügbaren Thematisierungen zur Fragestellung und Problematik der Entschädigungen von Ghetto-Renten, KZ-Überlebenden, Nazi-Kunstraub, Zwanagsarbeiter:innen, Enteignungen zum Vorteil der Nazi-deutschen Volks- und Raubgemeinschaft, etc. sowie zur bis heute ungelösten Frage der Reparationsforderungen für durch Nazi-Deutschland verursachte Weltkriegsschäden. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen VERZICHTET DAMIT EXPLIZIT DARAUF, den Opfern und des Nationalsozialismus, des NS-Regimes und den Familienangehörigen dieser NS-Opfer und NS-Verfolgten eine Stimme mit Anerkennung und Respekt vor einem deutschen Gericht im Jahr 2022 in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach zu geben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Fachliteratur frei verfügbaren Thematisierungen zu den Kontinuitäten der Diskriminierung bei der Anerkennung und Entschädigung von NS-Opfern und NS-Verfolgten in der Verwaltungs- und Justizpraxis. Wobei sich die Kontinuität von Opferdiskriminierungen gemäß nationalsozialistischer Diskriminierungsschemata (wie Sinti und Roma, Asoziale und Arbeitsscheue, Kommunisten, Menschen mit afrikanischer Herkunft, Homosexuelle, etc.) fortsetzt. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
Siehe auch:
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